Guten Tag zusammen und herzlich willkommen hier in meinem niegelnagelneuen, nach frischer Farbe und heissem Kaffee riechenden Thread .
Eigentlich bewege ich mich seit Jahren fast ausschliesslich im geschützten Bereich. Heute aber habe ich Lust, mich auch wieder in den offenen zu wagen. Ich suchte meinen alten Thread, der aber nun schon seit über drei Jahren vor sich herstaubt und irgendwie an die Wand gefahren ist. Daher versuche ich es hier in diesem Bereich nun mit etwas frischem. Einem Thread, der meine ganze Geschichte nochmals aufrollt, so, dass jeder folgen kann und gleich weiss wer ich bin, woher ich komme und wohin ich unterwegs bin.
Aber was erzähle ich denn nun hier und warum? Ersteres wird sich wohl einfach ergeben, aber das Warum kann ich wohl erklären:
Ich bin nun über viereinhalb Jahre rückfallfrei. Ich hatte immer mehr oder weniger zu kämpfen, ernte aber momentan die Früchte und möchte Neueren Mut und Hoffnung geben, dass sich der trockene Weg lohnt, auch wenn er bei einigen sehr steinig ist. Ich wurde vor gut sechseinhalb Jahren mit dem Forum trocken ... mein Rückfall im 2009 unterbrach zwar diese Zeit (daher "erst" viereinhalb Jahre rückfallfrei) ... aber ich habe auch von der Zeit, den Erfahrungen und dem Austausch zuvor soviel mitgenommen, dass mir ein Rückfalltag mehr als ausreichte, um wieder klar zu kommen. Ich bin dem Forum, Karsten und jedem einzelnen User, mit dem ich irgendwie in den Austausch gekommen bin oder bei welchem ich von seinen Erfahrungen profitieren konnte dankbar und möchte das etwas weitergeben. Ihr merkt schon, ich hole manchmal etwas weit aus ... aber das bin nunmal ich .
Ich habe zwei wunderbare, zwar nicht pflegeleichte oder handliche Kinder, die mich immer wieder mit ihren Pubertätsanfällen herausfordern. Als das erste zur Welt kam, hing ich noch an der Nadel und war seit kurzem nicht mehr obdachlos. Vorher lebte ich auf der Strasse, nahm jede erhältliche Droge, überlebte so manche Überdosis nur mit viel Glück und durch Zufall, mein erster Weg morgens aus der Notschlafstelle führte mich in den Laden, wo ich meinen harten Alk kaufte, den ich mir dann möglichst schnell und begleitet von heftigen Würgreflexen einverleibte. Das so die kurze dreckige Vorgeschichte.
Während der Schwangerschaft wurde mir von mehreren Ärzten angeraten, weiterhin Heroin zu konsumieren, da ein Entzug das Kind wohl umgebracht hätte und der komplette Umstieg auf Methadon für das Kind einen längeren, heftigeren Entzug mit sich bringen würde. Aber so im achten Monat konnte und wollte ich meine dicke Kugel nicht mehr stundenlang über die Szene jagen und bei jedem Schuss fürchten, dass giftige Streckmittel mein Kind schädigen oder umbringen könnten. So stieg ich auf Methadon um und mein Kind musste nach der Geburt zwei Monate im Krankenhaus entgiften. In dieser Schwangerschaft schaffte ich es, neben dem Heroin und später dann Methadon, keine anderen Substanzen zu konsumieren. Also auch nicht zu trinken.
Zwei Jahre später kam mein zweites Kind - ebenfalls unter Methadon - zur Welt. Noch immer war ich trocken und "clean". Doch schon kurz nach dem Umzug in meine alte Heimat, schlich sich der Alkohol wieder bei mir ein. Ich war/bin Spiegeltrinkerin. Irgendwie kam es dann dazu, dass ich noch eine heftige Kokain-Phase durchmachte, in welcher ich (und ich schäme mich noch heute zutiefst dafür) oft mit den Kindern in der Szene verkehrte. In dieser Zeit erlebte ich meinen wirklich grausamen Tiefpunkt ... doch bis ich ganz clean und trocken wurde, sollten noch Jahre vergehen. So ca. im 2004 schaffte ich dann endlich den endgültigen Absprung von den Drogen... aber der Alk blieb weiterhin. Er war zuerst da, begleitete mich durch alle Drogenzeiten und blieb mir bis zuletzt. War ja nicht so schlimm, bloss Alk "etwas braucht der Mensch ja" und so . Ich war mit den Kindern sehr aktiv unterwegs, sie kamen nicht zu kurz. Aber ich war immer angetrunken. Dafür konnte ich mein Methadon schnell und problemlos abbauen. Das war auch eine grosse Erleichterung.
Ich schaffte zwischendurch immer mal wieder längere Trinkpausen von bis zu einem Jahr. Aber es zog mich früher oder später immer wieder zurück. Bis ich, mal wieder ein paar Tage oder Wochen nüchtern, dieses Forum fand. Ich liess mich darauf ein und sog alles in mich auf, was ich hier gesagt und zu lesen bekam.
Unterdessen sind meine Kinder beide in der Oberstufe, die Grosse ist auf Lehrstellensuche ... der Kleine eher auf ... Sich-selbst-Suche, was er sehr rabiat durchzieht und mich damit in den Wahnsinn treibt . Seit bald 6 Jahren arbeite ich (ungelernt, aber unterdessen mit einem Riesenpaket Erfahrung) in einem Heim für Schwerstbehinderte - mein Bereich "Menschen mit Hirnverletzungen". Die Erfahrung und ein tolles Team stärken mich, mein Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein ist in den letzten Monaten massiv gewachsen. Ich fühle mich frei. Ich ernte gerade die Früchte meiner Trockenarbeit.
Mein Weg bis hierher war oft sehr, sehr steinig (ich leide noch unter Depressionen, bei welchen ich nun nach Jahren falscher Medikation endlich perfekt eingestellt bin). Die ersten zwei Jahre (also bis zu meinem Rückfall) litt ich dauernd unter Sauf- und Suchtdruck. Nun fühle ich mich bei mir angekommen und dieses wunderbare Gefühl wünsche ich jedem einzelnen, der hier liest.
So, ich denke, das ist erstmal genug Text .
gruss liv
PS: Es ist jeder herzlich eingeladen hier mitzuschreiben.