Unachtsamkeit oder bloß übertriebene Nabelschau?

  • Hallo liebes Forum

    Ich habe mich vor einigen Tagen hier angemeldet und auch vorgestellt, habe viel hier gelesen und bin trotzdem noch unsicher ob ich etwas schreiben soll. Habe bislang nur eine Foren Erfahrung gemacht in einem für Alleinerziehende und die war eher gruselig.... aber nach den vielen Beiträgen die ich hier gelesen habe und dem netten Ton hier versuche ich es mal...(unnötige Einleitung eigetlich) :oops:
    Also, ich bin ja wie in der Vorstellung geschrieben seit fast 4 Jahren trocken - musste ich gerade tatsächlich kurz nachrechnen, und da wäre ich auch schon bei meinen Gedanken. Ich habe zwei Entgiftungen und eine Langzeittherapie gemacht und bin vorher mit Alkohol durch die Hölle gegangen. Natürlich war die Thematik somit lange Zeit sehr aktuell für mich. Inzwischen ist es so, dass das Thema kaum noch präsent ist, ich ein Kleinkind habe und glückliche Mama bin, ein stabiles soziales nicht trinkendes Umfeld das von meiner Sucht weiß, eine schöne Wohnung, keine größeren finanziellen Probleme, der schlimmste Streit mit dem Kindsvater hat sich auch gelegt, beruflich bin ich gerade dabei, mir eine Perspektive zu schaffen (habe durch die exzessive Trinketei die Uni abbrechen müssen),... eigentlich ist alles gut. Ist es wirklich. Eigentlich. :roll:

    Ich merke, dass ich in den letzten Wochen verstärkt nach der Thematik suche, so bin ich ja auch in dieses Forum gestolpert. Als Auslöser könnte ich mir vorstellen, dass ich vor einigen Wochen im Urlaub mit meinem Sohn essen war und es zur Rechnung für ihn den obligatorischen Lolli und für mich ein Glas Schnaps gab. Habe es ganz selbstverständlich zurück gehen lassen aber im Laufe des Abends habe ich bemerkt, wie meine Gedanken immer wieder dahin zurückgekehrt sind "es hätte ja niemand mitbekommen". Es geht dabei nicht mal um einen realen Rückfall, den darf es kann es wird es nicht geben, aber die Gedanken sind seitdem wieder da. Muss aber sagen, dass Suchtdruck nach der zweiten Entgiftung nie ein großes Thema war. Mein "Glück" war, dass ich in den letzten nassen Monaten so massiv getrunken hatte, dass ich nur noch mit zu gehaltener Nase trinken konnte und bis heute der Geruch von Alkohol oder der Gedanke an den Geschmack zu Übelkeit führt.

    Zurück zur aktuellen Situation...es kommt dazu, dass ich im Winter in eine erneute Depression gerutscht bin (für mich einer der größten Trinkgründe damals) und zu spät mit Medikamenten gegengesteuert habe. Mein Sohn wurde vor ein paar Tagen operiert, was einigen Stess bedeutet hat, die letzten zwei Jahre waren ohnehin emotional sehr hart, trotzdem muss ich natürlich funktionieren, ich kann seit Wochen sehr schlecht einschlafen (auch ein Risikofaktor bei mir),... Will gar nicht so viel jammern, es geht mir eher darum, dass gerade viele Dinge zusammenkommen die ich zum Teil recht lange verschleppt habe.

    Ich weiß nun eben nicht, ob es gut ist, sich jetzt verstärkt mit dem Thema Alkohol/Sucht auseinander zu setzen. Die Abstinenz ist für mich etwas normales und natürliches geworden, mir ging es lange sehr gut damit. Ist das nun übertriebene Nabelschau wenn ich so vieles interpretiere? Oder gesunde Achtsamkeit? Löst meine Beschäftigung mit dem Thema die Gedanken aus? Oder beschäftige ich mich mit dem Thema weil ich die Gedanken habe? Was war erst da, Huhn oder Ei? Ich war eigentlich immer der Meinung, dass Wachsamkeit wichtig ist, aber mir hat bislang die normale Wachsamkeit im Alltag (Zutatenlisten lesen, im Restaurant nachfragen, ...) ausgereicht. Ändert sich das gerade weil ich zu lange nur funktioniert habe und stark sein musste? Mir fällt nämlich gerade beim Schreiben auf, dass die Gedanken an den Alkohol mehr geworden sind, seit meine äußerliche Situation besser geworden ist.

    Versteht irgendwer, was ich meine? Bin wohl keine Heldin der kurzen Worte :lol:
    Über Antworten, Gedanken, Fragen etc würde ich mich sehr freuen!

    Mit lieben Grüßen,
    Die Stine (gerade ein bißchen aufgeregt)

    Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist dann ist es auch nicht das Ende.

  • Hallo Stine,

    herzlich willkommen.

    Bei mir ist es ganz oft so, dass wenn ich etwas zu bewältigen habe, es mir gut gelingt. Damit kenne ich mich aus. Ich aktiviere irgendwelche Kräfte und Energien und mache dann einfach. Oft ohne groß nachzudenken, "arbeite" ich ab. Wenn ich ein Ziel oder eine Etappe dann erreicht habe, "falle" ich oft in eine Art Loch. Da dauert es immer eine gewisse Zeit, mich neu zu orientieren bzw. einfach ohne Anstrengung meine Wege zu gehen. Dann fordert mein Belohnungszentrum lauter. Vielleicht ist dies bei dir ähnlich?

    Ich lebe heute trocken, denke aber dennoch, dass Trockenheitsarbeit nicht aufhört. Unsere Krankheit bringen wir ja lediglich zum Stillstand und können sie nicht heilen. Und aus dieser Erkenntnis heraus, gucke ich zwischendrin sehr genau, wo ich mich aktuell befinde. Ob ich noch den Abstand zum Alkohol habe, den ich will oder ob ich irgendwo dabei bin, ihn zu verringern. So eine Art Standortbestimmung. Halte ich für sehr wichtig und im Gegenteil nicht für übertrieben.

    Was es heute anders macht, als ganz am Anfang, ich kann auf eine gewisse Erfahrung zurück greifen. Mehr jedoch nicht. Eine längere Trockenheit schützt ja nicht automatisch vor einem möglichen Rückfall.

    Von daher kann ich dich gut verstehen :-). Schön, dass du hierher gefunden hast und dich weiter ernst nimmst.

    Liebe Grüße
    Maria

  • Hallo Stine....

    erst einmal herzlich Willkommen hier im Forum! Schön dass Du da bist.....

    ich finde.... Du bist achtsam.... und das finde ich sehr sehr wichtig... ich glaube, egal wie lange ich oder jemand anderes trocken ist.... es ist ganz wichtig auf mich zu achten sonst hab ich schneller einen Rückfall wie ich auf 3 zählen kann.... vielleicht kommt irgendwann die Zeit in der die Trockenheit " normal und selbstverständlich" scheint.... genau so der Alltag.....

    doch ich habe eine Krankheit und die heißt Alkoholismus und die habe ich lebenslang.....

    Zitat

    Will gar nicht so viel jammern, es geht mir eher darum, dass gerade viele Dinge zusammenkommen die ich zum Teil recht lange verschleppt habe.

    und genau das machst Du richtig: und: jammern darf auch mal sein ;)

    ich glaube nicht dass Deine Beschäftigung mit dem Thema die Gedanken auslöst sondern die Dinge von denen Du selbst sagst dass Du diese schon recht lange verschleppst....
    Zeit sich damit zu beschäftigen, bewusst.....

    ich wünsch Dir einen schönen Abend


    viele liebe Grüße
    Dusty

  • Vielen Dank ihr beiden, dass Ihr Euch durch meinen Roman gearbeitet habt :)

    Maria, ja das mit dem erst mal nur Reagieren, Energien aktivieren von denen man zum Teil gar nicht weiß wo man sie hernimmt und hinterher in ein Loch rutschen wo eigentlich Erleichterung/Stolz/Freude stehen sollte kenne ich nur zu gut. Dass Trockenheitsarbeit nie aufhört sehe ich auch so, bin nur etwas verwundert über mich weil die in den letzten Jahren eher nebenher und unbewusst lief. Vielleicht ist es aber wirklich so, dass es in den letzten Jahren zu viele andere "Baustellen" da waren und jetzt eben die Baustelle Sucht etwas Aufmerksamkeit einfordert. Nun denn, auf gehts.

    Dusty, ich freue mich auch, hier zu sein, auch wenn ich noch nicht so viel zum Lesen und Schreiben komme wie ich gerne würde, Sohnemann hält mich ganz schön auf Trab :D
    Ich denke eigentlich auch, dass ich achtsam bin, habe auch nach wie vor sehr großen Respekt vor der Sucht bzw. dem Stoff und den Folgen. Nochmal würde ich das nicht überleben wollen.
    Ich glaube ich tue mich nur schwer mit diesem ständigen "Immer schön dran denken, ich bin Alkoholikerin". Ja das bin ich, lebenslänglich, aber ich bin nicht nur das, mich macht auch noch mehr aus. Und es darf (und muss?) doch auch Momente geben die mit der Zeit länger werden in denen das nicht vorne auf dem Desktop erscheint sondern als kleines Hinterprogramm läuft.
    Also...ich glaube ihr werdet noch mehr von mir hören, hab grad erst mal einen Gedanken Kopfsalat den ich verlesen will damit es nicht immer so durcheinander ist wie hier gerade.

    Einen schönen Abend und eine gute Nacht
    Stine

    Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist dann ist es auch nicht das Ende.

  • glück auf stine

    Zitat von dieStine

    ... Die Abstinenz ist für mich etwas normales und natürliches geworden, ...

    ja das is bei mir auch so (schon lange) trotzdem hat das "kleine programm im hintergrund" allerhöchste priorität.
    s läuft die meiste zeit unbemerkt, erkennt aber die kleinsten risikosituationen ...

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo dieStine,

    Die Alkoholkrankheit ist ja nicht heilbar, aber wir können sie stoppen. Sie schlummert aber trotzdem in uns weiter...
    Das darf man nicht unterschätzen.

    Du hast hier hergefunden, weil sich bei Dir die Gedanken wieder vermehrt um Alkohol drehen. Du hast ein Gefahrenzeichen gut erkannt und hast gehandelt. Das ist doch schon mal gut. Du kannst Dich hier wahrscheinlich durch den Austausch wieder gut stabilisieren, ich sehe da zumindest gute Chancen.
    Eine Nabelschau ist sowas keinesfalls, Du sorgst nur gut für Dich und erkennst, das Du momentan trockenheitstechnisch Unterstützung brauchst.
    Das ist doch durchweg positiv! :)

    Zitat


    Ich glaube ich tue mich nur schwer mit diesem ständigen "Immer schön dran denken, ich bin Alkoholikerin". Ja das bin ich, lebenslänglich, aber ich bin nicht nur das, mich macht auch noch mehr aus. Und es darf (und muss?) doch auch Momente geben die mit der Zeit länger werden in denen das nicht vorne auf dem Desktop erscheint sondern als kleines Hinterprogramm läuft.

    Ich bin seit 11 Jahren trocken. Und ich denke nicht jede Minute, Stunde daran das ich Alkoholikerin bin. Manchmal auch tagelang nicht, wenn es nix in dieser Richtung zu denken oder beachten gibt.
    Es ist so, wie Silberkralle auch schon schreibt:

    Zitat

    ja das is bei mir auch so (schon lange) trotzdem hat das "kleine programm im hintergrund" allerhöchste priorität.
    s läuft die meiste zeit unbemerkt, erkennt aber die kleinsten risikosituationen ...


    So ist es auch bei mir.

    "Lebenslänglich" hört sich übrigens so nach Knast und eingesperrt an und auch so bedrohlich.
    Wie haben eine chronische Krankheit... lebenslang, ja... und?
    Wir sind deshalb aber noch lange nicht eingesperrt, sondern haben doch durch unsere Trockenheit überhaupt erst die Freiheit wieder bekommen, oder ?
    Vielleicht auch mal so sehen ? :wink:

    LG Sunshine

  • Glück auf Matthias,
    habe mich gerade sehr gefreut, dass Du mir geantwortet hast, habe hier schon viel von Dir gelesen und bin schwer beeindruckt! Habe in einem anderen Thread mir mal meine alltäglichen kleinen Helferlein zur Risikominimierung bewusst gemacht und kam auf erstaunlich viele, vieles läuft da wirklich im Hintergrund. Trotzdem ist es gerade ganz gut, dass ich mich hier angemeldet habe und viel lese und auch schreibe, merke, dass die Zeit gerade etwas risikoreicher ist...weit weg von Rückfall Gedanken aber zumindest so, dass ich mal genauer hinschauen sollte.
    Auf einen guten Austausch!

    Liebe Sunshine,
    Ich sehe es nach der anfänglichen Skepsis auch als sehr positiv an, dass ich mich hier angemeldet habe. Merke dass dadurch auch die etwas in den Hintergrund gerückten Grundbausteine mal wieder ein bißchen aufgefrischt werden :)
    Ich sehe es übrigens absolut so, dass die Abstinenz Freiheit bedeutet und ich bin glücklich und dankbar darüber, daa vergesse ich im oft stressigen Alltag leider gerne und es tut gut, sich das einmal bewusst zu machen.

    Habe den festen Vorsatz hier mehr zu schreiben und überlege, einen Tagebuch/Lebensgeschichte Thread zu machen...vielleicht aber lieber im geschlossenen Forum, mal schauen.
    Bin auf jeden Fall froh hier zu sein.

    Lg,
    Stine

    Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist dann ist es auch nicht das Ende.

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