Hallo Zusammen!
Ich möchte mich kurz vorstellen. Ich bin 37 Jahre alt, co-abhängig, die Tochter einer Alkoholikerin. Der Alkohol hat seit frühester Kindheit mein Leben beeinflusst. Solange ich denken kann, hatte ich immer ein abhängiges Elternteil. Selbst trinke ich allerdings so gut wie überhaupt nichts. Das negative Beispiel, dass ich immer vor der Nase hatte bzw. habe, ist Abschreckung genug für zwei Leben.
Die längste Trockenphase meiner Mutter, außerhalb einer medizinischen Einrichtung, war bisher 3 Wochen, innerhalb 10. Sie sieht das freilich ganz anders. Inzwischen ist sie soweit, dass sie nach dem ersten Schluck jegliche Kontrolle über sich und den Alkohol verliert. Sie trinkt, bis nichts mehr reingeht bzw. sie einschläft. Inzwischen wir der Obstler mit Wasser verlängert, weil der Magen sonst nicht mehr mitmacht. Von anderen gesundheitlichen Auswirkungen will ich gar nicht erst anfangen, denn die Palette ist inzwischen sehr breit.
Zurzeit startet sie, so glaube ich, den nächsten Versuch in ein trockenes Leben. Den nächsten Versuch nach 3 Entgiftungen über die letzten 3 Jahre, einer abgebrochenen Langzeittherapie, über die Jahre diversen Gruppen- und Einzeltherapien innerhalb und außerhalb der Suchtberatung. In der Theorie weiß sie also wie es funktioniert und wo sie Hilfe bekommen kann, wenn sie denn will. Ob sie im Moment, wie vor 2 Monaten, noch Hilfe in Form von Gruppentherapie in der Suchtberatung und Selbsthilfegruppe sucht, weiß ich nicht. Ich frage mittlerweile nicht mehr und von sich aus erzählt sie sehr wenig, was Ihren Alkoholismus und sein Umfeld angeht. Sie sagte vor einiger Zeit, sie hätte noch mal die Beantragung einer Langzeittherapie in die Wege geleitet, schaun wir mal. Denn was ich ihr inzwischen noch glaube, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin einfach zu oft von ihr belogen worden.
Auch stellt sich bei mir inzwischen wenig Hoffnung ein, wenn sie wieder einen Anlauf ankündigt, vorsichtige Zurückhaltung kann man es vielleicht noch nennen. Manchmal denke ich die Zeit vor ihrer ersten Entgiftung war leichter für mich zu ertragen. Ich hatte immerhin die Hoffnung, dass sie es irgendwann einsieht und sich Hilfe sucht, wieder trocken wird und dann würde man weiter sehen. In dieser Zeit waren nur noch vage Erinnerungen an meine Mutter wie sie früher einmal war, als sie noch nüchtern war, vorhanden. Nach der ersten Entgiftung wurden diese bei jeder trockenen Phase wieder aufgefrischt und jeder Rückfall wurde für mich unerträglicher als ihr jahrelanges Dauersaufen. Es ist für mich als wenn man einem Verhungernden durch eine Panzerglasscheibe getrennt vor ein Büffet setzt. Ich sehe sie und sie ist doch nicht da.
Sehr lange Zeit habe ich versucht alleine mit Ihrer Trinkerei klarzukommen. Habe alles mit mir ausgemacht, weil ich niemandem zur Last fallen wollte. Ich sah damals auch keinen Sinn darin, anderen etwas zu erzählen, es würde ja doch nichts an ihrer Trinkerei ändern. Bis ich im letzen Jahr, als es besonders schlimm mit ihr war, an einem Punkt angelangt bin, an dem ich nicht mehr konnte, am Ende meiner Kräfte war. Den Respekt vor mir hatte ich schon lange verloren, aber ich fing an, auch jeglichen Respekt vor ihr zu verlieren. Ich habe Nägel mit Köpfen gemacht, eine Selbsthilfegruppe aufgesucht, was ich für mich ja lange als absolut unnötig angesehen habe, und mir auch einen Therapeutin gesucht. Beides hat sich als Glücksgriff für mich erwiesen.
Ich war, wie ich inzwischen begriffen habe, das Paradebeispiel einer Co-Abhängigen, immer bereit, immer zur Verfügung, mit dem unbändigen Drang helfen und alles abhalten zu wollen. Schon irre was das Hirn für Horrorszenarien produzieren kann, die man im Vorfeld schon verhindern will, obwohl die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens verschwindend gering bis überhaupt nicht vorhanden ist und man gesetzt den absurden Fall auch höchstwahrscheinlich gar nicht in der Nähe ist. Breitwillig die „Schuld“ für fast alles, jeden Schluck und jeden verdammten Rückfall bei mir suchend bzw. auf mich nehmend. Das personifizierte schlechte Gewissen, wenn ich mal wieder „nein“ zu ihr gesagt habe und der prompte Rückfall, doch zu tun was sie wollte. Sei es aus Mitleid und/oder lauter Angst sie würde noch mehr bzw. wieder trinken. Ich hielt dieses Verhalten bis dahin für einigermaßen normal, für das einer treusorgenden Tochter. Alles das, gepaart mit enormer Leidensfähigkeit, hat mich ans Ende meiner Kraft gebracht und ich habe mich selbst, ohne es zu merken, isoliert und vom Leben zurückgezogen. Auch wenn ich oberflächlich betrachtet etwas für mich getan habe, waren die Gedanken und Sorgen doch immer bei ihr, nie wirklich bei mir und für mich.
Ich habe mein Leben aufgegeben um das meiner Mutter „angenehmer“ zu gestalten. Was das mit und aus mir gemacht hat, auch das ist mir erst jetzt richtig bewusst geworden bzw. wird mir Stückchenweise bewusst. Das einzige was, ich nie getan habe, war ihr Alkohol zu besorgen und habe, mir dafür auch noch auf die Schulter geklopft, schließlich bin ich nicht co-abhängig oder zumindest nicht so schlimm wie andere, unfassbar. Im Nachhinein kann ich gar nicht fassen, was ich alles getan habe.
Es gelingt mir inzwischen immer besser, Abstand zu halten wenn sie getrunken hat und im Gegenzug Nähe zuzulassen, wenn sie nüchtern ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie die Wahl hat ich oder der Alkohol. Wenn sie nüchtern ist, bin ich da wenn sie mag, wenn sie den Alkohol wählt, ist kein Platz mehr für mich. Es ist sehr schwer, dass konsequent durchzusetzen und schaffen tue ich es auch nicht immer, aber immer besser. Sie akzeptiert es absolut nicht, zumindest wenn sie etwas getrunken hat, was eben fast immer der Fall ist. Sie ist und bleibt meine Mutter, die ich liebe und die mir alles andere als egal ist, aber ich muss auch an mich denken.
Meine Mutter absolut abgeschossen, unfähig sich auch nur einigermaßen zu artikulieren, geistig vollkommen abwesend ertrage ich ganz einfach nicht mehr.
Nach dem letzten Jahr bin ich soweit zu mir gekommen, dass ich sehe, was ich falsch gemacht habe, wo bei mir Handlungsbedarf besteht. Ich bin immer noch weit davon entfernt es geschafft zu haben. Ich stehe erst am Anfang und habe noch einen weiten Weg vor mir. Ich werde den Verdacht nicht los, dass das eine Lebensaufgabe wird. Eine mit Sinn. Ein Fehlverhalten das man fast ein Leben lang gehegt und gepflegt hat wird man nicht von heute auf morgen, allein aufgrund frisch erworbener Erkenntnisse los. Man muß sie auch umsetzen, damit sie etwas bringen. Was nicht weniger schwer ist. Noch eine weitere, andere Gruppe aufzusuchen, ist aus verschiedenen Gründen keine Option für mich.
Aber ich merke auch, dass ich irgendwie feststecke. Ich glaube zu wissen was mir fehlt, der direkte Austausch, das Gespräch mit anderen Betroffenen. So sehr mir die Therapie und die SHG auch geholfen haben und noch immer helfen, irgendwie reicht es mir nicht mehr. Ich denke ich brauche auch Gespräche und Diskussionen, außerhalb des kleinen Kreises den ich im Privaten habe. Ich habe das Gefühl mehr Impulse, Denkanstöße von außen zu brauchen. Inzwischen habe ich einfach nur Lust auf Leben. Mein Ziel ist es zu schaffen genau diese zu befriedigen. Mir das zu gönnen, was ich mir jahrelang selbst genommen habe, mein Leben.
Mir gefallen der freundliche und respektvolle Umgangston, der hier herrscht, sowie das Miteinander beider Seiten. Da der Alkohol beide Seiten betrifft und auch schadet, können auch beide Seiten von einander profitieren
Ich lese hier schon eine ganze Weile mit und überlege ebenso lange ob ich mich anmelden soll. Nun, wer nicht wagt der nicht gewinnt, tut ja nicht weh. Ob ich wirklich finde, was ich suche werde ich feststellen. Doch bevor ich mit dem suchen anfange wollte ich mich mal vorstellen. Was kurz und als Vorstellung ausfallen sollte ist nun ganz schön lang geworden und fast schon eine Lebensgeschichte. Vielen Dank für die Geduld bis zum Ende zu lesen.
Einen schönen Abend wünscht
Skye