Mein Weg und meine Probleme

  • Hallo zusammen,

    vorgestellt habe ich mich "Wer ist Wer-Forum" schon vor einiger Zeit. Auch in diesem Forum habe ich schon mal einen Thread eröffnet, allerdings handelte es sich dabei eher um eine einzelne Frage.

    Ich möchte mich und mein Alkoholproblem an dieser Stelle noch mal etwas ausführlicher darstellen und diesen Thread dann auch dazu nutzen über meine Gefühle, Probleme und Fortschritte regelmäßig zu berichten. In den letzten Wochen war ich in erster Linie als lesender Gast hier unterwegs.

    Ich bin 27 Jahre alt und derzeit arbeitslos. Seit ich ungefähr 15 bin, habe ich ein stetig steigendes Alkoholproblem, von dem ich im Prinzip schon mit spätestens 18 wusste, dass es ein Problem ist. Als Jugendlicher trank ich aus Langeweile (ich hatte keine Hobbies und kaum Interessen ausser Alkohol) meist schon nach der Schule 3-8 Flaschen Bier, am Wochenende natürlich noch mehr. Nach der Schule ging das ganze dann während des Zivildienstes weiter, ebenso in den ersten Studiensemestern. Seit 2000 habe ich jedes Jahr Trinkpausen eingelegt (in der Regel zwischen 5-25 Wochen) um mich und mein Gewissen zu beruhigen, was auch gut geklappt hat, da ich auch nach monatelangem, täglichen Alkoholkonsum keinerlei Entzugserscheinungen hatte. 2001 und 2004 hatte ich nach vorzeitigen Abbrüchen meiner selbstauferlegten Trinkpausen erste Depressionen, wohl weil ich merkte, dass ich dem Alkohol immer ohnmächtiger gegenüberstand. Sinnkrisen und die berühmte Suche nach dem Sinn im Leben (weniger in meinem eigenen Leben, mehr der allgemeine Sinn) machten mir das Nüchternsein immer schwieriger. Trotz der Diagnostizierung einer Fettleber im Jahr 2004 trank ich weiter.

    Ende 2006 kündigte ich meinem Arbeitgeber wegen unüberbrückbarer persönlicher Differenzen (Alkohol spielte hier ausnahmsweise keine Rolle). In den Wochen darauf ging es mir so gut wie lange nicht: Ich schlief aus, kümmerte mich jeden Tag ein bisschen um den Haushalt, schrieb täglich 1-2 Bewerbungen, ging zum Training (ich betreibe Leichtathletik auf gehobenem Hobby-Niveau) und trank dann abends meine 2-3 Liter Bier.

    Arbeiten gehen wollte ich zwar schon wieder (alleine aus finanziellen Aspekten), wäre aber durchaus froh gewesen, nicht so schnell einen Job zu bekommen. Mitte Januar 2007 trat ich dann nach 10 Wochen der Arbeitslosigkeit einen neuen Job an. Am 2. Januar beendete ich wieder mal das Trinken und hatte dieses Mal aber einen anderen Vorsatz: Ich wollte diesmal keine Trinkpause machen, sondern wirklich aufhören. Ich wollte trocken werden. Dazu habe ich mich viel im Internet informiert, hier im Forum gelesen und auch mit dem Gedanken gespielt, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen, was ich dann aber aus Bequemlichkeit nicht gemacht habe.

    Anfang März hatte ich einen insgesamt 10-Tage andauernden Rückfall, der mich in tiefe Verzweiflung gestürzt hat und durch den ich meine junge Stelle verloren habe. Der Rückfall hat sich etwa 2 Wochen lang angebahnt, nachdem mir mein Leben immer trostloser und monotoner vorkam. Ich war ständig am Grübeln, mir machte nichts mehr wirklich Freude. Jeden Tag aufstehen und in eine stinklangweilige Arbeit gehen, war mir ein Greuel, zuhause vor dem Fernseher sitzen aber auch.

    Nachdem ich die ersten drei Tage meines Rückfalls noch "moderat" trank und zur Arbeit ging, erlitt ich am 4. Tag eine Art Nervenzusammenbruch nach der Arbeit, fühlte mich völlig verängstigt und in einer surrealen Welt, kaufte mir 8 Bier und schrieb nach der 4. Flasche eine Mail an meinen Arbeitgeber, dass ich schwer krank bin und deshalb in den nächsten Monaten nicht zu gebrauchen sei, was der Wahrheit entsprach, weil ich echt kurz davor war, psychisch völlig zusammenzubrechen.

    Noch während meines Rückfalls wurde mir der volle Ernst meiner Lage immer mehr bewusst, weshalb ich schließlich die örtliche Suchtberatung aufsuchte. Seitdem befinde ich mich dort wochentags täglich für eine Stunde in einer betreuten Gesprächsrunde. Diese "Tagesgruppe" kann man max. 4 Wochen besuchen, dann sollte klar sein, wohin die weitere Reise geht. Seit ich in die Gruppe gehe bin ich wieder nüchtern (ich weiß das "trocken" hier der falsche Ausdruck wäre). Heute bin ich seit genau 3 Wochen wieder nüchtern und plane demnächst eine ambulante Therapie zu machen. Diese werde ich voraussichtlich Dienstag nächste Woche in Absprache mit der Leiterin der örtlichen Suchtberatung beantragen.

    In den letzten 2 Wochen habe ich hunderte Seiten (keine Übertreibung) im Internet besucht, die sich mit dem Thema Alkohol befassen und fühle mich jetzt doch schon sehr gut informiert.

    Ich lebe zusammen mit meiner Freundin die so gut wie nie Alkohol trinkt und gerne auf das bisschen auch noch verzichtet, wenn ich sie darum bitte. Auch meine Freunde (alle von meinem Hobby, dem Sport) trinken sehr selten Alkohol, sodass ich in meinem direkten sozialen Umfeld wenig Probleme sehe, die bei mir einen Rückfall bewirken könnten. Bei einer kritischen Selbstanalyse muss ich feststellen, das ich hauptsächlich alleine getrunken habe und das aus Langeweile oder weil ich völlig abschalten wollte.

    Mein Ziel lautet ein glückliches und zufriedenes Leben ohne Alkohol zu führen und ich bin dankbar für jeden der mir antwortet. Vor allem interessiert mich, wie es dem einen oder anderen psychisch in der Entwöhnungsphase gegangen ist, und wie ihr in dieser Phase gelernt habt, euch wieder über die kleinen alltäglichen Dinge zu freuen, was mir momentan nicht gelingt.

    Herzlichst,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Hi Blizzard,

    du hast ja eine Menge Einsicht, find ich gut und denke auch, dass das für dich ein guter Ansatzpunkt ist.

    Ich habe auch viel aus Langeweile getrunken. Zum einen sagt man ja, dass Langeweile ein Gefühl ist, das andere, nicht so schöne Gefühle überdeckt. Also unter der Langeweile liegen noch andere Gefühle. Mit der Langeweile kann man sie verdrängen. Wichtig finde ich - ich schreibe jetzt von mir - auch dieses Gefühl der Langeweile einfach mal wahrzunehmen. Nicht weg zu machen, als erstes, wie wir es ja immer taten, mit Alkohol. Aber auch nicht wegzumachen mit irgendwelchen bewusst angegangenen Aktivitäten.

    Ich stelle mir vor, wenn man diese Gefühle der Langeweile wahrnimmt, dass dann doch die darunter liegenden Gefühle auch mal hochkommen und man sich mit ihnen auseinandersetzen kann.

    Zum anderen habe ich festgestellt, dass ich seitdem ich nicht mehr trinke, wesentlich seltener diese Langeweilegefühle habe. Frage mich, ob die nicht durch den Alkohol mit verursacht werden.

    Drei Wochen ist ja noch eine kurze Zeit. Du wirst feststellen, dass sich im nächsten halben Jahr viel an deinen Gefühlen verändern wird, und zwar zum Guten.

    Geh deinen Weg, ich glaube du hast die Kraft dafür.

  • Hallo Elfmerlin,

    danke für deine Antwort. Was du da über das Gefühl der Langeweile gesagt hast und dass man diese zulassen soll finde ich einen sehr interessanten Ansatz. Habe ich bisher nicht so gesehen.

    Heute ging es mir den ganzen Tag sehr gut, wobei ich, seit ich wieder nüchtern bin (also wie gesagt seit 3 Wochen) mich ständig selbst reflektiere, mich frage wie's mir geht usw. Ich glaube das nennt man Grübeln.

    Was mir momentan auch den Kopf zerbricht, ist die Frage wo es mit mir beruflich hingehen soll. Ich bin jetzt 27, habe meiner Meinung nach das falsche studiert und bin auch mit meinem bisherigen Berufsleben (habe 2 Jahre seit dem Studium gearbeitet) äußerst unzufrieden. Momentan habe ich oft das Gefühl, das ich keinen Job finden werde, der mich erfüllt. Das wiederum trägt dann zu einem lethargischen Grundgefühl bei, was mich momentan durch den Tag hinweg ständig begleitet.

    Ich verspüre keinen Saufdruck und es geht mir momentan eigentlich nicht so schlecht. Aber ich habe schon wieder gewisse Sorgen, wie die Sache in 1,2 oder 3 Monaten aussehen wird.

    Werde ich wieder in Depressionen verfallen? Werde ich dadurch wieder rückfällig? Ich hoffe nicht. Ich bin mir diesmal ja mehr denn je dem Ernst der Lage bewusst, habe mir professionelle Hilfe gesucht und setze mich jeden Tag mit mir und meiner Krankheit auseinander. Trotzdem bleibt einfach die Angst, dass das nicht reichen könnte. Momentan ist diese Angst gering, ich hoffe dass das so bleibt.

    Viele Grüße

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Hi Blizzard,

    mach dir keinen Kopf. Bei uns in der SHG wird das als Kopfkino benannt. Du lebst jetzt und nicht in 2 oder 3 Monaten. Das Jetzt zählt. Was morgen ist, damit kannst du dich morgen mit auseinandersetzen.

    Außerdem hast du in einigen Monaten mehr Stabilität als heute und auch mehr Übung im "ich will nicht trinken". Und es ist doch gut, was heute in deinen Möglichkeiten liegst, greifst du ja an. Du tust ja was oder besser, du bewegst dich.

    Mache dir jetzt nicht zuviel Sorgen mit deiner Zukunft (Studium, Beruf...). Wenns geht und machbar ist, konzentriere dich erstmal auf dich, dass du ein bisschen stabiler wirst. In 2 - 3 Monaten wird auch wieder so einiges anders aussehen. Vll. siehst du dann klarer. Zerbreche dir auch darüber nicht den Kopf. Hab ein bisschen Geduld. Es wird klarer werden in deinem Kopf, du musst jetzt erstmal einiges sortieren. Dann werden wieder Wünsche kommen und du wirst besser wissen, was du machen willst. Ich würde jetzt erstmal abwarten, wenns geht.

  • Hallo Elfmerlin und Kurt,

    danke erstmal für eure Antworten.

    Die letzten Tage verliefen ganz gut. Ich bin jetzt noch bis Anfang nächster Woche in dieser Tagesgruppe und habe dann noch ein Gespräch mit einer Psychologin, danach werde ich weitersehen, wegen nachfolgender Maßnahmen.

    Ihr habt schon sehr richtig erkannt, dass in meiner derzeitigen Situation sich viel in meinem Kopf abspielt. Die letzten Wochen waren sehr hilfreich, auch durch die Denkanregungen die wir in dieser psychologisch betreuten Tagesgruppe bekommen haben. Dadurch wurde ich mir auch mal richtig bewusst, was mich immer wieder zum Trinken gebracht hat. Einerseits Langeweile, andererseits auch v.a. Angst vor Entscheidungen, v.a. beruflicher Natur.

    Was momentan dazu kommt, ist auch Druck aus meiner Familie und meiner Schwiegerfamilie. Ich heirate nämlich im Sommer, und weder meine Eltern noch meine Schwiegereltern wollen verständlicherweise dass ich dann arbeitslos bin. Jetzt gibt aber einerseits der Arbeitsmarkt hier im Osten nicht allzuviel her momentan und andererseits bin ich nach meinem letzten Job noch ziemlich angeschlagen, soll heißen mein Selbstvertrauen ist in dieser Hinsicht im Keller. Mein Job war nämlich gar nicht schlecht und die Leute waren mit meiner Arbeitsleistung auch sehr zufrieden. Irgendwann kam dann für mich ziemlich unerwartet der psychische Koller, kurz darauf der Alkohol-Rückfall. Das nagt jetzt noch natürlich an meinem Selbstvertrauen und man hat natürlich die Sorge, dass sich das ja jederzeit wiederholen könnte.

    Naja, mal sehen. Jetzt steht erstmal das Wochenende vor der Tür und das wird dank des tollen Wetters sicherlich auch sehr schön werden! In diesem Sinne wünsche ich allen Usern hier einen schönen und trockenen Wochenabschluss!

    Euer Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • einen Job kannst du nicht erzwingen, Blizzard. Es je nicht leicht, etwas zu bekommen. Lass dich nicht zu sehr von anderen unter Druck setzen. Das einzigste was du tun kannst, ist dich darum zu bemühen.

    Schön das es so gut läuft bei dir.

  • Übrigens, ich hatte auch viele Situationen, wo dann die Pulle hermusste, weil es ja momentan Erleichterung und Abschalten gibt. Aber wenn du schon etwas länger nüchtern bist, wirst du auch mit der Zeit lernen, damit anders umzugehen. Ging mir auf jeden Fall so. Ich muss in stressigen Situation nicht nach der Flasche greifen. Es kommt noch nichtmals der Wunsch danach auf. Man lernt einfach mit der Zeit und es ist vll. auch so ein bisschen Gewöhnungseffekt, nein zu sagen. Nüchtern sieht einfach alles anders aus.

  • Hallo Kurt,

    was du über das Thema Rückfall geschrieben hast, kann ich nur voll bestätigen. Ich hatte früher öfters Trinkpausen, die ich auch bewusst nur als solche gesehen habe, und wo ich eigentlich immer nur den Tag x abgewartet habe, um wieder anfangen zu können. Erst dieses Jahr habe ich mir ernsthaft zum Ziel gesetzt, dauerhaft abstinent zu leben und dieses Leben von Grund auf zu Lernen.

    Mein letzter Rückfall hat sich, wie du gesagt hast, über Wochen aufgebaut. Aus der Phase, das einfache Dinge (wie z.B. eine Party oder ein Frust-Erlebnis) einen plötzlichen Rückfall auslösen können, bin ich raus, bzw. war das bei mir nie so. Momentan versuche ich an den Mechanismen zu arbeiten, die bei mir einen sich anbahnenden Rückfall betreffen. Momentan bin ich weit davon entfernt, rückfällig zu werden, aber ich möchte nicht in einigen Monaten wieder in diese Situation kommen, wie im März.

    Grüße,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • So, da bin ich wieder.

    Das Wochenende war äußerlich sehr schön. Das Wetter war wunderbar und ich habe es ausgenutzt. War am Samstag 3 Stunden trainieren und am Sonntag mit meiner Verlobten an einem frühlingshaften See lange spazieren.

    Mein gefühlsmäßiger Zustand hat sich in den letzten 4 Wochen, in denen ich wieder nüchtern bin nicht besonders verändert. Weder zum Positiven noch zum Negativen. Ich grüble nach wie vor sehr viel und habe Sorgen, was die Zukunft betrifft. Was die Droge Alkohol betrifft und was meine berufliche Zukunft betrifft.

    Heute war ich bei einem Gespräch mit meiner Psychologin bei der Suchtberatung. Wir redeten über den Druck, den ich mir selber. Sie meinte, dass die Dinge, die ich mache zuwenig wertschätze. Sie gab mir ausserdem den Rat mir eine dreimonatige berufliche Auszeit zu nehmen, um neu zu erkundschaften, wie es mit mir beruflich weitergehen soll und gleichzeitig meine Nüchternheit zu stabilisieren. Momentan kann ich nämlich mit meiner angeschlagenen Psyche definitiv nicht arbeiten gehen, bekomme aber aus meinem Umfeld (Eltern, Schwiegereltern) gehörigen Druck. Offen über mein Problem Alkoholismus kann und werde ich mit meiner Schwiegermutter in spe (die Hochzeit ist in wenigen Monaten) nicht reden. Das würde nur zu Spannungen und eventuell Verwerfungen führen.

    Ich würde gerne das ganze Grübeln einfach abschalten und wieder in den Tag hineinleben können wie ein Kind. Dann würde wahrscheinlich alles glatt von der Hand gehen. Schade das man da keinen Schalter umlegen kann.

    Grüße an alle,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Hallo Blizzard,
    deine Psychologin ist eine kluge Frau!
    Ich denke auch, dass du dir selbst zu viel Druck machst.
    In Wahrheit ist das aber nicht DEIN Druck, sondern der, den du von ANDEREN übernimmst.
    Warum tust du dir das an?
    Du kommst mir vor, wie ein Hamster in seinem Laufrad.
    So kommst du nicht weiter.
    Es scheint mir, dass DU im Moment genau weißt, was DU jetzt wirklich brauchst!
    Woher soll deine Familie das wissen, wenn du es ihnen nicht sagst?
    Musst du wirklich bis zur Hochzeit alles auf die Reihe kriegen? Ich denke, heiraten solltest du aus Liebe und sonst nichts.
    Du musst auch nicht der Vorzeigeschwiegersohn sein. (Wenn deine Schwiegermutter ein Problem damit hat, dass du alkoholkrank bist, ist das nicht DEIN Problem!)
    Willst du sie ein Leben lang belügen?
    Nur Mut, Konflikten kannst auch du nicht dauerhaft auf dem Weg gehen.
    Sweety

    Es ist keine Schande krank zu sein.
    Es ist aber eine Schande, nichts dagegen zu tun!

  • Hallo Sweety,

    danke für deine Antwort. Die Sache mit dem Druck hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht und in mancherlei Hinsicht muss ich da tatsächlich mir auch ein neues Denken antrainieren.

    Was die Heirat und meine Schwiegermutter betrifft, ist die Sache nicht so einfach. Eigentlich mag ich meine Schwiegermutter nämlich, wie überhaupt die ganze Familie meiner Verlobten. Meine Verlobte selber ist meine absolute Traumfrau, mit der ich jetzt seit vielen Jahren glücklich zusammenlebe. Der Mensch halt, den man nur einmal im Leben trifft.

    Wenn ich jetzt mit der ganzen Wahrheit rausrücke, dann gibt das nur Stress, so kurz vor der Hochzeit - und das wiederum würde nicht in erster Linie mich, sondern meine Freundin belasten, die Spannungen dieser Art hasst, was ich in diesem Falle sehr gut nachvollziehen kann. Nach der Hochzeit schaut alles anders aus. Dann werde ich auch darüber reden. Aber jetzt gilt es erstmal, unnötige Diskussionen, die für alle Teilnehmer nur belastend und für niemand erleichternd wirken, zu vermeiden.

    Gut, das wir beiden geografisch weit von unseren Familien entfernt wohnen, so hält sich der Stress Gott sei Dank in Grenzen.

    Gruß,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Die letzten Tage waren ganz in Ordnung, jedoch überkommt mich immer wieder so ein Unruhegefühl zwischendurch, verbunden mit Gedanken des Zweifels und der Sorgen.

    Geistig habe ich mir jetzt schon Druck von mir weggenommen und beschlossen, die Sache mit der "Auszeit" jetzt durchzuziehen.

    Den Wunsch zu trinken (in Form von Saufdruck) verspüre ich derzeit nicht, jedoch macht sich immer mal wieder der Wunsch abzuschalten in meinem Denken breit. Früher setzte ich den Alkohol sehr geziehlt ein, um mich in meine eigene Gedankenwelt zurückzuziehen und völlig zu entspannen (deshalb trank ich auch vorüberwiegend zu hause und alleine). Ich empfand das (wie viele andere wohl auch) als meine Belohnung für die vorangegangene Bewältigung des Alltages.

    Dieser bekannte "Belohnungseffekt" ist jetzt natürlich weg und ich frage mich, wie ich mir einen neuen Belohnungseffekt ohne Alkohol an-konditionieren kann. Es gibt zwar Dinge, die ich ganz gerne mache, wie z.B. heiß baden, Internet-surfen oder Nachrichten-lesen, aber das habe ich ja in meiner nassen Zeit auch getan - da aber eben mit Alk. Ein Punkt meiner Arbeit wird also sein: Neue Belohnungsstrategien entwickeln. Vielleicht bekomme ich hier ja ein paar Tipps.

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Zitat von Blizzard


    Dieser bekannte "Belohnungseffekt" ist jetzt natürlich weg und ich frage mich, wie ich mir einen neuen Belohnungseffekt ohne Alkohol an-konditionieren kann.

    Du musst gar nichts. Es entwickelt sich einfach mit der Zeit. Anfangs hatte mir der Alkohol auch gefehlt, so in etwa, jetzt habe ich dies oder das erledigt, möchte mich gemütlich hinsetzen und mir einen Wein genehmigen.

    Das verschwindet einfacht mit der Zeit. Du lernst oder dein Bewusstsein oder dein Gehirn, dass es einfach keine Belohnung in Form von Alkohol gibt und mit der Zeit denkst du auch nicht mehr so viel oder gar nicht daran. Ich habe mir immer ein Glas Apfelschorle in solchen Momenten eingeschüttet. Mittlerweile freue ich mich auf dieses Glas und es gehört jetzt dazu wie früher der Wein.

    Also vieles ist einfach eine Sache der Zeit. Du verlernst mit der Zeit die Mechanismen, die mit Alkohol verbunden sind und verbindest sie mit anderem. Ich würde mir da jetzt nicht so viele Gedanken machen. Es ist doch klar, dass Anfangs der Alkohol einem noch sehr viel im Kopf rumgeistert. Es verschwindet mit der Zeit. Einfach Geduld.

  • Hallo Elfmerlin und alle anderen,

    heute war ich wieder in der Suchtberatung, diesmal auf Vorschlag der Psychologin gemeinsam mit meiner Freundin. Wir haben über die Thematik "Druck" gesprochen und es war sehr hilfreich. Auch meine Freundin fand den Austausch sehr produktiv, und wir haben gleich einen neuen Termin ausgemacht.

    Wichtig ist mir, meine Suchtgeschichte aufzuarbeiten. Eine ambulante Therapie würde sich hierfür anbieten und ich bin auch echt am überlegen, eine solche zu machen. Jedoch schrecke ich davor momentan noch zurück. Werde mich wohl in den nächsten Wochen entscheiden. Bis dahin habe ich die wöchentlichen Termine.

    Im Mai beginnt ausserdem ein Programm zur Rückfallprophylaxe an dem ich gerne teilnehmen werde. Momentan denke ich, dass das tägliche sich mit der Alkoholkrankheit beschäftigen, schon ein gewisses Schutzpotential an und für sich hat. Momentan fühle ich mich nicht gefährdet, einen Rückfall zu erleiden, bleibe aber natürlich wachsam.

    Was mir momentan noch fehlt, ist die Gewissheit, ob sich das Leben an und für sich lohnt. Diese und andere verdrängte Gedanken sind es, die ich in den letzten 12 Jahren mit Alkohol scheinbar ersoffen hatte, und die jetzt wieder an die Oberfläche kommen und beantwortet werden wollen.

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Moin Blizzard,
    "Was mir momentan noch fehlt, ist die Gewissheit, ob sich das Leben an und für sich lohnt. Diese und andere verdrängte Gedanken sind es, die ich in den letzten 12 Jahren mit Alkohol scheinbar ersoffen hatte, und die jetzt wieder an die Oberfläche kommen und beantwortet werden wollen."
    ...genau diese Aufarbeitung musst du unbedingt in einer Therapie machen. Allein kommst du da nicht weiter.
    Ob sich das Leben lohnt?
    Seit ich trocken bin, kann ich diese Frage mit einem lauten JAAAA beantworten. :D
    Gruß Sweety

    Es ist keine Schande krank zu sein.
    Es ist aber eine Schande, nichts dagegen zu tun!

  • Als ich noch gesoffen hatte, hat mir auch der Sinn des Lebens gefehlt. Ich fragte mich oft, wofür Lebe ich noch.

    Aber so mit der Zeit, wenn sich so langsam nach dem Entzug wieder alles normalisiert - körperlich, meine ich, schleicht sich auch so langsam die Freude wieder am Leben ein. Ich genieße es einfach zu Leben, meine Interessen wieder aufnehmen zu können, neue Dinge zu finden, an denen ich Spaß habe und das Leben schlichtweg einfach wieder zu bewältigen. Heute frage ich mich nicht mehr nach dem Sinn des Lebens. Ich lebe einfach und versuche bewusst zu Leben, das Leben und den Moment mitzukriegen und meine viele seelische Arbeit zu erkennen und wahrzunehmen.

    Glaub mir, wenn du nüchtern bist, begegnet dir so viele, an das du während der nassen Zeit im Traum nicht mehr gedacht hast und was vergessen ist.

  • Hallo sweety und elfmerlin,

    im Prinzip weiß ich, dass ihr recht habt. Aber ich habe halt noch eine Menge an geistiger und seelischer Arbeit vor mir. Denn eines ist mir klar geworden in den letzten Wochen: Die Fragen, die mich bedrängen - und auch quälen - waren immer (zumindest die letzten 12 Jahre) schon da und wollten beantwortet (zumindest aber wahrgenommen) werden. Leider habe ich versucht sie im Alkohol zu ertrinken - und jetzt da ich mich trocken gelegt habe, merke ich, dass sie leider auch unter Wasser atmen konnten und mir brennender denn je auf der Seele liegen.

    Aber ich mache Fortschritte - und diese Woche war in dieser Hinsicht wirklich sehr fruchtbar. Ich glaube ich kann wirklich sagen, dass ich diese Woche besser drauf war, als die vorangegangenen. Allerdings halte ich mich seelisch derzeit noch für sehr labil, weshalb ich auch deswegen keine Freudensprünge mache.

    Die Arbeit an mir, das gute Wetter draußen und die Nachricht dass ich mein ALG ohne Abzüge bekomme (und damit wenigstens die finanziellen Sorgen für die nächste Zeit weg sind) haben ihren Beitrag dazu geleistet.

    Trotzdem bleibt da eine unausgesprochene Angst in mir, dass ich doch wieder in ein dunkles Loch fallen könnte (weshalb ich meinen Zustand ja auch als labil bezeichne). Einerseits ist das sehr quälend - andererseits denke ich mir, dass dies auch eine gute Sache sein kann, wenn ich die Angst als einen Freund betrachte, der mir vor Augen führt, wie ernst meine Situation im Allgemeinen ist und mich daher auch vor einem Rückfall behüten kann.

    Liebe Grüße an Euch verbunden mit den besten Wünschen für ein sonniges und nüchternes Wochenende!

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Zum einen denke ich, ist es nicht leicht anzunehmen, wenn andere oder ich schreiben, es wird alles besser, wenn man selbst noch nicht die Erfahrung gemacht hat. Man kann sich das dann nicht so richtig vorstellen. Aber du solltest einfach etwas Vertrauen aufbringen. So ging es mir, als ich in meiner Anfangszeit zur realen SHG ging und die gleichen Sachen hörte. Es waren erstmal nur Worte für mich und da es mir nocht schlecht ging, war es auch nicht so leicht vorstellbar. Aber es hatte sich einfach im Laufe der Zeit gezeigt, die Freunde dort hatten recht. Vertraue einfach ein bisschen.

    Andererseits muss man ja auch bedenken, dass jeder Mensch sein eigenes Päckchen trägt und mit seinen eigenen dunklen Gefühlen klar kommen muss. Aber auch da wird sich, wenn du nüchtern bist, etwas bewegen und verändern. Sie werden natürlich auch nicht von heute auf morgen verschwinden - aber das weißt du ja selber -, aber sie werden sich irgendwie verändern oder besser, du wirst dich verändern und anders mit diesen Gefühlen umgehen. Bei mir sehe ich noch lange nicht, was Lebensgefühl und -qualität anbelangt, den Idealzustand, wobei ich gar nicht weiß, ob dieser erreichbar ist. Aber ich mache und bin auf dem Weg dahin. Vll. hat jeder Mensch ein Thema in sich, was ihn immer wieder rüttelt und an dem er arbeiten muss.

  • Hallo Elfmerlin,

    im Prinzip vertraue ich ja darauf, das es besser wird. Ich bin ein sehr hoffnungsvoller Mensch. Aufgrund von (Selbst-)enttäuschungen in der Vergangenheit scheue ich aber momentan davor zurück, zu schnell wieder euphorisch zu werden.

    "Die Zeit heilt alle Wunden", aber man muss ihr wohl auch die Zeit dafür geben.

    Irgendwie kann man ja auch nicht erwarten, das die eigene Seele, das Unterbewusstsein von heute auf morgen 12 Jahre Sauf-Geschichte vergißt, nur weil es das Bewusstsein so am bequemsten findet. Geduld ist also angebracht - und ich werde versuchen sie aufzubringen.

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Hallo Blizzard,

    ich bin jetzt etwas über 5 Monate trocken und muss sagen, dass ich in dieser kurzen Zeit mit mir selbst, um vieles weitergekommen bin, im Vergleich zu der Zeit, als ich noch getrunken habe. Ich meine damit auch bohrende Fragen, wie "nach dem Sinn des Lebens". Diese Frage habe ich zwar noch nicht abschließend beantwortet (wer hätte das gedacht...), es gibt aber auch viel wichtigere Aspekte, die mir bei dieser Frage helfen. Ganz wichtig ist der Umgang mit mir selbst und da insbesondere mit meinen Gefühlen. Jahrelang habe ich mich selbst falsch wahrgenommen, mich selbst belogen und wusste zum Schluss überhaupt nicht mehr wer ich eigentlich bin. Wie sehr achte ich auf meine Gefühle? Wie nehme ich sie war? Wie gehe ich mit ihnen um? Wie sehr lasse ich sie zu, wie weit kann ich sie beeinflussen? Was verdränge ich und warum? Wo habe ich den Umgang mit ihnen gelernt? Was empfinde ich als normal und warum? Wie sehr vergleiche ich mich selbst mit anderen? Wem will ich gefallen? Wie ist mein Selbstwertgefühl? Was tue ich für mich selbst?

    Ohne Geduld kann ich mir kaum vorstellen, trocken zu werden. Ich meine damit richtig viel Geduld, Geduld für "Jahre" sozusagen. Ich lerne Geduld erst ganz neu kennen. Und das ist für mein Trockenwerden auch zwingend notwendig. Ich bin jetzt 29 und habe vor kurzer Zeit bemerkt und akzeptiert, dass ich Alkoholiker bin. Ich habe schätzungsweise 3.000 einzelne Tage gebraucht, um Alkoholiker zu werden und das zu erkennen bzw. um mich an meinen persönlichen Tiefpunkt zu bringen. Jeden einzelnen Tag davon bin ich aufgestanden und bin mit meinen erlernten Verhaltensweisen und Ansichten, mit meinen Gedanken und Gefühlen und meinen Lebensumständen auf diesen Punkt zugesteuert. Ich will gut zu mir selbst sein und sehe ein, dass selbst ein ganzes trockenes Jahr im Vergleich dazu recht wenig ist. Ich will ja ein "Leben" neu erlernen. Und zwar ein trockenes. Das wird noch dauern bis ich das wirklich alles 'drin' habe, was dazu notwendig ist und nicht mehr in alte Verhaltensmuster falle. Mir hilft dabei dieses Forum und das ich mich ehrlich mit mir selbst beschäftige. Und das ich Geduld mit mir habe.

    Du schreibst, dass du noch eine Menge an geistiger und seelischer Arbeit vor dir hast - ich glaube, dass ist für jeden Alkoholiker, der trocken werden und vor allem bleiben will, richtig. Nur nicht mehr trinken reicht nicht, aber was ist alles zu ändern? Das du dir daher jetzt Zeit für dich selbst nimmst, ist die beste Investition die du machen kannst.

    Diese unausgesprochene Angst die du beschreibst, hört sich für mich nicht wirklich nach einer guten Rückfallprophylaxe an. Es hört sich für mich eher so an, dass dir vieles im Nacken sitzt und (was völlig normal dabei ist!) sich ein Gefühl der Überforderung dabei einstellt. Heirat steht vor der Tür, du hast bemerkt Alkoholiker zu sein, das trockene Leben ist noch nicht verinnerlicht, beruflich steht ein Fragezeichen da, die Eltern und Schwiegereltern machen Druck, psychisch fühlst du dich noch sehr labil, du weist nicht wie du mit diesen ganzen Emotionen umgehen sollst. Das sind alles ziemlich große Brocken, die da in deinem Leben vor dir stehen. Das du daher auch "mal komplett abschalten" willst, hört sich nach einer logischen Folge an. Jedoch ist das kein abschalten, sondern ein flüchten. Abschalten ist für mich ein Schaumbad, ruhige Musik oder komplett Ruhe, ein gutes Essen, mich verwöhnen lassen, etc. Sich dagegen die Rübe vollzusaufen, ist eher ein "Ich will hier weg, ich muss hier raus, ich will nicht mehr, ich schei** auf alles". Nüchtern bekomme ich die Fäden für mein Leben jedoch wieder in die Hand, nicht alle, aber ich kann vieles so einrichten, dass ich gar nicht mehr flüchten will. Dafür brauchts aber viel Geduld.

    Ich wünsche dir viel Kraft und Geduld für deinen Weg.

    Viele Grüße,

    Timster

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!