Hallo Maria,
bei der Frage danach, ob es heute meine Entscheidung ist oder von meinem Willen abhängt, abstinent zu sein oder Alkohol zu trinken, kommt es für mich nur darauf an, welches Gedankenkonstrukt ich für mich als sinnvoll erachte. Für mich ist wichtig, mir Handlungsspielräume zu schaffen und zu erhalten.
Meine erste Entscheidung für die Abstinenz traf ich sehr sicher nicht nüchtern, aber sehr wohl bewusst.
Genau so wie ich jahrelang vorher ganz bewusst und keineswegs ferngesteuert meinen Alk kaufte und begann, ihn zu konsumieren.
Nüchtern war ich bei den Entscheidungen, die damit im Zusammenhang standen, nicht. Ich war nicht rund um die Uhr betrunken, aber nicht selten plante ich das Trinken von abends schon tagsüber. Ganz bewusst.
Mein Bewusstsein verließ mich während des Trinkens. Das war so von mir manchmal gewünscht und manchmal mit einkalkuliert.
Ich schreibe es meiner Sucht zu, dass ich die Entscheidung für die Abstinenz gerade in der ersten Zeit immer wieder mit mehr oder weniger Aufwand erneuern musste.
Es gab dabei Entscheidungshilfen. Dazu gehörte, keinen Alkohol in der Nähe zu haben oder mich nicht mit Alkohol trinkenden Menschen zu umgeben.
Ich weiß, dass mir eine Entscheidung für die Abstinenz eben wegen meiner Suchterkrankung mit einer Bierflasche direkt vor der Nase in dieser Zeit sehr schwer gefallen wäre, zeitweise vielleicht sogar unmöglich war.
Dazu kommt das regelmäßige Bewusstmachen meiner Situation und eben meines Handlungsspielraumes durch den Austausch über das, was ich denke.
Ein anderer Name als Risikominimierung fällt mir dazu nicht ein. Platt ausgedrückt: Ich minimiere mein Risiko, eine Entscheidung umzustoßen, die ich mal aus gutem Grund getroffen habe. Oder: Ich manifestiere immer wieder meinen Entschluss für mein abstinentes Leben.
Der „Grund“ war anfangs sehr geprägt von den Erlebnissen aus der Zeit, in der ich noch trank und meinen Gefühlen dazu. Inzwischen ist das abstinente Leben selbst mein Motiv für die Abstinenz.
Mein Rückfall beginnt nicht erst dann, wenn ich beginne, die Flasche zu besorgen, sondern noch ein Stück früher in meinen Gedanken.
Der Aufwand dafür hat sich in der bisher vergangenen Zeit verändert. Ganz dem Selbstlauf werde ich meine Abstinenz jedoch nicht überlassen.
Mir ist sehr bewusst, dass die Verdrahtungen der Sucht in meinem Hirn nicht verschwunden sind, sondern derzeit lediglich ungenutzt rumliegen (zumindest, was diese Sucht betrifft), also kein Grund, diese Sache von oben herab und ohne die notwendige Krankheitseinsicht zu betrachten. Was ich heute tue, bleibt aber trotzdem meine Entscheidung und ist somit schon davon abhängig, was ich will.
Auf nüchtern, abstinent oder nass kommt es mir dabei gar nicht an, aber auf bewusst. Das Bewusstsein hoffe ich heute nicht zu verlieren.
Und das Ganze hätte ich nun noch gern unabhängig davon, ob ich mal wieder darüber nachdenke, von einer Brücke zu springen, weil das Leben für mich gerade wieder keinen Sinn macht. Hierfür verwende ich übrigens eine ähnliche Strategie. Allein kam ich da nicht hin. Es war ein zentraler Punkt in meinen Therapien wegen der Depressionen, dass ich handle.
Einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat mein Beitrag hier genau so wenig wie alle meine vorherigen. Und ob und wie lange ich damit rückfallfrei und/oder am Leben bleibe, weiß ich auch nich.
Heute bin ich damit recht zufrieden abstinent und frei von Depressionen. Mehr brauch ich nicht.
Danke für das Thema, Maria.
Gruß, Penta