Der Kampf ist zu Ende

  • Mein Vater, er ist gerade mal 50 geworden, verstarb ein paar Tage vor Weihnachten (09). Die letzten Jahre waren ein harter Kampf gegen die Sucht und den Alkohol. Uns war eigentlich klar, dass er es nicht mehr lange schaffen würde. Aber wie es sich tatsächlich anfühlt, wenn der Tod erstmal da ist, weiß man vorher nicht. Im September 2009 wurde er mit einer schweren Leberzirrhose und allem was dazu gehört eingeliefert. Er lag 2 Tage im Koma und die Ärzte sagten uns, dass es kaum noch Chancen gibt und wir sollten uns doch verabschieden. Dann wachte er auf und hat sich innerhalb einer Woche ziemlich gut stabilisiert. In einer Sachsorgeeinrichtung wurde er gepflegt und wieder aufgepeppelt. Auf seinen Wunsch brach er die Therapie Anfang Dezember ab und sagte den Ärzten, er sei geheilt. Er hat es wahrscheinlich gespürt. Der Tod ist schließlich auch eine Heilung. Leider war ich die einzige in der Familie, die die ganzen Jahre die Realität sehen wollte. Immer wenn jemand gesagt hat, das wird schon wieder, der fängt sich, konnte ich nie dran glauben. Ich habe einfach gesehen, wie tief er da drin steckte. Die letzen Jahre habe ich auch den Kontakt auf ein Minimum reduziert. Es hat mir das Herz gebrochen wenn ich meinen lallenden Vater am Telefon hatte. Ich habe ihm immer gesagt, das er mich anrufen kann wenn er nüchtern ist. Das tat er leider nie. Seine Trinkerkarriere begann eigentlich schon in ganz jungen Jahren. Und ich als kleines Mädchen, habe immer gemerkt wenn was nicht stimmte. Und trotz alledem war er mir ein guter Vater und hat immer alles gegeben was er konnte. Und das wichtigste, er hat uns immer geliebt. Er hat es zwar nicht gesagt aber wir haben es immer gefühlt. Meine Mutter ist natürlich die ganzen Jahre CO- abhängig gewesen und konnte sich eigentlich nur darum kümmern unseren Vater und die Ehe und das Eigenheim zu retten.
    Das Thema Alkohol verfolgt mich schon mein ganzes Leben und ich versuche im Moment so offensiv wie möglich damit umzugehen. Leider merke ich aber auch, dass es zu viele Menschen gibt, die mit diesem Thema nicht umgehen können oder wollen. Kaum jemand versteht diese Krankheit, die so heimtückisch ist. Und wenn ich mich in der Welt so umschaue, sehe ich so viele Menschen, die den Alkohol nicht als Genussmittel sehen sondern es missbrauchen.
    Was ich jetzt fühle, kann ich gar nicht in Worte fassen. Es ist Wut, Trauer, Erleichterung und wieder Trauer. Ein Wechselbad der Gefühle.
    Ich könnte den ganzen Tag darüber sprechen um es zu verarbeiten. Aber das geht natürlich nicht weil es zu wenig Menschen gibt, denen ich ein Ohr abkauen könnte und ich lebe ja natürlich weiter, gehe zur Arbeit und habe meinen Alltag. Vielleicht hilft mir ja dieses Forum und ich lese ein wenig über andere Kinder von Alkohlkranken Menschen, denen es vielleicht ähnlich ergangen ist. Danke für Lesen.

  • Hallo Annanol,

    herzlich Wilkommen hier im Forum schön das du uns gefunden hast :)

    Wir hören die gerne zu schreib dir von der Seele was dich belastet hier ist immer einer der dir gerne zuhört und versteht wie es einem EKA geht.

    Dein Vater ist ja nun leider Tot wie geht es dir damit ?
    Du schreibst es ist ein Wechselbad der Gefühle !
    Welche Gefühle überwiegen?

    LG
    Marina

  • Danke für deine Antwort. Trauer und Wut wechseln sich eigentlich ständig ab. Obwohl ich immer die Realistin der Familie war leide ich am meisten darunter. Es ist immer noch so schwer zu greifen, das mein Vater einfach nicht mehr da ist. Die Wut entsteht, wenn ich darüber nachdenke, wie mein Er mit sich und dem Alkohol umgegangen ist. Es schmerzt so sehr, zu sehen zu müssen, wie sich Jemand selbst so zu Grunde richtet. Und man kann einfach nichts tun. Rein gar nichts.

    Und jetzt wo er nicht mehr da ist, fallen mir natürlich viele Dinge an mir selbst auf. Warum ich so bin wie ich bin, zurückhaltend, bloß nicht auffallen, niemals streiten und niemandem zur Last fallen. Ich komme einfach nicht aus mir raus. Eine Therapie habe ich schon begonnen.
    Hat jemand Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen gemacht? Ich habe gelesen, dass es solche Gruppen auch für Erwachsene Kinder von alkoholkranken Eltern gibt. Vielleicht wäre auch das ein Schritt in die richtige Richtung um mich vielleicht auch mal zu öffnen...
    Danke und Viele Grüße

  • Hallo Annanok,

    herzlich Willkommen hier im Forum!

    Ja, solche Gruppen gibt es, schau einfach im Internet. Ansonsten: WIR sind hier eine Selbsthilfegruppe und haben 24 Stunden am Tag "geöffnet".

    Manche schreiben sich lieber alles von der Seele, andere profitieren am meisten, wenn sie einen realen Gegenüber haben. Schau einfach, was DIR jetzt gut tut.

    Ich drück dich mal.

    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Linde,

    danke für deine Nachricht. Ich habe eine Gruppe in meiner Stadt gefunden und werde nächste Woche dort hin gehen. Das Lesen und Schreiben hier hilft mir schon sehr gut. Aber ich denke das ich noch mehr für mich tun muss. Die letzten Jahre stand die Verdrängung im Vordergrund und was jetzt durch den Tod meines Vaters wieder aufbricht ist echt viel. Als er noch lebte war es oft so, dass ich dachte, wenn er erstmal im Himmel ist, wird alles ganz schnell gut. Aber jetzt fängt die tatsächliche Arbeit an...
    Alte Muster lassen sich nicht so schnell zerstören.

    Es ist gut zu wissen, dass man hier nie alleine ist...

    Ganz Liebe Grüße

  • Danke für deinen Rat. Ich werde sehen was mich in der Gruppe erwartet. ich habe es mit dem Schreiben noch nie so richtig versucht. Ich bin ein Mensch der gerne zuhört und redet, wenn er sich denn wohl fühlt mit seinem Gegenüber.
    Was das Öffnen betrifft, ja ich will es. Das spüre ich schon zu lange. Das Bedürfnis keimt gerade sehr auf. Ich habe manchmal das Gefühl ich müsste mich übergeben. Es passiert nur nie. Das ist wohl das beste Zeichen dafür, dass etwas ganz dringend raus will. Ich finde wohl was so richtig zum KO.....

    Wahnsinn was ich auch gerade in anderen Threads so lese. Ich fühlte mich die ganzen Jahre so allein mit meinem Problem...Und diese ganzen Parallelen...Muss erstmal tief durchatmen ( Komme zu nichts weil ich nicht aufhören kann zu lesen, besonders Linde ergreift mich sehr )

    Es ist gar nicht greifbar, was diese Sucht für Auswirkungen auf uns hat...

    Danke und einen schönen Abend

  • Zitat von Annanok

    Was das Öffnen betrifft, ja ich will es. Das spüre ich schon zu lange. Das Bedürfnis keimt gerade sehr auf. Ich habe manchmal das Gefühl ich müsste mich übergeben. Es passiert nur nie. Das ist wohl das beste Zeichen dafür, dass etwas ganz dringend raus will. Ich finde wohl was so richtig zum KO.....

    Liebe Annanok,
    ich war 10 Jahre mit einem Alkoholiker verheiratet und habe ihn vor 4 Jahren mit meinen beiden Mädels (11 und 13 mittlerweile) verlassen. Es gibt immer noch unzählige Nachwehen... Ich lese hier bei den EKA's, weil ich immer mal wieder noch an mir zweifle, ob es richtig war, dass ich gegangen bin.. Wenn ich mich dann hier so durchlese, dann weiß ich wieder, wie richtig es war.
    Was ich Dir aber sagen wollte, ich habe sehr gute Erfahrungen mit einer AlAnon Gruppe gemacht, es war eine Zeit lang meine Ersatzfamilie. Sie haben alles, aber auch alles, meine Ängste, meine Zweifel, meine Traurigkeit verstanden und das hat mir unendlich gut getan. Dieses Nicken, wenn ich erzählt habe... Eine Zeit lang die beste Therapie für mich!
    Wenn ich Dich lese, dann habe ich ein gutes Gefühl für Dich! Du schaffst das, Du liest Dich jetzt schon so reflektiert, obwohl Du noch soo jung bist!

    Bleib dran und nutze die Gunst der Stunde. Jetzt ist es an der Oberfläche und drängt nach draußen! Es werden auch wieder Zeiten kommen, wo alles nach hinten verdrängt wird.. Es kostet viel Zeit, diese Geschichten zu verarbeiten, die Verunsicherung, die Schuldgefühle sitzen so tief...
    Manchmal denke ich, ich brauche den Rest meines Lebens dafür. Ist aber ok für mich. Hauptsache, meine Mädels sind draußen und ich erlebe zwischendrin auch wieder entspannte, glückliche Momente!

    LG Jule

  • Liebe Jule,

    danke fürs Mut machen. Ich werde auch genau zu dieser Gruppe hier in meiner Stadt gehen. Das ist toll das du solch gute Erfahrung gemacht hast. Das macht mir Mut.
    Als ich so klein war wie deine Mädchen hat mein Vater angefangen heimlich zu trinken. Ich habe oft die leeren Flaschen in der Garage oder im Gerätehaus gesehen. Wie schon gesagt war mein Vater immer gut zu mir. Aber was man Kindern mit dieser Sucht antut, kann man sich gar nicht vorstellen.
    Ich glaube das so ein Schritt wie du ihn getan hast, die größte Kraft der Welt kostet. Wenn ich mir meine Mutter anschaue, war sie zum damaligen Zeitpunkt viel zu tief in der Sache drin. Sie hat jeden Tag gehofft, sich immer wieder neue Anker gesucht. Therapieplätze besorgt, die Rente für meinem Vater durch geboxt und und und... Ohne Erfolg. Sie hat immer mehr gelitten. Und wenn man dann als Tochter zu gucken muss wie die Mama sich aufopfert und dabei selbst fast mit unter geht, zerreisst es einem das Herz. Ein Schmerz, der kaum in Worte zu fassen ist. Du glaubst gar nicht, wie sehr sich Töchter um ihre Mütter sorgen machen können.
    Ich ziehe den Hut vor dir, dass du diesen Weg für dich und deine Töchter gehst und gegangen bist. Ich frage mich manchmal wo meine Kindheit geblieben ist. ich war so schnell erwachsen. Und seit dem Tod meines Vaters vor 4 Wochen, fühle ich mich manchmal wieder wie ein kleines Mädchen. Ich habe zu Weihnachten von meiner besten Freundin einen riesengroßen Plüschteddy geschenkt bekommen. Ich habe mich so sehr darüber gefreut, dass mir die Tränen kamen. Nun will ich bestimmt nicht meine Kindheit zurück oder sie aufholen. Ich möchte nur ab und an wieder dieses Gefühl von Kind sein haben dürfen und mich ab und an um das kleine Mädchen in mir kümmern.
    Es ist noch ein langer Weg aber ich weiß das alle gut wird. Packen wirs an...
    Liebe Grüße

  • Zitat von Annanok

    Ich ziehe den Hut vor dir, dass du diesen Weg für dich und deine Töchter gehst und gegangen bist. Ich frage mich manchmal wo meine Kindheit geblieben ist. ich war so schnell erwachsen. [quote/]

    Das, liebe Annanok, bleibt leider auch bei meinen Mädels nicht aus. Sie leben nicht mehr dort, aber er hat sich in den vergangenen 4 Jahren viel einfallen lassen, um ihnen das Leben schwer zu machen. Mit dem Unterschied, dass ALLE Geschichten oder zumindest die meisten auf dem Tisch sind und nicht vertuscht oder verharmlost werden. Aber die Kindheit geht da auch flöten.. Das ist so bei Alkoholikerkindern, egal ob getrennt oder nicht.

    [quote='Annanok']Nun will ich bestimmt nicht meine Kindheit zurück oder sie aufholen. Ich möchte nur ab und an wieder dieses Gefühl von Kind sein haben dürfen und mich ab und an um das kleine Mädchen in mir kümmern.

    Mach das! Du mußtest so lange stark sein und hast sicherlich viel Verantwortung mit Dir herumgetragen, die nicht für Dich bestimmt war. Jetzt ist erst mal ein Packet weg und die Erleichterung aber auch die Traurigkeit da. Da werden sicherlich noch ganz andere Gefühle hochkommen mit der Zeit...

    Es ist schwer mit anzusehen, wie Kinder von dieser Krankheit beeinträchtigt werden. Meine Beiden sind viel zu vernünftig für ihr Alter, das fällt mir immer wieder auf. Aber uns Müttern ist es leider auch nur bis zu einem bestimmten Grad möglich, unseren Kindern zu helfen. Es ist und bleibt ihr Vater, den sie lieben, der immer wieder eine Chance bekommt. egal wie schlecht er sich benommen hat.

    Manchmal bleibt uns nur das Fangnetz. Und der Gedanke, dass jedes Kind sich seine Eltern selbst aussucht. Dann werden die Schuldgefühle erträglicher.

    Lieben Gruß, Jule

  • Manchmal bleibt uns nur das Fangnetz. Und der Gedanke, dass jedes Kind sich seine Eltern selbst aussucht. Dann werden die Schuldgefühle erträglicher.

    Liebe Jule,

    wie recht du hast. Jedes Wesen sucht sich seine Eltern selbst aus. Und im Leben passiert nichts einfach so. Es sind Prüfungen, die wir als kleine Menschen schon durchlaufen müssen. Das habe ich schon ganz früh erkannt. Was ich aber durch die Distanz in den letzten Jahren auch gelernt habe, die Stärken eines EKAs zu nutzen. Die Selbstständigkeit, die Anpassungsfähigkeit und die Vernunft, die man entwickelt haben auch viele positive Aspekte. Ich bin ein Stehaufmännchen und versuche auch aus dem Schlechten was Positives zu ziehen. Natürlich gelingt es nicht immer und im Moment geben sich Wut und Trauer noch die Klinke in die Hand. Und mit Sicherheit werden mir noch einige Steine in den Weg gelegt. Die Kraft, sie dann auch zur Seite zu räumen habe ich irgendwo in mir. Ich werd sie bald finden und nutzen...

    Ich weiß auch, wie sehr sich Mütter um ihre Töchter sorgen. Wenn ich meiner Mama in die Augen schaue sehe ich Liebe. Und manchmal habe ich das Gefühl, sie will sich entschuldigen dass sie die ganzen Jahre nicht für mich da sein konnte. Dabei ist sie diejenige, bei der ich mir die Stärke abgeguckt habe. Sie war es, die mich nach dem letzten Krankenhausbesuchs meines Vaters gestützt hat und mir Trost gespendet hat. Sie war es, die mich hat ziehen lassen...Und das ist in ihrer eigenen Situation ganz ganz viel.
    Ich liebe meine Mama und will dir auch nur sagen, dass man die Schuldgefühle ruhig ein bißchen runter schrauben kann.

    Am Montag werde ich das erste Mal in die Selbsthilfegruppe gehen. Ich bin schon sehr gespannt wie das wird und werde hier bestimmt mal berichten.

    Ich wünsche allen ein erholsames Wochenende
    Liebe Grüße

  • Hallo Annanok,

    das klingt sehr gut :)

    Liebe fühlt sich auch viel, viel besser an, als den Hass immer weiterzutragen. Liebe durchbricht Leid!!

    Schönes Wochenende und liebe Grüße,

    Sonnenstrahl

    Jeder kleine Schritt führt näher zum Leben.

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