Hallo,
mein Stiefvater, der 10 Jahre trocken war, trinkt seit ca. 4 Jahren wieder. Aber bitte, es wird natürlich nicht drüber gesprochen.
Meine Mutter schüttet ab und zu ihr Herz bei mir aus, aber wirklich was hören will sie dazu nicht.
Neulich war ich mit ihr im Restaurant und habe gesagt, dass das Schweigen (müssen) für mich das schlimmste ist (obwohl ich nicht mehr bei ihnen wohne). Das war schon bei meinem Opa so. Obwohl er alle paar Wochen/Monate sturzbetrunken war, war das Thema irgendwie tabu, als ob man da noch irgendwas hätte verheimlichen können.
Gestern um 23 Uhr rief meine Mutter an, ob ich was von IHM gehört hätte. Ich war verdattert und sagte nein.
Nun, er war abgehaun. Zahnbürste weg, Rasierwasser weg usw.
Mutti war wohl nachmittags von der Arbeit gekommen und hat angenommen, er sei betrunken. Daraufhin war sie total pissig. Und meine Mutter KANN dann launisch sein, aber heftigst!
Das war ihm wohl zu bunt und er ist gegangen und sagte "Bis Montag".
Mutti war am Tel. seltsam. Auf der einen Seite dachte ich, sie weint gleich los, macht sich Sorgen um ihn, ist wütend mit ihm, auf der anderen Seite wirkte sie desinteressiert und quatschte über PC-Spiele mit mir als wenn nix wäre.
Ich hab ihm eine SMS geschickt, wo er steckt, dass ich mir Sorgen mache und weglaufen auch keine Lösung ist.
Unglaublicher Weise rief er mich an.
Ich würde auch sagen, dass er betrunken war. Er sagte, es sei egal, wo er sei, aber es ginge ihm gut. Naja, was sollte ich schon sagen und so haben wir schnell wieder aufgelegt, er hat eh alles abgeblockt.
Ich meiner Halbschwester (seine richtige Tochter) noch gesmst, die mich dann zurückrief. Sie war erst nur wütend mit ihm.
Ich bin eher die, die auch Mitleid hat und nicht nur die Sucht sieht, sondern auch, dass es ihm psychisch schlecht geht. Er ist nicht abhängig geworden, weil er einfach aus Spaß zu viel getrunken hat, sondern hat wirklich versucht, seinen Kummer wegzusaufen und wurde daher abhängig. Der Kummer ist aber auch immer noch da. Aber er redet nie drüber, auch nicht mit meiner Mutter. Er ist immer introvertiert. Ich weiß nur, dass er früh seinen Vater verlor und seine Kindheit wohl ziemlich hart und unschön war. Er hat keine wirklichen Freunde, nur Bekannte, aber niemand, mit dem er allein was unternimmt oder mit dem er reden könnte und er hat keine Interessen, hockt viel vorm Fernseher, ist aber nicht faul.
Heute Morgen rief er mich an, er ist wieder zu Hause.
Er sagte, dass Mutti einfach zu weit gegangen war und er wisse auch nicht, was sie immer habe, immer so launisch, vielleicht seien es ja die Wechseljahre.
Daraufhin habe ich ganz ruhig gesagt, dass es auch viel daran liegt, dass er ja wieder trinkt.
Ich hab es wirklich vor ihm ausgesprochen! Nach 24 Jahren!
Was dann kam, war ja recht typsich. Er schob die Schuld auf Mutti. Es sei mit dem Trinken ja nicht so wie damals und er trinke nur, wenn es ihm mit Mutti zu viel sei. Ich habe nur ein zweifelndes Geräusch von mir gegeben, weil ich das am Telefon doof fand irgendwas zu bereden.
Im weiteren Gespräch sagte ich dann, dass Mutti gestern so launisch gewesen war, weil sie dachte, er sei wieder betrunken gewesen. Das stritt er aber ab. Und ich denke trotzdem, er war betrunken. Mutti merkt das ja nach all den Jahren recht gut und auch am Handy klang er nicht nüchtern.
Ich mache mir jetzt viele Gedanken über Sucht und Abhängigkeit.
Wie kann er eigentlich Abhängig von Alkohol sein und dabei immer 1-3 Monate zwischendurch „trocken“ sein? Oder ist er vielleicht gar nicht Abhängig von dem Stoff Alkohol, sondern „nur“ süchtig nach dem Rausch, der ihn seine Probleme vergessen lässt? Könnt ihr den Unterschied in meinen Gedanken verstehen?
Mein Opa brauchte damals seinen Pegel. 3-4 Halbliter-Dosen eines Getränks mit wenig Alkohol (ich darf ja die Sorte nicht nennen, richtig?) und dann alle paar Monate einen Vollrausch, der meist einige Tage dauerte, solange eben, wie der, meist gestohlene, Vorrat reichte. Er hätte nicht einen Tag ohne seine Dosen ausgehalten. Mittags um 12 knackte und zischte es, länger hielt er es nicht aus.
Mein Stiefvater trinkt aber nur alle paar Wochen und dann für ein paar Tage immer wieder, aber so, dass er es besonders tagsüber vor Kollegen usw. verheimlichen kann und auch so, dass bei uns als Familie immer noch ein Hauch Unsicherheit mitschwingt.
Kann das sein? Oder trinkt er womöglich auch täglich und wir haben es all die Jahre nicht bemerkt und merken eben nur alle paar Wochen, wenn er mehr als üblich getrunken hat?
In der Zeit, als er trocken war, ist er immer wieder mal mit Alkohol in Berührung gekommen. Nach ca. 1 Jahr gab es mal zum Geb. seiner Mutter eine Torte mit Eierlikör, obwohl ausdrücklich eine Torte ohne Alkohol bestellt war. Er hatte sie auf dem Teller und aß sie auf, um sich vor den Anderen nicht die Blöße geben zu müssen. Er hat danach nicht wieder getrunken, soweit ich weiß, hat ihm die Torte keinerlei Probleme gemacht.
Später hat er auch immer mal wieder ein halbes Glas Wein an Weihnachten und Silvester oder so getrunken. Ich habe immer gedacht, dass er und meine Mutter viel zu leichtfertig mit dem Thema umgegangen sind.
Aber irgendwie fällt er auch bei allem (Trinkverhalten, Trocken werden usw.) aus der Norm, alles scheint bei ihm anders...oder?