hilflos und gefangen, ich dreh mich im Kreis

  • hallo maria-nicole,

    herzlich willkommen hier im forum.

    ist ganz bestimmt ein guter schritt für dich, hier mal reden zu können und vor allem festzustellen, dass du nicht alleine bist. ich denke, fast alle kinder von alkoholkranken eltern haben nahezu dieselben gedanken.

    mir ging es als kind wie dir: meine mutter hat mich alk kaufen geschickt, ich hab sie betrunken aufgesammelt, erzählt, sie sei krank, hab mich in grund und boden geschämt und ihr sogar mein taschengeld gegeben, wenn sie drum gebettelt hat. ich hab sie gehasst dafür, und fühlte mich gleichzeitig schuldig - schuldig für den hass und meine ohnmacht. hatte irgendwie immer gedacht, mit genug mühe könne ich sie vom trinken abbringen oder wenigstens abhalten. war natürlich nix.

    die schuldgefühle und das gefühl der verantwortung haben mich bis etwa ins alter von 25 jahren begleitet; heute bin ich etwa so alt wie du. ich habs mir furchtbar schwer gemacht, ich hab ne therapie begonnen, seelsorgegespräche bei meinem pfarrer (war mir wichtig, von wegen "du sollst deine eltern lieben und achten"). nicht in erster linie religiös motiviert, aber irgendwie ist wohl in ALLEN kindern drin, dass sie "lieb" zu ihren eltern sein müssen, eben weils die eltern sind.

    baggerschen schreibt:

    Zitat

    Als Kinder und auch heute noch schämen wir uns ...und wollen eigentlich auch niemand von dem Problem erzählen...Also mir geht es jedenfalls so...Ich habe mmer Angst das mich jemand mit meiner Mutter vergleicht oder mich mit in denselben Topf schmeisst...

    also: ich schäme mich mittlerweile nicht mehr. das ist vorbei. meine mutter ist meine mutter und nicht ich. es hat NICHTS mit mir zu tun, wie sie ist. ich erzähle zwar nicht hinz und kunz davon, aberr alle meine freunde wissen mittlerweile davon. ich mag nicht mehr lügen. und es schmeisst mich niemand mit ihr in einen topf. mein umfeld kennt und mag mich, DAS ist wichtig. hat aber gedauert, das so zu sehen.

    du schreibst:

    Zitat

    Auch heute noch wird jede Äußerung vom mir nur mit dem Satz quittiert: „Du machst mich schlecht“; „Ich hab doch immer alles für dich getan“.

    frag dich mal, was deine mutter für dich getan hat, als MUTTER. solch ein satz wie oben ist ganz mies. hat meine mutter auch immer gesagt. weißt du, was mein pfarrer dazu gesagt hat: eltern sind eltern, wenn sie sich wie eltern benehmen. das hat mir sehr geholfen, meine mutter etwas distanzierter zu sehen. klar habe ich ihr ne menge zu verdanken, aber sie hat mir auch ne menge angetan, wo ich heute im zarten alter von 40 immer noch dran zu knapsen habe. das musst du auch mal sehen - und darüber kannst du sehr wohl stinkewütend sein.

    du schreibst:

    Zitat

    Den Kontakt zu Verwandten und Bekannten hat sie komplett abgebrochen. Ich bin ihr einziger Rückhalt.

    das bin ich bei meiner mutter auch, und früher hat sie prima versucht, mir damit ein schlechtes gewissen gemacht. aber DU bist NICHT dafür verantwortlich, dass sie freunde und verwandte verprellt hat, dass sie niemanden mehr hat. lass dir das nicht einreden. ich weiss, dass das schwer ist, aber alles andere macht dich fertig - das merkst du doch. und du hast einen eigene familie, die ein recht auf eine fröhliche und unbeschwerte marie-nicole hat.

    ich hab über jahre keinen kontakt mit meiner mutter gehabt. jetzt ist es so, dass ich nur mit ihr telefoniere, wenn sie nüchtern ist. natürlich lügt sie mich am telefon an, wenn sie angetrunken ist, aber dann lege ich auf. mir fällt das nicht leicht, ich hab danach herzrasen und natürlich kreisen die gedanken dann dauernd, was sie macht und wie es weitergeht. aber trotzdem: alles andere macht mich noch viel fertiger.

    mein größter horror ist, dass sie irgendwann einfach in ihrer wohnung umkippt und irgendwer sie dann irgendwann findet. aber auch das kann ich nicht verhindern. es ist ihr leben.

    wie gesagt, ich weiss aus eigener erfahrung, dass es auch für einen selbst schwer ist, grausam und herzlos aussieht, aber das ist es nicht. es ist purer selbstschutz. denk da mal drüber nach, ob du nicht vielleicht auch in solch eine richtung denken könntest....

    lieben gruß

    lavendel

  • hallo maria-nicole,

    Zitat von Maria-Nicole

    Was mir sehr zu schaffen macht, sind meine eigenen Gedanken: manchmal wünschte ich mir, das alles wäre endlich vorbei, und im nächsten Moment bin ich über mich selber erschrocken, wie ich nur sowas denken kann.

    ich denke, solche gedanken haben "kinder" von alkoholikern öfter. ich hatte sie auch in momenten, wo mein vater oder meine mutter mich in einer weise vereinnahmt, drangsaliert oder erpresst haben dass ich ich einfach das gefühl hatte, ich komm da nur raus, wenn sie nicht mehr sind. ich hab mich für diese gedanken auch geschämt, war aber eben so.

    und zum vereinnahmen lassen: du hast es doch nicht in der hand, ob deine mutter zum beispiel isst oder nicht, sich um sich kümmert oder nicht. es sei denn, sie ist verwirrt, dann solltest du schon kümmern, aber so hört es sich für mich nicht an, eher nach erpressung. du musst für dich entscheiden, womit es DIR besser geht: dich vereinnahmen lassen und schlecht fühlen, oder dich nicht vereinnahmen lassen und auch (erst einmal) schlecht fühlen. aber ich bin sicher, dass man den abstand irgendwann hinkriegen kann.

    gruß

    lavendel

  • Hallo Maria-Nicole

    Ich kann dein Problem sehr gut nachvollziehen, aber ich sehe, bei dir einen entscheidenden Denkfehler:

    Zitat

    Was mir sehr zu schaffen macht, sind meine eigenen Gedanken: manchmal wünschte ich mir, das alles wäre endlich vorbei, und im nächsten Moment bin ich über mich selber erschrocken, wie ich nur sowas denken kann.

    ich möchte mal den Gedanken von Lavendel aufgreifen, um dir deutlich zu machen, wo der Denkfahler liegt. Sie schreibt:

    Zitat


    ich hatte sie auch in momenten, wo mein vater oder meine mutter mich in einer weise vereinnahmt, drangsaliert oder erpresst haben dass ich ich einfach das gefühl hatte, ich komm da nur raus, wenn sie nicht mehr sind.

    Du wünscht dir, dass "alles vorbei wäre", und meinst damit, dass deine Mutter nicht mehr ist. Das ist die Denkweise aus der Kindheit, als du noch von ihr abhängig warst, und dies der einzige Ausweg schien. Jetzt als erwachsener Mensch, bist du aber nicht mehr auf sie angewiesen. Sie muss also nicht tot sein, sondern du mußt dich einfach lösen, wenn nötig vollständig. Dann wäre es ebenfalls endlich vorbei, oder?

    LG Josu

  • Hallo liebe Maria-Nicole,

    leider war ich in den letzten Tagen nicht so oft hier, denn mit dem neuen Job und der Wohnungsauflösung etc. bin ich immer noch sehr beschäftigt.

    Es freut mich, dass du den Mut hattest dich zu öffnen und hoffe, dass du dadurch etwas Kraft gewinnen konntest. :wink:

    Es ist sicherlich nicht leicht, los zu lassen. Josu’s Denkansatz kann ich verstehen, aber auch ich konnte ihn nicht umsetzen. Zu hoffen, „alles ist vorbei“ ist für mich völlig normal – auch im Erwachsenenalter – das hat m. E. nichts mit der Kindheit zu tun. Ich hatte Alpträume, dass mein Vater irgendwo besoffen auf dem Rasen liegen und erfrieren könnte, dass er in der Wohnung stürzt und sich den Kopf aufhaut etc.etc. beliebig fortführbar…… Man kann nicht abschalten „Sch..ß Mutter-Theresa-Komplex“. Aber obwohl sein Tod erst 4 Wochen her ist, weiß mein Kopf: „es ist besser für alle“ – das Herz tobt zwar häufig, denn Kopf und Herz arbeiten ja leider selten konform.

    Ich habe seinerzeit versucht einen Weg für mich zu finden. Dieser war, dass ich meinem Vater geholfen habe (zum Arzt gehen, Behörden-Angelegenheiten, Banksachen etc.) ABER: nach dem letzten Entzug Anfang 2005 habe ich meinen Vater als „Sache“ angesehen. Hört sich schrecklich an, aber so war das! „Es“ war etwas, was VERsorgt (nicht UMsorgt) werden musste. Nur so war ich in der Lage, für ihn da zu sein. Anders ging es nicht – ich wäre sonst daran zerbrochen!

    Geld – wenn er es nötig gehabt hätte – hätte ich ihm nie gegeben, ich wäre für ihn einkaufen gegangen, damit er das notwendig hat! Mehr nicht!

    Liebe Maria-Nicole, nicht nur altersmäßig (ich bin nun 38, mein Vater ist 5 Tage vor seinem 62. Geburtstag beerdigt worden), sondern auch erfahrungsmäßig gibt es viele Parallelen. Deine Ma ist deine Ma und nichts auf der Welt kann das ändern – du hast einen lieben Mann, ein Kind und deine lieben Freunde.

    ABER: Deine Mutter ist die „Entscheiderin“ für IHR Leben. Sie entscheidet wo es für SIE hingeht, aber genauso entscheidest DU, wo du mit deiner Familie hingehst!

    Du darfst dich nicht schuldig fühlen und es darf dir nicht peinlich sein! Deine Mutter hat ein Problem….. und selbst ihr darf es nicht peinlich sein Hilfe zu suchen, denn Alkoholismus ist eine Krankheit……!

    Ich hoffe, du findest den für dich richtigen Weg, mit der Situation klar zu kommen! Wir sind auf jeden Fall für dich da! :wink:

    Ganz liebe Grüße und einen ganz dicken Drücker

    Aileen

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