Hallo zusammen, ich wurde kürzlich freigeschalten und habe meinen Beitrag aus dem Vorstellungsbereich hierher mitgenommen, da ist er:
Meine Geschichte, von hinten aufgerollt: dass es sowas gibt wie Erwachsene Kinder erfuhr ich durch einen zufälligen Griff in das Gebrauchtbücherregal eines Literaturcafes: Familiensucht Alkohol. Zuvor hatte ich einen tabletten- und alkoholsüchtigen Freund bei mir aufgenommen, der Hilfe suchte, um von seiner Abhängigkeit loszukommen. Den habe ich bis zur Selbstaufgabe betreut und es war für mich augenöffnend, da mein Vater Alkoholiker ist und es für mich neu war, dass jemand aus seiner Sucht herauswill. Durch ihn lernte ich auch, wie wichtig Selbsthilfegruppen in diesem Fall sind. Dass ich selbst ein Fall für eine Selbsthilfegruppe bin, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Buch hat mir in dieser Hinsicht auf die Sprünge geholfen. Und ich musste feststellen, dass so viele meiner Muster nicht einfach nur meine eigene Verkorkstheit sind, sondern einem ganz bestimmten Regelbuch folgen - dem eines erwachsenen Kindes eines Alkoholikers. Langsam aber sicher konnte ich mich plötzlich an Dinge erinnern, die ich jahrelang verdrängt hatte, Dinge, die ich mühsam in den Untiefen meiner Seele versteckt hatte, wie mein Vater die Flaschen.
Mein Vater ist abhängig seit ich denken kann. Als ich noch klein war, besuchten wir, mein Vater und ich, oft meine Großmutter. Die gab uns dann immer zwei Flaschen mit durchsichtiger Flüssigkeit mit, in Zeitungspapier eingewickelt. Schnaps. Als ich dann den Zusammenhang zwischen diesen Flaschen und den Veränderungen an meinem Vater herstellte, begann ich deren Inhalt heimlich ins Klo zu kippen. Je älter ich wurde, desto heftiger reagierte ich auf seine Trinkphasen. Nicht offensichtlich, sondern mit Rückzug. Meine Mutter suchte oft das Weite, wenn mein Vater betrunken war. Da er in keinster Weise agressiv wird, wenn er betrunken ist, eher autoagressiv, war es körperlich sicher, mich mit ihm allein zu lassen. Aber es richtete großen seelischen Schaden an und ich flüchtete mich immer ins Zimmer, weil ich seinen Anblick nicht ertragen konnte. Dort baute ich mir meine eigene Welt auf, das war mein Fluchtpunkt, meine Realität. Ich liebte das Alleinsein und ich tue es noch immer. So bald ich konnte, ging ich weg von daheim. Meine Mutter zeigt die für eine Coabhängige typischen Symptome. Bloß alles vertuschen nach außen hin, es gibt kein Problem, es wird darüber nicht gesprochen. Sie selbst hat kein Leben, keine Inhalte, kaum etwas, was sie für sich selber tut. Sie interessiert sich nur für die Probleme anderer und ist ständig damit beschäftigt, Seelentrösterin für die ganze Welt zu sein, nur ihr eigenes Problem nimmt sie nicht in Angriff. Niemand traut sich, mit meinem Vater über seine Sucht zu sprechen, das Schweigen ist Programm. Ich habe mit meiner Schwester, die acht Jahre älter ist und nicht - wie sie selbst sagt - so betroffen ist, wie ich, über unser Familienproblem einen guten Austausch. Wir reden miteinander. Mit unserem Vater sprechen wir nicht darüber, auch wenn ich es noch so gerne wollte, ich kann nicht. Der Hals ist zugeschnürt, auf der Brust lastet ein Gewicht, so schwer wie meine seit langem verstorbene Großmutter, und ich bin wie paralysiert. Das zieht sich durch. Ich konnte noch nie gut über meine Probleme reden oder in einer Beziehung Probleme ansprechen, das kostet mich eine extreme Überwindung. Meine letzte fünfjährige Beziehung habe ich vor kurzem brieflich beendet, weil ich nicht die Kraft hatte, sie auf der Gesprächsebene zu beenden. Es waren fünf mehr schlecht als rechte Jahre, aus denen ich viel früher ausbrechen hätte sollen. Ich konnte nicht. Ich hielt das Leiden aufrecht, ich krepierte emotional, aber ich konnte es nicht beenden. Ich möchte aus diesem Teufelskreis heraus. Ich möchte endlich ein normales Leben führen, ich möchte mich nicht mehr mit Problemmännern umgeben müssen, um mich lebendig und gebraucht zu fühlen. Acht Jahre war ich mit einem Alkoholiker verheiratet, die Liebe meines Lebens. Ich möchte nicht mehr flüchten vor dem Glück, damit es mir schlecht geht, nur weil ich es gewöhnt bin. Ich will endlich ankommen, nicht dauern flüchten, umziehen müssen (ich habe in 15 Jahren ebenso oft meine Wohnung beziehungsweise den Kontinent gewechselt). Ich will da raus. Gerade sitze ich auf einem anderen Kontinent und da es hier schwierig ist, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen (auch sprachlich), bin ich sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben. So. Das bin ich. Gibts auch NomadInnen unter euch?