Liebe Jacquy,
Ich komme hier nur noch selten vorbei, aber auf deine Geschichte muss ich nun antworten.
Vieles von dem, was du schreibst, kenne auch ich...zum Glück nur noch aus der Vergangenheit. Ich möchte dir ein paar Gedanke da lassen.
Dass du unter den gegebenen Umständen kein Bedürfnis mehr nach körperlicher Nähe hast, ist deinerseits eine absolut GESUNDE Reaktion! Du kannst dich neben und von deinem Mann nicht mehr sicher und wertgeschätzt fühlen und somit keine Nähe mehr zulassen. Dein Mann dreht einfach alles um und schiebt dir seine Schuld oder Verantwortung in die Schuhe. Das verwirrt dich total und du zweifelst an dir anstatt an ihm. Sowas nennt man Gaslighting und ist eine Form der emotionalen Gewalt.
Nicht alle Alkoholiker demütigen und beschimpfen ihre Angehörigen, während sie nach außen angeblich tolle Menschen sind. Alkohol verstärkt nur manchmal unangenehme Verhaltensweisen und Charakterzüge.
Solche Charakter- bzw Persönlichkeitszüge bleiben durchaus auch ohne Alkohol übrig.
Ich kenne den Gedanken den Kindern die Familie erhalten zu wollen nur zu gut. Ich sehe es heute als Denkfehler meinerseits. Ich war wie du mit allen häuslichen und familiären Pflichten allein. Das ist mir erst so richtig nach der Trennung bewusst geworden...es hatte sich für mich nämlich nichts geändert, als er weg war. Ich habe im Alltag alles weiterhin so gemacht wie noch während der Beziehung, nur dass kein 3. (erwachsenes) Kind mehr da war, das Unordnung verursacht und miese Stimmung verbreitet hat. Als ich so unbedingt die Familie erhalten wollte, habe ich allerdings übersehen, was ich meinen Kindern vorgelebt habe - nämlich dass es ok ist sich von Papa so behandeln zu lassen, mich zu verbiegen, zu schlucken, Raubbau an meinem Körper und meiner Seele zu betreiben. Ich habe ihnen vorgelebt, dass man einen Menschen, der sich einem angeblich geliebten Famiienmitglied gegenüber wiederholt miserabel verhält, immer wieder bittet von ihm besser behandelt zu werden, anstatt endlich wegzugehen. Mein größter Widersacher dabei war mein Mitgefühl für meinen Exmann. ICH habe es nicht ausgehalten ihm auch nur im Ansatz zuzumuten, was er den Kindern und mir tagtäglich zugemutet hat. Das hat aber nicht nur etwas über ihn ausgesagt, sondern auch über mich. Darum geht es, liebe Jacquy! Ich habe meinen Kindern vorgelebt, dass man etwas macht, was man vielleicht eigentlich gar nicht will, nur um dem Druck, der emotionalen Erpressung, den Vorwürfen oder einem Donnerwetter des Ehemanns/Papas auszukommen.
Du kannst nichts, absolut gar nichts für deinen Mann tun. Solange du so viel aushältst, trägst du sogar dazu bei, dass er weitersaufen muss, weil alles um ihn herum viel zu bequem für ihn läuft. Er kann gar nicht spüren können, was er bei euch anrichtet, solange so weiterhin alles am Laufen hältst. Trotzdem hast du absolut keine Schuld an seiner Suchterkrankung. Niemand im Außen kann etwas dagegen tun, wenn er das nicht will. Aber das Außen - spruch das Umfeld - kann dazu beitragen, dass die Erkrankung für ihn länger erträglich bleibt. Unerträglich kann sie erst werden, wenn er die Folgererscheinungen wirklich spürt. Bei vielen sind die Folgeerscheinungen leider nie schlimm genug, um etwas zu ändern.
Ich kann dir sagen, was mir mein langes Funktionieren, um den Kindern die Familie zu erhalten, gebracht hat: massive Schlafstörungen über lange Zeit, Depressionen, eine chronische Hauterkrankung, körperkiche und emotionale Erschöpfung, eine Gewichtszunahme (was ich vorher außer in den Schwangerschaften nie hatte und nun zum Glück auch wieder weg ist), Ängste, die mich fast verrückt gemacht haben...und die Regeneration davon hat sehr lange gedauert. Der Preis dafür war sehr hoch.
Neben einem Vater, der entweder durch Abwesenheit glänzt oder unberechenbar ist, wenn er mal da ist, können deine Kinder nicht sicherund gesund aufwachsen. Ich bin sicher, dass du alles für deine Kinder tust, was du kannst. Du bist für sie wahrscheinlich viel zu oft nicht nur Mama, sondern auch Papa. Stell dir vor, wie viel Energie und Raum du für sie hättest, wenn du nur eine glückliche Mama wärst, deren Gedanken nicht mehr um einen saufenden, pöbelnden Ehemann kreisen.
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass die Trennung einfach war. Ich kann mir nicht vorwerfen nicht alles versucht zu haben, um unsere Familie/Ehe zu retten. Aber dazu gehören 2 und ich sehe nicht, dass dein Mann irgendwas dazu beitragen möchte, dass eure Familie wieder gesund und glücklich werden kann.
Du bist eine wahnsinnig starke Frau, wer sowas "aushält" und dabei auch noch so lange funktioniert, ist eine Powerfrau. Du setzt derzeit deine Kraft nur leider noch an der falschen Stelle ein. Für ihn kannst du nichts tun, wohl aber für dich und deine Kinder!
Du schaffst das!
LG, Saphira