Zitat von MarlenHallo,
Hallo und guten Morgen Marlen ,
Zitat von MarlenBisher hatte ich keinerlei Probleme. Weder Schlafstörungen, Zittern, Herzrasen noch Saufdruck, Angst oder sonstige körperliche oder psychischen Beschwerden.
Jetzt könnte ich sagen, alles fein, ich hab die ganz harte Zeit völlig problemlos überstanden, mir fehlt nichts und mich hier wieder verabschieden
Gut das du dich noch nicht verabschiedet hast, denn das würde die Gefahr eines baldigen Rückfalles schlagartig erhöhen. Ein kapitaler Fehler, den du gemacht hast, ist zu denken, das du die "harte Zeit völlig problemlos überstanden hast". Das ist ein schwerer Denkfehler. Was du bis jetzt geschafft hast, ist der körperliche Entzug. Dieser dauert je nach Person zwischen 7-10 Tagen und ruft unterschiedlich starke Entzugserscheinungen hervor. Ich hatte übrigens genauso wie du gar keine sichtbaren Entzugserscheinungen. Nur bedeutet das leider nicht viel.
Die richtig "harte Zeit" kommt jetzt auf dich zu. Du musst jetzt in den nächsten Wochen und Monaten lernen, dein Leben neu zu leben. Du wirst zahlreichen Situationen begegnen, wo du früher getrunken hättest, zahlreiche Gefühle durchleben, bei denen du früher zur Flasche gegriffen hättest. Diese Situationen und Gefühle werden dich eine ganze Zeit lang begleiten und dir das Leben nicht unbedingt einfacher machen. Wenn es einfach wäre, bräuchten wir ja keine Foren um darüber zu diskutieren und keine teuren Therapien.
Momentan durchlebst du eine allseits bekannte Phase der Euphorie, weil du den ersten Schritt erfolgreich getätigt hast, und merkst, dass dir das offensichtlich gar nicht so schwer gefallen ist - im Vergleich zu vielen anderen, die auf Entzugsstationen im Krankenhaus nicht selten um ihr körperliches Überleben kämpfen müssen.
Wie gesagt: Der körperliche Entzug ist zeitlich eingegrenzt - die psychische, geistig-seelische Entwöhnung vom Alkohol dauert aber Monate, wenn nicht sogar Jahre. Du musst dich vom Alkohol distanzieren um die Momente der Gefahr für dich wo es nur geht zu reduzieren:
Zitat von MarlenDann lese ich immer, daß man UNBEDINGT sein Leben völlig ändern sollte, sonst wird man nicht dauerhaft trocken.
Ich mag mein Leben aber. Gerade nüchtern betrachtet hab ich ein sehr gutes Leben, das ich mir durch den Alkohol fast selbst zerstört hätte.Mein Umfeld ist alkoholfrei, ich habe keine Saufkumpane, mein Partner weicht kaum noch von meiner Seite, so begeistert ist er von seiner nüchternen Marlen Wir haben das letzte Jahr nicht so viel zusammen gelacht, wie die letzte Woche. Also auch hier alles im grünen Bereich
Das sind gute Voraussetzungen. Natürlich muss nicht jeder zwanghaft sein Umfeld ändern, wenn dieses Umfeld nicht für den eigenen Alkoholkonsum verantwortlich gemacht werden kann. Ich z.B. habe in den letzten Jahren auch hauptsächlich alleine getrunken. Meine Freundin trinkt nicht, meine Freunde kenne ich allesamt vom Sport - die trinken so gut wie gar nicht.
Und trotzdem musst du dich natürlich jetzt bewusst werden, in welchen Situationen du genau getrunken hast. Welche Angewohnheiten steckten dahinter, welche Automatismen? Jeder Mensch hat unterschiedliche Trinkgewohnheiten. Viele z.B. trinken hauptsächlich alleine abends vor dem PC. Das ist (oder war) für sie das "Freizeitprogramm". Wenn der Alkohol dann wegfällt, entsteht erstmal eine gewisse "Leere", schließlich fällt ein langjähriger Lebensbegleiter weg. Diese Leere gilt es nun bestmöglichst, sinnvoll und dauerhaft zu stopfen. Wenn du diese Leere mometan gut überwinden kannst, ist das positiv, aber frage dich immer selbstkritisch: Reicht mir das? Kann ich aus meinen neuen Aktivitäten die ich jetzt nüchtern angehe, eine Gewohnheit machen? Kann ich die Löcher die der Alkohol hinterlassen hat, stopfen? Diese Frage entscheidet maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg, über Abstinenz oder Rückfall. Wenn es dir nämlich nicht gelingen sollte, diese Leere dauerhaft mit neuem Leben zu füllen, wird sich dein alter "Wegbegleiter" wieder zu Wort melden und auf seine Existenzberechtigung pochen.
Zitat von Marlen
Auf der Infoseite habe ich gelesen, daß nach dem Entzug, "wenn der körperliche Druck weg ist...."???? Bedeutet das, daß ich nicht mehr mit Suchtdruck zu rechnen habe ?
Auch der "Saufdruck" äußert sich bei jedem Menschen mit unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit. Ich denke, die Sache ist sehr situationsgebunden. Ich hatte z.B. die ersten 50 Tage überhaupt keinen Saufdruck. Dann war eine Situation nach einem sportlichen Erfolgserlebnis, eine Feier, und - zack - wie aus dem Nichts hatte ich plötzlich tierische Lust auf eine Flasche/einen Kasten Bier. Wenn ich mich zum damaligen Zeitpunkt nicht schon tagtäglich mit der Krankheit beschäftigt und an mir gearbeitet hätte, hätte ich hier wohl einen Rückfall erlitten. Und solche Situationen werden immer wieder kommen. Man muss wachsam sein. Ein ganz wichtiger Punkt der Arbeit an der eigenen Trockenheit ist daher, sich ein eigenes "Alarmsystem" zu entwickeln. Wo begebe ich mich in Gefahr? Wo lauert der Alkohol? Wie kann ich die Risiken minimieren?
Zitat von MarlenIch trauere dem Wein nicht hinterher. Manchmal kommt so ein kleiner Impuls, dann stelle ich mir vor, wie ich mich jeden Abend nach den zwei Flaschen Wein gefühlt habe und auch am nächsten Morgen, ich stell mir den Alkoholgeschmack vor - und dann ist der fiese Gedanke auch schon wieder weg.
Das ist bereits "geistige Arbeit" an deiner Trockenheit was du da machst. Gut so. Das Problem bei der Sache hat man uns ganz anschaulich in meiner Suchtberatungsstelle erklärt. Psychologisch ist es nämlich so, das wir durch den Einzug des Alkohols am Beginn unserer Trinkerkarriere nur Vorteile sahen. Im Laufe der Zeit kamen dann die Nachteile hinzu, wurden mehr und größer, bis der Leidensdruck so groß war, dass wir beschlossen aufzuhören. Wenn wir jetzt am Anfang der Trockenheit stehen, erinnern wir uns v.a. an das was zuletzt war (die miese Stimmung in der wir uns befanden durch das Saufen, das ständige Verkatert sein, die Übelkeit, die peinlichen Momente usw.), was uns hilft, trocken zu bleiben. Wenn man jetzt aber aufhört, sich dessen ständig bewusst zu machen, neutralisieren sich die Gedanken irgendwann wieder...und widerum einige Zeit später "kramt" das Unterbewusstsein dann die schönen Gefühle und Gedanken hervor, die wir am Anfang unserer Trinkerzeit mit dem Alkohol verbanden - denn diese sind natürlich auch noch in uns gespeichert! In jedem von uns! Deshalb ist die geistige Auseinandersetzung mit dem Alkohol für einen trockenen Alkoholiker unentbehrlich. Wer damit aufhört, wird nachlässig - und Nachlässigkeit bereit dem Rückfall den Boden.
Zitat von MarlenWas macht ihr bei akutem Suchtdruck? Ich habe Angst, daß er mich plötzlich und ganz unvermittelt doch noch überfallen könnte..
Unterschiedlich. Du kannst vieles tun. Ein vielgehörter Ratschlag besteht darin, viel Fruchtsaft zu trinken. Auch anstrengender Sport kann kurfristig helfen dich auf andere Gedanken zu bringen. Ich habe auch von Leuten gehört, die ständig eine Art "Kurzzusammenfassung der schrecklichsten nassen Momente" in schriftlicher Form mit sich herumtragen. Eine Art Liste also mit den peinlichsten und unangenehmsten Momenten, verursacht durch den Alkohol, wo es einem richtig dreckig ging. Diese Liste wird dann einfach beim Einsetzend es Saufdruckes 3-5 mal schnell runtergelesen. Das sollte helfen!
Zitat von Marlen
Momentan beschäftige ich mich mit gesunder Ernährung und wenn ich heute "Leerlauf" habe, dann mach ich mein Rad wieder einsatzklar. Ich konzentriere mich jetzt sehr auf meinen Körper und meine Gesundheit - für mich ist das eine tolle Ablenkung und Sport wollte ich schon lange machen, ist aber im Alkoholnebel immer nur so eine Idee gewesen...
Gute Ideen - gute Voraussetzungen. Aber rechne damit, dass sich der Teufel Alkohol wieder melden wird, auch wenn er das momentan nicht tut, und du deswegen auf Wolke 7 schwebst.
Zitat von MarlenAber ansonsten fällt mir wenig ein, das ich ändern könnte, wollte bzw. was mich zum Trinken bringen würde. Das bin nämlich nur ich selbst und nichts aus meinem Umfeld....
Das siehst du glaube ich zu einfach. Du musst dich halt wirklich ehrlich selber fragen, warum du bisher getrunken hast. Welche Gefühle wolltest du damit ausschalten: Angst? Wut? Langeweile? Gefühle der Sinnlosigkeit? Sorgen?
Irgendetwas davon trifft auf jeden Alkoholiker zu. Diese Gefühle haben einen Ursprung - und den gilt es herauszufinden, sich ihm zu stellen und zu fragen, wie ich den Ursprung beseitigen kann.
Abschließend kann ich dir nur raten: Bleib wachsam, was immer du auch tust und wie gut du dich auch fühlst! Beginnende Nachlässigkeit, der Gedanke "ich habe es geschafft, mir kann nichts mehr passieren" ist die Fahrkarte zurück ins alte Leben, der sichere Weg in den Rückfall.
Zitat von MarlenLiebe Grüße
Marlen
Viele Grüße zurück, machs gut!
Herzlichst,
Blizzard