Ab wann hat man verarbeitet?

  • So, jetzt finde ich auch mal etwas Zeit. Eine kurze Vorstellung über mich findet man im Vorstellungsbereich.

    Ich bin also schon Jahre von meiner Familie, ziemlich weit weg sogar, Kontakt habe ich telefonisch alle paar Monate. Da ich in letzter Zeit gar nicht nach dem Rechten geguckt habe (denn Zuhause kann ich es wirklich nicht nennen), meldete sich meine Mutter das erste Mal seit 6 Jahren an. Da ich ja wie gesagt weit weg wohne, ist es schlecht, sich von der Verwandtschaft nach ein paar Stunden wieder zu verabschieden.

    Warum ich es zugelassen habe? Ich wollte mal gucken, wie weit meine Mutter war. Wir leben zwar verschiedene Leben, aber das heißt nicht, dass ich nicht wissen will, wie es um sie steht.

    Okay, es war ein Fehler, ja. Da ich einen Tag nach ihrer Ankunft arbeiten musste, hatte sie genug Zeit, sich zu betrinken. Als ich nach Hause kam, wurde ich sehr an meine Kindheit erinnert. Ich heulte mir die Augen aus, weil ich mir ausgeliefert vorkam, so an früher erinnert, wirklich zugemüllt wurde. Ich die Mutter, meine Mutter das Kind.
    Im Gegensatz zu früher ist sie gar nicht mehr einsichtig, da in späterern Jahren mein Vater angefangen hat mit zu trinken, und so haben sie sich ihre eigene Welt aufgebaut. Es ist okay, und ich versuche auch gar nichts mehr daran zu ändern.

    Habe nie ne Therapie gemacht, ich habe eigentlich immer gut funktioniert (ok, ich habe das Abi geschmissen) und das frühe Erwachsen werden kam mir eher zugute.

    So. Es hat mich schon gestört, dass sie in meiner eigenen "unschuldigen" Wohnung war. Obwohl es mir heute gut geht und nur so ein paar Rückschläge mich manchmal wieder lahm legen, habe ich auch ein paar Macken.

    Ich habe eigentlich keinen Alkohol zu Hause. Leider habe ich in letzter Zeit einiges geschenkt bekommen (Geburtstag), normalerweise schenke ich es dann auf der nächsten Party weiter. Ich trinke ab und zu, hm, vielleicht 1-2 Mal im Monat mit Freunden beim Weggehen, habe aber viel zu viel Angst, selbst abhängig zu werden.
    -Auch bei meinem Freund. Er wusste zwar von der Alkoholsucht meiner Eltern, aber er dachte, ich hätte das längst für mich akzeptiert. Jedenfalls bin ich ziemlich ausgeflippt, als er sich einen Rest einschenkte, den meine Mutter da gelassen hatte. Ich muss dazu sagen, dass er nicht viel trinkt, vielleicht sogar noch seltener als ich, aber ich hätte gerne die Kontrolle darüber, da ich wahnsinnig Angst habe, dass uns dasselbe passiert. Das verstehe er nicht. Er versteht auch nicht, dass man noch unter etwas leiden kann, das Jahre vorbei ist. Aber so wirklich vorbei ist es ja nicht, sonst hätte ich ja auch eine Bilderbuchfamilie wie er und hätte regelmäßigen Kontakt.

    Jedenfalls habe ich ihm dann wenn auch es mir schwer fiel von meinen Ängsten erzählt und ich es gut fände, wenn zu Hause kein Alkohol getrunken werden würde bzw. keinen zu Hause zu haben. (Wir sind seit ca. einem Jahr zusammen).
    Ich weiß, damit kann ich auch keine Alkoholsucht verhindern. Habe ich überhaupt ein Recht dazu? Letztendlich hat er verstanden, warum und wie und auch akzeptiert. Als ich früher spitze Bemerkungen machte, deutete er es als allgemeine Kontrolle in der Partnerschaft, aber in keinster Weise wegen meiner Erfahrungen...Aber es schnürt mir nun mal die Kehle zu, wenn ich ihn trinken sehe, und wenn es nur einmal im Monat und ein Glas Wein ist. Ich konrolliere automatisch die Menge der Flaschen im Haus. Das habe ich früher gemacht, um feststellen, ob ich Schwachsinnsgelaber ernst nehmen sollte oder nicht. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich bei jemanden, der nie was mit Alkoholsucht zu tun hatte, Verständnis verlangen kann?!

    Das ist nur eine meiner Macken, aber es gibt da noch ein paar (eher) Versteckte, die wohl aus einem Alkoholikerkind-Dasein. entstanden sind.

    Habt ihr auch welche? Welche sind das? Redet ihr darüber? Erwartet und bekommt ihr Verständnis?

    Sollte ich noch etwas für "Verdauen" tun? Oder ist und begleitet das einem ein Leben lang?

    Danke fürs Lesen. :wink::wink:

  • Hallo Nadinsche,

    willkommen hier im Forum. Ich bin auch ein erwachsenes Kind alkoholkranker Eltern. Um Deine Überschrift zu beantworten, persönlich glaube ich, dass man das nie wirklich verarbeitet. So eine Kindheit prägt genauso wie eine sog. glückliche. Macken haben wir wohl alle. Die Kunst ist, das Beste daraus zu machen. Mir ist jedenfalls noch kein Alkoholikerkind begegnet, das keinen „Schaden“ hatte, um es mal so auszudrücken. Dazu gehört oft ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis, mangelndes Vertrauen in andere, ein sehr ausgeprägtes Gefühl nach Sicherheit, die Neigung sich um andere zu kümmern, sich Angelegenheiten anderer zu eigen zu machen, um die sie sich wunderbar selbst kümmern können, sich in Dinge zu mischen die einen nichts angehen, sie wichtiger zu nehmen als die eigenen, bei manchen sogar bis zur Selbstaufgabe und last but not least ein wenig ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Ich finde bzw. fand mich in diesen Beschreibungen immer wieder. Inzwischen geht’s besser. Ich glaube so ganz unbekannt ist Dir das alles auch nicht, oder?


    Zitat

    ich habe eigentlich immer gut funktioniert

    Das ist etwas, dass wir sehr gut können, funktionieren. Eher selten denken wir mal an uns, sondern „tun, was wir tun müssen“ ob wir wollen oder nicht. Die Fragen stellen wir uns meist gar nicht ob wir wollen, einer muß es schließlich tun, oder? Schließlich mussten wir uns schon früh auf uns selbst verlassen und hatten keine Wahl. Entweder wir haben etwas getan oder es blieb unerledigt. Immer schön stark sein……… :evil:

    Zitat

    das frühe Erwachsen werden kam mir eher zugute.

    Wirklich? Weist Du überhaupt wie es ist Kind zu sein? Vertrauen können, in dem Glauben die Eltern sind allmächtig und können alles richten? Hattest Du jemals dieses Urvertrauen. Ich kann das von mir nicht behaupten, obwohl ich eine ganz gut geregelte Kindheit hatte. Emotional war meine Mutter allerdings ausgeglichen wie Jojo und der Vorname meines Vaters war "Absolut unzuverlässig". Ich bin früh erwachsen geworden, für mein Empfinden in vieler Beziehung viel zu früh und in anderer Hinsicht bin ich dagegen das hilflose Kind geblieben. Nämlich dann wenn darum geht Selbstbewusstsein an den Tag zu legen und für mich einzustehen. Da habe ich oft auf die Hilfe von außen gehofft.

    Ich kann Deine Ängste in Bezug auf Alkohol und Deinen Freund verstehen. Ich tue mich auch sehr schwer darauf zu vertrauen, dass andere schon wissen was sie tun und mich nicht in ihre Angelegenheiten zu mischen. Vor allem wenn es Menschen sind, die mir etwas bedeuten. Doch dieses Misstrauen, nichts anderes ist es was Du Deinem Partner entgegenbringst, und die Kontrolle des anderen zerstört auf Dauer jede Beziehung, auch Freundschaften. Der andere ist erwachsen, er wird schon wissen was er tut und wenn nicht kannst Du es nicht verhindern.

    Sicher kann er versuchen zu verstehen, wenn Du es ihm erklärst. Doch wenn er selbst so was nicht mitgemacht hat, wird er Dir vielleicht Verständnis entgegenbringen, jedoch wird er nie wirklich verstehen. Nicht er muß etwas ändern, sondern Du musst lernen ihm zu vertrauen, anderen zu vertrauen, lernen los zu lassen.

    Ich habe irgendwann im vorletzten Jahr die Reisleine gezogen, weil ich mein Leben nicht mehr im Griff hatte. Ich musste 36 werden bevor ich das eingesehen habe. Ich habe auch immer gedacht, ich schaffe das alleine. Ich hab’ halt meine Macken, da müssen die anderen mit leben, wollten sie aber nicht mehr, heute kann ich’s verstehen. Alkoholikerkind das ist mein Schicksal, ich muß halt mit den Kosequenzen leben, ist halt so. Doch ich bin stark, ich schaffe das schon, schließlich habe ich bisher noch alles geschafft. So lange bis einfach Ende war, Luft raus, Feierabend, Sense……

    Ich bin in eine Selbsthilfegruppe gegangen und habe eine Therapie angefangen. Im Moment läuft ein Kurantrag, von dem ich hoffe, dass die BfA ihn freundlicherweise genehmigt. Sie sperren sich noch ein wenig, aber ich bin hartnäckig. Wenn das nicht klappt es gibt noch andere Möglichkeiten an eine Kur zu kommen. Auch das habe ich gelernt, nicht aufzugeben, sondern für mich zu kämpfen. Vor 1,5 Jahren hätte ich gesagt, ach was soll’s dann eben nicht (ich armes Schwein….) und weiter versucht es allein zu schaffen und wäre wieder gescheitert. So eine Kindheit ist nicht allein ohne „Denkhilfe“ von außen zu schaffen.

    Wenn ich Deine Zeilen so lese, denke ich, es wäre nicht verkehrt für Dich mal drüber nachzudenken was für die „Verdauung“ des Ganzen zu tun. Bei Dir liegt auch einiges im Argen. Auch wenn selbst sagst, Du hast es geschafft Deine Co-Abhängigkeit zu besiegen. Ich glaube es nicht... Wie heißt es so schön: Der Bauer erkennt seine Schweine am Gang..... :wink:
    Du musst ja nicht gleich wie ich das große Programm starten, sondern kannst Dich auch einfach mal in der Bücherliste hier im Forum umschauen und Dich so an das Thema rantasten. „Um die Kindheit betrogen“ kann ich Dir nur ans Herz legen. Ich habe mich so oft wieder erkannt, dass das Buch allein für mich hätte geschrieben sein können und das ging vielen so. Hier zu lesen ist, zumindest für mich, auch immer eine Hilfe.

    Versuch macht kluch…… :wink:

    Gruß und gute Nacht
    Skye

  • Hallo Skype,
    danke für deinen ausführlichen Beitrag.
    Das Buch hört sich interessant an, muss mal gucken, wie ich da ran komme. Schlappe 13 Euro Porto und 21 Tage Lieferzeit, na, muss ich mal gucken, wie ich da sonst dran komme :wink: .

    Was genau hat dich dazu gebracht, mit 36 Jahren eine Therapie anzufangen?
    ...wenn ich mal fragen darf.

    Verantwortung übernehmen habe ich ein Glück schon aufgehört. Das kam hauptsächlich durch meine erste Beziehung nach dem Auszug. Ich war so weit unten (nervlich), dass ich mich irgendwann mal mit dem Thema beschäftigen MUSSTE und mir auch das erste Buch darüber kaufte. Es hat mir damals schon ziemlich geholfen. Es war ein erster Schritt. Ich hatte damals noch nie drüber geredet. was passiert ist, haben die wenigsten erfahren (er hatte mich z. B. eingesperrt). In dieser Hinsicht bin ich ziemlich egoistisch geworden.

    Auch im Job drücke ich mich um Verantwortung. Werde durch meine Zuverlässigkeit, Gründlichkeit und Kenntnissen geschätzt, aber ich wundere mich über meinen Erfolg auf der Arbeit, wobei wir beim fehlenden Selbstbewusstsein sind. Ich weiß was ich kann, auch wenn ich Jahre andereres hören musste, aber bei Kontakten bin ich echt komisch. Ich wundere mich, wenn mich jemand mag, und erst wenn man mich dreimal angerufen und gefragt hat, komme ich auch mal auf jemanden zu. Ich selbst würde nie dreimal hintereinander fragen, wenn mich die andere Person sich nicht zwischendrin melden würde. Das will ich ändern, aber es fällt mir sehr schwer. Bin ziemlich eigenbrödlerich, wobei ich dann denke, woher soll das auch kommen, wenn man es alleine immer leichter hatte.

    Ich habe das Gefühl, das ich ganz langsam das aufbaue, was mir in meiner Jugend nicht vermittelt werden konnte.

    Dass andere auf mich Rücksicht nehmen müssen, nein, das erwarte ich nicht, aber ich sollte manche Dinge ändern, ja, und das versuche ich auch, ist nur oft nicht so einfach.

    Ja, ich verlasse nur auf mich selbst. Vertrauen kann ich bei meinem Freund außer was den Alkohol betrifft, da schnürt´s mir echt noch die Kehle zu.

    Eine Folgerung, die mir erst vor wenigen Jahren bewusst wurde: Als ich 10 Jahre alt war, hatte ich meine letzte Geburtstagsfeier zu Hause. Wir haben gespielt (laut, klar), so dass mein Vater reinkam und so rumbrüllte, dass alle Kinder nach Hause wollten. Seitdem habe ich nie wieder bei mir zu Hause gefeiert. Immerhin habe ich jetzt wesentlich mehr Besuch als früher. Geburtstag habe ich zu Hause zwar immer noch nicht gefeiert, aber das kommt auch noch. :wink:

    Hat denn sonst keiner noch typische Verhaltensmerkmale, die er gerne loswerden will?

  • Hallo Nadinsche,

    Zitat

    Hat denn sonst keiner noch typische Verhaltensmerkmale, die er gerne loswerden will?


    Die Sache mit dem loswerden....ich weiss nicht inweit das so möglich ist. Da spielt wohl der Zeitfaktor eine grosse Rolle. Damit umgehen ist wohl besser ausgedrückt, schliesslich ist unsere Persönlichkeit damit entstanden.

    Bei mir haben sich die Krankheitsbilder vermischt weil ich eben das Trinken als Problemlöser übernommen habe. Erst nach der mehrjährigern Trockenphase sind Differenzierungen möglich geworden.

    Was ich z. B. sicher weiss mittlerweile ist, das ich als Kind das sogenannte Urvertrauen verloren habe.
    Was daraus folgt habt Ihr schon gut beschrieben, Angst vor dem Verlassenwerden, Misstrauen, Unsicherheiten und so weiter....
    Damit muss ich umgehen, ganz weggehen wird das wohl nie mehr. Dabei können Therapien helfen, ein psychosomatischer Aufenthalt hat mich da ein grosses Stück weitergebracht.

    Natürlich kannst Du keinen vor der Alkoholsucht bewahren und Du hast auch nicht das Recht jemandem das Trinken zu verbieten. Aber Du kannst Deine Grenzen stecken damit es Dir damit gutgeht.

    Es wäre natürlich schön wenn es auf Verständnis stösst, allerdings musst Du Dich dafür nicht rechtfertigen oder Dich verbiegen.
    Es geht Dir einfach nicht gut dabei, Du möchtest Dein alkoholfreies Umfeld, Du brauchst es für Deinen inneren Frieden und das ist nichts was man ändern muss.
    Jemand der damit ein Problem hat muss sich die Frage gefallen lassen, ob er der richtige Umgang für Dich ist.
    Je mehr Erklärungen Du suchst umso mehr wirst Du auch finden.
    Und das kann für Deinen Innenleben gefährlich werden, ich spreche da aus eigener Erfahrung.
    Es lässt sich nichts rückgängig machen, die Folgen aber kann man gezielt abdämpfen wenn Du damit wirklich unglücklich bist.

    Dein Menschenverstand sagt Dir, was Du noch ändern kannst wenn Du genau hinschaust. Und Du kannst Dich nur um ein gewisses Maß biegen, dann sind die anderen am Zug und müssen akzeptieren wie Du bist.

    Viele Grüsse

    White

    m. , Bj. 67 :wink: , abstinent seit 2005

    Wir gehen unseren Weg, weil wir nur den Einen haben. Hätten wir mehrere zur Auswahl, wären wir total zerrissen und unglücklich. Einzig die Gestaltung unterliegt uns in gewissen natürlichen Grenzen.

  • Hallo Nadinsche,

    ich finde mich hier mehr oder weniger in jedem Beitrag wieder. Überall Symptome der Co-Abhängigkeit. Angefangen das ich im Job zuverlässig, gründlich und kompetent bin, mich aber nicht traue das auch rüber zu bringen, dazu zu stehen und dementsprechend auch wieder einzufordern. Weiter damit das ich permanent die Bestätigung brauche gemocht zu werden und die Verwunderung das es tatsächlich mal so ist und dabei mehr von dem anderen erwarte als ich selbst zu geben bereit bin. Weiter die Naivität und Vertrauensseeligkeit die dem auch vorhandenen Misstrauen anderen gegenüber dann andererseits so widersprechen. Weiter dass ich mich nur auf mich verlasse und alles selbst machen muss, der perfekte Krisenmanager. Bis hin zur Angst vor allem und jedem Möglichen was einem so im Leben passieren könnte. Diese Angst fing an sich in Zwängen bemerkbar zu machen. Das ich zum Schluss nicht kontrolliert habe, ob ich meinen Hintern mitgenommen habe wenn ich das Haus verließ war alles.

    Sicherlich habe ich auch jetzt das eine oder andere ausgelassen, doch ich denke die meisten wissen was ich meine. Das alles macht das Leben mit sich und anderen schon schwer genug. Man merkt ja, dass man mit diesem Verhalten nicht „normal“ ist, dass man Probleme mit Dingen hat, die für den Großteil der anderen gar kein Problem sind. Das man mühselig um Verständnis bitten muss für Dinge die einem so simpel erscheinen, der andere aber gar nicht in der Lage ist zu begreifen, weil man manchmal so verquer denkt. Irgendwann kann man sich selbst nicht mehr glücklich reden und ausweichen, man wird mit den Folgen konfrontiert. Die Ablehnung die man solange schon befürchtet hat, die Ängste die sich bewahrheiten usw. usw. Alles selbst gemacht und durch's eigene Verhalten hervor gerufen. Dann kommt man auch irgendwann an den Punkt an dem es genug ist und mehr als man aushalten kann. So ging es zumindest mir.

    Ich hatte kein Maß mehr für gut und schlecht, richtig und falsch. Weder im Umgang mit mir, noch im Umgang mit meinen Mitmenschen. Ich habe mich solange verbogen, versucht anzupassen, mich bemüht so zu sein wie ich glaubte, das andere mich haben wollten, dass ich nicht mehr wusste wer ich war.

    Dazu kam noch, dass ich meine Mutter in erreichbarer Nähe hatte und auch da keinen Schlussstrich ziehen konnte. Ich habe fast täglich angerufen, war fast jedes Wochenende da, stand parat wenn sie im Suff wieder irgendwelchen Mist angestellt hat oder ganz allgemein für etwas eigentlich Selbstverständliches Hilfe brauchte, habe versucht sie zu kontrollieren, sie auf jede erdenkliche Art trocken zu legen. Ich habe es gehasst, ich wusste, dass mein Verhalten nicht normal ist, dass es weder mir noch ihr gut tut, doch ich konnte nicht aufhören. Jeder Versuch mich zu lösen ist gescheitert, wurde von mir selbst mit den besten Absichten boykottiert.

    Ich hatte Depressionen, die nur noch mit Tabletten verschwanden oder mich soweit im Griff hatten, dass ich außer arbeiten und mich um meine Mutter kümmern für nichts mehr Kraft hatte und auch keinen Kopf mehr für andere Dinge. Als die Kraft auch dafür nicht mehr reichte, weil ja nichts mehr da war, was die Speicher auffüllte, war Ende. Irgendwann hatte ich auch einfach keine Lust mehr die Depressionen „wegzuschlucken“.

    Das war mein Tiefpunkt, den auch ein Co-Abhängiger braucht. Ich bin nicht weniger selbst zerstörerisch vorgegangen als meine Mutter, nur das ich dafür keinen Alkohol benutzt habe.

    Das ist ein Punkt an dem es auch schon viele Selbstmorde bei Co-Abhängigen gegeben hat. Ich habe nicht direkt drüber nachgedacht, aber mir oft gewünscht schlafen zu gehen und einfach morgens nicht mehr aufzuwachen. Doch ich wollte leben, also bin ich losgegangen, habe den letzten Rest Mut und Kraft zusammen gekratzt und habe mir Hilfe gesucht. Diesmal konnte ich sie mit einigen Startschwierigkeiten auch annehmen. Alle anderen Angebote in der Vergangenheit hatte ich immer abgelehnt. Um Ausreden nichts tun zu müssen und weiter auf die Lösung von außen zu hoffen, war ich nie verlegen.

    Das hat mit dazu gebracht eine Therapie anzufangen. Ich habe inzwischen eine Menge über mich gelernt, wenn es auch manchmal noch mit der Umsetzung hapert. Doch das wird schon…..

    Was das Loswerden von typischen Verhaltensmerkmalen angeht. Ich bin mir inzwischen sicher, dass ich gar nicht alles loswerden will. Ohne jetzt mal auf das können eingehen zu wollen. Wie alles im Leben haben auch meine „Macken“ zwei Seiten.

    Mal ein Beispiel: Es war für mein „Überleben“ notwendig, dass ich lernte besonders auf die Stimmungen meiner Mutter/Eltern zu achten und zu reagieren. Ich bin dadurch sehr feinfühlig geworden. Lange war es eine Belastung für mich und ich wünschte mir ein dickeres Fell. Ich wollte nicht immer wissen wie es meinen Mitmenschen geht. Schließlich habe ich mich ja immer verantwortlich gefühlt, entsprechend dem was ich wahrnahm zu reagieren.

    Wenn ich jedoch lerne damit umzugehen, zu meinen Gefühlen zu stehen ohne immer gleich Angst zu haben das sie verletzt werden, Mitgefühl zu haben ohne mitleiden zu müssen, akzeptieren zu können ohne ändern und machen zu wollen, dann ist das eine Gabe. Warum sollte ich das loswerden wollen? Ich wäre doch bescheuert! Natürlich ist das nicht einfach, aber immer noch einfacher, als wenn ich einen Teil von mir abschaffen wollte.

    So kann man sehr vieles von dem was man als hinderlich für das eigene Leben sieht oder an sich selbst ablehnt bei anderer Betrachtungsweise als gut annehmen. O. K. manches kann man zum eigenen Wohl nicht anders sehen, das gehört geändert, aber das meiste ist gut, man muss es nur im richtigen Licht betrachten und lernen es nutzbringend anzuwenden. Das gehört zu den Dingen die ich inzwischen gelernt habe.

    So, jetzt ist es an mir mich für den langen Beitrag zu entschuldigen und mich für die Geduld beim lesen zu bedanken. Daran muss ich auch noch arbeiten, mit weniger Worten zum Punkt zu kommen. :lol: Aber alles zu seiner Zeit, gut Ding will Weile haben……:D


    Gruß
    Skye

  • Skype, ich wollte gerade die anderen Beiträge beantworten, da habe ich deine Antwort gelesen. Und auch hier fällt mir auf, dass sich auffällig fürs lange Schreiben entschuldigt wird, dabei war das doch erwünscht :wink: .
    Skype, ich wünsche dir viel Kraft, dass du´s so schaffst, wie du´s dir wünschst.

    Ich finde mich auch in euren Persönlichkeiten wieder, und ja, stimmt, man sollte nicht versuchen, alle Macken loszwerden. Man ist ja ein Teil von ihnen und kann viele positiv verwenden.

    Wegen der einen Sache, die mich zum Grübeln gebracht hat:
    Habe mich entschlossen, dass ich in meinem Hause keinen Alkohol mag, aber niemanden, und da ist mein Freund natürlich der "Betroffene" Alkohol verbieten kann oder darf. Ok. Soweit so gut. Ich glaube, damit können wir leben.

    Wegen dem Streiten. Ich mache auch dicht. Warum? Ist bei mir wohl ne Mischung aus 2 Gründen. 1. Mein Vater hat immer gebrüllt, wenn er mal da war, und da habe ich gemerkt, dass nicht reden besser ist. Da habe ich zwar auch mal x Ohrfeigen gekriegt, weil ich NIX mehr gesagt habe, aber generell kam das besser. Auch heute laufe ich Treppen auf Zehenspitzen, weil es gleich von unten zichte, wenn die Treppe geknarrt hat.
    2. Dann, und das ist der Hauptgrund meines hauptsächlichen Abschaltens: Die Umwelt ertragen. Ich habe als Kind so abgeschalten können, dass ich nichts mehr von meiner Umwelt wahrgenommen habe. Ich habe innerlich gesungen, und dann war ich in meiner Welt. Heute noch mache ich das in seltenen Fällen, wenn ich etwas nicht ertrage. Mir ist der Schutz nicht gelungen, als ich das erste Mal nach Jahren wieder meine Mutter ertragen habe und mir alles angehört habe, was sie zu sagen hatte. Furchtbar! Deshalb hatte ich wohl auch einen Heulkrampf und fühlte mich hundeehlend.

    Wie dem auch sei, ich habe ziemlich gute Laune und bin einfach nur froh, weit weg von Familie zu sein, mein Leben genießen zu können. Wünsche euch ein schönes WE.

    Und wenn jemand noch was zu sagen hat....immer zu
    :)

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!