Wie schaffe ich es nur meine Gefühle zu zeigen

  • Hallo zusammen,
    ich bin recht neu hier im Forum, aber lese nun fast täglich ein paar Zeilen eurer Geschichten und Erfahrungen.
    Meine Mutter hat glaube ich schon getrunken bevor ich auf die Welt kam. Schmerzlich und mit einer Wucht, die mich fast umgehauen hat, habe ich das Ganze war genommen, als ich ca. 15 Jahre alt war, obwohl ich heute denke, dass ich es schon lange wusste, aber einfach verdrängt habe.
    Meine Mutter hat hauptsächlich billigen Wein und Schnaps in sich rein geleert. Sie war ein liebenswerter Mensch, weshalb ich denke, dass ich alles getan habe um Sie zu schützen. Mein Vater ist Pegeltrinken und wenn beide den üblichen Pegel hatten, was manchmal auch schon am frühen Nachmittag der Fall war, haben die Streiterein angefangen. Manchmal ging es bis spät in die Nacht. Ich bin im Bett gelegen und habe mir stundenlang die Ohren zugehalten, damit ich diese Abscheulichkeiten, welche Sie sich an den Kopf geknallt haben, nicht hören musste. - aber trotzdem tat.

    Ich hatten dann von 17-24 einen lieben Freund, der mich durch diese Hölle daheim begleitet hat. Selbstverständlich wurde bei uns auch alles tot geschwiegen. Nach dem grossen Streit in der Nacht, sind Sie am Morgen beim Frühstück gesessen, als ob nie etwas gewesen wäre - einfach unvorstellbar. Das schlimmst war eigentlich, dass Sie mich bei der Ganzen Geschichte, vollkommen ignoriert haben. Wie wenn ich nicht da gewesen wäre, als ob ich nie etwas gehört hätte.
    Mein Freund hat mich irgendwann dazu gebracht, dass ich offen mit meinen Eltern und mit meiner Schwester gesprochen habe. Ich bin um Sie gesessen und habe einfach nur geheult, was ich sonst nniieee gemacht habe, es war nicht erwünscht "Schwäche" zu zeigen.

    Meine Mum ist vor knapp 4 Jahren an Krebs gestorben. Ich hatte entlich den Absprung geschafft und wollte in Jahr reisen gehen. Nach fünf Monaten kam die Nachricht, dass Sie sehr schwer an Krebs erkrankt ist. Ich konnte nicht anders als heim fahren, weil ich wusste, ich würde Sie sonst nicht wieder lebend sehen. Aber ich habe es gehasst, ich war doch endlich frei. Wieso musste Sie mir das wieder kaputt machen.
    Ich und meine Familie haben Sie ein halbes Jahr gepflegt. Es war eine gute Zeit, da ich Sie selten so klar erlebt habe, obwohl Sie mit Schmerzmittel vollgepumpt war.
    Nach ihrem Tod habe ich eine neue Stelle angenommen und bin weg gezogen. Dort hat alles angefangen. Ich habe mich in meiner Arbeit vergraben und viel zu viel gearbeitet. Ich habe schwere körperliche Probleme bekommen. Schwitzanfälle, Zittern, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Dauerdurchfall - das volle Programm.

    Ich habe irgendwann den Job gekündigt und eine neue Wohnung sowie einen neuen Job angenommen. Diese macht mir auch viel Spass und füllt mich aus. Ich habe dann vor ca. 1 Jahr eine Theraphie angefangen. Sie tut mir eigentlich gut, nur ist die Psychologin am Ende ihres Latein. Ich rede sehr offen und sehr viel über meine Vergangenheit, aber meine Mauer die Steht wie ein Fels in der Brandung. Ich halte "ihr" psychologische Vorträge und weiss "eigentlich" genau was ich machen soll und habe auch schon viel davon umgesetzt. Mein Hauptproblem, ist allerdings, dass ich nicht weinen kann. Vor allen Dingen nicht vor anderen. Als es mir sehr schlecht ging, hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr fühle. Keine Freude, keine Traue, einfach Nichts. Diese Leere hat mir furchtbare Angst gemacht, was wiederum zu Panikattacken geführt hat.

    Ich bin auf dem Weg der Besserung, aber die Geühle liegen unter so viel Schutt, dass ich manchmal glaube, dass ich es nicht schaffen werde, Sie auszugraben. Ich schaffe es auch nicht wirklich eine Beziehung aufzubauen. Ich habe wahnsinnige Angst vor Zurückweisung. Wie sollte mich auch jemand Lieben können. Scheisse, ich weiss, dass ich nicht schrecklich bin. Ich bin intelligent, habe einen guten Job, sehe nicht schlecht aus, kann mich in andere Menschen gut einfühlen, aber jemandem voll und ganz zu vertrauen - mich fallen zu lassen, ist mir einfach nicht möglich. Ich habe dann Angst die Kontrolle zu verlieren.

    Hat jemand eine Idee wie ich es schaffen kann wieder zu fühlen !

    Ich weiss, ich habe sehr viel geschrieben, aber diese Hürde scheint mir unüberwindbar.

    Besten Dank und Gruss

  • Hallo Vivian,

    nochmal herzlich Willkommen hier bei uns EK's. Komm in Ruhe an und lies dich ein. Vieles wird sich allein schon durch's Lesen sortieren.

    Ich kann mich selber noch ganz genau an den Schock erinnern, als mir klar wurde, daß meine Mutter Alkoholikerin ist. "Gewußt" hatte ich es schon lange vorher, aber bewußt war es mir nicht. Schlagartig änderte sich das und nichts mehr war, wie es vorher war. Ich war schlagartig immun gegen 'heile Welt Geschichten' und Lügen. Ab der Sekunde hatte ich begriffen und meine kleine schöngeredete Welt war unwiederbringlich zerbrochen. Nicht einfach für eine Jugendliche, in der Zeit hätten wir unsere Mütter noch gebraucht, wir waren noch Kinder...

    Der zweite Begreifen und Bewußtwerden ist anders, nämlich zu spüren, daß man ein Erwachsenes Kind ist. Gleich ob die Eltern noch leben oder tot sind, man ist EK. Trägt es quasi mit sich herum. Vieles wirkt unterirdisch noch jahrelang und macht sogar körperliche Symptome. Wie gut ich das kenne, was du beschreibst.

    Dieses "...dass ich nicht mehr fühle" kenne ich auch. Eine Kindheit wie im Nebel. Kein Schmerz, keine Trauer, Freude schon gar nicht. Hm. Es war aber auch ein Schutz, sonst wäre der Schmerz und die Trauer vielleicht zu viel gewesen für das kleine Kind...

    Bei mir hat sich der Nebel gelichtet. Dauert zwar, aber es geht.

    Schreib, schreib, schreib, hier ist Platz für den Schutthaufen. Dein aktives Wegschaufeln des Schutts kann dich wieder handlungsfähig und lebendig machen. Bei mir war es so und vielen andere EK, die ich in über einem Jahr hier kennenlernen durfte, ging es ähnlich.


    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Liebe Linde,

    vielen Dank für deine Worte. Es tut einfach gut, endlich verstanden zu werden :lol:
    Ich weiss, dass ich auf dem richtigen Weg bin und ich werde kämpfen - um meinetwillen. Es braucht nur so viel Zeit, sooo viel Zeit. Ich habe manchmal das Gefühl, das ich im Kreis gehe und nicht ankomme.
    Durch die Krankheit meiner Eltern, habe ich so viele schlimme Momente erlebt, dass ich manchmal denke, dass es für ein ganze Leben reicht.

    Aber ich werde schreiben, lesen und schreiben und die Hoffnung nicht aufgeben.

    Danke für diese tolle Seite !

  • Hallo Vivian,

    herzlich willkommen! Rat hab ich leider erstmal keinen. Ich nehme an, in erster Linie ist es Geduld, die Du, die wir alle aufbringen müssen. Klitzekleine Ameisenschritte ...
    Also Rat hab ich keinen, aber ein offenes Ohr. Hier jederzeit für Dich abrufbereit. Nicht viel, aber ...

    Alles Gute!
    EuV

  • Liebe Vivian,

    herzlich Willkommen hier. Das ist ein erster wichtiger Schritt, alles hier aufzuschreiben, finde ich. Ich tue es auch erst seit vorgestern.

    Als erstes einmal: gib Dir Zeit. So lange zurückliegende Verletzungen heilen nicht von heute auf morgen. Es dauert, bis die Kruste anfängt zu bröckeln. Wer Gefühle zeigt, wird verletzbar... logo, dass wir also unsere Gefühle erstmal unten halten wollen.
    Zudem sind es ja schmerzhafte Gefühle, die kommen, und die tun weh...
    also geh verständnisvoll und behutsam mit Dir um.

    Ich schließe mich Linde an: schreib, was das Zeug hält, vor allem über das, was Du fühlst. Und bewahre Dir Deinen Kampfgeist und Deinen Optimismus! Jaaaaa! :D

    So geht es Stück für Stück voran. Wir sind bei Dir.

    Alles Liebe.. Pedi

  • Hallo Vivian,

    die Zeit ist ja da. Dein Leben ist ja nicht erst dann, wenn "es" abgearbeitet ist, sondern JETZT.

    Die schlimmen Momente reichen erst mal, stimmt, grins. Ist halt so, daß alles was hier und heute dran ist, auch gelebt werden will. Kann man sich nicht immer aussuchen. :wink:

    Das tolle am EK Dasein ist, wie hellwach ich bin. Ich war ja früher schon hellwach, aber mein Fokus war auf die alkoholkranke Mutter gerichtet und ich habe Schmerz erfahren. Heute bin ich immer noch hellwach, aber:

    Meine Sinne sind jetzt nicht mehr auf den alkoholgeschwängerten Familienkosmos gerichtet, sondern auf mich und meine Leben und mein selbstgewähltes Umfeld. Und ich erfahre jetzt den Rest der Gefühlspalette: Freude, Leichtigkeit, Gelassenheit, Lachen, Spiel, Lebendigsein.....


    Lg, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Schönen guten Abend zusammen,

    vielen Dank für Eure lieben und auch ernüchterten Worte.
    Leider bin ich Frau Superungeduldig - aber ich übe :o)
    Werde weiter fleissig lesen. Danke für euer Mitgefühl.

    Schönen Abend und Gruss

    Vivian

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