Was es so schwer macht: Widersprüche überall

  • guten Abend in das Forum

    Nun bin ich ja noch sehr neu was meine Forenteilnahme betrifft. Allerdings ist mir die Thematik der Alkoholsucht nicht mehr so neu.
    Seitdem ich erkannt habe, dass mein Ex-xy ein Betroffener ist, habe ich in Büchern und natürlich auch im www vieles gelesen.

    Dabei ist mir aufgefallen, dass es sehr viele Widersprüche gibt. Klar ist jeder Mensch individuell, jeder ist einzigartig und jeder reagiert auf seine Art und Weise. Das hab ich bei all dem lesen auch immer noch im Hinterkopf. Aber dennoch muss ich sagen, dass es mir als Angehöriger (EX-Angehöriger *seufz*) sehr schwer fällt mit all diesen Widersprüchen zurecht zu kommen.

    Zur Verdeutlichung möchte ich gern mal ein paar Aussagen hier nennen.


    1) Man muss den alkoholkranken "fallen lassen" so dass er gezwungen ist, wieder selbst Verantwortung zu tragen.

    Woanders im www steht nun wieder: "lassen sie - wenn möglich - den alkoholkranken nicht fallen.


    2) Der alkoholkranke muss selbst zur Einsicht gelangen dass er von sich aus etwas ändern muss.

    Gegenaussage: Es kommt selten vor, dass sich der Alkoholkranke selbst zu einer Behandlung entscheidet und es liegt an der Familie und den Freunden, dass es so weit kommt.


    3) Der Alkoholkranke muss den eigenen Willen haben, etwas gegen seine Erkrankung zu tun.

    Gegenaussage: Die Krankheit nimmt ihn den freien Willen zur Abstinenz.

    4) Der Alkoholkranke muss erst ganz unten sein, bevor er bereit ist, sich helfen zu lassen.

    Meine automatische Frage dann dazu: Warum soll er ausgerechnet jetzt noch die Motivation haben, wo doch eh alles schon weg ist?


    Ich hoffe, ich konnte verständlich machen, was ich meine.
    Mir persönlich geht im Moment auch immer noch das Thema der Unterstützung bei Bereitschaft durch den Kopf.
    Ich habe mich getrennt. Wie soll oder kann ich denn jetzt noch signalisieren, dass ich ihn unterstützen werde oder würde, wenn er sich entscheidet etwas zu tun?
    Hab ich ihn nicht schon "fallen lassen"? Wobei ich betonen muss, dass ich nicht mal einen klitzekleinen Hinweis sehe, dass er tatsächlich bereit wäre. Aber ... die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

    nachdenkliche Grüsse
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • hallo pingi

    ich kann deine bedenken durchaus verstehen, ich bin selbst betroffenener.
    aus meiner erfahrung kann ich dir ein paar dinge nennen zu deinen unten aufgeführten punkten.

    zu punkt 1:

    Zitat

    1) Man muss den alkoholkranken "fallen lassen" so dass er gezwungen ist, wieder selbst Verantwortung zu tragen.

    Woanders im www steht nun wieder: "lassen sie - wenn möglich - den alkoholkranken nicht fallen.

    kann ich durchaus nachvollziehen. damit ist gemeint das man den kranken nassen alkoholiker nicht noch weiter in seiner trinkerei unterstützen solle. er muss sich bewusst werden das alles was er tut auch konsequenzen mit sich trägt und er allein dafür verantwortlich ist.
    nasse alkoholiker sind meister darin andere menschen zu manipulieren und anderen die schuld für etwas zuzuschieben was sie selbst verbockt haben.
    das fallenlassen ist auch ein schutz für angehörige, zu leicht wird man in die rolle als co-alkoholiker gedrückt, und wenn man da einmal drin ist, ist es auch nicht so leicht da wieder rauszukommen.
    es ist schon so ganz richtig den nassen alkoholiker fallen zu lassen wenn er keinerlei einsicht zeigt und nicht bereit ist etwas zu ändern.

    zu punkt 2:

    Zitat

    2) Der alkoholkranke muss selbst zur Einsicht gelangen dass er von sich aus etwas ändern muss.

    Gegenaussage: Es kommt selten vor, dass sich der Alkoholkranke selbst zu einer Behandlung entscheidet und es liegt an der Familie und den Freunden, dass es so weit kommt.

    das stimmt, der alkoholiker muss selbst zur einsicht kommen und den festen willen haben etwas zu ändern. ohne diese einsicht geht es nicht.
    aber es stimmt auch, das ein alkoholiker der noch trinkt sich selten in behandlung begibt. ich habe mal gelesen, das gerade mal 10% aller alkoholiker jemals in behandlung kommen wegen ihrer sucht.
    familie und freunde können da leider gar nichts tun, das einzige was sie tun können ist entweder auf den betroffenden einreden oder ihn ganz fallen zu lassen. niemand kann zur trockenheit gezwungen werden.

    zu punkt 3:

    Zitat

    3) Der Alkoholkranke muss den eigenen Willen haben, etwas gegen seine Erkrankung zu tun.

    Gegenaussage: Die Krankheit nimmt ihn den freien Willen zur Abstinenz.

    auch das stimmt wieder. der alkoholkranke muss selbst bereit sein etwas zu ändern. ohne diese einsicht wird er niemals trocken werden.
    die gegenaussage ist so gemeint, das ein nasser alkoholiker überhaupt keine wahl mehr hat ob er trinkt oder nicht. er muss trinken, ob er will oder nicht da sich sonst heftige entzugserscheinungen einstellen.
    ohne fremde hilfe wird er es aber nicht schaffen. und um fremde hilfe anzunehmen, muss er erst bereit sein sich offen einzugestehen das er dem alkohol gegenüber machtlos ist und es aus eigener kraft nicht mehr schafft sich daraus zu befreien.

    zu punkt 4:

    Zitat

    4) Der Alkoholkranke muss erst ganz unten sein, bevor er bereit ist, sich helfen zu lassen.

    Meine automatische Frage dann dazu: Warum soll er ausgerechnet jetzt noch die Motivation haben, wo doch eh alles schon weg ist?

    berechtigte frage. wann ein alkoholiker ganz unten ist, ist bei jedem individuell. der eine verliert seine familie und job, der andere muss erst unter der brücke landen bevor er die einsicht hat etwas zu ändern, der andere wiederum bekommt schwierigkeiten im job usw.
    zu deiner frage:
    leider ist es fakt, das viele alkoholiker keinerlei motivation mehr haben etwas zu ändern. manche würden es trotzdem gerne tun, haben aber nicht mehr die kraft dazu oder sie sind so verzweifelt das sie nur noch den einen ausweg suchen, indem sie sich das leben nehmen. manche jedoch erkennen das es so in ihrem leben nicht mehr weitergehen kann, und raffen sich ein letztes mal auf und holen sich hilfe. doch leider ist der weg aus der sucht ein sehr schwerer und steiniger weg. oft geht es 2 schritte vor und 1 wieder zurück, das macht es auch noch für viele alkoholiker so schwer sich überhaupt auf den weg zu machen. man muss außerdem bereit sein sein ganzes leben zu ändern, es ist nicht damit getan einfach nichts mehr zu trinken.

    wenn sich dein ex zu einer behandlung entschließt, kannst du ihn auf seinen weg unterstützen und ihm zur seite stehen wenn du das möchtest. den ersten schritt muss er allerdings selbst machen.
    ich hoffe ich konnte deine fragen beantworten.
    grüße
    NNGNeo

  • Hallo pingi

    erstmal herzlich willkommen hier im Forum!
    Deinen Beitrag bei den Co habe ich noch nicht gelesen. Ich komme aus dem Co Bereich und bin selbst nicht Alkoholikerin
    Sicherlich können Dir die Trockenen hier die besseren Antworten geben.

    Ich melde mich nur deshalb hier zu Wort, weil das erste Zitat
    aus dem www von einer Seite stammt, die ich bei Weinender Engel empfohlen habe. Es geht dort um die Rolle der Partnerin im Innen- und Außenverhältnis und um ihre Gedanken und die Verwirrung die in so einer Partnerschaft Alltag sind.

    Lange hab ich überlegt, ob ich diese Seite empfehlen soll, weil da dieser Satz drin steht.

    Dann habe ich daran gedacht, daß es hier einige Trockene gibt, die sicher froh sind, daß sich ihr Partner nicht getrennt aber eindeutige Trennungsansagen gemacht hat.

    Es ist in meinen Augen kein Widerspruch. Wenn der trinkende Partner Einsicht zeigt, dann sollte man ihn mMn nicht fallen lassen. Die Frage ist eher, wie lange man auf die Einsicht warten will. Und da finde ich Deinen Weg mit Trennung bei
    absoluter Uneinsichtigkeit den einzig richtigen Weg.

    Klar gibt es viele Entgiftungen, die von Abhängigen halbherzig gemacht werden oder Rückfälle, die zu dieser Krankheit leider
    sehr häufig dazugehören.

    Es ist deshalb immer nur eine Frage zu beantworten: Wie möchtest DU DEIN Leben gestalten? Mit dem Alkoholkranken oder ohne. Mit Deine Trennung hast Du klargestellt, daß das für Dich nicht geht. Jetzt loslassen. Schieben, Ziehen, Grübeln
    das bringt alles nix. Er allein kann was tun. Mach Du auch was, aber für Dich. Wenn er es schafft, dann sicher auch ohne Dein Hoffen und Bangen. Wenn er es nicht schafft, dann war der guten Zeit auch noch die schlecht hinterhergeworfen.

    Loslassen ist Dein Part. Und Dich selbst finden. Denn das alte System darf nicht weiterbestehen. Zu diesem System gehört auch Dein Teil. Der daraus bestand, Dich auf ihn zu fixieren und ihn damit in gewisser Weise zum Lebensmittelpunkt zu machen. So was ist der beste Nährboden für einen Rückfall. Sollte er den Entzug machen. Arbeite an Dir und Deiner Unabhängigkeit von seinem Verhalten/Leben von seiner Sucht.

    LG Nys

  • Danke für Eure Antworten.


    @ NNGNeo
    Du hast meine Fragen sogar sehr gut beantwortet. Ich sehe das jetzt ein bisschen klarer. Demnach sind die einzelnen Punkte gar nicht so widersprüchlich wie sie mir vorkamen.
    Mir fehlt halt auch der "klare Kopf". Eine Trennung schmeisst einen ja auch sehr aus der Bahn und ich denke ich habe noch längst keinen wirklichen Weg für mich gefunden, damit umzugehen.
    Es ist ja nicht so, dass er mir egal ist, nur weil ich mich getrennt habe. Ich kann nicht nach dem Motto "aus den Augen, aus dem Sinn" handeln. Dafür hab ich den Kerl einfach noch zu lieb... selbst wenn ich nicht mal sagen kann warum eigentlich. Und das ist schon traurig
    :cry:

    @ Nys
    Auch Dir herzlichen Dank für Deine klaren Worte.
    Ich verstehe sehr gut, dass ich an mir arbeiten muss. Im Moment fehlt mir noch ein bisschen die Kraft bzw. der Durchblick wie und wo ich anfangen muss. Hab noch ein zusätzliches Päckchen zu schleppen, durch meinen Sohn. Im Moment laufe ich Gefahr ihn "zu verlieren". Zumindest ist das derzeit meine Ansicht.
    Der eigentliche Grund ist eher, ihn zu helfen. Kurz dazu: Er soll wohl in eine Wochengruppe wechseln, weil man ihm in der bisherigen Tagesgruppe nicht mehr so helfen kann wie man möchte. Ist schwer zu erklären.
    Für mich ist das derzeit ein weiterer Verlust einer geliebten Person. Ich muss mich zu der Einsicht bewegen, dass es ihm helfen soll. Nicht, dass man mich strafen will.
    Es sind so unglaublich viele Dinge die derzeit auch mich einstürmen... da finde ich mich selber im Moment einfach nicht mehr, in diesem Chaos.

    Hoffe sehr, dass es mit einer stationären Therapie bei mir klappt, bevor ich überhaupt nicht mehr weiss wer oder was ich eigentlich bin.

    LG
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • hallo pingi

    ich kann es sehr gut nachvollziehen, ich war mal in einer sehr ähnlichen situation. das es nicht so von heute auf morgen geht ist vollkommen normal. das braucht seine zeit, die sollte man sich wirkliich selbst geben.

    nys hat dir ja auch schon ein paar punkte geschrieben und ich denke das dir vielleicht noch der ein oder andere co dir helfen kann, ich bin ja nur ein betroffener.
    habe gelesen das du eine stationäte therapie machen möchtest. ich halte dies für eine wirklich gute idee und hoffe natürlich für dich mit das es damit sehr bald klappen wird. und das sie dir natürlich hilft.
    grüße
    NNGNeo

  • Danke NNGNeo

    ja, ich denke das wird jetzt klappen. War heute zur Therapie und hab die Unterlagen mitbekommen. Das kann jetzt ganz schnell gehen, innerhalb von 14 Tagen. Dann bin ich 6 Wochen weg.

    Bin grad ziemlich traurig. Dachte das geht mal vorbei aber im Moment.... ist mir hundeelend.

    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • hallo pingi

    toll, super das es mit deiner theapie so schnell geklappt hat, das freut mich :)

    wenn es dir nicht gut geht, weißt du was mir in meiner anfangszeit immer geholfen hat als ich trocken wurde?
    schreiben!!!
    schreib dir ruhig alles von der seele wenn irgendwas ist, mir hat es echt immer geholfen. vielleicht hilft es dir ja auch?
    grüße
    NNGNeo

  • Hallo NNGNeo,

    danke für den Hinweis. Ja, das mit dem schreiben hat mir letztens auch meine Therapeutin gesagt. Ich hab sogar letztens überlegt, quasi IHM einen Brief zu schreiben. Mit der Option, dass er ihn nie erhalten wird.
    Allerdings hab ich zu schnell den Selbstbetrug dahinter erkannt und somit gar nicht erst damit angefangen.

    Aber vielleicht sollte ich es doch mal tun. Meine ganzen Gefühle und Gedanken niederschreiben. Auch tatsächlich so, als wenn ich alles IHM schreibe.

    Ehrlich gesagt, ich bin grad zweigeteilt. Einerseits freue ich mich dass das mit der Therapie nun klappen wird. Andererseits weiss ich aber, dass es da um meine grundlegenden psych. Probleme gehen soll die ich schon lange lange Jahre habe. Die sind aber im Moment absolut überlagert von meinem derzeitig aktuellen Problem und das ist nun mal die Trennung von einem nassen Alkoholiker. Habe echt Angst, dass es mich in meiner Symptomatik dann wieder überhaupt nicht weiter bringt, weil ich mit den Gedanken nicht bei mir bin.

    LG
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • Hallo pingi,

    Zitat

    Die sind aber im Moment absolut überlagert von meinem derzeitig aktuellen Problem und das ist nun mal die Trennung von einem nassen Alkoholiker.

    das ist gar kein Problem, das ist eine Lösung.

    Gruß Jürgen

  • Hallo Jürgen,

    ich wünschte ich könnte es auch so sehen wie Du. Aber im Moment bin ich einfach noch nicht so weit.
    Ist ja auch erst 4 Wochen her, dass ich mich getrennt habe. Ich weiss dass es dauert. Aber es ist ja keine "normale Trennung" sondern eine Trennung aus Selbstschutz.

    Und ein Mensch ohne Selbstwert (wie ich es bin) hat halt Probleme mit dem Selbstschutz.
    Ich weiss nicht, wie ich es beschreiben soll, sorry.

    lg
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • Hallo pingi,

    ich habe mich auch schon aus Selbstschutz von Partnerinnen getrennt.
    Das ist ein sinnvoller Grund und zeugt auch von Selbstverantwortung und Selbstwertgefühl.

    Gruß Jürgen

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