Ich dachte immer, ich hätte alles unter Kontrolle

  • Hallo!

    Noch mit mulmigem Gefühl nehme ich Kontakt zu euch auf. Denn ihr werdet die einzigen sein, (ausser meiner Frau), denen ich von meinem Problem mit Alkohol erzählen werde. Und ich verspreche euch: Ich werde euch mit Fragen löchern!

    Kurze Vorstellung:
    Ich bin männlich, 39 Jahre alt - äh jung, verheiratet, Familienvater, selbständig und führe eigentlich ein zufriedenes Leben. Mein erster Kontakt mit Alkohol war mit 15. Damals war es wichtig, sich mit Bier zu besaufen, damit man in der Clique auch akzeptiert wird. Ebenso durfe die Zigarette nicht fehlen.

    Es war nie so, daß ich ständig unter Strom stand. Darum habe ich mir auch nie Gedanken gemacht, ob ich eventuell Alkoholiker bin. Bis ich vor ca. 2 Jahren eine schwere Lungenentzündung hatte und ich ins Krankenhaus kam. Abesehen davon, daß man mir vom Rauchen dringend abriet, wies man mich auf meine sehr schlechten Leberwerte hin.

    Ich hatte damals so hohes Fieber und bekam fast keine Luft mehr, daß ich Todesangst bekam. Das war der Startschuß in ein neues Leben.

    Änderung1: Ich habe das Rauchen aufgehört. Von ca. 40 Zigaretten täglich auf 0.

    Änderung2: Ich fing an Sport zu treiben. Das halte ich bis heute durch und werde immer besser und fühle mich fit wie nie zuvor.

    Änderung3: Ich wollte das Trinken reduzieren.

    Bei Punkt 3 hatte ich immer wieder Schwierigkeiten, denn ich wollte die Trinkerei nur einschränken. Bis dahin waren bereits Jahre vergangen, daß ich mal 3 Tage am Stück keinen Alkohol getrunken hatte. Auch wenn es meist "nur" 3-4 Bier am Abend waren.

    Ganz stolz war ich, als ich es erstmals schaffte 3 Wochen am Stück nichts zu trinken. Die Anschließende Belohnung, in Form von einem 3-tägigem Dauerbesäufnis machte allerdings diesen Stolz schnell wieder kaputt. Und so geht es seither. Ich trinke oft mehrere Wochen gar nichts, treibe dann extrem viel Sport, arbeite viel und erfolgreich und dann passierts. Ein Feierabendbier in der Dorfkneipe genügt und schon sind 1,2 Wochen regelmäßiger Alkoholkonsum und Dauerkater vorprogrammiert.

    Als ich dann irgendwann gelesen habe, daß man sich als Alkoholabhängig bezeichnen darf (muss), wenn mann nicht nach einem Bier aufhören kann, bin ich zu folgendem Schluß gekommen:

    NOCH bin ich im Vollbesitzt meiner geistigen Kräfte. NOCH, so hoffe ich zumindest, bin ich in der Lage, alleine hier raus zu kommen, denn ich habe den Willen dazu. Aber mir ist klar: Ich bin Alkoholiker!!!

    Nun trinke ich schon seit einer Woche nichts, was mir bisher nicht schwer fällt. Ich habe allerdings vor den nächsten Gelegenheiten Angst. Besonders, wenn mir Unverständnis entgegen gebracht wird: "Wie, du trinkst keinen Alkohol? Du hast doch sonst nie viel getrunken. Komm! Ein Bier hat noch keinem geschadet..."

    -------------

    Auch wenn es jetzt viel Text geworden ist. Es wäre prima, wenn mir jemand ein wenig Mut macht, denn gerade heute scheine ich etwas deprimiert zu sein (Entzug?).

    Grüße

    Ex-Korkenplopper

  • Hallo Ex-Korkenklopper,

    herzlich willkommen hier in unserer Selbsthilfegruppe.
    Schön,dass Du uns gefunden hast.
    Du hastja schon die Erfahrung gemacht,Trinken zu reduzieren,funktioniert bei einem Abhängigen nicht.
    Du musst an Deiner Trockenheit arbeiten. Wir begleiten Dich gerne auf deinem Weg.
    Stell ruhig so viele Fragen,wie Du willst
    Lies bitte mal vorne im Portal(Kalter Entzug)

    LG Peter Pan

  • Zitat

    Lies bitte mal vorne im Portal(Kalter Entzug)

    hmmm... Ich bin schon wieder 1 Woche clean und das ohne Probleme. Auch mehrere Wochen halte ich ohne Entzugserscheinungen durch. Ich habe auch nie harte Getränke, wie Schnaps & Co. zu mir genommen. Kann ich trotzdem in solche Zustände kommen?

  • ...genau. Mit einem Bier fängt es immer an. Und dann kann ich erst aufhören, wenn entweder nichts mehr da ist (hier wird alles vernichtet, was vorrätig ist) oder ich nur noch auf allen Vieren aufs Sofa kriechen kann. Und am nächsten Tag wird sich geärgert und geschämt.

  • Hallo Ex und herzlich willkommen

    Wenn du bereits öfter für paar Wochen ohne Alkohol gelebt hast und jetzt bereits wieder seit einer Woche nicht mehr, dann ist die Gefahr, die bei einem kalten Entzug besteht gleich Null.

    Wenn ich dich so lese, hört es sich an, als ob du nach einer Entschuldigung für dein Nichttrinken suchst. Warum eigentlich? Wenn du dich ohne Alkohol wohler fühlst, kann doch niemand von dir verlangen, dass du trotzdem Alkohol trinkst. Oder ist ganz im Stillen doch noch der Wunsch da, zu einem Glas überredet zu werden?

    Wünsche dir viel Erfolg und warte auf die Fragen, die da löchern sollen.

    Gruß Henri

  • Hallo Henri,

    nein, ich warte nicht darauf, überredet zu werden. Es ist eher so, daß ich im Moment nicht will, daß jemand von meinem Problem weiß. Schließlich akzeptiere ich es selbst erst seit kurzer Zeit. Außerdem sind einige Bekannte wesentlich tiefer drin als ich. Also würden sie das nie verstehen.

    Klar, ich könnte meine Bekanntenkreise wechseln (Musikverein, Verwandtschaft, Nachbarschaft, u. s. w.) aber ich glaube nicht, daß völlige Isolation der richtige Weg ist.

    Wenn ich sagen würde "Nein danke ich trinke nicht mehr..." oder "Nein danke, ich bin Alkoholiker", dann würden mich die meisten auslachen, weil ich (öffentlich) wesentlich weniger getrunken habe als die. Also, wie bereite ich mich auf solche Situationen vor, bzw. was sage ich, wenn die Frage kommt: "So? Kein Bier heute? Krank?"

  • Hallo Ex

    Sorry, wenn ich dir zu nahe getreten bin, aber so ein kleiner Hintergedanke und die Hoffnung doch nicht abhängig zu sein, hat wohl jeder und mir geht es auch nach Jahren noch manchmal so. Es ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass du nach Wochen doch wieder zum Glas greifst. Das Gefühl, ich gehöre doch nicht dazu. Es ist mir leicht gefallen nichts zu trinken, also bin ich doch nicht abhängig, diese Gedanken kommen unwillkürlich und dann ist es schwer trocken zu bleiben. Nur wenn du dich damit abfindest abhängig zu sein, kannst du es schaffen, das ist dann das „kapitulieren vor dem Alkohol“, von dem öfter die Rede ist.

    Was war denn in den drei Wochen, in den du nichts getrunken hast? Das war doch die gleiche Situation, nur dass du dir damals noch nicht eingestanden hast, abhängig zu sein. Aber wenn du eine Entschuldigung suchst, du fühlst dich einfach besser ohne Alkohol, du willst es einfach mal ohne probieren, immer wenn du nichts trinkst kannst du sportlich mehr leisten, du hast letzte Zeit zuviel und willst jetzt mal Pause machen… Und selbst wenn du dich outest und das ernsthaft rüberbringst, wird niemand lachen, denn derjenige der nicht trinkt, lacht eh nicht und derjenige der mehr trinkt als du, ist ruhig, weil es für ihn peinlich werden könnte.

    Aber du wirst sehen, es wird überhaupt nicht so wichtig genommen, wie du dir das jetzt vorstellst. Es wird vielleicht gefragt werden, warum du kein Bier trinkst, aber wenn du selbst keine ausführlichen Erklärungen dazu abgibst und ein abendfüllendes Thema daraus machst, interessiert das die anderen weiter nicht und das Thema ist für den Abend gegessen.

    Gruß Henri

  • Du bist mir natürlich nicht zu nahe getreten! Im Gegenteil: Du hast zu 100 % Recht.

    In den ersten Tagen ist es immer so, daß man sich nicht richtig wohl fühlt und dies sehr wohl mit dem zu hohen Alkoholgenuß in Zusammenhang bringt. Das hilft dann, nichts zu trinken. Aber wehe, es geht mir wieder so richtig gut. Dann macht mich ein "Gläschen" Wein an. Oder ein "Bierchen" oder die anderen "...chen".

    Diesesmal denke ich anderes, denn jetzt ist mir so richtig bewußt, daß das kleinste "...chen" zu einem Mega-Absturz führen wird. Ich bin schon 2 x nach solch einer Aktion an Krücken gelaufen und habe Angst davor, irgendwann jemand anderes zu verletzen.

    -----

    Ich habe mir überlegt, ob ich nicht irgendetwas als Ersatz nehmen soll. Evtl. statt dem "...chen" Rotwein am Abend eine Tabel Schokolade. Oder habt ihr andere Vorschläge, wie ich die gefährlichen Situationen am Anfang überstehen kann (oder muss es der blanke Wille sein)?

  • Hallo Ex

    Wenn du einen Rückfall zuhause befürchtest, kannst du dir helfen, indem du das Haus alkoholfrei machst, es dir also möglichst schwer machst, an das erste Glas dran zu kommen. Weiterhin möglichst viel trinken, es hilft den Saufdruck etwas zu dämmen, als Ersatz für Wein und Bier gibt es Saft, Tee, Wasser… Wenn es bestimmte Zeiten gibt, an denen der Saufdruck kommt, etwas unternehmen, dich ablenken, eventuell den Tagesablauf etwas umstellen.

    Noch wichtig, nicht vornehmen, nie mehr zu trinken, sondern anfangs immer nur an „heute“ denken. Es reicht, wenn du heute nicht trinkst, fällt dann nicht ganz so schwer. Draußen in der Runde, im Verein ist es schon schwerer. Da kann helfen, wenn einige wissen, dass du nicht mehr trinkst, aus welchem Grund, ist erst mal egal. Aber es hält dich davon ab, dort Alkohol zu trinken, denn das würde gewaltig an deinem Ego kratzen und die Blöße gibst du dir nicht gern.

    Gruß Henri

  • Erst mal vielen Dank für die schnellen und ausführlichen Antworten. Ich habe ja geschrieben, daß ich mit Fragen löchern werde.

    Und schon geht's weiter:

    Im Moment schlafe ich sehr schlecht. Ich kann mich an die Zeit erinnern, wenn ich 3 Wochen und mehr nicht getrunken habe. Dann schlafe ich wie ein Lämmchen. Kann das zusammen hängen oder wird etwas anderes dafür verantwortlich sein.

    Ebenso ist es zur Zeit so, daß ich nachts sehr stark schwitze. Hängt auch das mit der Entgiftung zusammen?

    Wie lange geht eigentlich eine Entgiftung, bis die Leber wieder gute Werte hat, der Magen in Ordnung ist, u.s.w. ?

  • Hallo Ex

    Wenn im Krankenhaus entgiftet wird, dauert das ca. 10 Tage. Schwitzen sowie zittern gehört in den ersten Tagen zu den Entzugserscheinungen, sollte sich allerdings nach drei - vier Tagen bessern. Zittern müsste bereits ganz verschwunden sein. Schwitzen und auch eine gewisse innere Unruhe sollten nach einer Woche kaum mehr zu merken sein. Schlecht schlafen ist in dem Zusammenhang nicht besorgniserregend, gehört die erste Zeit einfach dazu. Nur das Schwitzen muss jetzt aufhören, sonst ist irgendetwas anderes nicht in Ordnung.

    Gruß Henri

  • Bei "etwas nicht in Ordnung" kann ich noch einen draufsetzen:

    Obwohl es keiner der mich kennt vermutet, bin ich ein sogenannter Sozialphobiker. D. h., ich habe ein Problem damit, irgendwo Kaffee zu trinken und dabei die Tasse nur am Henkel anzufassen. Einer meiner größten Alpträume ist es, irgendwo eine Vorsuppe beim Essen zu bekommen. In einer solchen Situation habe ich Angst, ich müsste Zittern und jeder würde dies mitbekommen und mich als Alkoholiker abstempeln. Wenn ich dann tatsächlich in einer solchen Situation stecke, bekomme ich eine ausgeprägte Panik und muss auf irgendeine Art den Raum verlassen. Bisher haben meine blitzschnell erfundenen Ausreden immer funktioniert.

    Wenn irgendwo eine Feier war und mir eine solche Situation bevorstand, habe ich entweder einen Grund fürs Fernbleiben gesucht oder aber mir zuvor einen angetrunken.

    Meine große Hoffnung ist, dass meine bevorstehende Trockenheit mir so viel Selbstvertrauen schenkt, dass ich diese Situationen wieder meistern kann.

    Kann das jemand nachvollziehen?

  • Hallo Ex

    Kommt mir das irgendwie bekannt vor?

    Ist mir damals nicht anders ergangen. Die Kaffeetasse grundsätzlich mit zwei Händen zum Mund. Alleine die Angst zu zittern, hat das Zittern ausgelöst, besonders dann, wenn ich dachte, es schaut jemand zu. Das Zittern hat aufgehört und nach einiger Zeit auch die Angst davor. Seitdem geht’s auch wieder eine volle Tasse mit ausgestrecktem Arm. Wirst sehen, das wird bei dir auch wieder klappen, allerdings nicht bereits in den ersten paar Tagen, musst Geduld mit dir haben.

    Wünsche eine gute Nacht und Morgenabend stehe ich wieder zur Verfügung, wenn gelöchert wird.

    Gruß Henri

  • Hallo,

    Glückwunsch erstmal zu deinem Entschluss. Kannst beruhigt sein, mit dem Zittern das hört auf, nicht direkt aber nach drei Monaten hätte ich eine Herz OP vor den Augen anderer durchführen können.
    Das Outen hat mir auch große Probleme bereitet, also deinen nächsten und liebsten würde ich schon sagen dass du ein Problem mit Alk hast, die wissen es meistens sowieso, bei deinen sog. Kumpels musste dir überlegen ob du denen alles sagst.
    Möchte hier keine Anleitung zum Lügen geben, aber wenn du, nennen wir es mal die Halbwahrheit, sagst, dann so das sie Bestand hat. Nicht die Ausrede einer Grippe oder Medikamente sage z.B. deine Leber sei ramponiert und der Arzt rät dir zu ständiger Abstinenz. Leberschaden kommt ja nicht immer vom Alkohol :wink: .
    Jedenfalls sollte die Ausrede so sein, dass du nicht nach drei Wochen wieder sagen kannst, ich darf wieder trinken und außerdem würde ich nur Bekannten so in etwa ihre Neugier befriedigen. Nach ein paar Wochen fragt eh keiner mehr nach.
    Wünsche dir viel Glück auf deinem neuen und schöneren Weg.

    Gerd

  • Hi,

    das mit dem Zittern und den Tassen kann ich sehr gut nachvollziehen. Da ich jetzt aber schon einige Wochen nichts mehr trinke, habe ich schon ein gutes Selbstbewusstsein aufgebaut und kann nun einhändig trinken. 8) Ein wenig Geduld, ich denke, das gibt sich dann von alleine. :wink:

  • Hallo Dicken!

    Stimmt! Wir scheinen sehr viele Parallelen zu haben. Bin so richtig gespannt, wie wir das meistern werden.

    Für mich soll es die wahrscheinlich längste Trinkpause der Welt werden.

    Grüße
    Ex-Korkenplopper

    P.S.: Ich bin übrigens auch selbständig.

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!