Meine Mutter,ich erkannte sie nicht wieder

  • Meine Eltern trennten sich, als meine Schwester 16 und ich 12 Jahre alt war. Ich fand die Trennung nicht sonderlich schlimm, da ich vor meinem jähzornigen Vater angst hatte. Heute weiß ich das mein Vater völlig mit der Situation „Familie mit 19 Jahren zu haben“ überfordert war. Wir wurden nicht geschlagen oder ähnliches, doch er wurde oft sehr laut, und schimpfte ständig mit uns Kindern. Wir konnten ihm nichts recht machen!
    Meine Mutter wurde mit fast :? 16 Mutter, was 1960 ja gar nicht ging! :? Sprich, er musste sich vor allen rechtfertigen, insbesondere bei seinen sehr strengen Eltern. Aber auch vor den Ämtern, und Kirche, denn er wollte zu seiner „Schandtat“ stehen, um meine Mutter heiraten zu können, was ihm schließlich auch gelang.
    1965 kam ich dann noch dazu, und mein Vater war redlich bemüht die Familie zu ernähren, was ihm mehr recht als schlecht gelang. Nun gut, die Ehe scheiterte.
    Meine Mutter hatte jemand neues kennen gelernt, nochmals geheiratet und meine kleine Schwester kam 1979 zur Welt.
    In dieser Ehe wurde meine Mutter von Anfang an betrogen, ganz öffentlich, jeder wusste davon, auch meine Mutter! Doch sie traute sich keine Trennung zu, denn sie war ja noch nie eigenverantwortlich für ihr Leben zuständig, das haben ihr die Ehemänner abgenommen.

    Zwischenzeitlich stellte ein Arzt bei ihr ein unruhiges Herz fest, er verschrieb ihr Frisum Tabletten, zur Beruhigung!
    Sie brauchte nicht mal mehr zur Untersuchung, sie bekam das Rezept auf Bestellung.
    Erst als sie 1984 wieder einen Mann kennenlernte, drängte sie auf Scheidung, was wiederum ziemlich schmutzig über die Bühne ging.

    Bis zu dem Moment wo sie diesen Mann kennenlernte hatten meine große Schwester und ich ein sehr gutes vertrauensvolles Verhältnis zu ihr.
    Der neue Lebenspartner entpuppte sich als Weichei, was ich nicht böse meine. Aber bei jeder Gelegenheit weinte (im wahrsten Sinne des Wortes!) er uns von seinem bisherigen verkorsten Leben vor, was er meines Erachtens selber verschuldet hat. Wir alle nahmen ihn wie er war, aber eben nicht für Voll.
    Es dauerte nicht lange, ungefähr 2-3 Monate nur, als sich unsere Mutter sehr schnell veränderte. Trank sie 1 Glas Wein veränderte sich ihre Aussprache, sie wurde sentimental, konnte nicht mehr gerade aus gucken. Es war für uns völlig neu, das hatten wir in gemeinsamen feucht fröhlichen Runden noch nie bei ihr erlebt.
    Plötzlich mochte sie eine völlig andere Musikrichtung( vorher Westernhagen/ dann nur Kastelruther spatzen), sie veränderte ihr Äußeres, pflegte sich nicht mehr so wie vorher, sämtliche Freunde und Bekannte waren plötzlich doof und die Kontakte brachen ab. Die Wohnung wurde nicht mehr gepflegt, sprich es wurde ziemlich ekelig.

    Allerdings habe ich viele Jahre nicht kapiert, wie sie es schafft tagsüber nüchtern zu sein, und erst abends volltrunken ist. Spät fielen mir die Beruhigungstabletten ein, sie hat sich damit wohl tagsüber über Wasser gehalten, und nach Feierabend, das erste Glas…., das war wohl das Geheimnis!
    Eines Tages luden die Zwei, meine Schwester & Mann, mich & Mann ein, zu einer großen Feier, einfach eine Feier ohne Anlass! Es sollten viele neue Bekannte kommen, welche sie in der Kneipe um die Ecke kennen gelernt haben. Wir waren die ersten Gäste, meine Schwester kam etwas später, aber von den anderen Gästen kam niemand.
    Stattdessen kam es nach 5 Minuten zu einem Streit, zwischen dem Weichei und unseren Männern, völlig aus der Luft gegriffen. Schließlich ging es so weit, das meine berufliche Fähigkeit (ich habe bei ihr gelernt, wir arbeiteten bereits seit Jahren zusammen!) von meiner Mutter in Frage gestellt wurde. Noch am gleichen Abend zog ich daraus die Konsequenz zu kündigen, was ich auch tat. Ich hatte zwar die Hoffnung das man später noch mal zu einer Aussprache kommt, doch die endete für mich Tränenreich, denn meine Mutter beharrte auf ihrer Meinung.
    Vom Tag meiner Kündigung sahen wir uns nun nicht mehr täglich, nur noch sporadisch auf Geburtstagen der einzelnen Familienmitglieder. Und mit jedem Treffen wurde für mich der Anblick meiner Mutter zum Alptraum. Es dauerte noch etwas, doch eines Tages konnte und wollte ich mir dieses Elend und den Verfall eines Menschen nicht mehr anschauen. Jeder Besuch war für mich das pure Grauen, sie sank auf der Couch nach wenigen schluck Wein in sich zusammen, fing an zu heulen, ich konnte dort nichts essen oder trinken, auf die Toilette ging ich schon lange nicht mehr, weil alles nur noch verwarlost war.
    Ich schrieb ihr einen langen Brief, in dem ich ihr meine Absicht erklärte mir dieses nicht mehr antun zu wollen, habe meine Beobachtungen beschrieben und gleichzeitig für den Fall das sie Hilfe benötigt diese Angeboten. Aber nur wenn es um einen Alkoholentzug ginge!
    Ich bekam einen hämischen Brief zurück, und von nun an sahen wir uns nur noch 2x im Jahr, auf den Feiern meiner großen Schwester. Der Kontakt und das Verhältnis zu meiner jüngeren Schwester beschränkte sich ebenso nur noch auf diesen treffen, sie war ja noch zu klein. Etwa 2 Jahre nach mir, konnte schließlich auch meine große Schwester nicht mehr, beneidete mich, das ich an Weihnachten, Ostern ect. nicht mehr in die Wohnung meiner Mutter gehen zu müssen. Es muss katastrophal gewesen sein. Also schrieb auch sie einen Brief, dessen Inhalt ich nicht kenne, und brach den Kontakt ab.
    Seit nun 2 Monaten hat nun auch meine „kleine“ Schwester(mittlerweile auch 28 Jahre alt) den Kontakt abgebrochen, denn auch sie hat genug mitbekommen um sich das Elend nicht noch länger anzugucken. Allerdings hat sie unserer Mutter zwar einen Brief geschrieben, aber leider ohne Begründung. Die wollte sie später nachreichen, sie erbat lediglich eine Auszeit, um sich Gedanken zu machen.
    Statt das meine Mutter nun bei ihr anruft, ruft sie mich an um von mir zu erfahren warum die Kleene sich nicht mehr bei ihr meldet. Ehrlich, mir ging das Herz bis zum Hals, aber ich habe ihr nach so vielen Jahren nochmals sagen können das ich nach wie vor davon überzeugt bin das sie Alkoholikerin ist, und außerdem gerade im Gespräch merke das sie entweder eine volle Ladung Tabletten genommen hat, oder getrunken hat. Sie lachte kurz auf, und verabschiedete sich!
    Seit Mitte letzten Jahres arbeitet meine Mutter auch nicht mehr, das Weichei ebenfalls nicht, und nun ist es eine Frage der Zeit wann sie zum Sozialamt müssen, bzw. wann sie die Miete nicht mehr bezahlen können. Beide habe nie viel für die Rente eingezahlt, so ist auch nicht viel zu erwarten. Ich rechne damit das irgendwann das Amt vor der Türe steht, und von den Töchtern Unterhalt verlangt. Zu holen ist bei keinem von uns etwas, im Gegenteil, jeder hat sein Päckchen zutragen!

    Nun hat diese Frau 3 Töchter verloren, hat keinen Draht zu den erstgeborenen Enkeln, kennt ihre zwischenzeitlich 2 weiteren geborenen Enkelkinder gar nicht, hat keine Familie mehr, ist völlig alleine mit dem Weichei, wobei die kleine Schwester weiß das die Ehe ebenfalls kaputt ist und nur auf dem Papier steht. Was braucht ein Mensch noch, um zu begreifen das da etwas schief gelaufen ist, bzw. das dringend Handlungsbedarf ist????
    Sie sieht zum verrecken nicht ein das sie Alkoholikerin ist!!!! Das begreife ich nicht!!!
    Puhhhh, :oops: ist ziemlich viel geworden was ich geschrieben habe. Heute hatte ich über den Tag das dringende Bedürfnis, sie anzurufen, und mich recht herzlich für diesen Mist zu bedanken..., was mir aber nichts gebracht hätte.
    Ich bin so wütend :evil: auf meine Mutter, so stocksauer, ich kann es kaum in Worte fassen. Am meisten ärgere ich mich aber wohl über die verdammte Hilflosigkeit.

    Ich möchte mich bei allen bedanken, die den Mut und die Ausdauer hatten bis hierhin zu lesen. Mir ist sehr bewußt geworden, das es da draußen in der großen weiten Welt so viele Einzelschicksale gibt, und ich dagegen ein kleines Licht bin.
    Liebe Grüße
    Söckchen

    „Geliebt zu werden kann eine Strafe sein. Nicht wissen, ob man geliebt wird, ist Folter.“

    Robert Lembke

  • Danke Malika,
    Deine Worte machen Mut.
    Ich lese mich hier immer tiefer ein, und bin einerseits erleichtert nicht alleine da zu stehen, andererseits find ich es furchtbar, wie viele betroffene Menschen es gibt.

    Danke noch mal
    Liebe Grüße
    Söckchen

    „Geliebt zu werden kann eine Strafe sein. Nicht wissen, ob man geliebt wird, ist Folter.“

    Robert Lembke

  • Hallo Söckchen,
    schön wenn du hier Mut tanken kannst.
    Ich bin auch froh, mich nicht mehr als Exklusivneurotikern fühlen zu müssen, die sich mit über 40 noch an Kindheitskram abarbeitet, während alle (na gut, viele) anderen ihr Leben scheinbar aus dem Ärmel schütteln.
    Dabei sind wir vermutlich allesamt stark, gewitzt und kreativ.
    Dumm nur, dass es uns früher niemand gesagt hat.
    Noch dümmer, wenn es jetzt jemand behauptet, glauben wir es nicht.
    Auch liebe Grüße
    Malika

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