Schönen Abend,
bevor ich weiter denke schreibe ich erst mal, in was für einer Situation ich mich gerade befinde: ich befinde mich mitten in einer Langzeittherapie, die ich für 16 Wochen bewilligt bekommen habe. Davon sind jetzt ca. 12 Wochen um. Ging es am Anfang der Therapie erst mal um die Akzeptanz krank zu sein, die Kontrolle über den Alkohol verloren zu haben und alle körperlichen Symptome und Fähigkeiten, so wird jetzt im aufbauenden Teil der Fokus mehr auf die eigene Person gelegt.
Für meinen Teil kristallisiert sich immer mehr heraus, dass ich nicht gelernt habe Verantwortung zu übernehmen. Um dieses bedrückende Gefühl weg zu bekommen, setzte ich Alkohol ein. Das kann natürlich nur ein kleiner Abriß dessen sein, was sonst noch so schief liegt - auf der anderen Seite aber groß genug sodass ich mich frage: wo fange ich an?
Es geht also bei mir um Verantwortung. Muß ich nicht vorher etwas tun, um wieder meine Frau, meine Familie wertzuschätzen? Denn wie sonst könnte ich den freien Willen aufbringen, mich darum zu kümmern. Muß ich nicht erst mal wieder lernen Achtung, Aufmerksamkeit, Empfinden und Stolz zu geben und zu spüren? Und zwar für mich und für andere? Kann ich das schlechte Weltbild was ich habe, einfach als nicht änderbar akzeptieren ohne gleich saufen zu müssen?
Alles Problemfelder, die sich aus dem einzigen Wort "Verantwortung" herauslesen lassen. Alle zielen darauf ab, dass ich was tun soll - das es an mir ist, etwas zu ändern. Und - wer genau gelesen hat, entdeckt nicht eine Formel, wie man Abstinent bleibt. Sondern nur Dinge, die helfen können, mit einer gewissen Zufriedenheit Abstinent zu bleiben.
Hier in Therapie trifft man Menschen, die es ohne Hilfe mehrere Jahre geschafft haben, sowohl Entgiftung als auch Abstinenz durchzustehen. Der Rückfall kam einfach deshalb, weil sie sich als Mensch nicht im gleichen Maße entwickelt haben. Weil der Ansatz statisch war - ähnlich wie mit dem rauchen aufzuhören. Andere, die schon mehrere Therapien durchlaufen haben sagen meist, dass diese anfängliche Achtsamkeit immer mal wieder durch Müdigkeit unterbrochen wurde.
So, jetzt komme ich zu meinem eigentlichen Thema zurück. Wie soll ich es denn verarbeiten dass es ok ist, wenn meine Frau mit mir und in Gesellschaft Alkohol trinkt - aber zu hause nicht? Wenn sie Kuchen backen darf - aber bitte nicht mit Alkohol, denn bei uns soll ja nichts davon rumstehen. Soll ich ihr sagen sie möge in die nächste Kneipe gehen, wenn das Bedürfnis da ist? Ja das kann ich machen, aber ich brauche dann nicht mehr in den Spiegel zu schauen. Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Mut zur Veränderung funktioniert nur dann, wenn ich bei mir selber anfange - ohne wenn und aber.
Was nützt mir denn meine Abstinenz, wenn ich bleibe wie ich war? Ich habe noch ganze vier Wochen, um mir Impulse zu holen – ein ganzes Leben um diese Umzusetzen. Mit Fehler, mit Erkenntnissen, aber was ich wichtig finde: mit dem, was mich ausmacht.
Gruß Manfred