• Hallo Herr Palomar,
    selbst wenn von anderen keine (unsensiblen) Sprüche kommen, man ist zu Beginn ganz schön auf sich selbst zurück geworfen.
    Andere können gar keine Ahnung haben, was in einem zu Beginn los ist
    Du lernst dich ja selbst erst wieder neu kennen.

    Eine Balance zu entwickeln zwischen 'Dazugehören' und 'ich bestimme jetzt mal für meine eigene Sicherheit' ohne irgendein schlechtes Gewissen , ist mE das größte Übungsfeld.

    Kannst du dir vorstellen, dass viele Frische 1-2 Jahre diesen Abstand gehalten haben? Ich hätte es damals nie gedacht und doch war es so.
    Üben muss man auch üben.
    Dranbleiben und viel Spaß.
    Schön wenn du nicht haderst.
    Gruß taxi

  • Hallo liebe Forengemeinde!

    Drei Monate sind nun ungefähr seit meinem letzten Beitrag vergangen.
    In dieser Zeit hat sich mein Leben komplett verändert, und es war nicht einfach. Warum war es nicht einfach? Weil ich lernen musste (und immer noch muss), mit meiner Nüchternheit klar zu kommen. Das konnte ich in meiner Saufzeit nicht, deswegen habe ich ja getrunken.

    Viele Nebelschwaden haben sich gelichtet. Ich litt jahrelang unter Depressionen, Angstzuständen und heftigen Panikattacken. Ich versuchte sie, mit Alkohol zu bekämpfen. Heute vermute ich stark, dass diese psychischen Zustände nicht zuerst da waren - sie wurden durch Alkohol und den zwischenzeitlichen Pausen, in denen ich nichts getrunken habe ausgelöst und verstärkt. Wenn ich dann wieder meine "Dosis" bekam, waren die Panikattacken eine Weile gut, dann kamen sie wieder, weil ich den Alkohol brauchte. So sehe ich das heute, und ich denke, da liege ich richtig, denn, wie soll ich es sagen: Seit ich trocken bin, sind die Zustände fast verschwunden, also es ist alles deutlich besser geworden.
    Schon krass, wie man sich jahrelang auf dem Holzweg befindet, und sich selbst betrügt, in den eigenen Sack lügt.

    Ansonsten verläuft mein Leben gerade so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Es ist nicht alle eitel Wonne, und ich habe nach wie vor Saufdruck - es wird weniger, und ich habe Mechanismen gelernt, damit umzugehen. Bin auch in einer SHG (fast täglich gibt es Meetings, und ich versuche, so oft wie möglich zu gehen), in der ich viel über mich, mein Selbstmitleid von früher, meinen Alkoholkonsum, meine Ängste und meine Verhaltensweise gelernt habe, weil ich zum ersten Mal aus dieser neuen Sichtweise heraus über mich reflektiert habe: Alkohol war kein Versuch, meine Symptome zu bekämpfen, sondern er war die Ursache - der Auslöser all meiner Probleme.
    Eine spannende Erkenntnis, die mich anfänglich ganz grundlegend erschüttert, ja geradezu schockiert hat, da mein Selbstbild, das ich über viele Jahre kultiviert habe, und sich aus Lügen, Selbstbetrug und Groll unterschiedlichen Ausmaßes gespeist hat, komplett in sich zusammengebrochen ist.

    Meine Persönlichkeit ist immer noch ein Kartenhaus. Manchmal fühlt sich meine Trockenheit sehr fragil an. Wenn ich es nicht aushalte, rufe ich jemanden an, den ich aus der SHG kenne. Und dann schaue ich, dass ich mein Hinterteil ins Meeting schaffe - denn diese Lebensqualität, die ich jetzt habe, möchte ich nicht mehr aufgeben. Und ich male meinem Leben, und vor allem meinem Verhältnis zu mir selbst, das auch jenes zu meinen Mitmenschen bestimmt, ein neues Gesicht.
    Danke fürs Lesen und alles Gute euch Allen :)

  • Das schöne ist, dass der Alkohol nur die Spitze des Eisbergs ist, an dem ich beinahe zerschellt wäre.
    Seit dem ich trocken bin, entflamme ich unentwegt Zündhölzer, um die Spitze zu schmelzen - und immer mehr des Eisbergs kommt an die Oberfläche. Das ist ein langsamer Prozess, aber ein reinigender.
    Vor drei Monaten konnte ich mir noch nicht vorstellen, wie sich mein Leben ändern würde.
    Jetzt im Moment bin ich einfach nur dankbar. Ich will nie wieder zurück.

  • Das liest sich sehr gut, Palomar. Dankbar, glücklich und frei. So fühle ich mich auch.

    Ich freu mich, dass Du so sehr an Dir arbeitest. Nüchtern kann man viele Dinge an sich besser erkennen.

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