Linde, du hast einen für mich sehr wichtigen Satz geschrieben: Er lebt den Kindern die Suchtstruktur vor.
Nüchtern kann er ein noch so guter Vater sein, in betrunkenem Zustand löscht er diese Tatsache einfach komplett aus. Ich habe lange Zeit damit verbracht, mir vorzugaukeln, diese dunkle Seite würde nicht existieren, und fast genauso lange habe ich gebraucht um zu begreifen, dass diese andere Seite nun mal da ist, und sie nur verschwinden kann, wenn er (um deine Worte zu gebrauchen) trocken lebt und trocken denkt. Auch ein nüchterner Alkoholiker ist ein Alkoholiker. Entweder liebe ich also beide Seiten an ihm, denn sie gehören ja untrennbar zu ihm, oder ich lass es bleiben. Ich habe mich zu meinem eigenen Wohl für das Bleibenlassen entschieden. Basta.
Mein Kind kann das nicht für sich entscheiden. Kleine Kinder lieben ihre Eltern - ob sie wollen, oder nicht. Ob die Eltern nun dick oder dünn, reich oder arm, alkoholabhängig oder abstinent sind. Kleine Kinder sind in dieser Beziehung wie junge Hunde: Sie besitzen ein unglaubliches Urvertrauen, bis sie hartnäckig eines besseren belehrt werden. Und genau das ist der Grund dafür, ihr gerade jetzt nur die gute Seite ihres Vaters zu zeigen und ihr meinerseits ein Leben ohne Suchtstrukturen vorzuleben.
Umso schlimmer ist für mich die Tatsache, dass ich ja bereits alles als Kind erlebt habe und die gesamte Gefühlspalette bis in die letzten Nervenenden kenne. Und trotzdem war ich lange Zeit nicht in der Lage, einen wirklich komplexen und brauchbaren Zusammenhang herzustellen, weder für mich noch für die Kinder. Vielleicht Verdrängungskunst, oder einfach absolut Co.
Die fast erwachsene Tochter meines Mannes hat mich heute in einer ruhigen Minute nach dem Stand der Dinge gefragt und ich habe ihr -ohne jegliche Schuldzuweisungen und Anfeindungen- offen und ehrlich Rede und Antwort gestanden. Sie hat sich mir gegenüber erstaunlich geöffnet, wir haben ohne große Umschweife über ihre und auch meine Kindheit gesprochen. Für den Moment dachte ich, ich stehe mir selbst gegenüber und scheinbar ging es ihr ähnlich, denn zum Abschied haben wir uns noch nie so fest gedrückt, wie wir es heute getan haben. Ein wichtiger Schlüsselmoment, den ich jetzt erstmal verdauen muss.
Euch noch eine schöne sternenklare Nacht
Nina