Guten Abend,
eure Worte haben mich zum Denken angeregt, ich danke euch dafür, allerdings hat sich die Situation bez. meines Freundes sehr plötzlich sehr verändert. Doch da das in meinen Gedanken und Gefühlen momentan nicht im Vordergrund steht (habe es bewusst etwas zur Seite geschoben, so gut es eben geht), werde ich darüber erst mal nicht schreiben.
Heute morgen war ich bei der Caritas, und in der Wartezeit las ich in einigen Broschüren. Beim Thema "Phasen der Alkoholabhängigkeit" las ich einen Satz, der mich sehr beschäftigt: Der Kranke zeigt sich mit zunehmenden inneren Qualen als Kompensation nach außen selbstsicher und optimistisch, ja sogar oft fröhlich, vermittelt den Eindruck eines optimistischen Menschen, der sein Leben unter Kontrolle hat (so sinngemäß). Hätte dahinter gestanden "Trifft das auf Sie zu?", ich hätte zähneknirschend "ja" angekreuzt.
Der Gedanke wirbelte den ganzen Nachmittag im Hirn herum und machte mich ganz schwindelig. Ich glaubte ein ehrlicher Mensch zu sein, aber ich habe jahrelang alle belogen, auch mich selbst. Das erschreckt mich sehr.
Heute abend war ich zum ersten Mal in einer Selbsthilfegruppe.
Das Thema war Umgang mit der Vergangenheit (so langsam glaube ich nicht mehr an Zufälle!). Als ich dazu gefragt wurde, sagte ich erst mal MMH..., dann fiel mir spontan eine Metapher ein: die Vergangenheit als prächtiges Schloss, außen voller Gold und Silber, innen kalt, leer und schmutzig. Ich bin vor ein paar Tagen in Panik hinausgerannt, habe aus dem Fundament Steine herausgeschlagen und sehe nun beim Einsturz zu. Stehe nackt und staunend daneben, immer in der Angst, dass mich Steine treffen und erschlagen könnten. Und weiß nicht wohin.
Weiß nur, dass ich ein neues Haus bauen muss, klein, bescheiden und gemütlich, in dem ich wohnen kann, und die Steine dafür mühsam zusammentragen. Habe aber nicht die leiseste Ahnung, wo ich die Steine hierfür finde. Die Trockenbausteine mögen das Fundament sein, aber es braucht noch mehr.
Ich werde fast alles aufgeben müssen, mein Denken und Handeln in den vergangenen Jahren. Fühle mich unsicher und orientierungslos.
Und ich werde lernen müssen, Hilfe anzunehmen.
Es tut so gut, das niederzuschreiben. Und dass ihr zuhört.
Liebe Grüße
Antonia
(deren Hände nicht mehr zittern, aber der Kopf fängt an)