ANGST- Ursache und Wirkung- Ein wichtiger Teil meines Lebens

  • Liebe Freunde,
    ich bin jetzt seit sieben Jahren trocken und habe vor kurzen in meiner SHG eine Inventurliste in die Finger bekommen. Wir hatten untereinander ausgemacht, das jeder mal einen Punkt für sich bearbeitet. Mir fiel sofort die unten markierte Frage ins Auge, die ich intensiv für mich aufgearbeitet habe.
    Mit Angst habe ich mein Leben lang gekämpft und werde weiter damit kämpfen müssen. Jedoch habe ich erkannt, dass es sich auch zum Positiven wandeln kann. Aber lest doch einfach selbst..........

    ----------------Wo habe ich Angst und wie äußert sich diese? -----------------
    ----------------Welche Gründe gibt es dafür?----------------------------------

    Bevor ich diese Frage beantworte, sollte erst einmal der Begriff Angst definiert werden, um zu erkennen, was Angst überhaupt für mich bedeutet.

    ANGST: Ich versuche es mal mit meinen eigenen Worten zu umschreiben.
    Angst ist für mich ein Gefühl, was mich am meisten in meiner freien Handlungsweise(geistig und körperlich) blockiert und mich oft zu unüberlegten Handlungen(Panik) veranlasst.

    In folgenden Situationen habe ich heute noch Angst:
    • Freies Sprechen vor unbekannten Menschen
    (Vortrag halten in großer Runde)
    • Bloßstellung vor anderen Menschen
    • Körperlicher Gewalt

    Vor oder in folgenden Situationen hatte ich früher Angst:
    • Obige drei Punkte
    • Existenzangst
    • Angst vor der Bundeswehr
    • Prüfungsangst (Versagensängste)
    • Tod, Unfall, körperliche Versehrtheit
    • Angst alleine zu sein( keinen Partner zu finden)

    Um für mich zu ergründen, wie es zu all diesen Ängsten kam, muss ich ein wenig bis in meine Kindheit ausholen.
    Ich war ein Stotterer! In meiner frühsten Kindheit war das kein großes Problem für mich. Ich war ein glückliches Kind. In der vierten Klasse gab es dann in der Schule Probleme. Die Ersten fingen an über mich zu lachen. Daraufhin habe ich eine stationäre logopädische Therapie gemacht und meine Sprachbehinderung hat sich gebessert. Geblieben ist damals eine leichte Anlauthemmung, d.h. es bereitete mir Schwierigkeiten Sätze auszusprechen, die mit einem Wort beginnen, dessen erster Buchstabe ein Vokal ist. Das stottern war soweit ich weiß weg.
    Bis zur Realschule lief alles gut. Ich bewegte mich in einem bekannten Umfeld mit mir vertrauten Mitschülern. Dann kam der Wechsel zu Realschule und mein Umfeld wurde stark gestört.

    Ich fing wieder an zu stottern, wurde deswegen viel gehänselt und von vielen als Fußabtreter benutzt. Ich wurde von meinen Mitschülern und sogar teilweise von meinen so genannten Freunden gequält, ausgelacht, geschlagen, bloßgestellt und nicht ernst genommen.
    Aufgrund meiner körperlichen Konstitution war ich auch nicht in der Lage mich zu wehren.
    Ich habe dann noch mal ambulante Therapien gemacht. Es wurde wieder besser, ging jedoch nicht ganz weg. Sobald ich in Situationen kam, in den ich früher ausgelacht wurde, fing es wieder an. Z. B. jeder liest in der Klasse einen Absatz vor. Das kennen wir ja alle. Das ging ja immer reihrund, mit jedem Leser der fertig war, stieg der Druck bei mir an. Ich wurde rot, der Blutdruck stieg, mein Herz pochte so laut dass ich es hören konnte und dachte dass es andere auch hören können und ich fing an zu zittern. Wenn ich dann drankam, war ich oben rum so zugeschnürt, dass ich kein Wort mehr rausgekriegt habe und nach mehreren Anlaufversuchen stotternd vorgelesen hab. Der Druck war enorm! Vor allem wenn man dann noch hinterher damit gehänselt wird, bzw. von besonders schlauen Köpfen nachgemacht wird.


    Ich spüre diesen Druck heute noch. Stellt euch vor, ich sitze in einer Besprechnung mit mehreren unbekannten Kunden und wir stellen uns mal alle der Reihe nach vor. Die Einschläge kommen nach und nach in meine Richtung. Heute ist es nicht mehr so schlimm wie früher, weil ich mir meiner Sicher bin und mein Selbstwertgefühl sehr hoch ist. Meist fange ich auch einfach an. Dann bin ich fertig. Ich habe es auch mittlerweile oft genug gemacht und natürlich viel geübt. Leicht ist es aber trotzdem nicht für mich. Diese Angst sitzt immer noch in mir! Das ist irgendwie in mir eingebrannt.

    Gehen wir noch mal zurück!

    Ich habe ungefähr, mit meinem 15. Lebensjahr begonnen, meine Ängste zu betäuben. Dabei hat mir der Alkohol geholfen. Ich wurde lockerer! Zumindest im privaten Bereich. Ich habe viel mit Alkohol überspielt. Z. B. meine Hemmungen Frauen gegenüber. Oder habt ihr schon mal stotternd eine Frau angesprochen? Oder die Angst wie ich mein Leben so meistern soll. Irgendwann bekam ich Angst vor der Bundeswehr. Wie sollte ich Meldung machen? Und das noch vor versammelter Kompanie?
    Umso mehr Angst ich bekam, umso mehr trank ich! Letzten Endes blieb natürlich die Angst, aber ich konnte wenigstens schlafen.

    Gut, ziehen wir hier einen Strich! Besser wurde es nach abgeschlossener Ausbildung und Ausmusterung aus dem Wehrdienst.

    Nur leider hing ich dann an der Flasche und das Frauenproblem hat sich auch nicht gerade gebessert. Okay, man kann nicht alles haben! War ja auch nicht alles schlecht. Schlimmer wurde es dann nur wieder mit Beginn der Meisterschule. Hier kam ich wieder in ähnliche Situationen wie in meiner Jugend. Gelacht hat keiner, aber es kamen wieder die alten Unsicherheiten und der erlebte Druck von damals durch. Dadurch hat sich mein Alkoholkonsum bis zum Exzess gesteigert und zu meinem Tiefpunkt geführt. Erst nach dem totalen Zusammenbruch konnte ich trocken werden und erfolgreich an mir arbeiten. Ich habe mich weiterentwickelt und viele meiner Ängste begraben. Ich habe mich auf viele Situation vorbereitet. Früher bin ich einfach überrannt worden, weil ich mir meiner nicht bewusst war und auch nichts für mich getan habe. Ich habe viel trainiert, um mit meiner Urangst besser umgehen zu können. Rhetorikkurse, Englischkurse und so mancher VHS Abend mit Themen wie „Nein sagen lernen“ und „Gekonnt kontern“ haben mir dabei geholfen.

    Ich kann mich noch gut an die Anfangszeit meiner Außendiensttätigkeit erinnern. Da war ich schon vier Jahr trocken. Schlaflose Nächte vor Meetings und Vorträgen waren die Regel. Irgendwann habe ich es mit überwunden. Ich kann mich noch gut an das Schlüsselerlebnis dazu erinnern. Ich hielt einen Vortrag vor ca. 40 Personen, hinterher klopfte man mir auf die Schulter. Ich habe es wohl sehr überzeugend und sicher gemacht. Erfolg beflügelt und spornt an. Die Nacht davor hatte ich keine Minute geschlafen. Von da an wurde es besser. Die Situationen wurden ja langsam auch zur Gewohnheit. Mein Geheimnis dazu ist die Vorbereitung. Meine persönliche Sicherheit steigt mit der Vorbereitung. Nach dem Motto, wenn du was machst, dann mach es besonders gut.


    Heute sitzen diese Ängste nicht mehr so tief. Ich kann damit umgehen. Leider kann ich, wenn es mich überkommt, nicht davor weglaufen.
    Schließlich kann man sich sein Leben lang auch nicht auf der Flucht vor sich selbst befinden. Man muss sich den Situationen stellen um daraus siegreich hervorgehen zu können.
    Ich muss meinen Mann stehen. Heute lacht keiner mehr. Manchmal gibt es verwunderte Blicke, aber das macht mir nichts mehr aus. Niemand ist perfekt. Das weiß ich heute. Leider wusste ich es früher nicht. Vielleicht hätte ich so manche Flasche nicht trinken müssen, hätte ich es eher gewusst! Aber was wäre dann aus mir geworden?

    Ja, was wäre dann aus mir geworden? Ich habe mir diese Frage schon oft gestellt und werde sie mir, obwohl ich die Antwort darauf schon gefunden habe, immer wieder in meinem Leben stellen!

    Wenn ich diese Ängste nicht so extrem gehabt hätte und es nicht zu einem totalen Zusammenbruch durch den Alkohol gekommen wäre, so wäre mein Leben in „normalen“ Bahnen verlaufen.

    Leider hätten diese normalen Bahnen nur so ausgesehen, dass ich mich weiterhin ängstlich durchs Leben gemogelt hätte und ich Schlussendlich in meiner persönlichen Entwicklung stehen geblieben wäre. Ich hätte mich niemals diesen Situationen gestellt, in denen ich meine Ketten absprengen und mein persönliches Gefängnis verlassen konnte.
    Ich hätte einfach zuviel Angst vorm Leben gehabt.

    Heute habe ich keine Angst mehr davor. Im Gegenteil, ich habe eine starke Veränderung durchgemacht und gehe heute auch offen mit Menschen um und suche gerne die Konfrontation, aber auch die Harmonie. Mir ist es egal was andere über mich denken. Nach dem Motto, viel Feind viel Ehr. Solange man über mich redet, gut oder schlecht, bin ich im Gespräch und noch nicht Tod. Denn ich will ja Leben und sage auch JA zu diesem Leben.
    **********************************************************

    Ich habe ungefähr zwei Tage an dieser Geschichte gesessen und hinterher erkannt, dass es genau die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt war. Es viel mir sehr schwer, diesen Text in meiner SHG vorzulesen, obwohl mir dort alle sehr vertraut sind. Es viel mir schwer, mich soweit zu öffen, hat mich persönlich jedoch ein großes Stück weitergebracht.

    Gruß
    phonix

    Ich bin nicht auf dieser Welt um anderen zu gefallen!

  • Zitat von phonix

    Liebe Freunde,
    Ich muss meinen Mann stehen. Heute lacht keiner mehr. Manchmal gibt es verwunderte Blicke, aber das macht mir nichts mehr aus. Niemand ist perfekt. Das weiß ich heute. Leider wusste ich es früher nicht. Vielleicht hätte ich so manche Flasche nicht trinken müssen, hätte ich es eher gewusst! Aber was wäre dann aus mir geworden?

    Ja, was wäre dann aus mir geworden? Ich habe mir diese Frage schon oft gestellt und werde sie mir, obwohl ich die Antwort darauf schon gefunden habe, immer wieder in meinem Leben stellen!

    Wenn ich diese Ängste nicht so extrem gehabt hätte und es nicht zu einem totalen Zusammenbruch durch den Alkohol gekommen wäre, so wäre mein Leben in „normalen“ Bahnen verlaufen.

    Leider hätten diese normalen Bahnen nur so ausgesehen, dass ich mich weiterhin ängstlich durchs Leben gemogelt hätte und ich Schlussendlich in meiner persönlichen Entwicklung stehen geblieben wäre. Ich hätte mich niemals diesen Situationen gestellt, in denen ich meine Ketten absprengen und mein persönliches Gefängnis verlassen konnte.
    Ich hätte einfach zuviel Angst vorm Leben gehabt.

    Gruß
    phonix

    Hallo phonix,

    deine Geschichte hat mich tief beeindruckt und passt irgendwie ja auch ganz gut zu meiner Signatur.

    Man kann wachsen und steigen im Widerstand. Das ist der Punkt, wo man sogar seiner Alkoholerkrankung einen tieferen Sinn verleihen kann - wenn man durch sie zu einem anderen Menschen wird, der man sonst wohl nicht geworden wäre.

    Hier ist auch der Punkt meines Selbstverständnisses.

    Ich danke dir vielmals dafür, dass du uns an deiner Geschichte hier Anteil haben lässt und wünsche dir weiterhin alles gute. :D

    Herzlichst,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

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