Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich an Heiligabend um diese Uhrzeit am Rechner sitzen würde und in einem Internet-Alkoholiker-Forum über mich und mein Leben nachdenke, dann hätte ich vermutlich den Kopf geschüttelt und mir gedacht "Allmächd, was'n Schmarrn!".
Aber tatsächlich ist es so.
Und es fühlt sich komisch an.
Nicht schlecht, aber komisch.
Es hat sich viel verändert in meinem Leben. Nicht so sehr äußerlich, aber in mir drin, in meiner Gefühls- und Gedankenwelt. Ich bin jetzt ein halbes Jahr abstinent, das ist zumindest für mich ein großer Schritt. Und worüber ich am meisten staune, ist, dass ich zufrieden bin mit mir und meiner kleinen Welt. Ich finde mich gut so, wie ich bin.
Ich kann damit leben, dass Heiligabend ist und es totenstill ist in der Wohnung, weil mein Mann ein bisschen auf dem Sofa döst. Dass ich keinen Weihnachtsbaum habe. Den wollte ich nicht, weil ich einfach keine Lust darauf hatte, mich in den üblichen Baumärkten herumzutreiben, ein Exemplar nach dem anderen zu prüfen, um dann völlig genervt und nach einer schnellen Entscheidung strebend endlich zu sagen "Mein Gott, ja doch, dann nehmen wir eben den!"
So vieles, was mit Weihnachten zusammen hängt, finde ich eigentlich nicht schön. Hängt vielleicht mit meiner Kindheit zusammen, jaja, richtig getippt, ich bin eine EKA, wie das hier so schön heißt. Ein alkoholkrankes erwachsenes Kind eines alkoholkranken Vaters.
So what?
Hatten wir nicht alle eine beschissene Kindheit?
Irgendwann muss mal Schluss sein mit dem ewigen Wühlen in der Vergangenheit, mit dem ewigen Auf-der-Suche-sein nach Antworten, die mir jetzt sowieso keiner mehr geben kann.
Ich hatte gestern ein Telefonat mit meiner Mutter, ich wollte eigentlich gar nicht so sehr über mich und meine Abstinenz sprechen, hab's dann aber doch getan, vielleicht weil ich ihr förmlich reindrücken wollte, dass, wenn sie morgen zu mir kommt, es bei mir keinen Alkohol gibt. In diesem Zusammenhang kamen wir auf meinen Vater zu sprechen und ich spürte in mir diesen Groll aufsteigen, obwohl der schon 15 Jahre tot ist, dieser Groll, dass der nichts aus den Chancen gemacht hat, die sich ihm boten. Der war zur Entgiftung, der war sogar sechs Monate auf LZT, immer wieder Rückfälle, immer wieder Entgiftungen, und der hat einfach nichts draus gemacht!!! Das will mir einfach nicht in meinen blöden Schädel!!! Warum hat der nichts draus gemacht???
Früher habe ich ihn immer vor mir selber in Schutz genommen, ich habe mir immer gesagt, dass der nichts dafür kann, der ist schließlich krank, da ist irgendwie 'n Fehler auf seiner Festplatte oder so. Heute bin ich selber eine Trinkerin.
Aber verdammte Scheiße, ich habe was getan!!! Ich bin freiwillig in die Entgiftung gegangen, weil ich instinktiv gespürt habe, dass ich ohne professionelle Hilfe aus dieser Nummer nicht mehr herauskomme. Ich habe Gespräche mit meinem Therapeuten und besuche wöchentlich meine SHG. Und jetzt bin ich seit einem halben Jahr abstinent. Freilich nicht ganz ohne Medikamente, ich nehme ein AD, und erst seitdem ich das nehme, kann ich abstinent leben. Und das zufrieden, ohne das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen.
Dieses Telefonat mit meiner Mutter war für mich wie ein weiterer Schlussstrich unter meiner Vergangenheit. Deshalb schreibe ich das hier auch nicht bei den Cos oder EKAs, sondern hier.
So, und jetzt habe ich kräftig durchgeschnauft, ich habe mich auch schriftlich von meinem Vater verabschiedet und kann ihm versichern, dass sein tragisches Leben und vor allem sein tragisches Ende nicht mehr herhalten muss als Erklärung für irgendeine Scheiße, die in meinem Leben abläuft. Ich werde mich nicht mehr verstecken hinter der Aussage, dass ich nichts dafür könne, weil nämlich, mein Vater war ja leider...ähm...hüstel...ein Trinker...
espoir