Langfristiges Denken an den Alkoholiker

  • Es gab mir doch zu denken, dass ich feststellen musste, dass ich zwei Jahre nach der Trennung noch immer Gedanken an die vergangene Zeit hatte.

    Die ersten Monate Traurigkeit und Wut.

    Die nächsten Monate Erleichterung und langsames Rückholen der grausigen Erinnerungen (die zuvor wohl hätten von meinem Gehirn und Schmerzempfinden nicht hätten verarbeitet werden können)

    Kurze traumatische Rückerinnerung - Flashback - mit körperlichen Schmerzen (absolut identisch mit den verspürten innerhalb der Suchtbeziehung).

    E r l e i c h t e r u n g , aber dennoch:

    Immer wieder Gedanken....

    A b e r

    Was ich anfänglich schon als krank bei mir selber "attestiert" hätte waren die Gegenüberstellungen zwischen früher und heute, die mich immer wieder an und zu den (schlechten) Erinnerungen bringen.

    Ich denke an die Zeit wenn ich gemütlich meinen Krimi sehe (dabei wurde früher gestänkert)
    Ich erfreue mich an den ruhigen und harmonischen Katzen (die früher eher ein aufgewühlter Haufen waren)
    Ich genieße es in mein Schlafzimmer zu gehen und zu schlafen (heute ohne Fernseher mit Ameisenrennen, einer Person, die krampfhaft die Fernbedinung umschlossen hielt und wo es nur Gottes Gnade zu verdanken ist dass noch Bäume im näheren Umfeld stehen, die nicht vom Schnarchen niedergemacht wurden).

    Mein Garten ... wo der Vermieter bei jedem Besuch eine Bierflasche stehen lässt ... Seine, nicht mein Problem .... Aber innerhalb meiner damaligen Beziehung mit dem damaligen Lebenspartner war es sehr wohl für mich ein optisches Problem ständig mit den Alkflaschen konfrontiert zu werden.

    Nein, ich denke keinesfalls mehr, dass ich nicht losgelassen habe sondern ich denke dass für mich persönlich die Gegenüberstellung des Vergangenen mich an die Schönheiten des Jetzt erinnern und mahnen.

    Gestern dachte ich an das alte Haus - Klasse: Küche im EG, Wohnzimmer im 2 Stock - Trimm Dich und Scherbenzerschlagchance Hoch 10 wenn gemütlich im Wohnzimmer gegessen werden sollte. Nur genial, wer sich wie ich zuweilen in Vergeßlichkeit tummelt. Im 2. OG fällt mir ein was ich in der Küche im EG vergessen habe, vielleicht nur das Salz ;)
    Dieses Haus hier habe ich gewählt: alles im EG und nur das Schlafzimmer im Obergeschoss. Alles so, dass ich effektiv und bequem hantieren kann. Nach meinen Vorstellungen und nicht so wie damals, als ich zu ihm zog in das Haus, welches er nach seinen Vorstellungen bezogen hatte.

    Wir reden noch gar nicht von Teppichen, Vorhängen, meinem Grünzeug, Schaukelstuhl oder oder oder

    Er hatte - mit oder ohne Alk - einfach andere Wertigkeiten und Vorstellungen, aber wie gerne schiebt man/frau das auf die Gegebenheiten, die Gewohnheit und die Angst vor Veränderungen?

    Ein anderes Leben, eine ganz andere Qualität und eine ganz andere Ruhe, weil ich die 24stündigen Anspannungen nicht mehr erleben muss. Gerade mal zwei Jahre Frieden gegenüber einem Jahrzehnt promillehaltiger Aufregung in jeglicher Sortenvielfalt (sei es das Getränk, die Auswirkung oder auch die Verhaltensweisen und resultierenden Geschehnisse).

    Wie leicht aber kann man/frau/ich nun in Bedrängniss kommen zu denken, es ist "Liebe" weil man/frau/ich an die Vergangenheit denkt. Wie lange dauerte es bei mir bis ich bemerkte dass es eine Gegenüberstellung des Jetzt ist und keinesfalls eine Erinnerung an die Person?

    War ich von Problemen überrollt, so dachte ich an das "damals" weil die eine oder andere Aufgabe (KFZ, schweres Heben ect.) doch mal dem anderen übertragen werden konnte. Es war aber nur ein Helfer, den ich benötigte - mit Liebe, Zuneigung ect. hatte das alles nichts zu tun.
    Habe ich die Probleme bewältigt, so dachte ich nicht mehr an "früher".

    Ich für mich habe gelernt meine realen Gedanken (huch, ich denke an die Zeit) ebenso wahr zu nehmen wie die Gefühle, die dahinterstecken (flau im Magen, es geht mir nicht gut, und das hat nichts mit Verliebtheit zu tun oder Angst/Vorfreude vor einem Date)

    Lieben Gruß von Dagmar

  • Hi Dagmar,
    das hast du gut geschildert.
    ich lebe z.z. sehr in diesen gegenüberstellungen.
    es tut manchmal weh,ich versuche auch im jetzt zu sein,erlebe und tue ja auch neue dinge.
    aber ich brauche das auch.
    und es passiert automatisch.
    das gegenüberstellen ist für mich wichti,um mich selber auch zu rehabilitieren.
    Susanni

  • Hallo Dagmar,

    ein interessantes Thema, irgendwie.

    Ich bin ja seit 3 Jahren unterwegs in meinem neuen Leben. Davor habe ich 26 Jahre lang mit meinem Exmann zusammen gelebt. Eine sehr lange Zeit, mehr als die Hälfte meines Lebens.

    Und meine Gedanken sind auch noch oft im Damals, nicht mehr ganz so oft, aber doch schon. Und zwar war es gerade wieder so in meinem Urlaub. Wie ich das genießen konnte! Da waren schon die Vergleiche, wie es früher war. Und dann merke und sehe ich, wie weit ich gekommen bin in der Zeit, was ich jetzt habe. Damit fühlt sich das Erreichte noch besser an.

    Und ich kann mir wieder bewusst machen, was ich nun auf garkeinen Fall mehr leben möchte! Das Damals, das ist Fakt, es gehört dazu, zu meinem Leben. Da möchte ich aber nie wieder landen.

    Aber Tatsache ist ja auch, ich habe meinen Exmann einmal sehr geliebt! Wir haben 2 Kinder gezeugt und auch Jahre in Glück und Zufriedenheit gelebt! Der Suff, die Sucht, seine und meine, die schlichen sich langsam ein. Ich habe damals so gelebt, weil ich es so wollte. Es gab Zeiten in meinem Leben, da konnte ich das garnicht mehr sehen, dass es auch mal gut war. Und das war nicht gut für mich. Denn dadurch sank ich noch tiefer in mein Unglück, in meine Schuldgefühle und in meinen Minderwert.

    Ich sehe heute das Glück in meinem Leben, die Zufriedenheit, das große Wohlbehagen. So, wie es mir jetzt geht, so selbstbestimmt und bewusst habe ich lange Jahre nicht mehr gelebt. Vielleicht auch nie :roll: . Ich habe durch das viele drüber Nachdenken, durch die Vergleiche "gestern und heute" auch abschließen können mit meiner Vergangenheit. Frieden schließen können. Ich merke, wie mich mein altes Leben immer mehr in Frieden lässt, es ist ein alter Freund geworden, kein Feind mehr. Kein Schmerz. Und so, wie ich für mein altes Leben empfinde, so kann ich auch für meinen Exmann empfinden, inzwischen. Die Liebe ist nicht mehr da, aber auch nicht der Hass und Zorn. Er ist ein Teil meines gelebten Lebens.

    Hm, ich hoffe, du kannst mit meinen Gedanken was anfangen.

    Auf alle Fälle wünsche ich ein schönes Wochenende
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Ich habe mich getrennt, hab meinen Weg gefunden, konnte mich distanzieren...gut, ich fühl mich wohl dabei, weiß dass es richtig war.

    Dann ärgere ich mich über mich selber..warum ...
    weil ich immer noch fertig bekomme, seine Gefühlsschwankungen am Telefon zu spüren..nein, ich reagiere nicht mehr darauf.
    Aber allein die Tatsache, dass ich noch so in ihn reinhorchen kann ärgert mich.

    Nun ich versuch es gelassen zu sehen, ist es doch ein Verhaltensmuster, dass ich mir in den letzten 20 Jahren mühsam antrainiert habe,
    und es leider keinen Knopf zu ausschalten gibt.
    Aber sei´s drum, nicht reagieren, die Gespräche auf das Wichtigste reduzieren, dann wird es hoffentlich verblassen, dieses "ihn kennen".

    Verblassen wird vielleicht auch mal die Erinnerung an meine Tränen, meine Wut und meine Hilflosigkeit, jetzt noch nicht und auch ich find das gut so.
    Ist es doch ein Warnzeichen vom Gehirn, nicht die rosa Brille aufzusetzten und sich wieder auf das böse Spiel einzulassen.
    Und wenn die Erinnerungen verblassen, dann bin ich gefestigt auf meinem Weg und kann dann auch Frieden schliessen.
    Frieden mit ihm und den seinen Weg akzeptieren,
    Frieden mit mir, weil ich mir keine Vorwürfe mehr mach über soviel vergebene Liebesmüh und verlorene Jahre.

    Die Erinnerungen sind sehr wichtig, aber die realitischen und nicht die schön gefärbten...das sind Erfahrungen, die uns im Leben Gutes wiederholen und Schlechtes sein lassen.

    Liebe Grüße,
    nici

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!