• Hallo Hans,

    natürlich kann es die Wissenschaft heute erklären. Suchterkrankungen sind eben kein Mysterium mehr, genauso wenig, wie sie Charakterschwäche sind.

    Was ist mit den Suchtbabys, die schon mit Entzug auf die Welt kommen, weil die Mutter süchtig war und während der Schwangerschaft Drogen konsumiert hat? Wie sollte man diesen Geschöpfen helfen - in eine SHG schicken und sie nach der Ursache suchen lassen?


    Gruß

    BC

  • Hallo Bc
    Was ich doch meine Das Suchtgedächtniss kann die Wissenschaft erklären,aber wann es anspringt eben nicht,sonst wäre da schon längst eine Pille erfunden worden.und derjenige wäre mehr wie reich.
    Das meine ich damit.
    LG Hans

  • Hallo Uwe

    Zitat

    P.S. Hartmut: Die Diskussionskultur ist manchmal wirklich eine gutes Training im „auch mal aushalten können“,

    Wenn es um meine Selbsthilfe im Sinne meiner Trockenheit geht kann ich dir beipflichten . Deswegen bin ich hier im Alkoholiker-Forum und in keiner allgemeinen Stammtischkultur. Wenn es " nur" um das trainieren geht , kann ich für mich sagen das 5 Jahren Forum Zugehörigkeit und 4 Jahre Moderatoren Tätigkeit , so langsam aus trainiert bin :wink:

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Nun ich habe noch nicht diese Langzeiterfahrung. Im „wirklichen“ Leben übe ich mich noch. In der direkten Kommunikation passiert es mir oftmals, dass die „Drei-Mal-Durchatmen-Taktik“ versagt. Gelingt mir jedoch immer besser eine andere Meinung als das stehen zu lassen, was sie ist – eben nur eine andere Meinung.
    Die Freiheiten und Rechte, die ich mir gewähre auch anderen zuzugestehen, ist mir nunmehr sehr wichtig. Selbst wenn diese völlig konträr zu meinem sind, ist es nicht meine Aufgabe, sie in meinem Sinne zu „Verbessern“. Ein Stück Gelassenheit.
    Gruß – Uwe.

  • Hallo Uwe,

    als ich vor Jahren davon hörte, dass irgendwelche Wissenschaftler in Tests herausfanden, dass sich wichtige biochemischen Vorgänge in Köpfen von Depressiven doch durch Psychotherapie beeinflussen lassen, war das für mich Motivation für mein Tun.
    Mir schafft mein fragmenthaftes Laienwissen über sowas keinen "Freiraum" zum Nichtstun. Ganz im Gegenteil.

    Gruß Penta

  • Hallo Penta
    Ich denke, wir meinen dasselbe. In der Therapie habe ich eine Entwicklung durchlebt und Grundlagen für meine Veränderungen im Handeln erlangt. Die Therapeuten (in der wörtlichen Übersetzung sind sie „Diener“ meiner Weiterentwicklung), haben bei mir „verschüttetes“ Wissen wieder freigelegt. Meine eigenen Gedankenverbote („das geht gar nicht!“; „so etwas ist für mich nicht machbar!“…) zu hinterfragen war ihre Aufgabe.
    Die Ursache für die „gesunden Vorgänge“ in der Biochemie des Gehirns sind also die veränderten Verhaltensweisen und nicht umgekehrt.
    Die Pillen dafür (Hans, sie sind schon gefunden) behandeln lediglich die Symptome. Sie beeinflussen meine Gefühlswelt, aber nicht mein Tun. Meiner Meinung nach ist eine solche Vorgehensweise bedenklich und wenig hilfreich bei meiner „leichten“ Neurose.
    Selbst bei meinen „dunklen Tagen“, wenn Niedergeschlagenheit meinen Morgen begrüßt und mich bis zur Nacht begleitet, möchte ich kein künstliches „Aufhellen“ haben. Ich nehme mir den Freiraum es entweder mal auszuhalten oder eben aktiv etwas dagegen zu tun – je nachdem wie „schmerzhaft“ ein hinschauen nach den Ursachen ist.
    Danke Penta und unbeschwerten Sonntag - Uwe

  • Hallo Uwe

    Zitat

    Die Pillen dafür (Hans, sie sind schon gefunden) behandeln lediglich die Symptome.


    Uwe ich glaube eher sie Unterdrücken diese Symtome,damit sie gar nicht erst herauskommen können.
    Die Pillen,die ich meine gibts noch nicht.
    Dann wären ein großer Teil der Pychologen,und Therapeuten mit einem Schlag Arbeitslos.
    Dann wäre es auch nicht mehr von nöten ,an sich zu Arbeiten.
    Dann wären viele Menschen glücklich,sie brauchten sich dann keine Gedanken mehr,um vermeidung und Vorsichtsmassnahmen machen.
    LG Hans

  • Hallo Uwe,

    Zitat

    Ich nehme mir den Freiraum es entweder mal auszuhalten oder eben aktiv etwas dagegen zu tun – je nachdem wie „schmerzhaft“ ein hinschauen nach den Ursachen ist.


    in Situationen, in denen alte Muster sich so sehr aufdrängen, dass sie fast schon wieder da sind, ist mir ein Hinschauen nach den Ursachen unmöglich.
    Da bleibt mir oft nur das stumpfsinnige Abarbeiten von Geübten.
    Das Aushalten ist dabei für mich zwar auch eine Alternative, jedoch nicht die geeignetste. So bleibe ich in der Handlung. Andere nennen das den Notfallkoffer.
    Die Ursachenforschung kann ich an grauen Tagen nicht betreiben. Dazu ist an helleren die bessere Gelegenheit.

    Gruß und einen angenehmen Montag.
    Penta

  • glück auf uwe

    manchmal wünsch ich mir auch ne "wunderpille" - weniger wegen der alkoholkrankheit, aber wenn ich mir vorstell: einmal so ne pille und der rücken tut niiiiiiiiiiiiiewieder weh .. oder niemehr phantomschmerz ... :wink:

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo Matthias
    Sicher ist es hilfreich und zuweilen auch notwendig Medikamente einzunehmen, wenn alleine dadurch eine bessere Lebensqualität erreicht werden kann. Lediglich in den Fällen, wo durch persönliche Gestaltung und Eigeninitiative eine Veränderung der Umstände möglich ist, finde ich es zu bequem – gewissermaßen (meine Meinung) auch unverantwortlich mit Pillen „Therapien“ zu betreiben.
    Was deinen Rücken quält, weiß ich nicht – das die fehlende Hand sich meldet, ist sicher hässlich (ich weiß das dies die Schmerzen nicht im geringsten beschreibt – ich hatte einen Opa mit verlustigem Bein). Du hast gelernt damit umzugehen. Das ist für mich das entscheidende. Die Herausforderung anzunehmen und daran zu wachsen. Was anderen eine Zumutung ist, ist deine Wahrheit.
    Die Begegnung mit dem Schwierigen, erschreckt zumeist mein Umfeld. Meine Direktheit im Bezug auf meine Sucht (und meine Beine) mögen einige unerträglich finden, für einige ist diese Seite des Lebens auch eine Unverschämtheit – es ist aber lediglich meine Herausforderung an die anderen. Ich nehme und mag es nunmehr so wie es ist. Das was mir zugemutet wird ebenso, wie dass, was mir zugetraut wird – inklusive mancher Schmerzen.
    Gute Woche – Uwe.

  • glück auf uwe

    Zitat von uwe.rothaemel

    Sicher ist es hilfreich und zuweilen auch notwendig Medikamente einzunehmen, wenn alleine dadurch eine bessere Lebensqualität erreicht werden kann.

    zunächst will ich noch mal betonen, dass ich weder gegen die rückenschmerzen noch gegen die phantomschmerzen irgendwelche mittel nehme. ich hab mich tatsächlich drann gewöhnt (und falls ich früh mal aufwach und keinerlei schmerzen hätt wüst ich ich bin tod). manchmal nehm ich allerdings den bekannten blutverdünner (der ja gerüchteweise auch krebs verhindern soll) dieses medikament nehm ich nur selten (gegen kopfschmerzen) weils ja bekanntlich die schleimhäute schädigen kann.
    trotzdem wärs schön, wenn ganz plötzlich durch n wunder alle schmerzen weg wären. :P

    Zitat von uwe.rothaemel

    Die Begegnung mit dem Schwierigen, erschreckt zumeist mein Umfeld. Meine Direktheit im Bezug auf meine Sucht (und meine Beine) mögen einige unerträglich finden, für einige ist diese Seite des Lebens auch eine Unverschämtheit

    so ähnliche erfahrungen hab ich auch gemacht

    Zitat von uwe.rothaemel

    Das was mir zugemutet wird ebenso, wie dass, was mir zugetraut wird – inklusive mancher Schmerzen.

    ich bin davon überzeugt, dass jeder nur die probleme hat mit denen er selber fertig werden kann, manchmal brauchts nen kleinen schups manchmal n arschtitt, manchmal reicht ne ausgestreckte hand oder n liebes wort (auch am telefon). selsthilfe eben.
    übrigens - seit ich trocken bin hab ich weniger schmerzen und die sind auch noch leichter zu ertragen.

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo
    Bevor ich mich wieder in ein Verlängertes Seminarwochenende verabschiede, will ich noch ein paar Gedanken zu mir und meinem Beruf loswerden. Es sind einige aktuelle Anlässe im Forum, die mich dazu bewegen. Einiges wird vermutlich eine Wiederholung von schon geschriebenen darstellen, anderes ist für euch vielleicht neu.
    Zu Beginn: das ist weder eine Rechtfertigung, noch ein Plädoyer – es ist einfach nur mein Umgang, meine Herangehensweise, meine Philosophie.
    In einer sehr frühen Phase meines abstinenten Lebens, ist mir nahe gelegt worden, dass nicht das Suchtmittel an sich, sondern meine Verhaltensweisen, meine inneren Konflikte und der Umgang damit sowie eine vergleichsweise „ungesunde“ Lebensart im Bezug der Aufrechterhaltung oder dem Eingehen von persönlichen Beziehungen, eine Aufgabe für einen Veränderungsprozess darstellt.
    Nun ist mein Berufsleben mehr als nur ein Arbeitsverhältnis. Es ist eine persönliche Beziehung, die durch ihre Dauerhaftigkeit, für mich, durchaus familiären Charakter angenommen hatte. Abgesehen davon, dass mir der Beruf im Restaurant mehr als nur „Spaß“ machte, habe ich meinen Lebensstil danach ausgerichtet. Anders gesagt – die Arbeit war mein Leben. Sinnhaftigkeit zog ich aus den Ergebnissen meines Berufes. Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit kam lediglich aus dieser Beziehung.
    An anderer Stelle habe ich geschrieben, dass ich mir sehr wohl vor vier Jahren Gedanken darüber gemacht habe: „Ist das was ich tue, auch das, was ich will?“
    Wenn ich weiter arbeiten wollte, war es dann nicht besser, den Beruf hinter mir zu lassen, etwas Neues zu beginnen und alle Energie in eine andere „Beziehung“ zu investieren?
    Der Beruf war aber scheinbar nicht die Ursache meiner Probleme – der Umgang mit dem „Verhältnis“ offensichtlich aber schon.
    Wie im „wahrem Leben“: was ich in dieser Beziehung (bei null Veränderung meiner Einstellung) nicht hinbekomme, werde ich in der nächsten wahrscheinlich auch nicht schaffen. Nach einiger Zeit kommen ähnliche oder die gleichen Probleme auf.
    Es war damals (und heute immer mal wieder) wichtig – zusammen – die Beziehung zu hinterfragen, die gemeinsamen und die unterschiedlichen Vorstellungen zu bewerten und gegebenenfalls zu korrigieren. Ich habe dadurch seitdem ein weitaus ehrlicheres Verhältnis zu meinen „Dienstherren“. Die Erwartungen sind definiert, weil ich darüber rede. Meine Prioritäten haben sich verschoben. Ich lebe nicht mehr für die Arbeit. Die Ansprüche, die an mich gestellt sind, kann ich ohne Selbstaufopferung erfüllen. Mein Verständnis für die eigene Bedürftigkeit hat sich gewandelt.
    Die Weiterentwicklung, die Veränderung der persönlichen Umgangsformen mit den Umständen, haben es mir ermöglicht, das zu tun was ich will. Der Erfolg, der durch diese „Beziehungsarbeit“ entstanden ist, hat genauso Auswirkungen auf mein Leben außerhalb des Arbeitsverhältnisses. Die Erkenntnis: „weg von den Anderen – hin zu mir und meinem Selbstverständnis“, hat im Privaten ebenso Einzug gehalten.
    Das war ein langwieriger, auch von Rückschlägen gekennzeichneter, Weg und Verlauf. Persönliche Veränderungen sind „schmerzhaft“, dauern (und dauern an), weil sie die eigenen Eitelkeiten beschneiden, Vorstellungen und Ideale über den Haufen werfen. Es hat sich für mich gelohnt.
    Schönes Wochenende – Uwe.

  • glück auf uwe

    das hauptproblem bzw. die gröste gefahr in der gastronomie is, meines erachtens, die zugriffsnähe.
    ich hab mich, besonders am anfanng über einige dinge masloß aufgeregt und wenn da sofort alk zu haben gewesen wär ... ?????? ...
    deshalb wird ja n alkfreies umfeld soooo dringend angeraten.
    wie hast du das geschafft?

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Matthias, dann lieber doch noch eine Antwort, bevor ich für drei Tage den Computer ausschalte.
    Ich habe nichts „schaffen müssen“. Ich habe keinen „Kampf“ geführt. Ich habe mich auch nicht neu erfinden müssen. Und - Ich hatte die Zeit dazu und die für mich richtigen Begleiter.
    Ich habe gelernt, Vertrauen zu entwickeln - insbesondere in mich selbst.
    Ich habe geübt, mich und meine Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu hinterfragen.
    Ich habe zu verstehen versucht und teilweise verstanden, warum ich so bin, wie ich bin.
    Wer und Was ist mir wichtig? Wo bin ich wichtig? Waren die Fragen, die für mich nach einer Antwort verlangt haben.
    Sicher war zu Beginn auch Trotz dabei; natürlich ist Ehrlichkeit zu sich selbst kein „Zuckerschlecken“; Scheitern und das Eingeständnis dafür, keine Selbstverständlichkeit.
    Ich habe die Auseinandersetzung mit mir selbst gesucht und geführt. Das lässt den Alkohol nicht verschwinden, sondern hat mir gezeigt, wofür und warum ich ihn eingesetzt habe. Das hebt die „Macht“ die ich ihm gegeben habe nicht auf, relativiert aber die Tragweite, die ich dem Suchtmittel beimesse. Auf dieser Basis ist die vermeintliche Konfrontation keine Aufgabenstellung mehr, die ich zu bewältigen habe, kein Drahtseilakt, wo ich mich ständig zu beweisen habe.
    Ich brauche kein Hilfsmittel mehr, zur Selbstverwirklichung. Ich reiche mir vollkommen aus. Ein Stück Freiheit und viel Eigenverantwortung – nicht immer leicht, doch lebenswert in allen Konsequenzen.
    So, nun aber Tschau – bis Montag.

  • Hallo Uwe,

    Deinen Weg in die Trockenheit - trotz Deiner Nähe zum Alkohol bei der Arbeit - kann ich nachvollziehen. Du hattest Gelegenheit Dich während Deiner LZT ausgiebig damit zu beschäftigen. Ich denke, dies ist erst einmal unterstreichenswert und unterscheidet sich von dem anderen Weg hier absolut, wo in dieser Richtung noch gar nichts unternommen wurde.


    Gruß

    BC

  • glück auf uwe

    Zitat von uwe.rothaemel

    Ich habe nichts „schaffen müssen“. Ich habe keinen „Kampf“ geführt. Ich habe mich auch nicht neu erfinden müssen. Und - Ich hatte die Zeit dazu und die für mich richtigen Begleiter.

    gut für die leute in deiner gruppe. ich denk die haben jetzt auch den richtigen begleiter.

    schönes we-seminar (wenn du s liest is es schon vorbei)

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Guten Morgen Matthias
    Danke – und trotzdem ist es mir wichtig, deine Aussagen ein Stück weit zu relativieren.
    Es ist definitiv nicht Meine Gruppe – ich bin ein Teil davon.
    Und ein Seminar mag zeitliche Begrenzungen haben, doch die Inhalte wirken sehr lange nach. Das Wochenende ist also nicht vorbei.
    Zufällig?-erweise war das Thema Gruppe, ein zentraler Punkt, in diesen drei Tagen. Wir haben uns zusammen - sozusagen am eigenen Modell – grundlegendes erarbeitet. Es war spannend zu erleben – was habe ich „instinktiv“ schon umgesetzt?, welche Ansätze sind notwendig oder vorteilhaft – welche eher weniger? Eine sehr runde Geschichte mit vielen Anregungen. Das „Verdauen“ wird noch eine Weile dauern.
    Gute Woche – Uwe.

  • glück auf uwe

    Zitat von uwe.rothaemel

    Es ist definitiv nicht Meine Gruppe – ich bin ein Teil davon.

    gut, dass du n teil (n gleichwertiger) deiner gruppe bist. nur so bleibts auf lange frist ne erfolgreiche gruppe.

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo Old Flatterhand
    Du hast nachgefragt und ich versuche mal eine Abrechnung. Die Bücher, die ich gelesen habe und lesen musste, waren nicht alle harmlos, für mein Selbstverständnis.
    Die Beharrlichkeit von Vater und jugendlichen Umfeld, die gelesene Literatur damals, hat zu einem idealisierten und magischen Weltverständnis bei mir geführt. Ich habe nicht nur ein Jagdmesser und ein Kaffeservice mitbekommen.
    Ich dachte meine kommunistische Ideologie wäre für mich mit ihrer teilweisen Widerlegung und dem Leben, im ehemals verhassten, Kapitalismus gestorben und begraben, zumindest vergessen oder gleichgültig geworden.
    Es gab Jahrzehnte, wo ich ihr mein Leben geopfert hätte, wo zwischen mir und dem Ideal kein unterschied bestand. Ich gerne das Los der Wegweiser übernehmen wollte und mich auch dazu in der Lage fühlte. Ein wesentliches Ergebnis, meiner Interpretation, des verschlungenen Lesestoffes.
    Doch langsam schlich sich eine grundlegende Unsicherheit in mir ein, ob ich den nicht immer einsehbaren Direktiven gewachsen war, ob ich mich nicht ständig an der absoluten Tugend schuldig mache und binnen kürzester Zeit, eine nicht messbare Strafe auf mich wartete. Ob ich nicht jegliche Sympathien verloren oder mir den Unmut der Partei zugezogen habe. Eine lebensgefährliche Furchtsamkeit belauerte mich bei den Worten Unwürdig und Ausgestoßen. Es ist meinen Kaderschmieden gelungen, dass ich mich über Jahre ausgestoßen gefühlt habe. Es war an mir so viel unvorteilhaft, dass ich nicht mehr liebenswert war. Die jetzige und die spätere Welt bestand aus Beschützten und Anklagten – und ich hing über den Abgrund zur Schlachtbank, zur Unwürdigkeit. Früh schon wurde mit meiner geglaubte Besonderheit gespielt, und ich war nahezu ungeschützt in diesem Spiel.
    Ich glaube, dass es die unbewusste bzw. auch gewahre Hoffnung meiner Eltern gab, ich werde einst einen bedeutenden Beruf ergreifen und etwas bewegen.
    Der Hinterhalt war, dass um mich herum, die Menschen die mir wichtig waren, keine Zweifel hegten. Es war es Wert für diese Ideologie alles zu geben, weil sie herzlich und großmütig war. Selbst im Hinblick auf die drakonischen Strafen – wobei der Liebes- oder Beziehungsendzug den Schlimmsten darstellte. Nicht Anteil zu haben, an der Verbesserung der Welt.
    Die Geschlossenheit und Enge meiner Welt, hat die Werte überhöht. Es war die Rückgewinnung einer verlorenen Dimension versprochen worden, und ich konnte maßgeblich davon ein Teil sein. Meine Bezugspersonen führten dieses aufgeblähte Leben – äußerlich anspruchslos, innerlich den Anderen immer überlegen. Ich war mitverantwortlich für den Glanz, den Sinn der historischen Revolution. Ich musste mit beweisen, dass Marx und schließlich die Partei, Recht hatten. Die inneren, dafür erbrachten Opfer sind immer wertvoller geworden, je realitätsfremder das Absolute wurde. Ohne dem gemeinsamen und insbesondere dem eigenen Gefühl von Grandiosität, wäre es nicht auszuhalten gewesen. Verschlagen ist mit meinen narzisstischen Bedürfnissen umgegangen worden. Sensibel wurden die Grade der Auszeichnung gestaffelt. Kunstfertig war das Angebot von Nestwärme, Erziehung, Glorie und Einmaligkeit gemischt. Sodass ich mich jederzeit den individuellen, verdeckten und unausgesprochenen Bedürfnissen bedienen konnte.
    Ich kann mir diese maßlose Trostlosigkeit und Scham, beim Zusammenbruch der sozialistischen Gemeinschaft nicht anders erklären, als dass diese Ideologie als Versprechung weiter in mir gelebt hat. Ich hatte mich angewidert abgewandt, doch sie hat als ein Gefühl der Größe in mir überlebt.
    Ich habe versucht, sie durch Menschen zu ersetzen – doch was waren die schon gegen das innere Ideal. Ich habe es kaum geschafft, einen Menschen gerecht zu werden – geschweige denn den interpretierten „Großen Ganzen“. Das unbewusst in mir gebliebene Bild des Vollkommenen, hat alles verkleinert und verächtlich gemacht.
    Mag sein, dass die Grundlage für meinen Selbsthass viel früher gelegt wurde – doch durch das festhalten an das Bild einer besseren Gesellschaft, habe ich sie verwaltet und sie wurde ausgenutzt. So konnte ich keinen Menschen (auch heute noch schwer) glauben, wenn er sagte: „Ich mag dich.“ Fing jemand an mich zu mögen, lieferte er lediglich den Beweis für seine eigene Wertlosigkeit – ein zerstörerischer Mechanismus.
    Es war nunmehr so, dass ich meinte, ein Leben ohne diese allumfassenden Werte wäre nicht auszuhalten. Es war ja das Fundament der Gerechtigkeit. Eine Hoffnung, ganz tief verborgen im Unbewussten, unzugänglich, lächerlich für den alltäglichen Gebrauch, aber mächtig wirksam in der Lebensgestaltung als Größenwahn und Leidensbereitschaft, ja Leidensgier. So habe ich begonnen mich zu bestrafen, weil kein anderer meine Schuld erkannte. Ich konnte mich keinen anderen wirklich zeigen, durch die Schande des Ungenügens.
    Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit, des Versagens an elementarer Stelle, lebt nicht mehr ausdauernd in mir – doch bei manchen Gelegenheiten, überkommt es mich, wie eine allumfassende Katastrophe. Ich habe diese machtvolle Angst vor eigener Fehlbarkeit lange weggeschoben und auch heute erst bruchteilhaft bearbeitet. Ich werde wohl kaum ganz frei davon werden – doch immer wieder aufs Neue versuchen es ein Stück weit zu ertragen. Warum sollte ich mich schämen, dass auch ich mich habe überreden lassen, der „Sohn der Revolution“ werden zu wollen.
    Ich habe, so glaube ich, mit einer Portion Sarkasmus und ehrlichen Humor, vor vier Jahren angefangen, dem ganzen die Macht zu nehmen – mit guten bis mäßigen Erfolg. Um es näher zu untersuchen, braucht es wahrscheinlich mehr, als ein paar gute Freunde oder eine Gruppe von Leidensgenossen – es wird eine Lebensaufgabe, der ich nunmehr gerne Stelle. Es bleiben die Werte – doch Zweifel für die Erreichbarkeit sind erlaubt.
    Da habe ich mich ganz schön nackig gemacht – hat aber ziemlich gut getan es einfach mal aufzuschreiben – ein Stück Wut (nicht auf mich) loszuwerden.
    LG: Uwe

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