Meine lange Geschichte

  • Hallo zusammen !

    Heute ist mein 7. Tag ohne Alkohol. Habe mir eine Strichliste an den Kühlschrank gepinnt und will dieses DIN A4 Blatt vollkriegen.

    Noch vor ein paar Tagen habe ich gedacht, dass Alkohol zum Leben einfach "dazu gehört". Wie falsch das war erkenne ich langsam jeden Tag mehr. Angefangen mit dem Trinken habe ich in meiner Pubertät. Die ersten Male besoffen nach Hause gekommen bin ich mit 14 oder 15 Jahren. Habe dann auch die ganze Nacht auf dem Klo verbracht, weil es sich gedreht, gedreht, gedreht hat. Ich wollte dazu gehören und habe mir mein Selbstbewusstsein angesoffen. Später ging es dann los mit dem ersten Job. Musste dafür in eine andere Stadt ziehen und um dort neue Kontakte zu knüpfen gings öfters abends raus auf die Piste. Und wieder saufen bis zum (damals noch) unvermeindlichen Toilettenbesuch. Allein habe ich damals nur selten getrunken. Mochte den Alkohol eigentlich gar nicht. Ein paar "Versuche" welcher Wein zu welchem Essen passt haben mir das auch immer wieder deutlich gemacht.

    Hab dann jedoch, um mich finanziell über Wasser zu halten(Fernbeziehung mit sehr teuren ICE-Fahrkarten), nebenbei angefangen in einer Cocktailbar zu arbeiten. Und nach Schichtende gabs natürlich erstmal 2 oder 3 Cocktails aufs Haus. Das pendelte sich dann bei 3 Abenden die Woche ein. Die Wochenenden waren dazu auch noch nass, wenn ich nicht zu meiner Freundin gefahren bin. Aber das das ganze aus dem Ruder laufen könnte oder überhaupt in irgendeiner Weise gefährlich ist - hab ich überhaupt nicht gesehen. Naja, mit meiner damaligen Freundin gings dann irgendwann auch zu Ende. Gleichzeitig wurde mir ein neuer Job angeboten und ich hab ihn damals angenommen. Ich denke heute, dass ich recht lange an einer verkappten Depression gelitten habe, die mich einfach alles und jeden unerträglich und schlecht und böse hat sehen lassen. Der Alkohol hat das aber immer wieder - völlig unbewusst - in eine Ohnmacht umgewandelt, "weil, man kann ja doch nichts machen...".

    Nun denn. Wieder neue Stadt, neuer Ort, neue Leute. Trotzdem gab es wieder das alte Bier und den alten Wein. Hab dann ein nettes Mädel kennengelernt, sie war Irin und für ein halbes Jahr zu einem Praktikum dort. Und ja, dann gings also richtig los. Jeden Abend Bier oder Wein. Jeden Abends ins Irish Pub. Sie war verdammt stolz auf ihre Trinkfestigkeit und das konnte ich mir ja als Kerl nicht "bieten" lassen. Tja nachdem sie dann wieder zurück nach Irland geflogen ist, saß ich recht allein dort herum und die Abende mit ihr fehlten mir. Sie war nicht mehr da, aber der Alkohol blieb.

    Als nächstes gings dann in die Arbeitslosigkeit. Für neun Monate. Und heute denke ich von dieser Zeit, dass ich dort "richtig" alkoholabhängig geworden bin. Die Idee sich mal zwei Sechserträger mit nach Hause zu nehmen und in 1,5 Tagen durchzuziehen erschien auf einmal richtig verlockend. War ja eh alles so schei**e. Und dann gabs also tagelanges dauerbreitsein. Morgens gings da noch, aber sobald sich langsam der Nachmittag in den Abend wandelte - Zack, Bier auf und dann gib "ihm". Trotzdem hatte ich noch das Glück einen neuen Job zu bekommen und - na klar - wieder neue Stadt.

    Hier gings dann nicht mehr auf die Piste, sondern "gemütlich" zu Hause zulitern. War teilweise sogar "stolz" darauf so "viel" zu saufen. Echte Männer machten das ja so. Heute erscheint mir das unglaublich was für krumme Gedanken man sich durch Alkohol einhandeln kann. Wobei ich da noch vorsichtig sein muss, denn ich habe ja erst seit nun 7. Tagen nichts getrunken. 7 Tage neues Verständnis gegen gut 7 Jahre intensiven Alkoholkonsum.

    Puhh. Das ganze wird eine Menge Arbeit werden, schätze ich. Und genau darum habe ich mich hier im Forum angemeldet. Jetzt, da ich sensibel gegenüber dem Thema Alkohol geworden bin, bin ich abgewechselnd erstaunt, erschreckt und verwundert in wie vielen Bereichen des "normalen Lebens" Alkohol seinen festen und gesellschaftlich anerkannten Platz hat (aber das wird mal ein eigener Thread, glaub ich).

    Sorry übrigens, dass das jetzt alles so lang und ausführlich geworden ist.

    Naja, wenn ihr bis hierhin gelesen habt, vielen Dank dafür.

    Ganz lieben Gruß und trockene 24h.

  • hallo timster

    willkommen im club.
    zu lang? nö, ausführlich, kann man was mit anfangen. lies dich hier in ruhe durchs forum und stell deine fragen, oder erzähle wie es dir geht, hier ist immer jemand da.

    gruß doro

    Alkohol ist ein prima lösungsmittel es löst familien arbeitsverhältnisse freundeskreise und hirnzellen auf.
    trocken seit 18.10.2001

  • Hallo timster,

    willkommen hier bei uns.
    Schön,dass DuDeinen weiteren Weg ohne Alkohol gehen willst.

    LG Peter Pan

  • Hallo Timster

    Herzlich Willkommen in unserem Forum und unserer SHG, schön, das Du hier zu uns gefunden hast.

    Ja, das Saufen bringt wirklich nichts, es macht Dich körperlich und psychisch kaputt, schleichend, erst merkt man es gar nicht und wenn es einem klar wird, steckt man schon ziemlich tief drin.

    Aber es gibt Wege aus der Sucht, die man am besten mit anderen Betroffenen zusammen geht, denn sie kennen alle Tiefen, denn von Höhen kann man wirklich nicht sprechen, denn die gibt es eigentlich gar nicht, denn im besoffenen Kopp ist man weder cooler noch kreativer noch geistreicher, sondern nur peinlich und oft auch aggressiv.
    Ich selber habe leider viele Jahre an den Alkohol verloren, ich dachte tatsächlich, ich könnte nicht mehr ohne leben. Ich dachte, für mich wäre es zu spät, ich hatte es für mich schon so hingenommen, das ich mich totsaufe. Und nun bin ich schon 4,5 Jahre trocken und ich vermisse den Alkohol an keinem Tag mehr. Ich denk nicht mehr an ihn, aber ab und zu er wohl noch an mich. Aber für ihn ist hier meine Tür für immer verschlossen, der kommt hier nicht mehr rein in meinem Körper und meinen Geist, denn er hat mich fast zerstört.

    Es ist wichtig, an seiner Trockenheit zu arbeiten, mal ist das intensiver, mal ist es weniger. Der Austausch mit Betroffenen ist notwendig, das ist meine Meinung, darum war ich sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben. Wenn Du uns als Deine SHG willst, dann hast Du sicher eine gute Wahl getroffen, hier wirst Du Hilfe und immer ein offenes Ohr finden.

    Ja, über die merkwürdige europäische Trinkkultur könnte man wirklich ne Menge schreiben, ich halte sie mittlerweile für derart krank, aber das sieht man erst, wenn man trocken lebt. Was einem vorher als "normal" erschien, ist es keinesfalls. Alkohol ist eine ganz teuflische Droge, allerdings gesellschaftlich anerkannt, das macht sie noch gefährlicher. Schwupps hat sie Dich, Du merkst es erst gar nicht...

    Tja, und die Bewunderung anderer, die "trinkfest" sind, die iss doch vollkommen krank. Was ist denn daran eine Leistung? Schwachsinn ! Ich bewundere Menschen, die eine tolle sportliche Leistung erbracht haben, oder ein tolles Buch geschrieben haben, die irgendwas außergewöhnliches können, aber sicher niemanden, der "tinkfest" ist, der tut mir höchstens sehr leid.

    So, nun hab ich so viel geschreiben... :lol:
    Ich wünsche Dir alles Gute auf Deinem Weg in die Trockenheit und freue mich darauf, Dich dabei begleiten zu dürfen.

    Lieben Gruß an Dich
    Lilly

  • Euch allen hier ein ganz großes DANKESCHÖN das es euch gibt und das ihr das hier möglich gemacht habt !!

    Wäre ich nicht über dieses Forum gestolpert, ich würde immer noch besoffen auf der Couch sitzen und denken - ach was, ich trink doch meistens nur Bier.

    Habe heute meine Wohnung nun auch auf komplett alkoholfrei umgestellt. War doch ein kritischerer Moment als ich gedacht habe, aber nun ist alles den Ausguss runter und gegen den Geruch wurde kräftig nachgespült.

    Viele liebe Grüße,

    Timster

  • Moin Timster,

    auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Forum.

    Wie du sicherlich hier auch schon gelesen hast, besteht das trockene Leben leider nicht nur aus dem Nichttrinken.

    Man sollte sich also von seinem alten Umfeld mit dem Alkohol ultimativ trennen, um ein neues Leben ohne Alkohol zu erlernen und zu genießen.

    Vielleicht könntest du noch von deinem bisherigen Lebensumfeld berichten: Partnerschaft (?), Freunde (?), Kumpels (?), Freizeit (?) etc., wenn du magst. Und was du bisher verändert hast oder noch vorhast.
    Vielleicht können wir dir einige Anregungen geben.

    Gruß, Freund.

  • Hallo,

    heute bin ich also zum Arzt gegangen. Hatte seit gestern abend ein - hm - schwer zu beschreibendes Gefühl. Hab hier noch einiges gelesen gehabt, aber es war schon zu spät für Postings. Bin auch über einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung gestoßen und da sind dann auch einige Türen bei mir aufgegangen, was alles noch vor mir liegt. Aber zurück zum Heute. Ich hab dem Arzt halt meine Geschichte erzählt und wir haben ein gutes Gespräch gehabt. Bewusstwerdung, eventuelle körperliche Schäden und natürlich Selbsthilfe. Er meinte eine SHG wäre das wichtigste und beste was man machen könnte, denn - hat er selbst zugegeben - Betroffene haben eine ganz andere Perspektive und Einsicht in die Materie. Hab dann noch eine Überweisung zum Therapeuten bekommen und einen Termin für Blutabnahme und Leberwertcheck. Außerdem hat er mir noch geraten meine -sagen wir- Selbstliebe und Selbststolz, kurz Selbstbewusstsein, zu stärken. Wie ich das angehe, weiß ich zwar noch nicht so ganz genau, aber es gibt halt keinen Schalter, den man umlegen kann und keinen Knopf den man einfach drücken muss, um mit sich selbst im Reinen zu sein. Aber ich hab endlich einen nüchternen Kopf um in mich selbst hinein zuhören und ich weiß, dass das der Grundstein für alles weitere ist.

    Nun gut. Jetzt steht erstmal Gitarrespielen auf dem Plan. Das mit dem vielen Wassertrinken ist übrigens ein erstklassiger Tipp, auch wenns die Abwasserrechnung in die Höhe treibt ;)

    Viele liebe Grüße euch allen,

    Timster

  • Hi Timster,

    na, da hast Du ja nun die ersten zwei Wochen hinter Dir! Klasse!

    Bei meiner Entgiftung habe ich auch gelernt, viel zu Trinken. Von dort habe ich das Teetrinken mitgebracht. Ich trinke seither jeden Abend mindestens zwei Liter Tee! Daher habe ich mit der Abwasserrechnung das gleiche 'Problem' :lol:

    Dann bleib mal schön am Ball. Ich drück Dir die Daumen.

    Gruß

    pauly

    Es ist nicht leicht, das Glück in sich selbst zu finden,
    doch es ist unmöglich, es anderswo zu finden.

    Agnes Repplier

    Abstinent seit Oktober 2006

  • Hallo Timster
    Schöne Sache das mit dem Alkoholfreiem Umfeld,eines der wichtigsten Kriterien um überhaupt trocken zu bleiben.

    Gruß Andi

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