Liebe Camilla,
ich muss vorausschicken, dass ich hier echt nicht der Experte bin, aber ich habe ein ähnliches Problem mit meiner Freundin (längst nicht so schlimm wie Deins mit Deinem Mann, aber dafür noch viel schwerer zu durchschauen und zu bewerten) und habe deshalb im letzten Jahr geradezu irre viel zu dem Problem gelesen und kann sehr gut mitfühlen, und ich denke, die Leute mit mehr Erfahrung werden dir dasselbe oder Ähnliches sagen:
Zitat von Camilla123
Aber kann er das in diesem Stadium noch alleine schaffen?
Das kann Dir mit Sicherheit niemand sagen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber die entscheidende Frage ist erstmal gar nicht, ob er es KANN, sondern dass er es offensichtlich ja gar nicht WILL. Wie Kaltblut schon schrieb: ER hat ja kein Problem, nur DU hast ein Problem. Er will trinken - und er trinkt. So what?! Er wird es also weder allein versuchen, noch wird er sich Hilfe holen. Und solange er das so beschlossen hat, hast Du keine Chance, dass sich an seinem Trinkverhalten etwas ändert, Stadium hin, Stadium her.
Zitat von Camilla123
Ist es wirklich entscheidend dafür, sich Hilfe zu holen oder geht es einfach, das Problem zu erkennen und selbst daran zu arbeiten, indem man z.B. das Leben umstellt, den Stress minimiert etc.?
Wenn er abhängig ist, hilft es gar nichts, den Stress zu minimieren. Meine Interpretation dieser Stressgeschichte auf der Überweisung: Stress ist doch nur Blabla, eine goldene Brücke für ihn, siehe oben. Stress haben wir alle und saufen deshalb noch lange nicht. Wenn er abhängig ist, psychisch und/oder physisch, dann hilft nur, keinen Alkohol mehr zu trinken.
Ob er abhängig ist, wissen wir nicht. Meine Interpretation der Überweisung: Der Arzt geht davon aus. Schließlich steht da: "chronisch". Das heißt zwar im engeren Sinne nur "dauerhaft", aber im medizinischen Kontext immer: "dauerhaft mir Krankheitswert". Und wenn der Arzt meinen würde, dass er nicht abhängig ist, dann würde er seiner Sauferei keinen Krankheitswert zumessen.
Zitat von Camilla123
Ich habe gelesen, dass man nicht mehr alleine da rauskommt, wenn man erstmal die Kontrolle über den Konsum verloren hat. Hat er das denn schon mit den oben beschriebenen Sachen?
Auch hier wieder: Wissen wir nicht, aber es deutet Einiges darauf hin: Die Regelmäigkeit. Die regelmäßig große Menge. Der Unwille, dabei überhaupt ein Problem zu sehen: Ein nicht Abhängiger erkennt, dass die dauernde Sauferei ihm und seinem Umfeld schadet. Ein Abhängiger erkennt das sicher auch, aber er will es nicht mehr wahrhaben. Schließlich der Unwille, das Trinken einzuschränken oder aufzugeben. Der Arzt ist offenbar auch der Meinung, dass es so ist.
Aber: Wenn er nur lange genug so weitertrinkt, dann kann man davon ausgehen, dass sich die Abhängigkeit, wenn sie denn noch nicht da ist, früher oder später einstellt, es sei denn, er gehört zu den wenigen "Glücklichen", die genetisch so prädisponiert sind, dass sie ein Leben lang saufen können, ohne abhängig zu werden. Was sie aber genauso umbringen und ihre Familien zerstören kann.
Und genau das führt uns zur Crux der Sache, und da habe ich beim Lesen viel von Kaltblut und anderen gelernt, auch für meinen eigenen Fall:
Es spielt überhaupt keine Rolle, ob er abhängig dauerhaft viel trinkt oder ob er ohne Abhängigkeit dauerhaft viel trinkt. Entscheidend ist: Du hast offenbar ein Problem damit, wie er trinkt, und er wird früher oder später eins damit bekommen, was dann auch Dein Problem weiter verschärft. Etwas daran ändern kann aber nur er selbst, wieder unabhängig davon, ob er abhängig ist oder nicht.
Deshalb denke ich, dass Deine Linie genau richtig ist, ob abhängig oder nicht:
Zitat von Camilla123
Ich habe ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, er muss sich Hilfe holen oder ich bin weg.
Dich stört sein Trinken, ihn nicht. Deshalb forderst Du, dass er daran etwas ändert. Wenn nicht, dann wird die Beziehung toxisch, und zwar im engeren und im übertragenen Sinne, und wird beendet, Punkt.
Alles andere ist verzweifeltes Grübeln und Augenwischerei. Wenn er nicht abhängig ist, dann wird es ihm ein Leichtes sein, seine Sauferei einzustellen, wenn ihm die Beziehung zu Dir wichtig ist. Wenn er abhängig ist, dann wird es schwieriger für ihn. Aber die Grundentscheidung ist: Alkohol oder Du, denn bei der Variante "Alkohol und Du" hilfst Du ihm, immer schön weiterzutrinken, und wirst selbst krank dabei, und deshalb scheidet diese Variante aus.