Schlaflos vor lauter Sorge

  • Hallo Heyzel!

    Ich bin 26 Jahre alt und meine Mutter trinkt auch schon über 20 Jahren. Sie hat irgendwann angefangen, als ich im KiGa war und wird wohl im selben Stadium sein wie deine Mutter- Wasserbauch samt Leberzirrhose, Schmerzen und Gewichtsverlust. Man sieht es ihr also deutlich an.
    Wieviel Zeit sie noch hat, weiß ich nicht. Aber da ich noch keine Kinder habe und dies auch in den kommenden 3-4 Jahren nicht geschehen wird, gehe ich davon aus, dass sie ihre Enkel nicht kennenlernen wird. In Familien mit Alkoholproblemen gibt es viele verquere Ansichten und verquere Selbstwahrnehmung- jeder einzelne ist von diesen Dynamiken geprägt- nur mit falscher Selbstwahrnehmung und falschen Ansichten bleibt das System für Alkoholiker bestehen- mit gesunder Wahrnehmung und gesunden Ansichten würden sich die Angehörigen selbst befreien und in Sicherheit bringen.
    Inwieweit das auf dich und deine Familie zutrifft, kann ich natürlich nicht sagen- aber in meiner Familie ist das natürlich der Fall. Es gibt soo viele Alkoholiker und noch mehr Co-Abhängige um die Alkoholiker geschart.. Daher möchte ich erst dann Kinder, wenn ich selbst aus dem System ausgestiegen bin und nicht alles an meine Kinder weitergeben, um dem System die nächste Generation zu liefern, die weitere Alkoholiker trägt und betüddelt. Ich möchte raus aus dem Kreislauf.

    Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass meine Mutter krank ist. Meine Eltern haben ihre Kämpfe immer direkt vor unseren Augen ausgetragen, sodass wir wussten, was Sache ist. Auch wenn wir als Kinder nicht wussten, was das konkret für Konsequenzen hat.
    Diese heftigen Sorgen, wie du sie beschreibst, mit Schlafstörungen habe ich nicht. Vermutlich, weil mir schon lange klar ist, dass sie daran sterben wird und wir nie eine Mutter-Tochter-Beziehung in dem Sinne aufgebaut haben. Ich brauche sie nicht, weil ich schon immer ohne sie klarkommen musste. Aber manchmal sehne ich mich natürlich nach einer richtigen Familie mit "richtigen" Eltern und einem normalen Familienverhältnis.

    Ich will nicht sagen, dass es mir mit der Situation gut geht. Es ist belastend. Aber ich habe mich zumindest davon lösen können, mich um sie zu sorgen und die ganze Zeit darüber zu grübeln, wie es nun weitergehen soll. Zumindest, so lange sie noch lebt.
    Auch wenn es hart klingt- aber sie hat jetzt über 2 Jahrzehnte getrunken, hat alle Gespräche und Unterstützungsangebote in den Wind geschlagen, hat ihren Alkohol über das Wohl ihrer Kinder gestellt, hat gar nichts dagegen unternommen, sondern nur die Ohren auf Durchzug gestellt, jegliche Therapie verweigert und hat weitergetrunken. Sie hatte selbst einen alkoholkranken Vater, der auch früh gestorben ist. Daher wusste sie um die Gefahr und was sie uns damit antut- aber alles hat sie in Kauf genommen. Es war ihre Entscheidung, weiterzutrinken und dafür früh zu sterben und das akzeptiere ich. Ändern kann ich es eh nicht.

    Vor drei Jahren hatte sie wieder eine Alkoholvergiftung und lag im Krankenhaus. Das war das erste Mal, dass ich ihre Entscheidung gegen eine Therapie mitbekommen habe. Bisher hatte ich nie darüber gesprochen; das Thema war zu Hause tabu und unter Strafe gestellt. Ich habe mir vorgenommen, nur einen Versuch zu starten, um irgendwas zu erreichen und ansonsten damit abschließen zu können. Also bin ich zum Hausarzt und habe mit ihm darüber gesprochen, habe mich über Alkohol- und Co-Abhängigkeit informiert.. Habe diese Infos an meinen Vater weitergegeben, weil er hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken lag und sich beklagte, sich nicht informieren zu können, habe die Familie meiner Mutter informiert.
    Ergebnis beim Hausarzt: Wenn sie nicht will, können Sie nichts machen. Sie muss einsichtig sein- wenn sie das nicht ist, ist jeder Entzug zwecklos. Abgesehen ist der (Ent-)Zug bei einer Leberzirrhose eh schon abgefahren.
    Ergebnis beim Vater: Meine Informationen sind bloß theoretisches Geschwätz, ich soll nicht so klug daherreden, sondern ihm dabei helfen, Mutter trockenzulegen. Er hat gar nichts verstanden und will auch nichts verstehen, sondern sich weiterhin als armes Opfer, was der Sauferei seiner Frau hilflos ausgeliefert ist, im Selbstmitleid suhlen. Da kann ich leider auch nicht mehr weiterhelfen- er hat alle Möglichkeiten, sich helfen zu lassen. Das will er aber nicht. Dann halt nicht. Aber ich lasse mich nicht mehr von ihm weiter runterziehen, sondern schütze mich nun selbst.
    Ergebnis bei der Verwandtschaft: Obwohl das Thema schon innerhalb der Familie auf den Tisch gekommen ist, taten Schwester und Schwägerin meiner Mutter so, als wäre es die große Überraschung. Meine Oma (Mamas Mutter) wusste explizit bescheid, die anderen beiden angesprochenen waren schon öfters dabei, als sich Mutter im Suff das Gesicht aufgeschlagen hat oder aus dem Fenster gesprungen ist. Dass es mit Alkohol zu tun hatte, wollen sie aber nicht bemerkt haben. Natürlich nicht! Sie haben wahrscheinlich den Kopf in den Sand gesteckt und alles verdrängt. Daher konnten sie mir dann wunderbar die Schuld zuschieben und mich dafür verantwortlich machen, dass Mutter nun so lange trinkt und ihre Erkrankung hat auch gar nichts mit der Sucht meines Opas zu tun, weil Alkoholismus ja nicht erblich ist, sondern mein Vater ist schuld. (das ist natürlich alles falsch, Alkoholismus ist wirklich ein Familienproblem; 30% aller Kinder von Alkoholikern werden selbst Alkoholiker. Aber meine Familie sucht einen Sündenbock.)
    Anscheinend haben sie erwartet, dass ich als Kindergartenkind meine Mutter in den Entzug geschickt hätte. Bei AlAnon habe ich gelernt, dass die Reaktion meiner Familie eine typische Reaktion einer Suchtfamilie ist. Die Verantwortung an der Situation bekommt nicht der Suchtkranke aufgebürdet, sondern ein Sündenbock, der sich den Schuh wiederum auch anzieht.

    Nunja. Also Ergebnis: Mutter trinkt immer noch, die Familie ist zerrüttet und der Kontakt zur Familie meiner Mutter besteht nur noch an Weihnachten. Dafür hab ich nun mit der Sache abgeschlossen und verweigere weitere Gespräche mit der Familie meiner Mutter über dieses Thema.

    Nun kümmere ich um mich selbst. Ich weiß nicht, wie es für dich ist, da du erst als Erwachsene richtig etwas davon mitbekommen hast. Aber bei uns drehte sich seit jeher alles um die Sucht und um meine Mutter. Wir Kinder waren nur nebensächlich und auch nur auf Mutter fokussiert. So habe ich nie zu mir selbst gefunden. Was will ich eigentlich? Was tut mir gut? Was darf ich verlangen, was steht mir zu? Ich war absolut selbstlos, eine formbare Hülle und dachte immer, es wäre gut, so bescheiden zu sein. Ist es aber nicht. Momentan finde ich also zu mir selbst- wie will ich sonst selbstbewusst im Beruf stehen, wenn ich kein Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und zu nix eine Meinung habe?

    Also, mich zu positionieren und mich um mich selbst zu kümmern- das ist momentan mein Ziel. Meine Selbstwahrnehmung ist auch recht schlecht.
    Zudem bin ich durch die ständige Belastung chronisch erkrankt und arbeite nun daran, mich um mich zu sorgen- also eine Grenze zu merken, wann der Stress genug ist. Eben damit diese Belastung die Erkrankung nicht weitervoran treibt.

    Wie du abends zu Ruhe kommen kannst?
    Befreie dich von der Verantwortung, die du gar nicht hast. Du kannst für deine Mutter NIX machen- ob du dich nun sorgst oder nicht- es kommt für deine Mutter aufs selbe hinaus. Womöglich will sie deine Sorge auch nicht, weil sie weitertrinken möchte. In dem Fall ist eine besorgte Tochter eher lästig. Du tust dir und deinen Kindern damit nichts gutes.
    Und jetzt, zum Zeitpunkt der Leberzirrhose, ist es eh zu spät.
    Ich bin mal zu einem Coach gegangen und habe dort die "Stoppschild-Methode" gelernt. Das bedeutet, sobald dieses Gedankenkarussel beginnt, entziehe ich mich dem, "stelle ein Stoppschild auf".
    Ich habe mit autogenem Training begonnen, achte auf bewusste Entspannung, habe ein paar Hobbies angefangen und baue meinen Freundeskreis aus.

    Zudem schreibe und lese ich hier im Forum, was mir schon sehr geholfen hat. Aber ich merke, dass es nicht genug ist. Also war ich nun bei der Caritas zur Suchtberatung und habe mich nun auf 5 Sitzungen mit der Beraterin geeinigt. Die Erstsitzung tat mir schon sehr gut.
    Vielleicht ist das auch etwas für dich? Dort wirst du über Sucht, Suchtverhalten und Familiendynamiken aufgeklärt.

    Ich hoffe, mein Text ist nachvollziehbar.
    Wie ist denn euer Familienzusammenhalt? Was sagt dein Partner dazu? Und dein Vater?

    Alles Liebe,
    Natalie

  • Hallo Heyzel,

    Zitat

    Ich habe so eine große Angst das sie bald nicht mehr da ist. Aber geht es so weiter..sehe ich schwarz. Das mag sich egoistisch anhören aber ich will nicht das sie bald geht.. ich brauche sie noch. Das ist mir zu früh..

    nach Deiner Beschreibung frage ich mich, ob sie das wofür Du sie zu brauchen glaubst, Dir überhaupt noch wird geben können - trinkend, am Leben.
    Es wird Sinn machen, daß Du Dich damit auseinandersetzt, ob Du diese Hilfe von anderen Menschen bekommen kannst oder ob Du Dich von der Tochter zu einer eigenständigen Person entwickeln kannst, die die Hilfe der Mutter nicht mehr "braucht".

    Ich verstehe aber Deine Angst davor, daß sie sterben könnte.
    Ich kann nur für Deine Mutter beten, daß sie den Punkt erreicht, wo sie aufhören will zu trinken.

    LG Jürgen

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