Stichwort: Heimatlosigkeit oder auch Bindungslosigkeit
Geht es euch auch so, dass ihr das Gefühl habt nirgends wirklich hin zu gehören, euch gleichzeitig danach sehnt aber dennoch Angst habt irgendwo tatsächlich anzukommen?
Mir fällt das immer wieder bei mir auf. Für mich ist innerlich z. B. eine Welt zusammen gebrochen als ich zum ersten Mal schwanger war und erkannt habe, dass ich nun mein Leben lang mit dem Vater meines zukünftigen Kindes verbunden bin, - obwohl er ein wirklich liebenswerter Mensch ist und war.
Es gibt so viele Passagen und Beiträge, auf die ich mich beziehen könnte. Aber der hier trifft mich gerade besonders.
Ich bin immer die Komische (nicht Lustige, sondern nicht-Dazupassende). Ich hab schon so unendlich oft gehört: ‚lächel doch mal‘ / ‚Guck doch nicht so böse‘. Ich hasse es! Mir ist nicht nach lachen, warum soll ich ein falsches Gesicht aufsetzen, nur, damit sich andere besser fühlen?? Ich fühle mich unter Menschen einsam und hab das Bedürfnis, für mich zu sein. Soziale Veranstaltungen wie Familientreffen überfordern mich komplett, auch wenn ich hinterher festgestellt habe, sie waren echt schön (ich rede definitiv nicht von meiner Familie, sondern von meiner Ex-Schwiegerfamilie). Ich bin null der Feierngehen-Typ. Ich habe nur 2 enge Freunde, die ich auch nur alle paar Monate treffe, wir stehen aber in regelmäßigem Kontakt. Jeder von uns tickt so, dass wir Tage- oder wochenlange Funkstille akzeptieren können und wenn wir uns dann hören/lesen/sehen, ist es, als hätte es nie Funkstille gegeben.
Ich bin ein Paar-Mensch. Ich habe mich immer in langfristige Beziehungen gestürzt, aber dass echte Nähe ein Problem ist, lerne ich erst in der jetzigen. Auch durch die aktuellen Entwicklungen in mir, seit sich meine Mutter im März totgesoffen hat. Seitdem erkenne ich klar, dass mein Vater und Stiefvater ebenfalls Alkoholiker und zudem komplett auf sich fixiert sind. Um mich kümmert sich eh niemand. Es gibt nicht mal ein Geburtstagsgeschenk und zum diesjährigen Geburtstag bekam ich von meinem Vater ein „Moin, alles Gute.“ Stark.
Das Enkelchen finden immer alle ganz toll, aber mich bei der Erziehung entlasten oder unterstützen? Fehlanzeige. Egal, welches Event ansteht, ich hab die Verantwortung, es zu regeln und mich um Geschenke u.ä. zu kümmern. Ich steh allein da.
Und dann ist da mein Partner. Ein Mann, Fels in der Brandung. Selbst nen Riesen Rucksack und unendlich viel Ballast am Hals und trotzdem ist er da. Und je mehr ich mich nach ihm sehne, desto mehr stoße ich ihn weg. Ich hab Angst, mich auf diesen einen Menschen zu verlassen, weil ich sonst niemanden habe. Also denke ich mir, ich bin lieber gleich ganz allein. Von 3,5 Jahren Beziehung haben wir 1 Jahr zusammen gelebt. Es flog uns im die Ohren, seine jüngere Tochter und Ex haben komplett freigdreht und einen Stock nach dem anderen zwischen unsere Speichen geworfen. Ich konnte nicht mehr und bin ausgezogen. Seitdem hangeln wir nun darum: Ich trete um mich, verletze ihn absichtlich, stoße ihn weg und er lässt mich nicht los. Aus Liebe, aber sicher auch Verantwortungsgefühl. Er war natürlich da, als meine Mutter gestorben ist. „Gestorben“: Leberkoma, Suff bis zum Exitus. Ich war neben Trauer überwiegend voll von Wut, das werden die meisten hier kennen.
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, wo ich hin will. Was ich brauche.
Meine Wohnung ist mein Bunker. Ich hasse Spontaneität und wenn plötzlich jemand unangemeldet vor meiner Tür steht, bin ich überfordert und wütend. Ich reagiere mit starken Aggressionen auf unvorhersehbare Ereignisse und Veränderungen werfen mich aus der Bahn. Klare Strukturen und feste Ordnung geben mit Sicherheit; unter anderem deswegen habe ich es auch nicht in einem Haushalt mit den furchtbar chaotischen und unordentlichen Kindern meines Partners ausgehalten. Bei Unordnung bekomme ich inneren Druck und Beklemmungen.
Ich möchte zeitweise am liebsten den ganzen Tag auf dem Sofa liegen, weil ich mich so erschöpft fühle. Gleichzeitig tut mir das überhaupt nicht gut.
Mit Alkohol kann ich kein Maß halten, aber ich habe glücklicher Weise nicht mehr so oft Lust darauf und im Moment schmeckt es gar nicht. Das erleichtert mich ungemein, da ich irrational große Angst davor habe, meinen Eltern zu folgen. Ich mein, wenn ein EKA zu 60% gefährdeter ist, einem suchtkranken Elternteil zu folgen, wie hoch ist das Risiko bei doppelter Veranlagung??
Aber ich rauche nicht mal oder trinke Kaffee, finde ich beides widerlich. Ich trinke, wenn, mir des Geschmacks wegen und nicht um den Rausch. Den hasse ich, ich hasse nichts so sehr, wie die Kontrolle über mich zu verlieren. Oder - Gott bewahre - peinlich zu sein und unangenehm aufzufallen. Iehgitt, wie oft musste ich mich im Restaurant für meine Mutter schämen und entschuldigen! Da krümmt sich mir allein beim Gedanken dran alles zusammen.
Ich denke oft, ich bin komme doof oder komisch rüber und beziehe alles auf mich. Einerseits sage ich mir, andere Leute und deren Meinung sind mir scheißegal, andererseits will ich bloß nicht in schlechter Erinnerung bleiben und ja gut ankommen. Ich werde oft als arrogant oder überheblich eingeschätzt, dabei bin ich das komplette Gegenteil: Absolut unsicher und introvertiert. Im Job muss ich gegen Männer anstinken, forsch sein. Fordernd, laut, frech, um gehört zu werden. Das strengt mich so unfassbar an, weil das nicht meinem leisen Ich entspricht.
Ich hab Angst, Fehler zu machen oder Fehlverhalten einzugestehen. Ich bin daher perfektionistisch und besserwisserisch. Ich sorge dafür, dass ich ‚mehr weiß als andere‘ und bin sprachlich so gewandt, dass ich andere in Grund und Boden rede und damit überfordere. Ich werde dann oft auch lauter und diskutiere forsch, rede mich (ungewollt) in Rage. Ich muss das letzte Wort haben (unbewusst, wahrscheinlich Kontrollzwang) und muss in der Beziehung alles bis auf den letzten Krümel ausdiskutieren und erklären, weil ich verstanden werden will. Führt leider oft nicht zum gewünschten Ergebnis und dann werde ich offenbar abwertend und verletzend. Allerdings unbeabsichtigt, das resultiert aus Hilflosigkeit.
Ich dachte von mir, ich stelle mich meinen Problemen, allerdings nur eine gewisse Zeit und dann gebe ich auf. Frage mich dann im Nachhinein, ob ich mehr und länger hätte aushalten sollen. Ich kann Leidensdruck schon aushalten, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich ziehe dann Konsequenzen, aber mit dem Skalpell. Sprich: Ist eine Beziehung beendet, schneide ich die Person aus meinem Leben. Keine Bilder, Geschenke, Kleidungsstücke, Lieder, die mich erinnern. Das ziehe ich mir eine angemessene Trauerzeit herein und danach ist Schicht im Schacht.
Macht es besonders schwer in der Elternbeziehung mit meinem Exmann und unserem Sohn. Den würde ich gern wegschneiden, auch weil er mich schlimm verletzt und mehrfach im Stich gelassen hat. Ich denke immer, er macht es richtig: Kopfmensch, Egoist, Opportunist, Geld zählt am Meisten. Ich gestehe mir ein, dass ich neidisch bin, dass er sich mit seiner Neuen zig Urlaube und Wochenenden im Jahr leisten kann, sie in UNSEREM Haus leben mit dem dicken Mercedes vor der Tür, teure Klamotten an. Ich muss mir halt vor Augen halten, dass ich all das mehr oder weniger freiwillig aufgegeben habe. Ich könnte das auch noch haben. Aber ich bin Herzmensch. Geld ist mir nicht so wichtig, ich brauche nur eine solide Grundlage für meine Sicherheit. Obwohl ich gut verdiene, bleibt nie genug, weil ich eben allein für alles aufkommen muss. Mein Job ist relativ sicher, war es auch trotz der Pandemie. Dennoch hab ich oft schlaflose Nächte, in denen ich grübele, wie mein ganzes Leben zusammenbrechen würde, wenn der Job wegfiele. Aufs Auto könnte ich verzichten, aber die Wohnung? Es ist so schwer, was Passendes zu finden und alles so teuer… ja, Geld ist mir nicht wichtig, nicht als Status, dennoch zermürbt es mich, wie wenig bleibt. Wie viel ich allein strampeln muss.
Dauernd höre ich, ich sei so stark. Es sieht ja keiner meine inneren Kämpfe. Ich fühle mich definitiv nicht stark. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag in embryonalhaltung mit Händen übern Kopf liegen. Ich sehne mich so stark nach Liebe und doch macht sie mir Angst.
Ich erbringe Höchstleistungen, für meinen kleinen Sohn normal (da war es wieder!) zu erscheinen. Also, wenigstens stabil und nicht Stimmungsschwankungen unterlegen. Wir reden viel, ich erkläre ihm auf Augenhöhe, was los ist. Er soll nie verunsichert von mir oder anderen sein.
Als ich schwanger wurde, brach mir alles unter den Füßen weg. Er war zwar geplant, aber diese Endgültigkeit, jetzt für immer für ihn verantwortlich zu sein, verstört mich immer noch von Zeit zu Zeit. Er gibt mir auch Halt, Struktur und sorgt dafür, dass ich ein Rollenvorbild habe, wie eine Mutter sein soll: NICHT wie meine!!!
Mit der Hochzeit damals war es auch so. Ich hatte kalte Panik, weil ich dieses ‚für Immer‘ nicht sehen kann. Genauso beim Hauskauf. Das hat mir Angst gemacht und mich komplett überfordert. Diese Verbindlichkeit! Ja, ich bin neidisch, wie mein Exmann sein (ehemals unser) Leben gestaltet, weil es für ihn so einfach und klar ist. Gut, er hat auch Geld und Familie im Rücken, das entspannt sicherlich auch. Ich habe gar nichts. Aber ich bin auch gleichzeitig erleichtert! Ich habe die Verbindlichkeiten nicht mehr. Er hat mich ersetzt und bei ihm läuft alles wie immer - nur die Frau ist eine andere Denke ich an diese Konstellation und Abläufe, spüre ich den früheren Druck: Wieder jeden Sonntag zu den Schwiegereltern? Ostern und im Herbst mit den Schwiegereltern an die Ostsee. Weihnachten jedes Jahr in der gleichen Runde. Und das die nächsten 40 Jahre…
Panik! NEIN, danke. Ich brauche Strukturen, aber zu starre paralysieren mich gedanklich.
Ich bin froh, dass ich finanziell und räumlich unabhängig lebe, auch wenn mir das keine Sicherheiten gibt.
Ich sage ja: Ich bin komisch. Das Gute ist, ich weiß jetzt, dass ich damit nicht allein bin!!!