Nicht mehr zurück, sondern nach vorne blicken, aber wie?

  • Hallo,

    wie bekommt man als EK das gebacken nach vorne zu blicken?


    Die Kindheit und Jugend steckt einem irgendwie immer noch in den Knochen...

    Die Berufs-, Wohnort- und Partnerwahl war nicht wirklich freigewählt, sondern wie ferngesteuert...

    Die nassen Eltern nehmen viel - zu viel? - Raum ein...

    Überall sieht man Zusammenhänge zu "damals", und wenn nicht wird das Mikroskop ausgepackt und solange gesucht, bis man welche findet...

    Da hat man sich jahre/jahrzehntelang therapiert, entwickelt und distanziert, sind die Eltern alt und gebrechlich und man muß wieder ran...


    usw. usw. usw.


    Wie kommt man als EK aus der Kacke, äh, Kinder-Ecke raus?

    LG, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hm, nicht-Schreiben als EK-typische Reaktion?


    Es melden sich so viele EK hier an, schreiben unter hohem Leidensdruck ihre Lebensgeschichte auf. Das sind ellenlange Beiträge voller Ängste, Leid und Hoffnungslosigkeit. Man merkt richtig, wie sie sich quälen.

    Aber dann gehts nicht weiter. Die Chance auf Erfahrungsaustausch wird nicht beim Schopf gepackt.

    Gibts EK, die irgendwann mal einen Wendepunkt hinbekommen haben?

    Oder gilt "einmal Opfer - immer Opfer"?

    Ein hoher Prozentsatz von Kindern mit alkoholkranken Eltern wird später selber Alkoholiker oder anderweitig süchtig.

    Oder sie landen wie von Zauberhand geführt bei einem alkholkranken Partner. Warum? Erkennen sie alte Beziehungsmuster ihrer Kindheit wieder und können sich gar nicht vorstellen, daß es auch anders geht?

    EK schreiben im Vorstellungsbereich bzw. bei ihrer Threaderöffnung meistens die mit Abstand längsten Texte von allen Usern. Reicht es, wenn man sich einmal das ganze Elend von der Seele geschrieben hat und dann ist alles paletti?

    Ist der Schmerz größer als die Aussicht auf Handlungsfähigkeit?

    Ist das Warten auf Betüddelung durch andere User typisch EK? Als Kind nie richtig versorgt worden, dann einmal hier das ganze Elend rausgeschrieben und kein anderes EK antwortet... böse Welt. Dann lieber schnell wieder zurück ins Schneckenhaus, da kann man wenigstens nicht enttäuscht werden...?

    Wo bleibt die Eigeninitiative? Die Selbstverantwortung? Selbst bei miesester Kindheit steckt doch was Lebendiges in jedem einzelnen drin. Das muß man füttern und sich drum kümmern wie bei einem jungen Hundchen.

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Ich bin mit Anfang 20 von zu Hause ausgezogen. Nicht mal bloß um die Ecke, sondern schon ne kleine Ewigkeit weiter.
    Es war für mich wie ein Befreiungsschlag. Endlich weg von meiner trinkenden Mutter. Die ersten Jahre hatte ich nicht das Gefühl, dass da etwas "anders" ist. Beruflich Fuß gefasst, meinen Mann kennengelernt, Familie gegründet. Alles normal eben, wie bei anderen auch.
    Ich glaube , dieses Gespür dafür, hier ist etwas anders, habe ich erst entwickelt, als ich selbst Mutter wurde. UND ICH wollte nie wie meine Mutter werden! Das erste Gespräch hatte ich mit einem Mitarbeiter vom Gesundheitsamt unserer Kreisstadt. Sie zeigen typische Merkmale eines Kindes einer/s Alkoholikers. Woher er das wüßte, meinte er zu mir. Meine Mutter säuft selbst. Es hat noch ein paar Jahre und noch einige unschöne Telefonate und andere Dinge gebraucht, bis ich wußte, dass will ich nicht mehr. Ich habe mir das Buch Familienkrankheit Alkoholismus gekauft und auf der Suche auf das Forum aufmerksam geworden. Ein Satz, sowohl im Buch als auch hier im Forum hat mich beeindruckt. Was nicht guttut, dass soll man loslassen. Ich möchte erstmal keinen weiteren Kontakt zu meiner Mutter, ob für immer, weiß ich noch nicht. Besser geht es mir damit, auch wenn ich es meinem Mann/meinen Geschwistern noch nicht erzählt habe. Muß ich dass überhaupt? Ich bin niemanden Rechenschaft schuldig. Gerechtfertigt habe ich mich lang genug.
    Meine ersten Gedanken dazu, Linde.

  • Ich finde es sehr schwer, die alten gelernten Muster aus der Kindheit abzulegen - bei allem Verstand, Nachdenken und Psychotherapie. Früher dachte ich, ich hätte ja keine eigenen Probleme, sondern nur die meiner Mutter. Ich war der Meinung, dass meine Befreiung mit dem Auszug von zuhause und meiner finanziellen Unabhängigkeit geschehen würde, also so mit ca. 20 nach Beendigung meiner Berufsausbildung. Kein Herzklopfen mehr, wenn man nach Hause kommt und nicht weiß, was man dort vorfinden wird! Nun war Zeit, sich aufs eigene Leben zu konzentrieren.

    Es dauerte etwa weitere zehn Jahre, bis mir überhaupt auffiel, dass ich einen bleibenden Schaden aus meiner Kindheit davongetragen hatte - meine Angst vor Konflikten, davor, nicht geliebt/gemocht zu werden (und es trotzdem nicht zu glauben, selbst wenn der Partner immer wieder seine Liebe beteuert), die mangelnde Fähigkeit, meinen Willen auszudrücken und meine Welt nach meinen Wünschen zu gestalten (Stichwort „erlernte Hilflosigkeit“). Dazu meine ungesunde Beziehung zu meiner Mutter, von der ich mich nie recht abgenabelt habe; ich hatte ja immer noch das Gefühl, aus der Ferne auf sie aufpassen zu müssen.

    Erst im Laufe der Zeit und vor allem durch meinen Mann, der mich darauf aufmerksam machte, was bei mir nicht stimmte, fing ich mit dem Nachdenken an und die Beziehung zu meiner Mutter zu hinterfragen. Ich kam dann schnell zu dem Schluss, dass es am besten sei, den Kontakt zu ihr abzubrechen, denn wie soll man selbst psychisch gesund werden, wenn man sich nicht von dem Gift, das einen krank gemacht hat, fernhält?

    Als EKAs haben wir in frühester Kindheit, als wir am prägbarsten waren, emotionale Vernachlässigung erfahren (selbst wenn unsere Eltern vielleicht nicht ständig betrunken waren und uns geliebt und meistens gut behandelt haben). Das Leben war unsicher, unberechenbar - wir wussten nie, was der nächste Tag an schlimmen Situationen bringen würde, und wir konnten uns nicht wie Kinder in gesunden Familien auf uns selbst konzentrieren, unsere Welt erforschen und kennenlernen. Auf die Erwachsenen, von denen wir abhängig waren (als Baby alleine würde man ja verhungern, wenn sich nicht jemand um einen kümmern würde), konnten wir uns nicht verlassen.

    Eigene Bedürfnisse mussten zurückgestellt werden, und das rächt sich später: Viele von uns haben ein chronisches/krankhaftes Bedürfnis nach Anerkennung, Liebe und Bestätigung, dass man gut so ist, wie man ist, entwickelt. Wir bekommen nie genug, und wenn Freunde, Partner uns nicht ständig bestätigen, dass sie uns mögen, fühlen wir uns gleich ungeliebt, in unserer Existenz bedroht, ziehen uns zurück,... Wir verhalten uns wie Ertrinkende, die in ihrer Angst vorm Ertrinken den Retter mit sich in die Tiefe ziehen und ihn in Gefahr bringen. Da muss man echt Glück haben, um einen Partner und Freunde zu finden, die das über längere Zeit mitmachen.

    Auch heute noch ist es ein ständiger Kampf für mich, nicht wieder in alte Gefühlsmuster hineinzukommen. Diese Neigung zu Überreaktion, Angst, nicht geliebt zu werden, Sorge, ob man Freunde vergrault hat, nur weil sie nicht sofort auf meine Mail geantwortet haben, nicht klar sagen können, was ich will bzw. überhaupt erstmal zu merken und zu erkennen, was ich eigentlich will,... Damit muss man sich auseinandersetzen und das richtige Verhalten üben, üben, üben.

    Ich glaube, so richtig wird man die Vergangenheit nicht los, man kann nur versuchen, seinen Verstand, und nicht sein Gefühl regieren zu lassen. Und man muss am Ball bleiben und darf nicht aufgeben.

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!