Beiträge von tirob92

    Noch ein paar Stunden und dann lebe ich offiziell einen ganzen Monat alkoholfrei. Ich bin ganz schön stolz auf mich. 😊 Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr war ich nicht mehr so lange nüchtern. Für mich ist es jetzt an der Zeit, ein wenig auf die letzten Tage zurückzublicken:

    Es war im vergangenen Monat definitiv nicht immer einfach. Es hat zuweilen auch richtig viel Kraft gekostet. Da will ich auch nichts beschönigen. Es wird auch künftig nicht immer einfach sein, abstinent zu leben. Ich fühle mich aber mittlerweile viel besser gewappnet, schlechte Phasen zu überstehen. Insbesondere musste ich im letzten Monat ein paar heftigen Cravings standhalten. Und dennoch muss ich sagen, wenn ich mich zurückerinnere, wie ich mich vor einem Monat und jetzt fühle, dann passen da Welten dazwischen.

    Ich bin zwar immer noch ich und habe auch manchmal noch depressive Phasen. Aber sie sind in ihrem Auftreten seltener, kürzer und weitaus nicht mehr so intensiv. Ich kann ihnen mittlerweile mit Akzeptanz und Achtsamkeit ziemlich gut entgegentreten. Im Großen und Ganzen aber fühle ich mich richtig gut. Eine der schönsten Veränderungen ist, dass ich wieder an «einfachen» Dingen wahrhaftige Freude empfinden kann, die ich in meiner Alkoholzeit als vollkommen wertlos und langweilig betrachtet habe. Mein ständiges depressives Hintergrundrauschen und meine Angstzustände sind zudem komplett verschwunden. Was für eine Erleichterung! Mein Selbstwertgefühl und allgemein meine Psyche haben sich auf einem «normalen» Niveau stabilisiert. Meine Beziehung läuft momentan sehr gut und wir beginnen sogar bereits zusammen über Zukunftspläne zu diskutieren. Das ist für mich derart wertvoll und überraschend, da ich für mich früher eigentlich keine Zukunft sah und dementsprechend unfähig war, eine aufzubauen.

    Dennoch bin ich immer noch wachsam mit meiner Abstinenz. Ich befasse mich noch täglich intensiv mit meiner Sucht. Ich vertraue meinem Suchtgedächtnis nicht über den Weg und werde das wohl auch nie. Insbesondere bei Cravings merke ich, wie zerbrechlich das ganze noch ist. Aber mit jedem Suchtdruck, den ich erfolgreich überwunden habe, werde ich auch selbstsicherer, zuversichtlicher und auch erfahrener, um künftige Attacken zu meistern. Insgesamt wird es Tag für Tag immer wieder ein Stückchen einfacher, ohne Alkohol zu leben. Ich merke, wie ein nüchternes Leben zunehmend zur Gewohnheit wird.

    Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen, dass ich nicht mehr hergeben will.

    Liebe Grüsse

    Tim

    Hallo Dominik

    Uff, das scheint, als müsstest du gerade eine schwierige Zeit durchmachen. Das tut mir Leid für dich.

    Aber du wirst das packen. Bis zu deiner Entgiftung am Mittwoch geht es wirklich nicht mehr so lange.

    Schon bald beginnt für dich dein neues Leben. Dann wird es dir nach der Entgiftung Tag für Tag immer ein wenig besser gehen. Darauf kannst du dich jetzt schon freuen. Ich freue mich dagegen, in diesem Forum bald schon deine Fortschritte lesen zu dürfen.

    Ansonsten versuche dich noch weiter bis Mittwoch mit einfachen Tätigkeiten abzulenken. Die Wohnung zu verlassen und spatzieren zu gehen oder in einem gemächlichen Tempo Fahrrad zu fahren, finde ich eine sehr gute Idee. Natürlich hilft es auch, dich hier im Forum auszutauschen. Eine andere Möglichkeit ist, dass du z. B. alle Podcastfolgen und YouTube-Videos von Nathalie Stüben durchhörst und schaust. Da vergeht die Zeit schnell. Oder bestell dir dein Lieblingsessen nach Hause. Schau allgemein, dass du dir jetzt noch Gute und schöne Dinge gönnst.

    Wie ich gelesen habe, bist du auch schon den Camino gewandert. Respekt! Das will ich auch einmal machen. Vielleicht willst du jetzt bereits eine neue sportliche Herausforderung planen, die du angehen kannst, wenn deine stationären Behandlung beendet ist?

    Liebe Grüsse

    Tim

    Du kannst Dir sicher sein, dass dieser Suchtdruck sehr bald abnehmen wird. Am Anfang habe ich jeden Tag gezählt. Eben habe ich erst mal auf Handy schauen müssen. (Tag 188) Weil es schon bald zur Normalität wird. Dann brauchst Du nicht mehr kämpfen. Nur wachsam bleiben.

    Ja, genau da möchte ich auch hin. Bin zuversichtlich, dass diese neue Normalität auch bei mir einmal kommen wird...

    Hallo zusammen

    Gestern (und bis jetzt auch heute) war ein sehr guter Tag. Kein Suchtdruck und auch so alles entspannt und fröhlich.

    Ich wollte euch allen noch vielmals für die konstruktiven und raschen Rückmeldungen danken.

    Ich werde mir v. a. die "HALT-Regel" zu Herzen nehmen.

    Ich bin der Auffassung das man nur begrenztes Kontingent an Willenskraft hat und es dementsprechend einteilen muss.

    Sich vegan zu unterkalorisch zu ernähren würde mich z.B Kraft kosten...


    Wie siehst du das tirob92 ?

    Ja, das muss ich mir auch eingestehen. Ich hatte in den ersten Wochen meiner Abstinenz gut an Gewicht verloren. Nun stagniert das Abnehmen ein wenig und ich wollte es mit einer zusätzlichen Diät wieder in Schwung bringen. Das habe ich jetzt aber aufgegeben und fokusiere mich wieder komplett auf meine Abstinenz. Diät kann warten... V. a. bin ich sowieso schon fast wieder normalgewichtig.

    Ich habe mir deshalb gestern und auch heute schon richtig leckere Menüs zubereitet und werde das auch weiter so handhaben. V. a. werde ich mir auch künftig in Momenten des Suchtdrucks was deftiges zu Essen kochen und genug Wasser trinken. Fand die Idee von Bolle super und kaufe mir ein saftiges "Notfall-Steak", dass ich mir bei der nächsten Craving-Attacke in die Pfanne hauen kann. :)

    Gehst du nebenbei noch in eine andere SHG?


    Mir hat es immer sehr gut getan zu telefonieren. Mit anderen trockenen Alkoholikern. Das gab mir Kraft.

    Nein, momentan besuche ich noch keine andere SHG. Bin es mir aber am überlegen. Habe aber noch nicht wirklich das passende Angebot für mich gefunden. In momenten des akuten Suchtdrucks kann ich aber meine Schwester oder einen Freund von mir anrufen, die mir versprochen haben, in solchen Momenten gut zuzureden. Habe dies auch bei meinem letzten Vorfall gemacht. Das hatte mir auch ein wenig geholfen.

    Ich wünsche euch allen ein schönes und v. a. nüchternes Wochenende.

    Liebe Grüsse

    Tim / tirob

    Hallo Bolle

    Tatsächlich habe ich heute nicht genügend gegessen. Wollte mich heute vegan und gesund ernähren. Kam dabei aber sicherlich nicht auf die benötigten Kalorien.

    Ja, das könnte wohl ein Auslöser gewesen sein. Oder was meinst du?

    Schon wieder ich. Ich hoffe, ich schreibe momentan nicht zu viel in diesem Forum. Aber ich mache momentan eine wirklich kritische Zeit in meiner Abstinenz durch und das Posten in diesem Forum hilft mir, das alles ein wenig zu ordnen.

    Die letzten drei Tage waren von starkem Suchtdruck begleitet. Der heutige Suchtdruck hatte aber noch einmal ein ganz neues Level. Derart intensiv und auch langanhaltend habe ich ein Craving noch nie erlebt. Dieses unbändige Verlangen, Gieren und Lechzen nach Alkohol – ich bin von mir selbst erschrocken, wie weit fortgeschritten meine psychische Sucht wohl bereits sein muss.

    Der Suchtdruck fing dieses Mal ganz überraschend und ohne irgendeinen speziellen Auslöser bei mir zuhause an und ging gleich über mehrere Stunden. Normalerweise ist die ganze Geschichte bei mir nach ca. 30-60 Minuten vorüber; aber nicht heute. Ich habe mir dann mitten im Suchtdruck eingeredet, ich müsste als Ablenkung mit dem Auto in der Gegend herumfahren. Und schon 20 Minuten später stand ich ...Trommelwirbel... in einem Tankstellenshop. Da habe ich mich ganz schön selbst verarscht. Ich stand dann eine Zeit lang apathisch vor dem Alkoholregal und drehte mich nach einem längeren inneren Monolog dann wieder um und verliess den Shop ohne etwas zu kaufen. Die Verkäuferin hat mir ganz schön verwirrt nachgeschaut. Davor hatte ich noch meine Eltern und meine Freundin informiert, dass ich morgen für drei Tage in die französichen Alpen fahren werde, um die Tour de France vor Ort zu verfolgen. Habe momentan Ferien, weshalb das theoretisch auch gegangen wäre. Dennoch ist das eine Unternehmung, die für mich völlig untypisch ist. Ich wollte mir also bereits für drei Tage eine Möglichkeit schaffen, mich von allen zu entfernen, um mich für drei Tage ungestört volllaufen zu lassen. Selbstverständlich werde ich morgen nicht wegfahren. Wenn ich das so schreibe, ist mir mein Verhalten schon peinlich und ich frage mich, wie das alles, nicht nur heute, sondern insgesamt derart eskalieren und ausser Kontrolle geraten konnte.

    Jedenfalls habe ich auch Tag 24 geschafft. Fragt mich nicht wie. Irgendetwas war da ganz weit hinten in meinem Kopf, das mich im letzten Moment davon abgehalten hat, Alkohol zu konsumieren. Als ich schliesslich wieder nach Hause kam, habe ich mich wie ein trotziges Kind aufrecht auf mein Sofa gehockt und habe den Saufdruck einfach akzeptiert und ausgehalten, bis dieser allmählich abklang. Irgendwie ist das bei mir das einzige, was in einer derart akuten Situation nützt. Ich habe noch den Forumartikel "Der Notfallkoffer - Was tun bei akutem Saufdruck?" als akute Nothilfe durchgelesen. Aber der Artikel machte mich in dieser Situation nur noch aggresiver. Die gutgemeinten Ratschläge standen irgendwie in keiner Relation zu meiner psychischen Extremsituation. Kam mir vor, als würde ich die vorgeschlagene Tasse Gemüsebrühe in einen brodelnden Vulkan schütten, in der Hoffnung, das Magma würde erlöschen.

    Irgendwie lese und höre ich im Internet ständig diese Erfolgsgeschichten von Menschen, die seit drei oder vier Wochen Nüchternheit sich bereits so viel besser fühlen und auf dieser rosa Wolke surfen würden. Bei mir ist dies aber nicht der Fall. Irgendwie wird es bei mir sogar immer schwieriger, nüchtern zu bleiben. Die letzten drei Tage waren derart kräftezerend, sowohl psychisch wie auch physisch, dass ich mich nur noch danach sehne, einen Tag mal nicht diesem Druck standhalten zu müssen. Ich weiss, das alles wird auch einmal bei mir besser werden. Mein Dopamin- und allgemeiner Hormonhaushalt ist halt dermassen am Arsch, dass es seine Zeit braucht, bis sich dies wieder einigermassen eingependelt hat. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mich in Geduld zu üben. Nicht gerade meine Stärke. XD

    Ich denke, mit ein Grund, weshalb sich die Suchtdruck-Momente in letzter Zeit derart häufen, könnte auch daran liegen, dass ich momentan Ferien habe und mein Alltag nicht mehr so strukturiert ist. Zudem habe ich wegen meiner Knieverletzung momentan auf Sport verzichtet. Womöglich ein Fehler.


    Liebe Grüsse

    tirob

    Lieber Hartmut. Besten Dank für deine Rückmeldung.

    mal provozierend eine rhetorische Frage. Was machst du, wenn die Freundin Schluss macht und andere Stützpfeiler zusammen brechen? Wieder Saufen?

    Hmmm... Gute Frage und ein wichtiger Punkt. Meine erste Intention wäre es wohl tatsächlich, wieder zur Flasche zu greifen. Tatsächlich ist es aber wohl wichtig, dass ich meine Abstinenz nicht von anderen Menschen abhängig mache. Das ist zu unbeständig, fragil und ausserhalb meiner Kontrolle. Aber ich kann meine Freundin als wichtigen Baustein betrachten, mein soziales Umfeld alkoholfrei zu gestalten. Sollte es mit der Beziehung nicht klappen, wäre vorerst nur ein Baustein weg und nicht gleich das ganze Fundament.

    Wie ich in meiner Vorstellung bereits erwähnt habe, ist betreffend "Grundbausteine für ein nüchternes Leben" insbesondere meine Familie ein riesiges Problem. Da ist der Alkohol omnipräsent. Ich könnte meine Eltern nur noch an einem Montag, Dienstag oder Mittwoch besuchen. An diesen Tagen haben sie mir versprochen, dass sie keinen Alkohol trinken. Tatsächlich betrinkt sich meine Mutter dann aber versteckt und mein Vater ist zu dieser Zeit gereizt, weil er nicht trinken darf. Irgendwie ist diese Situation auch nicht optimal, weil dann der Alkohol, wenn auch nicht direkt physisch sichtbar, aber dafür indirekt, immer noch alles überschattet. Das ist momentan meine schwierigste Baustelle. Ich habe mir im Text "Grundbausteine für eine nüchternes Leben" v. a. folgende Passage dick angestrichen:

    "So spielt Alkohol in manchen Familien eine zentrale Rolle oder steht sogar im Mittelpunkt, nicht nur bei familiären Zusammenkünften. Die Familie wirkt so als Quelle der Sucht - und als Garant eines Rückfalls, wenn der frisch Trockene sich solch einer Atmosphäre nicht konsequent entzieht.

    Dieses gehört zu den schwersten Schritten der Trockenheit."

    Und ja, das ist für mich eine sehr schwierige und belastende Situation. Weil wenn ich gewisse Abende nicht bei meinem Eltern verbringe, sondern evtl. alleine zuhause bin, kommen bei mir schnell wieder depressive Gedanken hoch und ich werde gerne einmal schwermütig und melancholisch. Meine Familie war für mich daher ein vermeintlich wichtiger Pfeiler gegen depressive Verstimmungen, aber ein desaströses Umfeld für meine Abstinenz. Da aber Alkoholmissbrauch und Depressionen eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig negativ verstärken, bin ich da wohl einem Trugschluss zum Opfer gefallen. Es ist daher eigentlich klar, was ich machen muss:

    Wenn ich wirklich ehrlich zu mir sein will, muss ich den Kontakt zu meinen Eltern – wenigstens für eine gewisse Zeit – stark minimieren. Über kurz oder lang würde ich ansonsten bei ihnen auf jeden Fall rückfällig werden. Da muss ich mir auch nichts vormachen oder die Gefahr kleinreden.

    Vielleicht brauche ich halt irgendeine kontstuktive Abendgestaltung, die mich ablenkt...

    Lg tirob

    Hallo zusammen

    Besten Dank für eure raschen und hilfreichen Antworten.

    Elly : Ja, ich hatte den Text "Grundbausteine für ein nüchternes Leben" druchgelesen. Ich habe mir aber wohl einige Passagen nicht so zu Herzen genommen, wie ich sollte. Um ehrlich zu sein, ich war ein wenig naiv. Ich dachte tatsächlich, dass ich solche Veranstaltungen, wo reichlich Alkohol getrunken wird (und v. a. ich auch früher Alkohol getrunken habe), mit einer gewissen Leichtigkeit durch innere Überzeugungskraft überstehen kann. Ich war dann plötzlich selbst überrascht, als sich während des Fussballspiels das Craving derart stark meldete. Ich werde jedenfalls künftig solche einschlägigen Veranstaltungen und Unternehmungen, in denen Alkohol eine wichtige Rolle spielt, vermeiden. Meine Abstinenz ist mir viel zu wichtig, als dass ich sie dafür riskieren will.

    Hartmut : Um noch auf deine Frage zu antworten, was ich denn nun anderes mache: In erster Linie würde ich sagen, dass meine noch relativ neue Beziehung ein sehr grosser Stützpfeiler ist. Wie ich bereits oben geschrieben habe, trinkt meine Freundin gar keinen Alkohol, da sie als Kind schlechte Erfahrungen mit ihrem alkoholkranken Vater gemacht hatte. Sie unterstützt mich sehr in meinem Vorhaben. Zudem weiss ich auch insgeheim, dass eine Beziehung, in der ich Alkohol trinke, mittelfristig mit ihr nicht funktionieren würde. Eine Zukunft mit ihr ist nur ohne Alkohol möglich.
    Ich muss aber auch sagen, dass das alleine wohl nicht ausreichen wird. Ich überlege mir deshalb, zusätzlich noch eine Selbsthilfegruppe für alkoholkranke Menschen zu besuchen. Ich denke, ein physischer Austausch vor Ort würde mir zusätzlich sehr gut tun. Bis jetzt findet meine Suchtbekämpfung ausschliesslich im digitalen Raum statt. Ich werde aber wohl nicht die AA besuchen. Ich glaube, ihr Zwölf-Schritte Programm ist nicht das richtige für mich. Aber es gibt ja noch weitere ähnliche Angebote...

    Liebe Grüsse

    tirob

    Hallo zusammen

    Ich wollte mich auch einmal wieder melden und ein Update geben:

    Ich bin jetzt seit 24 Tagen nüchtern. So erschreckend wie das vielleicht klingen mag, aber ich glaube, das war ich das letzte Mal, als ich 15 Jahre alt war. Diese 24 Tage Abstinenz sind für mich persönlich also ein grosser Erfolg, auch wenn dies erst der Anfang sein soll.

    Die letzten zwei Tage waren aber sehr herausfordernd. V. a. heute ging es fast schief. Ich war als Zuschauer an einem Profi-Fussballspiel und das kühle Bier der anderen Gäste unter der heissen Sonne hat mich extremst getriggert. Ich blieb aber standhaft. 💪

    Ich kenne diese Abstinenz-Phase, in der ich mich jetzt befinde, bereits. Die Anfangseuphorie scheint langsam verflogen zu sein und es schleichen sich zunehmend zum Alkohol verführende Gedanken in meinen Kopf. Sobald ich einmal nicht achtsam bin, überkommen mich romantisierte und beschönigte Erinnerungen und ich denke daran, wie vermeintlich grandios es doch damals in dieser oder jener Situation war, Alkohol zu trinken. Und dabei blende ich fast gänzlich aus, wie elendig beschissen es mir mit dieser tückischen Droge aber eigentlich ging. Insgeheim weiss ich aber auch in solchen Momenten des Suchtdrucks: ein Schluck – und die ganze Scheisse könnte wieder von Neuem losgehen.

    Bei meinen früheren Versuchen, vom Alkohol loszukommen, bin ich jeweils zwischen Tag 10 und 20 gescheitert. Da bin ich jetzt zwar durch, aber ich bin dennoch gerade ziemlich verunsichert. Denn so, wie ich mich jetzt fühle, habe ich mich jeweils auch gefühlt, als ich bei meinen damaligen Versuchen gescheitert bin. Ich darf aber nicht die immer gleichen Fehler aufs Neue begehen. Ansonsten komme ich nie aus dieser verzwickten Negativspirale der Sucht heraus und es ändert sich langfristig schon wieder nichts. Das darf einfach nicht sein.

    Liebe Grüsse

    tirob

    Hallo zusammen

    Ich weiss noch nicht ganz, wie genau das hier im Forum funktioniert. Aber ich wollte einmal meine akute Lage mitteilen.

    Das erste Mal seit meinem Start in die Abstinenz vor drei Wochen habe ich momentan leider wieder einen depressiven Schub/Phase.

    Das gute einmal vorweg: Normalerweise hätte ich früher Alkohol getrunken, um diese negativen Gefühle zu dämpfen. Das werde ich jetzt nicht machen. Tatsächlich fällt es mir jetzt auch schon bedeutend einfacher, nüchtern zu bleiben, als noch vor drei Wochen.

    Hat jemand ein wenig Erfahrung zum Thema Depressionen und Alkoholsucht während der Entwöhnungsphase? Wann wird sich im Allgemeinen die Psyche wieder stabilisieren? Oder kann man das gar nicht so allgemein beantworten?

    Ich wünsche euch ein schönes Wochenende.

    Liebe Grüsse

    tirob

    Besten Dank für eure Rückmeldungen. 😊

    Aurora : Danke für den Artikel. Sehr lesenswert.

    Vielleicht noch ein paar Ausführungen meinerseits:

    Ich hatte beim Entzug fast gar keine körperliche Entzugserscheinungen. Ich bin in erster Linie stark psychisch abhängig. Deshalb habe ich mich auch nicht in ärztliche Behandlung begeben.

    Ich habe mich aber doch auf die Abstinenz vorbereitet: Ich habe fast alle deutschsprachigen Podcasts und YouTube-Kanäle zum Thema Alkoholsucht und Abstinenz durchgesuchtet und ein paar wissenschaftliche Papers dazu gelesen. V. a. Nathalie Stüben war mir bislang eine grosse Stütze. Zudem habe ich wieder mit Joggen und Meditation angefangen und schaue wieder auf eine gesunde Ernährung. Zusätzlich führe ich auch täglich ein Trinktagebuch.

    Ich war auch schon über ein Jahr in der Suchtberatung des Blauen Kreuz. Damals leider vergebens. Ich kann aber jetzt auf diese Erfahrung zurückgreifen.

    Auch habe ich mir meine Lebenssituation die letzten 1,5 Jahre bewusst so eingerichtet, dass sie einem abstinenten Leben förderlich ist. Ich habe meinen Job als Betriebsleiter in einem Gastronomiebetrieb aufgegeben und bin zurück in den klassischen Büroalltag gewechselt. Zudem habe ich seit einigen Wochen eine Freundin, die gar keinen Alkohol trinkt und mich sehr in meinem Vorhaben unterstützt. Das gleiche gilt auch für meinen Freundeskreis. Ich habe bereits vor einiger Zeit angefangen, meine Trinkumpels nicht mehr zu treffen. Die Freunde, die übriggeblieben sind, unterstützen mich alle. Ich habe also meine Absicht der Abstinenz in meinem sozialen Umfeld bereits breit verkündet, um Tatsachen zu schaffen.

    Das einzig grosse Problem sind meine Eltern: Sie sind auch beide alkoholsüchtig. Ich besuche sie regelmässig gleich mehrmals pro Woche. Ich bin dann bei Ihnen zum Abendessen eingeladen. Dazu haben wir uns früher jeweils mit Bier und Wein betrunken. Heute bleibe ich bei Wasser und Kaffee. Wenn man das so sagen will, waren meine Eltern meine Dealer und Saufkumpels. In meiner Familie ist der Alkohol schlicht omnipräsent.

    Meine Eltern akzeptieren zwar mittlerweile meinen Willen nüchtern zu leben, aber ich merke schon, wie schade sie es insgeheim finden, dass ich nicht mehr mit ihnen dem Alkohol fröne.

    Ich habe abgesehen davon eine sehr gute Beziehung zu meinen Eltern. Wie würdet ihr mit dieser Situation umgehen? Dass ich den Kontakt mit meinen Eltern deshalb nicht gleich abbrechen will, ist wohl nachvollziehbar.

    Ansonsten würde ich sagen, ich bin theoretisch gut vorbereit für meine Entwöhnungsphase, praktisch jedoch merke ich schon, dass das alles noch sehr zerbrechlich und instabil ist. V. a. auch deshalb, weil ich etwa an jeden zweiten Tag gegen ein mittelstarkes Craving ankämpfen muss.

    Lg tirob92

    Ich (m, 30) versuche schon seit ungefähr drei bis vier Jahren mit grösseren und weniger grossen Anstrengungen ein gänzlich nüchternes Leben zu führen. Aber ich glaube, ich bin erst jetzt wahrhaftig an den Punkt gelangt, wo sich bei mir der richtige Mind-Change eingestellt hat: Für mich ist der Umstand nie mehr Alkohol zu trinken, kein Aushalten mehr, sondern ein Geschenk, für das ich jeden Tag von neuem dankbar bin.

    Mit dieser Grundlage habe ich jetzt bereits die ersten 18 Tage nüchtern erleben dürfen und ich hoffe es folgen noch unzählige weitere.

    Ich versuchte die letzten Jahre mit Alkohol in erster Linie meine Depressionen und Ängste zu «therapieren» und geriet dabei – wie es nun einmal kommen musste – in eine verhängnisvolle Negativspirale. Wobei es sich hier um die berühmte Huhn-Ei-Problematik handelt: Ich konnte an einem gewissen Punkt nicht mehr sagen, was zuerst da war – Die Depressionen oder der Alkohol? Über einen vermeintlichen Nutzen einer solchen «Trink-Therapie» muss ich aber wohl nichts mehr schreiben.

    In den letzten Monaten verstärkte sich in mir aber immer mehr der Glaube, dass ich gar nicht an Depressionen leiden könnte, sondern diese lediglich Symptome meiner Sucht sind. Insbesondere in den vergangenen Tagen meiner Nüchternheit scheint sich meine Vermutung immer mehr zu bestätigen. Ich bin regelrecht überrascht, wie schnell sich nicht nur mein Körper zu erholen scheint, sondern sich Schritt für Schritt auch meine psychische Verfassung massiv verbessert. Heute, wo ich diese Zeilen schreibe, würde ich mich eigentlich nicht mehr als depressiven Menschen bezeichnen. Kaum zu glauben, dass ich diese Worte nach nicht einmal drei Wochen der Abstinenz in meine Computertastatur tippe. Ich hoffe, dieser aktuelle Querschnitt meiner Gefühlswelt bleibt auch nachhaltig erhalten.

    Und damit das auch so bleibt, dachte ich, dass es für mich sehr gewinnbringend sein könnte, mich in meiner Entwöhnungsphase mit Weggefährten auszutauschen, um sich gegenseitige zu untertützten und das eine oder andere an nützlichen Infos mit auf den Weg zu bekommen.

    Ich freue mich, mich schon bald aktiv in diesem Forum beteiligen zu dürfen.

    Liebe Grüsse

    tirob92