Noch ein paar Stunden und dann lebe ich offiziell einen ganzen Monat alkoholfrei. Ich bin ganz schön stolz auf mich. 😊 Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr war ich nicht mehr so lange nüchtern. Für mich ist es jetzt an der Zeit, ein wenig auf die letzten Tage zurückzublicken:
Es war im vergangenen Monat definitiv nicht immer einfach. Es hat zuweilen auch richtig viel Kraft gekostet. Da will ich auch nichts beschönigen. Es wird auch künftig nicht immer einfach sein, abstinent zu leben. Ich fühle mich aber mittlerweile viel besser gewappnet, schlechte Phasen zu überstehen. Insbesondere musste ich im letzten Monat ein paar heftigen Cravings standhalten. Und dennoch muss ich sagen, wenn ich mich zurückerinnere, wie ich mich vor einem Monat und jetzt fühle, dann passen da Welten dazwischen.
Ich bin zwar immer noch ich und habe auch manchmal noch depressive Phasen. Aber sie sind in ihrem Auftreten seltener, kürzer und weitaus nicht mehr so intensiv. Ich kann ihnen mittlerweile mit Akzeptanz und Achtsamkeit ziemlich gut entgegentreten. Im Großen und Ganzen aber fühle ich mich richtig gut. Eine der schönsten Veränderungen ist, dass ich wieder an «einfachen» Dingen wahrhaftige Freude empfinden kann, die ich in meiner Alkoholzeit als vollkommen wertlos und langweilig betrachtet habe. Mein ständiges depressives Hintergrundrauschen und meine Angstzustände sind zudem komplett verschwunden. Was für eine Erleichterung! Mein Selbstwertgefühl und allgemein meine Psyche haben sich auf einem «normalen» Niveau stabilisiert. Meine Beziehung läuft momentan sehr gut und wir beginnen sogar bereits zusammen über Zukunftspläne zu diskutieren. Das ist für mich derart wertvoll und überraschend, da ich für mich früher eigentlich keine Zukunft sah und dementsprechend unfähig war, eine aufzubauen.
Dennoch bin ich immer noch wachsam mit meiner Abstinenz. Ich befasse mich noch täglich intensiv mit meiner Sucht. Ich vertraue meinem Suchtgedächtnis nicht über den Weg und werde das wohl auch nie. Insbesondere bei Cravings merke ich, wie zerbrechlich das ganze noch ist. Aber mit jedem Suchtdruck, den ich erfolgreich überwunden habe, werde ich auch selbstsicherer, zuversichtlicher und auch erfahrener, um künftige Attacken zu meistern. Insgesamt wird es Tag für Tag immer wieder ein Stückchen einfacher, ohne Alkohol zu leben. Ich merke, wie ein nüchternes Leben zunehmend zur Gewohnheit wird.
Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen, dass ich nicht mehr hergeben will.
Liebe Grüsse
Tim