Skye stellt sich vor.......

  • Hallo Zusammen!

    Ich möchte mich kurz vorstellen. Ich bin 37 Jahre alt, co-abhängig, die Tochter einer Alkoholikerin. Der Alkohol hat seit frühester Kindheit mein Leben beeinflusst. Solange ich denken kann, hatte ich immer ein abhängiges Elternteil. Selbst trinke ich allerdings so gut wie überhaupt nichts. Das negative Beispiel, dass ich immer vor der Nase hatte bzw. habe, ist Abschreckung genug für zwei Leben.

    Die längste Trockenphase meiner Mutter, außerhalb einer medizinischen Einrichtung, war bisher 3 Wochen, innerhalb 10. Sie sieht das freilich ganz anders. Inzwischen ist sie soweit, dass sie nach dem ersten Schluck jegliche Kontrolle über sich und den Alkohol verliert. Sie trinkt, bis nichts mehr reingeht bzw. sie einschläft. Inzwischen wir der Obstler mit Wasser verlängert, weil der Magen sonst nicht mehr mitmacht. Von anderen gesundheitlichen Auswirkungen will ich gar nicht erst anfangen, denn die Palette ist inzwischen sehr breit.

    Zurzeit startet sie, so glaube ich, den nächsten Versuch in ein trockenes Leben. Den nächsten Versuch nach 3 Entgiftungen über die letzten 3 Jahre, einer abgebrochenen Langzeittherapie, über die Jahre diversen Gruppen- und Einzeltherapien innerhalb und außerhalb der Suchtberatung. In der Theorie weiß sie also wie es funktioniert und wo sie Hilfe bekommen kann, wenn sie denn will. Ob sie im Moment, wie vor 2 Monaten, noch Hilfe in Form von Gruppentherapie in der Suchtberatung und Selbsthilfegruppe sucht, weiß ich nicht. Ich frage mittlerweile nicht mehr und von sich aus erzählt sie sehr wenig, was Ihren Alkoholismus und sein Umfeld angeht. Sie sagte vor einiger Zeit, sie hätte noch mal die Beantragung einer Langzeittherapie in die Wege geleitet, schaun wir mal. Denn was ich ihr inzwischen noch glaube, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin einfach zu oft von ihr belogen worden.

    Auch stellt sich bei mir inzwischen wenig Hoffnung ein, wenn sie wieder einen Anlauf ankündigt, vorsichtige Zurückhaltung kann man es vielleicht noch nennen. Manchmal denke ich die Zeit vor ihrer ersten Entgiftung war leichter für mich zu ertragen. Ich hatte immerhin die Hoffnung, dass sie es irgendwann einsieht und sich Hilfe sucht, wieder trocken wird und dann würde man weiter sehen. In dieser Zeit waren nur noch vage Erinnerungen an meine Mutter wie sie früher einmal war, als sie noch nüchtern war, vorhanden. Nach der ersten Entgiftung wurden diese bei jeder trockenen Phase wieder aufgefrischt und jeder Rückfall wurde für mich unerträglicher als ihr jahrelanges Dauersaufen. Es ist für mich als wenn man einem Verhungernden durch eine Panzerglasscheibe getrennt vor ein Büffet setzt. Ich sehe sie und sie ist doch nicht da.

    Sehr lange Zeit habe ich versucht alleine mit Ihrer Trinkerei klarzukommen. Habe alles mit mir ausgemacht, weil ich niemandem zur Last fallen wollte. Ich sah damals auch keinen Sinn darin, anderen etwas zu erzählen, es würde ja doch nichts an ihrer Trinkerei ändern. Bis ich im letzen Jahr, als es besonders schlimm mit ihr war, an einem Punkt angelangt bin, an dem ich nicht mehr konnte, am Ende meiner Kräfte war. Den Respekt vor mir hatte ich schon lange verloren, aber ich fing an, auch jeglichen Respekt vor ihr zu verlieren. Ich habe Nägel mit Köpfen gemacht, eine Selbsthilfegruppe aufgesucht, was ich für mich ja lange als absolut unnötig angesehen habe, und mir auch einen Therapeutin gesucht. Beides hat sich als Glücksgriff für mich erwiesen.

    Ich war, wie ich inzwischen begriffen habe, das Paradebeispiel einer Co-Abhängigen, immer bereit, immer zur Verfügung, mit dem unbändigen Drang helfen und alles abhalten zu wollen. Schon irre was das Hirn für Horrorszenarien produzieren kann, die man im Vorfeld schon verhindern will, obwohl die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens verschwindend gering bis überhaupt nicht vorhanden ist und man gesetzt den absurden Fall auch höchstwahrscheinlich gar nicht in der Nähe ist. Breitwillig die „Schuld“ für fast alles, jeden Schluck und jeden verdammten Rückfall bei mir suchend bzw. auf mich nehmend. Das personifizierte schlechte Gewissen, wenn ich mal wieder „nein“ zu ihr gesagt habe und der prompte Rückfall, doch zu tun was sie wollte. Sei es aus Mitleid und/oder lauter Angst sie würde noch mehr bzw. wieder trinken. Ich hielt dieses Verhalten bis dahin für einigermaßen normal, für das einer treusorgenden Tochter. Alles das, gepaart mit enormer Leidensfähigkeit, hat mich ans Ende meiner Kraft gebracht und ich habe mich selbst, ohne es zu merken, isoliert und vom Leben zurückgezogen. Auch wenn ich oberflächlich betrachtet etwas für mich getan habe, waren die Gedanken und Sorgen doch immer bei ihr, nie wirklich bei mir und für mich.

    Ich habe mein Leben aufgegeben um das meiner Mutter „angenehmer“ zu gestalten. Was das mit und aus mir gemacht hat, auch das ist mir erst jetzt richtig bewusst geworden bzw. wird mir Stückchenweise bewusst. Das einzige was, ich nie getan habe, war ihr Alkohol zu besorgen und habe, mir dafür auch noch auf die Schulter geklopft, schließlich bin ich nicht co-abhängig oder zumindest nicht so schlimm wie andere, unfassbar. Im Nachhinein kann ich gar nicht fassen, was ich alles getan habe.

    Es gelingt mir inzwischen immer besser, Abstand zu halten wenn sie getrunken hat und im Gegenzug Nähe zuzulassen, wenn sie nüchtern ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie die Wahl hat ich oder der Alkohol. Wenn sie nüchtern ist, bin ich da wenn sie mag, wenn sie den Alkohol wählt, ist kein Platz mehr für mich. Es ist sehr schwer, dass konsequent durchzusetzen und schaffen tue ich es auch nicht immer, aber immer besser. Sie akzeptiert es absolut nicht, zumindest wenn sie etwas getrunken hat, was eben fast immer der Fall ist. Sie ist und bleibt meine Mutter, die ich liebe und die mir alles andere als egal ist, aber ich muss auch an mich denken.
    Meine Mutter absolut abgeschossen, unfähig sich auch nur einigermaßen zu artikulieren, geistig vollkommen abwesend ertrage ich ganz einfach nicht mehr.

    Nach dem letzten Jahr bin ich soweit zu mir gekommen, dass ich sehe, was ich falsch gemacht habe, wo bei mir Handlungsbedarf besteht. Ich bin immer noch weit davon entfernt es geschafft zu haben. Ich stehe erst am Anfang und habe noch einen weiten Weg vor mir. Ich werde den Verdacht nicht los, dass das eine Lebensaufgabe wird. Eine mit Sinn. Ein Fehlverhalten das man fast ein Leben lang gehegt und gepflegt hat wird man nicht von heute auf morgen, allein aufgrund frisch erworbener Erkenntnisse los. Man muß sie auch umsetzen, damit sie etwas bringen. Was nicht weniger schwer ist. Noch eine weitere, andere Gruppe aufzusuchen, ist aus verschiedenen Gründen keine Option für mich.

    Aber ich merke auch, dass ich irgendwie feststecke. Ich glaube zu wissen was mir fehlt, der direkte Austausch, das Gespräch mit anderen Betroffenen. So sehr mir die Therapie und die SHG auch geholfen haben und noch immer helfen, irgendwie reicht es mir nicht mehr. Ich denke ich brauche auch Gespräche und Diskussionen, außerhalb des kleinen Kreises den ich im Privaten habe. Ich habe das Gefühl mehr Impulse, Denkanstöße von außen zu brauchen. Inzwischen habe ich einfach nur Lust auf Leben. Mein Ziel ist es zu schaffen genau diese zu befriedigen. Mir das zu gönnen, was ich mir jahrelang selbst genommen habe, mein Leben.

    Mir gefallen der freundliche und respektvolle Umgangston, der hier herrscht, sowie das Miteinander beider Seiten. Da der Alkohol beide Seiten betrifft und auch schadet, können auch beide Seiten von einander profitieren

    Ich lese hier schon eine ganze Weile mit und überlege ebenso lange ob ich mich anmelden soll. Nun, wer nicht wagt der nicht gewinnt, tut ja nicht weh. Ob ich wirklich finde, was ich suche werde ich feststellen. Doch bevor ich mit dem suchen anfange wollte ich mich mal vorstellen. Was kurz und als Vorstellung ausfallen sollte ist nun ganz schön lang geworden und fast schon eine Lebensgeschichte. Vielen Dank für die Geduld bis zum Ende zu lesen.

    Einen schönen Abend wünscht

    Skye

  • hallo skye

    du hast ja auch ne menge zu erzählen also warum nicht.
    ich bin ganz sicher das du hier findest was du suchst.
    einen rat wirst du hier immer kriegen.
    schön das du hier bist

    lg doro

    Alkohol ist ein prima lösungsmittel es löst familien arbeitsverhältnisse freundeskreise und hirnzellen auf.
    trocken seit 18.10.2001

  • Hallo Skye und herzlich willkommen [Blockierte Grafik: https://beispiel.rocks/beispiel.rocks/www.cosgan.de/images/smilie/froehlich/a010.gif] ,

    schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Wir kennen uns ja nun schon ein ganzes Weilchen und ich finde, dass man allein deiner "kurzen" Einleitung deutlich anliest, wie sehr du dich bereits mit der Materie auseinandergesetzt hast und schon vorangekommen bist.

    Ich selbst bin relativ wenig im Co-Bereich zu Gange, da ich noch reichlich zu tun hab' mit der Aufarbeitung meiner eigenen aktiven Alkoholkarriere.

    Wenn du deinen Weg ähnlich konsequent weitergehst wie beim Nichtrauchen, dann bin ich sicher, dass du dich auch in dieser unglückseligen Situation deinem inneren Frieden Schritt für Schritt nähern können wirst.

    Ich wünsche dir den erforderlichen Mut, die Kraft die du brauchst und viel Erfolg dabei.

    Herzliche Grüße


    Micha

    Das Schönste kommt noch

  • Hallo Dorothea, hallo Micha!

    Vielen Dank Euch beiden für die nette Begrüßung!

    Micha
    Es ist schön , zu hören, daß ich schon ein Stück in die richtige Richtung gegangen bin. Vor allem wenn es, wie bei Dir, von jemandem kommt, der mich schon etwas länger kennt. Oft zweifel’ ich doch noch an mir selbst und frage mich, ob ich mir nicht selbst etwas vormache. Worte wie Deine bestätigen mich, das richtige für mich zu tun.

    Einen schönen Tag wünscht….

    Skye

  • Hallo Skye,

    ich verstehe Dich und doch nicht, weil Du über viele, viele Jahre Deine Erfahrungen gemacht hast. Dieses Forum lebt, es lebt von den Themen, den Kommentaren, von den Aktiven, den stillen Lesern und weil wir uns Luft verschaffen können, Luft zum Atmen. Oft tragen wir über Monate Dinge in uns, lassen sie nicht heraus, aber wenn sie geschrieben sind, dann sind sie raus, stehen hier, schwarz auf weiß, unwiderruflich und es tut gut. Es tut gut zu lesen und festzustellen, wir sind nicht alleine. Es ist gut, wenn das Hirn erwacht, zu arbeiteten beginnt.

    Ich danke Dir für Deine ausführlichen Zeilen und denke daran: „es sind nicht die vergangenen Jahre, die uns bewegen, es sind die Kommenden“.

    Skye, meine Frau ist die Tochter einer (oder einer trockenen) Alkoholikerin, wir wissen es nicht, da sie im Alter von 20 Jahren jeglichen Kontakt abgebrochen hat. Sie hat ihre eigene Tochter 10 Jahre behütet und geschützt, damit sie nicht erlebt, was ihr widerfahren ist und die Tochter wurde ihr – heute - „zum Glück“ entrissen, hat sich entfremdet und ist meist abgewandt.

    Alles Gute für Deinen Weg kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

  • Hallo Kaltblut,

    auch ich habe für Deine Worte zu danken. Aber was verstehst Du nicht? Das ich das all die Jahre mitgemacht habe? Verstehst Du manches nicht, weil ich es „nur“ länger mitgemacht habe, als Du? Das ich gelitten habe, ohne ausbrechen zu wollen? Nun, im Nachhinein verstehe ich es selbst nicht mehr. Verstehe nicht, daß ich so lange gewartet habe. Gewollt habe ich schon lange, aber nicht gewusst wie. Gewusst habe ich vieles, aber umsetzen konnte ich es nicht. Also habe ich verdrängt. Ich habe auf die Wunderheilung gehofft, die uns alle, meine Mutter, meinen Vater, die ganze Familie und auch mich von diesem sch…. Alkohol befreit.

    Ich bin quasi in die Co-Abhängigkeit geboren worden, wenn man so will. Als ich auf die Welt kam, hatte ich einen Alkoholiker als Vater und eine Co-Alkoholikerin als Mutter, die dann irgendwann selbst abhängig wurde (wann, wer will das außer ihr so genau bestimmen). Mir ist dieses Verhalten vorgelebt worden. Meine Eltern haben sich dann getrennt.
    (Ich habe noch viele Erinnerungen an diese Zeit meines Lebens, obwohl ich erst 2,5 war. Das nur mal als Denkanstoß für all die Eltern, die meinen ihre Kinder sind noch so klein bekommen nichts mit.)

    Bis ich 8 war, war ich mehr oder weniger regelmäßig jedes zweite Wochenende bei meinem Vater (mehr oder weniger, weil eben Alkoholiker und nicht zuverlässig). Diese Wochenenden wurden vom Alkohol bestimmt. Ich habe mich nicht wohlgefühlt. Meine Mutter hatte, bis ich 9 wurde, zwar die eine oder andere Beziehung, aber die meiste Zeit waren wir allein. Schon damals hatte ich das Gefühl, mich kümmern und lieb sein zu müssen, damit es ihr gut geht. Sie hatte es halt nicht leicht und ich wollte es ja nicht noch schwerer machen. Alkohol hat schon damals in dieser Zeit immer eine nicht unerhebliche Rolle in ihrem Leben gespielt und ich habe sie oft betrunken erlebt und es hat mich damals schon abgestoßen. Das hat sich gegeben, nachdem sie meinen Stiefvater (für mich mein Vater und ich bezeichne ihn auch so) kennen gelernt hat und wir 300 km weiter weg gezogen sind. Danach war für ein paar Jahre Ruhe und Alkohol beschränkte sich auf Feiern und ein gelegentliches Glas am Wochenende. Für mich bisher die schönste und ruhigste Zeit meines Lebens.

    Das änderte sich, als meine Eltern auf einen Schlag fast alles verloren, Firma, Haus, Geld. Firma und Haus ließen sich mit Mühe halten, weil meine Eltern buchstäblich Tag und Nacht gearbeitet haben. Ab da kam der „Problemlöser“ Alkohol immer und immer häufiger zum Einsatz. So wie es bergauf und wieder bergab ging, ging auch der Konsum auf und ab, aber nie mehr ganz zurück. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich den Satz: „Trink erstmal einen, dann geht’s Dir besser“ meine Mutter das erste Mal zu jemandem habe sagen hören, dem es aus irgendwelchen Gründen nicht gut ging. Es muß schon lange her sein. Nach diesem Spruch lebte sie jedenfalls ab da. Ihre Probleme mit Freunden, Nachbarn, auf der Arbeit häuften sich ganz langsam, aber stetig. Erst waren es kleine Unstimmigkeiten, irgendwann größere und irgendwann kam der Streit. Auch mit meinem Vater gab es zwar nicht unbedingt häufiger Streit, aber wenn dann immer heftiger. Ich sah die „Fehler“ die meine Mutter machte und mit ihrer langsamen Steigerung wuchs auch mein Bedürfnis ihr zu „helfen“. Was ich eben dann auch versuchte. Als es sie vor 6 Jahren ihre bisher letzte Arbeit verlor, verlor sie in ihren Augen auch ihre Existenzberechtigung und es folgte der Totalabsturz, der seit dem mehr oder weniger anhält. Ich war zu diesem Zeitpunkt, über die ganzen Jahre selbst schon so „krank“ geworden, dass auch ich quasi einen Totalabsturz erlebte.

    Das war in der Kurzfassung meines Lebens als Co-Alkoholiker mit Alkoholikern, sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jeder hat seine Geschichte, die ihn geprägt und die ihn für die Krankheit Co-Abhängigkeit empfänglich gemacht hat. Die eine ist kürzer, die andere ist länger, das Ergebnis ist unterm Strich das gleiche, Co-Alkoholiker. Wie beim Alkoholiker auch, der eine trinkt „nur“ 3-4 Bier täglich, der andere 2 Flaschen Doppelkorn. Das Ergebnis ist unterm Strich das gleiche, Alkoholiker.

    Über all die Jahre habe ich genau die Ratschläge, ja sogar als Forderungen gehört, die Hilfesuchenden hier geben werden. Ich konnte sie nicht umsetzen, mich lieber selbst eingelullt, nur reagiert anstatt agiert. Etwas dagegen tun, hieß für mich meine Mutter zu verletzen und mir selbst meine Mutter zu nehmen. Allein auszuziehen bedeutete einen sehr schweren Schritt für mich und das ist jetzt 14 Jahre her. Ich hatte das Gefühl, meine Mutter im Stich zu lassen. Ich habe das, wie auch vieles andere in erster Line getan, weil man auf mich eingeredet hat wie auf einen dummen Gaul. Denn auch wenn ich nicht viel erzählt habe, mein Umfeld war ja schließlich nicht blöd oder blind. Bis ich dann immer dachte gut ich versuch’s. Ich konnte nur scheitern, denn mir fehlte die solide Grundlage, für ein erfolgreiches Unterfangen, mich aus dem Kreislauf zu befreien. Die erarbeite ich mir erst jetzt Stückchen für Stückchen.

    Wie ein Alkoholiker seinen ganz persönlichen Tiefpunkt haben muß um wach zu werden, brauchte auch ich ihn. Das ist gerade mal ein knappes Jahr her. Noch immer weiß ich vieles, aber habe mit Hilfe gelernt, es immer mehr Bewusstsein werden zu lassen und auch danach zu handeln. Doch ich kämpfe nach wie vor, muß mich immer erinnern, es ist noch lange keine Selbstverständlichkeit für mich geworden. Ich sehe jetzt die Fehler ein die ich gemacht habe, die mich dorthin gebracht haben, wo ich bin/war. Einsehen ist schon sehr viel, aber umsetzen und überzeugt danach handeln und leben ist ebenso viel und auch nicht immer leicht. Auch wie Du, bin ich im Grunde frisch geschlüpft, ich habe nur länger im Ei gesessen. :roll:

    Gestern war wieder einer dieser Tage, wie ich sie nenne. Ich hatte einen anstrengenden Arbeitstag und freute mich auf einen entspannten Feierabend. Irgendwann als ich schon eine Weile zu Hause war, wanderten meine Gedanken zu meiner Mutter. Die altbekannte Unruhe und die Sorgen waren mit einem Schlag wieder da, als hätte ich überhaupt nichts gelernt. Ich habe mir verkniffen bei ihr anzurufen und zu fragen wie es ihr geht, nach zu hören ob irgendetwas passiert ist. Aber auch nur mit Mühe verkniffen. Hab’ mir gesagt, wenn würde ich es schon erfahren. Ich habe versucht mich abzulenken, nichts hat geklappt, irgendwann bin ich entnervt und hundemüde ins Bett. Nichts mit entspanntem Feierabend. Beim aufwachen heute Morgen war der erste Gedanke direkt wieder bei ihr, erst im Laufe des Vormittags wurde es besser. Ergebnis, ein verschwendeter Feierabend und ein unproduktiver Vormittag auf der Arbeit. Ihr ist nichts passiert, sonst hätte ich es wie immer schon längst erfahren.

    Was passiert ist, ist ein versauter Feierabend und mehr Arbeit am Montag. Früher habe ich mein Schicksal verflucht, warum es mir immer so gehen muß, warum gerade ich, hätte gar nicht gesehen, wie ich mir damit schade. Heute versuche ich daraus zu lernen. Versuche los zu lassen, zu lernen mich nicht um ungelegte Eier zu kümmern, sondern um mich und meine Bedürfnisse. Wenn etwas, was auch immer, passieren sollte ist immer noch Zeit genug, mich dann des Problems anzunehmen. Ich muß mir deswegen nicht schon „vorsorglich“ meine Zeit vermiesen. Es ist nicht leicht, aber wird jedes Mal ein wenig leichter. Es gibt mir wieder die von Dir beschriebene Luft und ein Gefühl von Freiheit….

    Ob es für die Tochter Deiner Frau gut oder schlecht ist, dass sie seit ihrem 10 Lebensjahr beim Vater aufwächst, das wird nur sie selbst später einmal sagen können. Ich glaube Deinen Zeilen zu entnehmen, dass sie selbst den Abstand zu Deiner Frau gewählt hat. Auch wenn es für ein Kind sicherlich nicht förderlich ist, einen Alkoholiker als Elternteil zu haben, bin ich dafür ihm in solchen Trennungssituationen selbst die Möglichkeit zur Entscheidung zu gegeben. Die scheint sie getroffen zu haben. Meine Mutter hat den Kontakt damals nicht unterbunden. Ich durfte erleben, wie unzuverlässig und wie wenig Vater mir mein Vater gewesen ist. Wie ich später begriffen habe, hat es mir geholfen mich gegen ihn als Vater zu entscheiden und meinen Stiefvater als Vater anzunehmen. Sicherlich hat sie das nicht so beabsichtigt, aber wenn sie eingeschritten wäre, hätte ich ihm wahrscheinlich immer nachgetrauert und auf einen Sockel gehoben. So hatte ich einen Vater, wenn es auch nicht mein leiblicher war. An meinen Gefühlen für meinen (Stief-)Vater hat dieser kleine Umstand nichts geändert. Wie Deine Frau bei ihrer Mutter, weiß auch ich nicht, ob mein Vater noch lebt. Aber es belastet mich nicht, das nicht zu wissen. Er hat nur noch mein Bedauern, dass ich für einen Menschen empfinde, der sein Leben weggeworfen hat. Ich hoffe für die Tochter Deiner Frau, dass wie es auch ist und kommt, sie selbst es für gut hält.

    Eigentlich wollte ich gar nicht so viel schreiben. Ich neige dazu mich zu verzetten. In Schule hätte es geheißen, am Thema vorbei, aber meine Finger haben sich irgendwie verselbstständigt und jetzt steht es hier. Dann soll es so sein….. Ich hoffe, Deine Fragen "unterwegs" trotzdem beantwortet zu haben.

    Du hast Recht, es hilft und es tut gut sich manches einfach mal von der Seele zu schreiben. Es lässt alles wieder ein Stück mehr wahr werden und reinigt die Gedanken. Auch hier bleibt mir jetzt nur für die Geduld bis zum Ende durch zu halten zu danken…… :oops:

    Einen schönen Abend und eine gute Nacht wünscht…….

    Skye

  • Hallo Skye, Deine Zeilen haben mich als Alkoholikerin sehr betroffen gemacht. Ich habe eine 18-jährige Tochter, die im kommenden JahR ihr ABITUR MACHT UND es mit mir jahrelang ausgehalten hat -wirklich ausgehalten- mich immer wieder ermuntert hat es doch ohne Alkohol zu versuchen.(Seit ihrem 12.Lebensjahr)
    Ich war die vielen Jahre in dem Irrglauben, dass sie es nicht merkt-da unser gemeinsames Alltagsleben- wie mein Beruf als Bankkauffrau-der Haushalt, die Elternabende- noch ganz gut lief.

    Wir haben uns häufig gestritten-angeschrien -und sie hat mich daraufhin geschlagen , gebissen und getreten. Heute weiß ich, das es bei ihr die nackte Verzweiflung war und sie nicht wusste, wie sie mir und auch sich helfen konnte. Ich habe das natürlich durch den Alkoholdunst hindurch anders interpretiert und die Pubertät dafür verantwortlich gemacht. Scheiss Zeit, habe ich immer gesagt- dabei lag es nur an meinen Wutausbrüchen-an meiner Unzuverlässigkeit- an meiner Isolation(ich hatte inzwischen nur noch ganz wenig Freunde) Gewalttätig war ich nie-habe auch nicht zurükgehauen.

    Irgendwann hat sie ,als sie älter wurde, mit den körperlichen Attacken aufgehört und auch nicht mehr gutmütig auf mich eingeredet, sondern mich gewähren lassen. Ich brauchte die Flaschen und Gläser garnicht mehr vor ihr verstecken- sie wusste sowieso wo ich sie versteckt hatte.

    Das erste Mal, dass ich mich für mein Trinken schämte und dennoch habe ich weitergemacht!

    Als ich mich dann auch noch in ihre 1.große Liebe eingemischt habe-Eifersucht war meinerseits auch im Spiel- hat sie die Konsequenzen gezogen und ist ausgezogen- zu ihrem Vater. Einen Anlauf hat sie dann noch genommen und ist wieder bei mir eingezogen- das Ganze hielt nur wenige Tage- war viel zu verkrampft- und endete in einem Chaos. Nun lebt sie seit Jan. diesen Jahres endgültig bei ihrem Vater. Monatelang haben wir kaum Kontakt gehabt und ich habe gedacht, ich müsste vor die Hunde gehen- das Liebste wurde mir genommen!

    Erst bei den AAs habe ich gelernt, dass sie das einzig richtige getan hat und ich stolz auf meine Tochter sein sollte-denn durch ihr Verhalten und ihre Konsequenz hat sie mich endlich zum Nachdenken bewegt und irgendwann in diesem Jahr auch zum Handeln. Ich trinke keine Schluck Alkohol mehr und siehe da, plötzlich ging es wieder bergauf- seit geraumer Zeit meldet sie sich wieder- kommt kurz vorbei(nie lange und auch nicht über Nacht) lässt mich wieder ein wenig an ihrem Leben teilnehmen. Ich weiss nicht, ob sie es gespürt hat, dass ich nicht mehr Trinke- gesagt habe ich es ihr nicht- sie hätte es mir nicht geglaubt, da ich ihr das schon mehrmals versprochen hatte und nicht eingehalten habe bzw. es nie ernsthaft gewollt habe.

    Also, ich möchte an dieser Stelle sagen: Liebe ......., ich danke Dir von ganzem Herzen. Dir habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt wieder ein schöneres Leben führe- wieder im Leben bin!

    Meine Tochter hat es geschafft, sie hat mir und auch sich durch ihre konsequente Haltung (keinen Kontakt) geholfen und das mit 18 Jahren.Ich kann wirklich mächtig stolz auf sie sein!

    Natürlich fehlt sie mir und oft weine ich deswegen und es wird wohl auch noch dauern, bis unser Verhältnis wieder enger wird- so wie früher- vor dem Alkohol- wird es allerdings nie wieder werden. Zu tief ha.be ich sie verletzt.

    Ich hoffe, ich konnte Dir anhand meines Beispiels ein wenig helfen. Deine Mutter weiss bereits, dass sie etwas falsch macht- ihr muss aber erst klarwerden was sie verliert wenn sie weitertrinkt. Bei m ir hat das auch gedauert.

    LG Claudi

  • Liebe Skye,

    ja, wir sind frisch aus dem Ei geschlüpft, reißen den Hals auf und warten auf Futter, es dauert noch etwas bis wir, ich zumindest, selbstständig die Körner verputze. Es sind Worte wie Deine die verändern, mich und aus dem Nest werfen, immer fester auf meinen wackeligen Beinen stehen lassen. Nicht verstehen, bedeutet schlicht, ich kann nicht nachfühlen, was man wie als Kind, bis zur erwachsenen Frau empfindet.

    Skye, 3 Jahre sind nicht das Leben. Es gibt Dinge, die ich nicht verstehen kann, wo es so wenig Zugang gibt, wie zum Verständnis des „warum“ und es ist gut, dieses „warum“ nicht verstehen zu wollen. Ich habe mir vorher weder Gedanken über Alkohol, noch über mich, A in der Familie oder bei Freunden gemacht. Ich erinnere mich an einen guten Freund, dem ich gelegentlich aus der Sch… half, es machte mich damals stolz, thats it. Als „Frischgeschlüpfter“ prasseln die Geschichten anderer aus jedem Winkel auf mich ein und ich erkenne erst in diesen Monaten, mit was wir es hier zu tun haben. Frau, Familie, Freunde, Geschäftspartner, überall und es wird uns nicht mehr loslassen, auch nicht auf einer einsamen Insel. Ich gehe durch Geschäfte und zähle anhand der Schritte die Verkaufsflächen, die Menge, den Umsatz, die Beteiligten, zähle den Verbrauch bei einen Geschäftsessen, rechne hoch, runter und stufe ein, das ist erst der Anfang, aber ich weiß, es ist nicht mein Leben. Es wird immer diese Tage geben und es ist gut, dass wir sie haben.

    Was Du schreibst, wird vielen helfen, die sich in ihrem Ei befinden, so wie mir auch und ich finde das Bekenntnis von Hexe sehr wertvoll.

    LG kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

  • Hallo Claudi,

    danke, dass Du mir Deine Geschichte erzählt hast. Erschreckend wie sich doch alles gleicht. So ähnlich wie Deine Tochter habe ich mich auch verhalten, wesentlich aufsässiger als es in der Pubertät "normal" ist. Eifersucht war auch immer ein Thema, bis ich gewisse Dinge einfach nicht mehr erzählt habe.

    Du solltest nicht nur stolz auf Deine Tochter sein, sondern auch auf Dich. Auch Du hast sehr viel geleistet. Du hast den anfänglich schwereren Weg ins Leben zurück gewählt, statt beim „beschützenden“ Alkohol zu bleiben. Dem kann ich nur Respekt zollen. Ich freue mich für Dich, dass Du Dich für das Leben und gegen den Alkohol entschieden hast und ich wünsche Euch beiden, dass ihr Euch langsam aber stetig wieder näher kommt.

    Einen schönen Sonntag wünscht

    Skye


    @ Kaltblut

    Ja, solche Tage….. es wird sie immer geben …Hauptsache wir bemerken sie….

  • hallo Skye, danke für Dein Lob an mich und auch an meine Tochter.
    Sie war gestern zum Mittagessen da- zwar muss ich immer noch jedes Wort überlegen was ich an sie richte und ihrerseits wird auch alles auf die Goldwaage gelegt, was sehr anstrengend ist in einer Konversation-aber es geht und ich habe den Mittag und Nachmittag mit ihr und meinen Neffen genossen.
    Heute morgen war sie in der Schulpause wieder da und wir haben im Internet ein wenig gesurft. Es hat mich sehr gefreut- dennoch verspüre ich eine klare Distanz- ihr gutes Recht und ich werde damit leben müssen.

    Gebe die Hoffnung jedoch nicht auf, dass wir uns irgendwann wieder richtig gut verstehen.

    Ich wünsche Dir und Deiner Mutter viel Mut und Kraft.

    LG Claudi

    Bitte halte mich doch auf dem Laufenden- Du findest mich unter: "Umgang mit Gefühlen".

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