Hallo, Lilly und Gotti,
es ist lieb, dass ihr euch sooo viel Zeit genommen habt, um mir zu antworten.
Lilly, für mich ist an dem, was du schreibst, vor allem interessant, dass du selbst Alkoholikerin bist. So habe ich die Möglichkeit, die "andere Seite" besser zu verstehen. Mein Lebensgefährte redet halt nicht so viel...
Wir sind jetzt erst mal so verblieben, nachdem ich heute noch mal das Thema Geburtstagsfeier angesprochen habe: Er will den Freunden eine Mail schreiben und sich outen. So haben sie bis zur Feier Gelegenheit, die Neuigkeit sacken zu lassen und wir hoffen, dass sie uns dann nicht fragen, ob wir Bier/Wein/Sekt wollen, sondern uns in Ruhe das trinken lassen, was wir bestellen. Mit den anderen Gästen, die wir sonst nie sehen und auch nicht kennen, ist das kein Problem, da sagt er eben: Ich trinke keinen Alkohol.
Er hat mir heute noch mehrmals versichert, ich solle mir um ihn keine Sorgen mache, er hat keinerlei Probleme damit, wenn andere am Tisch was trinken. Letzte Woche und auch auf der Feier im Urlaub hatte er keinerlei Saufdruck dabei oder ähnliches. Er sagte sogar, dass ihn die Fahne seines Arbeitskollegen, mit dem er sich kürzlich traf, richtig anekelte.
So, es scheint also, als hätte ich als Angehörige mit dem allen mehr Probleme als er. Er meint, er kommt zurecht, und wenn nicht, würde er es sagen.
Das, wovor er sich zurückzieht, sind Menschen allgemein, nicht Situationen, in denen Alkohol getrunken wird. Er ist ein Eigenbrötler, und er muss einige Dinge auf pychologischem Gebiet verarbeiten, die ihn beschäftigen. Da liest er viel und denkt nach. Es ist sein Weg, trocken zu bleiben, denke ich, denn so, wie ich ihn erlebe und wie er sich mir mitteilt, wirkt er auf mich sehr ernsthaft und entschlossen.
Ich glaube, ich mache mir zu viel Sorgen, und auch, wenn ich nicht in allem die Kennzeichen einer Co-Abhängigen aufweise, hier zumindest bin ich es (noch).
Wie sich die Freundschaft zu unsren Freunden nun weiter entwickelt, ob sie Bestand hat unter sozusagen verschärften Vorzeichen, das wird sich zeigen. Ich warte geduldig ab.
Ja, Angst vor Veränderungen.. Stimmt schon, aber man will ja auch nicht alle paar Jahre seinen Freundeskreis aufgeben und sich einen neuen suchen. Das ist doch mit zunehmendem Alter auch nicht mehr so leicht. Und ich will eben durch den Alkoholismus meines Mannes nicht meine ganze eigene Identität (und dazu zähle ich z.B. auch eigene Freunde) aufgeben.
Andrerseits hat sich durch die Trockenheit meines Partners schon sehr viel verändert, auch dadurch, dass er nicht mehr arbeitet, wir stellen unser Leben momentan ganz schön um, aber es scheint uns ganz gut zu gelingen.
Wie du, liebe Gotti, in Bezug auf eure Familienfeier entscheiden wirst, interessiert mich wirklich sehr. Bitte, erzähle davon. Dein Mann ist ja recht weit, wenn er selbst sagt, früher sei er immer besoffen gewesen und habe bestimmte Dinge nicht machen können. So etwas hat meiner noch nie gesagt. Ob er es wenigstens denkt..? Vielleicht ist bei ihm der Unterschied zu "vorher" nicht ganz so krass, weil er ja auch manchmal Wochen lang nichts getrunken hat?
Lob will meiner nicht gern hören. Ich denke immer, jeden Monat, an den bestimmten Tag, an dem er trocken wurde, und meistens erinnere ich ihn daran und sage ihm, wie sehr ich mich darüber freue etc., aber er sagt meistens nichts dazu. Weiß nicht...
So, wir werden jetzt den schönen Abend noch ein bisschen genießen.
Einen schönen Sonntag wünscht euch allen
Oiseau