Die ersten Tage, Wochen, Monate

  • Guten Abend,

    wo ich anfangen soll, weiß ich gar nicht genau. In meinem Kopf drehen sich so viele Gedanken, Eindrücke, Informationen...ganz zu schweigen vom emotionalen Chaos.
    Ich war bis heute morgen 10 Tage lang in der Entgiftung und nun wieder zu Hause, und es kommt mir vor, als sei ich ewig lange auf einem anderen Planeten gewesen. Ein solches Nebeneinander von Glück und Leid, von Mut und Angst, von Kraft und Erschöpfung habe ich seit vielen Jahren nicht mehr erlebt.
    Ja, ich bin froh, wieder intensive Gefühle (vor allem die positiven) zu haben, ganz ohne Alkohol. Nun steht mir ziemliche Aufräumerei bevor, und vielleicht brauche ich hier gelegentlich eure Hilfe, gerne auch mal einen Tritt in den A****.
    Dies war mein erster und hoffentlich letzter Entzug nach etwa 20 Jahren Alkoholmissbrauch (in den letzten 10-15 Jahren täglich) und somit befinde ich mich in einer völlig neuen und unbekannten Situation, allein dass mein Hirn wieder halbwegs normal arbeitet, ist ein längst vergessenes Gefühl...

    Habe einiges über die Krankeit gelesen und gehört, doch fällt es mir wahrscheinlich in der nächsten Zeit erst mal schwer, den Bogen von der Theorie zur Praxis zu schlagen, da ich eben keinerlei Übung damit habe.
    So insgesamt freue ich mich wie ein Schneekönig über meine Entscheidung, ENDLICH den ersten Schritt getan zu haben und auf die Zeit, die vor mir liegt!
    Um SHG und ambulante Thrapie kümmere ich mich nächste Woche.

    Was ist am wichtigsten in den ersten Tagen und Wochen, worauf soll ich besonders achten?

    Ich bin sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben, und hoffe dass ich die Hilfe, die ich hier erhalte und schon erhalten habe, irgendwann weitergeben kann.

    Liebe Grüße
    Antonia

    Grüße von Antonia

  • Hallo Antonia,

    erstmal herzlich willkommen hier!

    Gratuliere, dass Du auch den Absprung geschafft hast.

    Du fragst, was Du in der nächsten Zeit für Deine weitere Abstinenz tun kannst.

    Da finde ich den Austausch mit anderen Betroffenen sehr wichtig und den kannst Du hier im Forum sicher finden.
    Hier kannst Du lesen, was gerade die schon länger Trockenen getan haben, um zu einem zufriedenen Leben zu finden.
    Du kannst Fragen stellen und viele werden Dir ihre Erfahrungen mit auf den Weg geben.

    Ich möchte Dir fürs erste den Hinweis auf unsere so genannten Trockenbausteine geben.

    https://beispiel.rocks/beispiel.rocks…echternheit.php

    Deren Umsetzung ist der erste wichtige Schritt in eine trockenen Zukunft.

    Alles Gute für Dich!

    Gruß
    Alpenrose

  • Hallo Antonia

    Herzlich Willkommen zurück!

    Heute ist Freitag und du kannst dich heute noch um deine SHG oder Therapie kümmern, warum auf nächste Woche schieben, es sind doch nur Anrufe!

    Erzähl doch mal wie es war!

    lg Pia

  • Guten Morgen Antonia!

    Herzlich willkommen hier im Forum!
    Ich glaube,Deine Erwartungen an das Forum sind realistisch:

    -Wie es weiter gehen soll hat Alpenrose Dir eben erklärt (Grundbausteine)Dazu möchte ich noch anfügen,dass es sehr wichtig ist,dass Du Dich mitteilst.Also schreib,schreib,schreib!
    Das ist für Dich enorm wichtig,denn es hilft Dir Deine Gedanken und Gefühle zu sortieren.

    -Tritte in den A..... kannst Du haben,à discrétion wenn nötig!!:wink:

    -Sei Dir bewusst dass mit Deiner kurzen Zeit von Nüchternheit jahrzehnte langem Alkohol-Missbrauch gegenüber stehst.
    Was heisst,dass recht viel Arbeit Und Geduld gefragt sind.

    Ich freue mich auf Dich!

    Herzliche Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Guten Morgen ihr Nachteulen und Frühaufsteher,

    danke für die nette Begrüßung!
    Heute morgen bin ich zum ersten Mal seit 12 Tagen ausgeschlafen und alles sieht schon etwas weniger durcheinander aus.
    Frühstück und Tee statt Rotwein auf nüchternen Magen...arg ungewohnt!

    Hab mir für heute vorgenommen, eine Liste zu schreiben, was alles nicht in Vergessenheit geraten soll, nein DARF: all die üblen Auswirkungen des Alkohols, welche vom Hirn über kurz oder lang vielleicht vergessen oder verdrängt werden könnten.
    Die morgendlichen Angstzustände, das Zittern, die verschwitzten Bettlaken, all das.

    Yvonne, tja Geduld war noch nie meine Stärke, dazu muss ich mich regelrecht zwingen.
    Pia, hab`mir vorgestern schon eine offene Sprechstunde bei der Caritas und eine Frauen-SHG ausgeguckt, beides Montag. Und Mittwoch+Freitag AA anschauen.
    Es soll jetzt so bald wie möglich weiter gehen.
    Alpenrose, die Trockenbausteine habe ich als Theorie im Kopf, nun geht`s um die Umsetzung, und hier tauchen doch immer mal Fragen auf oder es klappt nicht so einfach. Ich frag euch dann einfach ganz ungeniert okay?

    Und ich glaube nun zu wissen, was mich in den 10 Tagen in der Klinik so erschüttert hat: habe über 30 Menschen mehr oder weniger gut kennengelernt inklusive ihrer Geschichte. Keiner von ihnen war wie ich zum ersten Mal da, einer zum 80sten Mal (!!!), und nur bei 2-3 Leuten hatte ich das Gefühl, dass sie es schaffen wollen/können.
    Viele waren durch die Rückfälle schon völlig resigniert und hatten ihre Kraft und ihren Mut verloren. Andere hatten Angst wie ein Kaninchen in der Falle.
    Das ging mir z.T. sehr nah, und obwohl ich mich bemühte, meine eigene "Genesung" sowohl gedanklich als auch emotional in den Vordergrund zu stellen, so gelang es mir nicht in Gegenwart von soviel Leid. Habe mich oft dabei ertappt, dass ich mehr Anteil am Schiksal der anderen nahm als über mein eigenes nachzudenken.
    Das macht mir etwas Sorgen: einerseits weiß ich, dass dieses Mitgefühl (Mit-Leid) meine Nüchternheit gefährden kann, andererseits kann ich dies nicht gewaltsam abstellen, dann wäre ich nicht mehr ich selbst.
    Wie komme ich zum "gesunden Egoismus", ohne mich zu verbiegen oder wie ein kaltherziges Monster zu fühlen? Wo sind meine persönlichen Grenzen, wie erkenne ich sie und wie schaffe ich es sie zu ziehen?

    Liebe Grüße
    Antonia

    Grüße von Antonia

  • Liebe Antonia!

    Die Rückfälligen,die Du erwähnst zeigen uns,wie fest wir an uns arbeiten müssen um zu bestehen. Deshalb ist es auch ein Wachsam-Sein im ganzen restlichen Leben!

    Auf Deine Fragen fällt mir spontan ein: Zuallererst gilt es,Dich selber zu akzeptieren wie Du bist,Dich zu mögen,Dich zu lieben.
    Also damit hatte ich schon eine ganze Weile zu tun,und arbeite immer noch dran.
    Es gilt auch Grenzen zu setzen.Wenn Du merkst,dass Dir etwas nicht gut tut,lass es! Und das ganz bewusst.Es ist zuallererst wichtig,dass es DIR gut geht.Alles andere gefährdet Deine Trockenheit!

    Darum ist es auch wichtig,dass Du schreibst.Manchmal entdecke ich solche Stolpersteine erst nach dem ich sie aufgeschrieben habe.

    Ich wünsche Dir einen ganz guten Nachmittag!

    Liebe Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Hallo Antonia,
    auch von mir ein herzliches Willkommen.

    Du schreibst das dich die vielen Menschen in der Entgiftung sehr berühren.
    Das ist schön das du dich um andere sorgst. Aber das ist völlig fehl am Platz. Jeder hat die Möglichkeit sein Leben zu ändern.
    Bleib bei dir. Du bist jetzt wichtig. Was andere mit ihrem Leben tun darf dich nicht berühren. Du möchtest keine weitere Entgiftung mehr machen. Die anderen hatten das wohl weniger im Kopf. Arbeite an dir und für dich. Zu viel Sorge um andere, ganz besonders wenn es Alkis sind, tut dir nicht gut. Soll keine Maßregelung sein. Nur ein Tipp damit du die Kraft die du jetzt benötigst ausschließlich für dich verwendest.
    Ich drück dir ganz fest die Daumen.
    Ganz liebe Grüße
    Cora

    Es war ein Donnerstag und ich habe entschieden: Mein Leben muss sich ändern!

  • Hallo Yvonne und Cora,
    ich danke für die aufmunternden Worte.

    Habe heute mal gründlich über mein Verhalten nachgedacht, bin zwar noch zu keinem Schluss gekommen, doch ist mir glasklar geworden, dass ein recht schwieriges Problem vor mir liegt bzw. ich stecke schon lange drin (und ich Dussel hab`s kaum bemerkt)...Vielleicht hat jemand von euch einen Rat hierzu? Ich schildere es mal kurz:

    Mein seit ca. 15 Jahren bester Freund hat sehr viele Probleme im Leben, er hatte eine widerliche Kindheit, ist mit Ängsten, Schüchternheit, Menschenscheu, Pessimismus und Depressionen behaftet. Ich bin seine engste Vertraute und so ziemlich das Gegenteil von ihm. Ich habe ihm schon oft mit Worten und Taten geholfen, oder ihm den nötigen A****tritt verpasst, damit er selbst eines seiner Probleme bewältigt.
    Nun ist er -als hätte er nicht genug Probleme- in den letzten Jahren alkoholkrank geworden, was alles noch verschlimmert. Er weiß es, er würde auch gerne etwas tun, doch fürchtet er sich vor dem riesigen "Müllberg", den es wegzuschaffen gilt, wenn er wirklich ein glücklicheres Leben führen möchte. Was ich schon irgendwie verstehen kann. Immerhin ist ihm klar geworden, dass er sein Alkoholproblem zuerst lösen muss und der Wille dazu ist offenbar nun endlich sehr stark am Reifen. Sein Leidensdruck ist immens!

    Da ich ihn sehr mag, es mich aber andererseits auch Kraft kostet, ihm beizustehen/Mut zu machen, bin ich im Konflikt:

    --Wenn ich weiterhin für ihn da bin, vergebe ich einen Teil der Energie, die ich z.Z. wohl eher für mich bräuchte.

    -Wenn ich ihm aber nicht helfe in dem Wissen, dass meine Unterstützung gerade jetzt an diesem seinem Wendepunkt sehr fruchtbar sein kann, fühle ich mich überhaupt nicht gut dabei, und auch das kostet sicher Unmengen Kraft...

    Versteht ihr in etwa, was ich meine? Ach, ich weiß nicht, was ich machen soll, wie es richtig und wie es falsch ist.
    Über meinen Schatten springen kann ich ja auch nicht.

    Liebe Grüße
    Antonia (die machmal vielleicht zu viel grübelt...)

    Grüße von Antonia

  • Liebe Antonia!

    Wir alkoholkranke müssen uns zuerst um uns kümmern.
    Wenn ich meine Kräfte zu sehr in Hilfe an andere investiere kann es sehr schnell sein,dass sie für mich nicht mehr reichen.
    Und das ist dann wohl das Verkehrteste was passieren kann!

    Abgrenzen heisst ein Zauberwort das ich mir fast täglich vornehmen muss.

    Das könnte für Dich heissen,dass Du ihn wohl nicht fallen lässt,aber doch zuerst für Dich da bist! und aus dieser Sicht die Prioritäten setzt.

    Könnte es sein,dass Du Co-Anteile hast oder entwickelst?

    Du hast ein grosses Ziel vor Dir: Dein trockener Weg durchs Leben.

    Liebe Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Liebe Antonia,

    ich habe ja ein ähnliches Problem mit meiner Schwester, sie ist sehr krank und trinkt auch, war vor 1,5 Jahren in Therapie, hat aber den Absprung nicht geschafft auch sonst ist ihr Leben ganz furchtbar, finde ich.
    Aber ich kann es nicht ändern, sie muß was ändern, mir kann ja auch keiner helfen, wenn ich mich nicht um mich kümmere und mein Leben in die Hand nehme, jeder kann sich Hilfe holen bei geeigneten Stellen (Therapie , Beratung), sie macht es leider nicht und wird an ihrer Krankheit sterben, fürchte ich , aber ich habe da innerlich Abstand gewonnen, ich kann es einfach nicht ändern. Das ist nicht hartherzig, es ist einfach so, es nützt niemandem, wenn ich mich runterziehen lasse und mich aus sympathie mit totsaufe, das mache ich mir immer klar, wenn mir die Abgrenzung schwerfällt .

    Liebe Grüße

    Elli

    Elli

  • Hallo Antonia,

    als ich Dir gerade antworten wollte, habe ich gesehen, dass Spanijoggel und misselli dies schon getan haben.

    Ich kann mich den beiden nur anschließen, trotzdem nochmal kurz in meinen Worten: Also Abgrenzung ist oberstes Gebot, es geht nicht, dass Du Dich da mit 'reinziehen lässt. Du hast ja genug Arbeit mit Dir, die eigene Trockenheitsarbeit ist wichtiger und muss für Dich oberste Priorität haben. Und eine vermeintliche Hilfe von Dir kann Dich erstens
    selbst in Gefahr bringen und Deinem besten Freund auch nicht wirklich nutzen.

    Du musst ihn ja nicht wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, sondern ihm die Zusammenhänge so erklären, wie es aus diesen Antworten heraus hervor geht. Ich glaube, so hättest Du ihm den Tipp gegeben, dass Du für sein Alkoholproblem nicht zuständig bist und er dies selbst in die Hand nehmen muss.

    In diesem Sinne Dir weiter einen guten Weg.

    zerfreila

  • Guten Morgen


    Zitat von Spanijoggel


    Könnte es sein,dass Du Co-Anteile hast oder entwickelst?

    Ja! Wenn ich hier so im Co-Bereich lese, erkenne ich mich auf beängstigende Weise in vielem wieder. Gut, dass mal jemand das Kind beim Namen nennt, danke Yvonne.
    Na, dann habe ich eben noch eine Baustelle, die ich aber gerade jetzt nicht auf später verschieben darf.

    Mir war das mit der Co-Abhängigkeit bislang gar nicht so bewusst.

    Nun, ihr sagt "nicht fallen lassen wie eine heisse Kartoffel". So grob könnte ich gar nicht sein.

    Ihr habt sicher Recht, wenn ihr von Abgrenzung sprecht, eben das muss ich erst lernen: kein schlechtes Gefühl/Gewissen zu haben, wenn ich meine Hilfe auf das Nötigste beschränke, ohne mich dabei mies zu fühlen.

    Es ist wohl eine Gratwanderung mit der Hilfsbereitschaft.
    Zum Glück wird mein Hirn täglich klarer!

    Liebe Grüße
    Antonia

    Grüße von Antonia

  • Hllo Antonia

    auch von mir Herzlich Willkommen!

    Ich verstehe dich ganz gut, weil ich auch so ein Mensch bin, der sich um andere kümmert und versucht für andere da zu sein.
    Und gerade da habe ich mich verloren.
    Ich war für andere da und selbst bin ich auf der Strecke geblieben.
    Es ist nicht einfach egoistisch zu sein.
    Aber das müssen wir lernen.
    Motto des Tages: Ich bin wichtig! sollte unser Leben bestimmen.

    Als ich im November 08 zur Entgiftung im KH war, versuchte ich jeden Tag 1000 mal mir zu sagen:
    Du bist wichtig!
    Kümmere dich um sich selbst!
    Alles andere ist erstmal egal!

    Immer wieder habe ich es wiederholt und das tue ich seit dem jeden Tag, nicht so intensiv und auch nicht so oft aber ich tue es.

    Weil nur wir selbst sind für unseres Leben verantwortlich und wir selbst bestimmen, wie es weiter gehen soll. Und dafür brauchen wir genügend Zeit, Kraft und Egoismus.

    Kümmere dich im sich selbst.
    Deinem Freund kannst du es sagen, was du gerade durchmachst und dass er dich runterziehen würde. Wenn er ein echter Freund ist, wird er das verstehen.
    Wenn er das nicht akzeptiert, dann ist er kein Freund sondern nur jemand, der dich ausnutzt.

    Liebe Grüße
    live2008

  • Zitat von live2008


    Deinem Freund kannst du es sagen, was du gerade durchmachst und dass er dich runterziehen würde. Wenn er ein echter Freund ist, wird er das verstehen.
    Wenn er das nicht akzeptiert, dann ist er kein Freund sondern nur jemand, der dich ausnutzt.

    Grüß dich, Antonia, auch von mir ein "Herzlich Willkommen"!

    Ich finde die letzten Sätze von live total wichtig: sprechen, sprechen, sprechen!
    Auch ich habe die Erfahrung machen müssen, dass ich besser fahre, wenn ich mir bewusst bin, was mir gut tut und was ich will, was mir bei meinem Weg in die zufriedene Abstinenz hilft, und was mich eher behindert. Natürlich ist das erst einmal schwer und ungewohnt, diese gedankliche Verbindung herzustellen zwischen dem anderen helfen und im selben Augenblick nichts für sich zu tun, weil man ja mit dem anderen beschäftigt ist. Ist aber so. Du brauchst jeden noch so kleinen Zipfel Energie für dich selber, alles andere lenkt deinen Blick doch nur von dir selber ab, oder?
    Und mal ehrlich: Welcher Nichtschwimmer möchte schon einem anderen das Schwimmen beibringen? Eben.

    Alles Gute dir!
    espoir

  • Guten Abend,

    eure Worte haben mich zum Denken angeregt, ich danke euch dafür, allerdings hat sich die Situation bez. meines Freundes sehr plötzlich sehr verändert. Doch da das in meinen Gedanken und Gefühlen momentan nicht im Vordergrund steht (habe es bewusst etwas zur Seite geschoben, so gut es eben geht), werde ich darüber erst mal nicht schreiben.

    Heute morgen war ich bei der Caritas, und in der Wartezeit las ich in einigen Broschüren. Beim Thema "Phasen der Alkoholabhängigkeit" las ich einen Satz, der mich sehr beschäftigt: Der Kranke zeigt sich mit zunehmenden inneren Qualen als Kompensation nach außen selbstsicher und optimistisch, ja sogar oft fröhlich, vermittelt den Eindruck eines optimistischen Menschen, der sein Leben unter Kontrolle hat (so sinngemäß). Hätte dahinter gestanden "Trifft das auf Sie zu?", ich hätte zähneknirschend "ja" angekreuzt.

    Der Gedanke wirbelte den ganzen Nachmittag im Hirn herum und machte mich ganz schwindelig. Ich glaubte ein ehrlicher Mensch zu sein, aber ich habe jahrelang alle belogen, auch mich selbst. Das erschreckt mich sehr.

    Heute abend war ich zum ersten Mal in einer Selbsthilfegruppe.
    Das Thema war Umgang mit der Vergangenheit (so langsam glaube ich nicht mehr an Zufälle!). Als ich dazu gefragt wurde, sagte ich erst mal MMH..., dann fiel mir spontan eine Metapher ein: die Vergangenheit als prächtiges Schloss, außen voller Gold und Silber, innen kalt, leer und schmutzig. Ich bin vor ein paar Tagen in Panik hinausgerannt, habe aus dem Fundament Steine herausgeschlagen und sehe nun beim Einsturz zu. Stehe nackt und staunend daneben, immer in der Angst, dass mich Steine treffen und erschlagen könnten. Und weiß nicht wohin.
    Weiß nur, dass ich ein neues Haus bauen muss, klein, bescheiden und gemütlich, in dem ich wohnen kann, und die Steine dafür mühsam zusammentragen. Habe aber nicht die leiseste Ahnung, wo ich die Steine hierfür finde. Die Trockenbausteine mögen das Fundament sein, aber es braucht noch mehr.

    Ich werde fast alles aufgeben müssen, mein Denken und Handeln in den vergangenen Jahren. Fühle mich unsicher und orientierungslos.
    Und ich werde lernen müssen, Hilfe anzunehmen.

    Es tut so gut, das niederzuschreiben. Und dass ihr zuhört.

    Liebe Grüße
    Antonia
    (deren Hände nicht mehr zittern, aber der Kopf fängt an)

    Grüße von Antonia

  • Liebe Antonia!

    Wenn Du Stein um Stein zusammentragen musst,nimm Dir Zeit dazu.
    Es soll ja etwas solides werden.

    Du bist nackt? Dann ziehe Dir was Warmes an.Nimm Deinen Vorsatz,trocken zu werden und zu bleiben. Er wird Dich vor den Einflüssen der unmittelbaren Umwelt schützen.

    So kannst Du getrost in aller Ruhe Stein für Stein suchen,finden,einsetzen.

    Wahrscheinlich können wir Dir auch hie und da zeigen wo so ein Stein liegt,dann kommst Du besser voran.

    Also: Zieh Dich warm an und fang an.

    Liebe Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Liebe Antonia,

    ich war ja noch nicht in der Gruppe, aber ich ahne auch, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit ein großes Problem für mich wird, ich will da gar nicht ran, aber ich lasse mir Zeit, die Sucht hat so lange mein Leben beherrscht, jetzt muß ich Geduld haben um mein neues Leben nicht zu gefährden.
    Es hilft schon zu wissen, dass es Dir ähnlich geht.

    Liebe Grüße

    Elli

  • Hallo ihr Lieben,

    Yvonne, der Gedanke mit dem trockenen, warmen Mantel gefällt mir!

    Elli, ja die Vergangenheit, von der wir uns beide ja erst ganz frisch offiziell verabschiedet haben...
    Hierzu hatte ich gestern ein Aha-Erlebnis: ich fuhr mit dem Auto aus einer Parklücke auf einem Supermarkt-Parkplatz rückwärts raus. Es war dämmrig und sehr neblig, ein grauhaariger, grau gekleideter Mann (also perfekt getarnt!) stand plötzlich vor meiner Heckscheibe. Ich konnte zum Glück noch bremsen, nichts passierte.
    Doch nach dem ersten Schreck dachte ich: nun bin ich vielleicht 10 Jahre lang nie nüchtern gefahren und außer Blechschäden ist nichts passiert, und nun bin ich 16 Tage nüchtern und fahre beinahe einen Menschen um.

    Doch mir wurde auch klar: früher hätte ich dies auf meinen Alkoholpegel geschoben und ein endlos schlechtes Gewissen gehabt -->heimfahren, Wein trinken. Diesmal hatte ich kein schlechtes Gewissen (bin langsam gefahren und habe geschaut), im Gegenteil, ich war glücklich, dass nichts Schlimmes passiert ist.
    Wieder ein Stein für das neue Haus!

    Die tägliche Konfrontation mit der Vergangenheit empfinde ich auch als Belastung, doch hier bediene ich mich ganz unverschämt bei den funktionierenden Verdrängungsmechanismen und nehme mir immer nur ein bissel vor. Ob das richtig ist, weiß ich nicht.
    Ich könnte es mir nicht anders erträglich vorstellen.

    Herzliche Grüße
    Antonia

    Grüße von Antonia

  • Liebe Antonia!

    Ja,Du hast recht,Schritt für Schritt,mehr nicht!
    Gib Dir die Zeit die Du brauchst.
    Wir haben so lange Unfug getrieben mit uns selber durch die Trinkerei,jetzt dürfen wir auch Geduld haben um ein solides nüchternes Leben auf zu bauen.

    Ich wünsche Dir einen ganz guten Tag

    Herzliche Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Ihr Lieben,

    nach langer Zeit möchte ich euch mal wieder "hallo" sagen.
    Es ist nicht mehr 5 vor 12, eine andere Zeitrechnung gilt nun: ich bin seit 5 einhalb Monaten trocken.

    Ich besuche eine SHG (bisschen unregelmäßig zwar...) und habe vor einem Monat eine ambulante Therapie begonnen.

    Der Freund, der mir in der ersten Zeit so schrecklich Sorgen bereitete, hat noch im Januar auch aufgehört zu trinken...ich habe ihn mit meinem Entschluss offenbar angespornt und Mut gemacht. Auch er ist bis heute trocken.

    Ich bin sehr überrascht worden, wie schnell ich mich verändere in der Trockenheit, und damit mein ganzes Leben.
    Ich lerne, mit Gefühlen umzugehen, sie anzunehmen. Hochs und Tiefs zu erleben, einen klaren Blick für die Zukunft zu bekommen.
    Ich lerne, nach Hilfe zu suchen, wenn ich nicht weiter weiß.

    Auch mein gesundheitlicher Zustand hat sich sehr gebessert.
    Obwohl der Arzt eine beginnende Leberzirrhose diagnostizierte, sind die Werte inzwischen wieder im normalen Bereich.

    Es gab in der Zeit eine Gelegenheit, die mich nahe an einen Rückfall brachte. Hier war die alkoholfreie Wohnung hilfreich und dass ich Hilfe suchte und fand.

    Wenn ich auch weiß, dass der Weg noch lang ist und nicht immer flauschig, so bin ich nicht mehr bange. Zuversicht ist mein Begleiter geworden.

    Ich möchte mich hiermit bei euch allen herzlich bedanken, die mir in den ersten schweren Tagen so hilfreich zur Seite standen...
    und ich wünsche euch weiterhin eine zufriedene Trockenheit und schöne Tage und Stunden!

    Ganz liebe Grüße
    Antonia

    Grüße von Antonia

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!