Nachteile als Alkoholiker?

  • Hallo Forum,

    ich habe im geschlossenen Bereich diese Frage zur Diskussion gestellt.

    Nun können sich dort aber nicht alle Mitglieder beteiligen. Deshalb stell ich sie hier auch noch einmal:

    Meine Fragen lautet:

    Welche Nachteile, habt ihr als Alkoholiker?

    Gibt es etwas, daß ihr gern tun würdet, es aber aufgrund eurer Alkoholkrankheit heute in der Abstinenz/Trockenheit nicht könnt oder nicht tut?

    Grüsse
    Andi089

  • Moin Andi,

    aus meiner Sicht habe ich als abstinenter Alkoholiker keine Nachteile und keine Einschränkung...

    Nun ist es grundsätzlich richtig, daß wir ne Krankheit haben, die es erfordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Ein an Zucker erkrankter Mensch muß peinlich genau drauf achten, seine Insulinspritze an Bord zu haben, wir müssen peinlich genau drauf achten, daß wir nicht aus Versehen oder auch beabsichtigt Alkohol zu uns nehmen. Sowohl für den zuckerkranken Menschen als auch für den alkoholabhängigen Menschen könnte es tödliche Folgen haben, das zu mißachten.

    Das wars aus meiner Sicht dann auch schon. Weitere Nachteile in dem Sinne sehe ich ehrlich gesagt keine...

    Ich habe mich vor ein paar Monaten in meinem Fuppesforum, in dem ich seit 2006 Mitglied bin, als abstinenter Alkoholiker geoutet, aus Neugier, wie sich einige mir persönlich bekannten User und das Forum insgesamt verhalten würden...mein Fazit ist durchweg positiv. Meine Einschätzungen werden in keinster Weise auf meine Krankheit reduziert, in vielen Fällen hab ich sogar deutlichen Zuspruch erhalten...und das in einem als alkohollastig verschrieenem Umfeld. Ich poste mit genau denselben Usern, der Umgangston hat sich nicht die Bohne verändert.

    Ansonsten würde ich sagen, daß sich durch die Abstinenz auch einfach die Bedürfnisse verschoben haben. Was ich noch als nasser Säufer als wichtig erachtet habe, bedeutet mir inzwischen einfach nichts mehr. Und was mir nicht wichtig ist, das vermisse ich natürlich auch nicht.

    Ich würde einen frühen, ausgeschlafenen, nüchternen Morgen nie mehr gegen einen verkaterten Morgen tauschen, auch wenn vorher bis um 5 die Puppen getanzt hätten...Es ist eine Sache der Prioritäten...Prioritäten, die sich durch die Abstinenz definitiv verschoben haben.

    Wichtig für mich war die Erkenntnis, daß ich Dinge, die mir Spaß gemacht haben, als ich noch gesoffen habe, auch abstinent Spaß machen. Ich kann auch nüchtern in Musik eintauchen, ich hab nüchtern auf dem Fußball mindestens genausoviel Spaß wie noch im nassen Zustand und ich habe gemerkt, daß ich keinen Alkohol brauche, um verrückte Dinge zu tun...das liegt einfach daran, daß mich früher der Alkohol über manche Hemmschwelle hinwegheben sollte, über die ich heute, abstinent, vielleicht aufgrund von gesundem Selbstbewußtsein, gar nicht mehr hinweggehoben werden muß.

    Das Alles fühlt sich stimmig an...es ist jetzt nicht so, daß ich Gott danke, daß ich alkoholkrank bin...aber ich sehe auch überhaupt keinen Grund, ihm das irgendwie negativ auf seiner Liste zu vermerken.

    Es ist gut so, wie es ist...keine Faust in der Tasche, keine Dinge, die ich vermisse, also auch kein Zurück...wozu auch ? Es geht mir besser denn je :)

    Schönen Gruß und schöne Zeit

    Andreas

  • Hallo Karsten,

    natürlich habe ich einige grundlegende Dinge verändert. Allerdings bin ich der Meinung, ihre Effektivität zeigt sich nicht unbedingt daran, wie schwer mir diese Veränderungen fallen.

    Zuerst habe ich mein Umfeld geändert...Trinker gehören definitiv nicht mehr dazu. Aus deren Umfeld und Dunstkreis habe ich mich sofort gelöst. Sauffeste besuche ich nicht mehr, Geburtstage, auf denen wider Erwarten doch plötzlich getrunken wird, verlasse ich umgehend.

    Dasselbe gilt für mein fußballerisches Umfeld. Ich kicke und gehe nach Hause...die dritte Halbzeit laß ich einfach weg...früher meine Lieblingshalbzeit, nun für mich nicht mehr von Interesse.

    Ich könnte Dir jetzt ne umfangreiche Liste von Einladungen aufstellen, die ich erhalten und die ich abgesagt habe...am Anfang noch zögerlich, später immer direkter und schon nach nem halben Jahr mit der Begründung, daß ich alkoholkrank und abstinent bin.

    Wenn wir auf Auswärtsfahrten gehen, dann fahre ich nur mit Personen, die gar nichts oder nur wenig trinken. Das ist mir sehr wichtig...in einen Fanbus mit zugedröhnten Fuppesfans bringen mich auch jetzt keine tausend Pferde...das Risiko wäre mir einfach zu hoch.

    Auf der Arbeit gilt bei mir 0,0...für alle Mitarbeiter. Richtfeste halte ich nicht mehr ab, Fortbildungen, auf denen getrunken wird, besuche ich nicht, sondern schicke meinen Kompagnon oder einen Mitarbeiter.

    Jetzt frag ich Dich:

    Klingt das nach Risikominimierung für Dich oder nicht ?

    Oder anders gefragt:

    Ist der eingeschlagene Weg erst dann sinnvoll, wenn er Verzicht beinhaltet ? Oder kann ich mir ein Umfeld schaffen, das weitestgehend alkoholfrei ist und in dem ich mich so wohlfühle, daß Saufen für mich überhaupt keine Option mehr ist ?

    Sorry, ich weiß, jetzt sind wir doch wieder bei den Grundbausteinen gelandet. Aber es ist auch ne Verständnissache. Ich kann schlecht plakativ deutlich machen, daß ich z.B. problemlos Fußball spielen kann, ohne mich danach mit ein paar anderen Spielern die Birne zuzudröhnen. Fußball ist ein Hobby, das vor meiner Sauferei da war und aus meiner Sicht ursprünglich nix mit Alkohol zu tun hat...der kam später. Insofern kann ich dem Hobby auch nachgehen, ohne daß ich es automatisch mit Alkohol verknüpfe...wird verständlich, was ich meine ?

    Vielleicht ist es bei Dir mit dem Kegeln ähnlich...vielleicht findet sich da ne Lösung, daß man eben Kegeln und danach einfach nach Hause geht, bevor die anderen Kegler ihren Zapfhahn öffnen...

    Schönen Gruß und schöne Zeit

    Andreas

  • Moin,

    ich hatte nie (mir bekannte oder von mir empfundene) Nachteile, weil ich

    nicht kokste
    kein Heroin spritzte
    nicht Dope rauchte
    nicht Nikotin rauchte
    kein Ecstasy, LSD oder andere chemische Drogen nahm

    Ich habe heute die gleichen Vor- und Nachteile wie jemand, der nie Alkohol zu sich nahm.

    Ich habe früher jeden gemieden, der die o.a. Drogen abhängig zu sich nahm oder überhaupt zu sich nahm.
    Ich meide heute zusätzlich jeden persönlichen Kontakt zu Menschen, die missbräuchlich oder abhängig Alkohol konsumieren.
    Dies ist eine freiwillige Einschränkung, die meiner Einstellung zu Drogenmissbrauch und Drogensucht und meinem Wunsch nach Selbstschutz vor Co-Abhängigkeit entspringt.

    Professioneller Kontakt zu solchen Menschen im Rahmen Hobbys, Freizeitveranstaltungen, Sport, Musik, Selbsthilfegruppen, Foren, Arbeit, usw. ist völlig ok.

    Ärgerlich und unverschämt ist, dass die Nahrungsmittelindustrie die Droge Alkohol fahrlässig unters Essen mischt und ich mehr aufpassen muss, um da nicht hereinzufallen.

    Gruss Jürgen

  • Hi zusammen,

    die großen Erfahrungswerte wie viele hier bezüglich der Nüchternheit habe ich noch nicht, insofern ich (erst) knapp 4 Monate in diesem "positiven" Befinden lebe.

    Verzichten (abgesehen auf Alkohol) möchte ich auf die meisten Dinge nicht, Verzicht auf Hobbies würde für mich eher der Wegbereiter für einen potentiellen Rückfall sein.

    Beispiel: Ich treibe sehr viel Sport (auch zu nassen Zeiten), wenn nun Menschen in meiner Umgebung trinken, so ist das für mich überhaupt kein Problem, warum: Ich liebe Sport und zwar seitdem ich 5 Jahre alt bin und schon vor dem Alkoholtrinken resp. dem Problem und die alkfreie Sportzone gibt es fast nirgends, abgesehen von sterilen Fitness-Centern... und das ist nicht wirklich mein's.

    Ich kann Alkohol nicht aus dem Wege gehen, das Gift ist nunmal gesellschaftlich verankert, plakativ beworben, in jeglichen Lebensformen Bestandteil, Risikominimierung sehe ich zwar als wichtig an, aber nicht in Verbindung mit negativem Verzicht.

    Theater beispielsweise liebe ich sehr, mei, für mich absolut o.k. wenn dort getrunken wird, generell ist es o.k. für mich wenn die Menschen trinken, viele können dies ohne Suchtverhalten und gut so. Ich kann's eben nicht, aus.

    Nehmen wir an, ich verzichte auf Theater, weil im Foyer getrunken wird, und dann, schalte ich eventuell den TV an und sehe saufende Menschen, verbunden mit Glück / Leid, ja super... Ich bin Tatort-Fanatiker, ihr müsst mal hinschauen, in "jedem" Tatort wird gesoffen, wirklich in jedem... ist mir früher nie so aufgefallen, soll ich deshalb den Tatort ausschalten?

    Meine Risikominimierung, welche für mich realistisch erscheint:

    -> Kein Umgang mit Säufern resp. Veranstaltungen mit solchen
    -> Bar's in denen ich früher verkehrte sind tabu
    -> Positive Gedanken - aus kritischen Situationen verschwinden

    Alkohol meiden bedeutet für mich keine Flucht resp. Verzicht, sondern vernünftig und "wahrhaft" leben.

    Ich habe lange Zeit in einer Liga Fussball gespielt, mit exorbitant hohen Alkoholkontakt /-Konsum, wäre ich 15 Jahre jünger, also noch aktiv im contest, das wäre ein Problem, denn das hieße Alkoholverzicht vermutlich dass ich mit Fussball aufhören muss, weil Trigger, die Konfrontation mit Alkohol ins Bodenlose gegangen wäre.

    Grundbausteine finde ich gut & wichtig, nichtsdestotrotz, ich kann nicht nach einer Liste leben, Haken dran und alles ist juuut, jeder muss seinen Weg finden und dieser ist einzigartig, was dem einen hilft ist dem nächsten ein Graus, just life - welcome.

    Wenn ich eins bisher hier (für mich) gelernt habe, ebenso in einer Real-SHG:

    -> Verschiedene Individuen - verschiedene Wege
    -> Grundbausteine individuell angepasst = sehr wichtig
    -> Grundtenor bei Langzeit-Trockenen (mit wenigen Ausnahmen) ist ein positives Lebensfazit

    Diesen Tenor der Langzeittrockenen möchte ich mich gerne irgendwann anschließen, schön wäre das.

    Wäre ich 20 Jahre trocken und bin ein (reflektierter) verbitterter ängstlicher Mann mit Angstpotential vor Alkohol und allen Assoziationen, ja, dann, wäre dies nicht mein Weg gewesen und es ist gleich ob ich lebe oder mich totsaufe.(weil der Lebensinhalt identisch ist)

    Viele Grüße, euer Tian

    Wir sollten nicht zu entdecken versuchen, wer wir sind, sondern was wir uns weigern zu sein.
    (Michel Focault)

  • Zitat von Karsten

    Hallo Andreas,

    ich meinte es auch nicht als Vorwurf.
    Ich wollte halt gerne wissen, wie du es siehst und danke für deine ausführliche Antwort.

    Wenn das Gefühl auf kommt, man verzichtet auf etwas, was man gerne machen würde, stellt sich mir die Frage, gehe ich nun Kompromisse ein oder verzichte ich?

    Ich versuche für mich dann einen Lösungsweg zu finden, wie du bei der dritten Halbzeit, die ich ja auch nicht haben will und somit auch kein Verzicht ist.

    Gruß
    Karsten

    Hallo Karsten,

    das hab ich auch gar nicht als Vorwurf aufgefasst...es ist manchmal nur relativ schwer, Gemütszustände in einem Forum einigermassen rüberzubringen.

    Bei meiner ersten Auswärtsfahrt als Abstinenter nach Rom z.B. hatte ich einige Angebote, im Fanbus mitzufahren. Da war ich gerade mal knapp drei Monate abstinent und mir war sofort klar, daß das meine Abstinenz zu diesem Zeitpunkt durchaus gefährden könnte...somit war das für mich von Haus aus keine Option. Ich bin dann selbst gefahren...das war teurer, mit einem gewissen Aufwand verbunden, aber auch aus jetziger Sicht die absolut richtige Entscheidung.

    Ich finde, das ist ein gutes Beispiel, wie man Risiken von vorneherein minimieren kann, ohne auf Spaß am Leben zu verzichten.

    Denn gewissermaßen minimiere ich das Risiko, wieder in die Saufspirale zu rutschen ja auch damit, daß mein abstinentes Leben schöner ist als mein nasses Leben vorher...

    Dazu mußte ich einiges loslassen, auch einige unbequeme Entscheidungen treffen, aber konnte eben auch, mit entsprechender Modifikation, Dinge, die mir essentiell wichtig sind, behalten. Dinge, bei denen ich inzwischen festgestellt habe, daß ich sie gedanklich nicht mit dem Alkohol gekoppelt habe. Das betrifft v.a. das aktive Fußballspielen selbst...ich hab mit 7 Jahren angefangen und hatte damals schon so viel Spaß am runden Leder wie ich jetzt mit 44 Jahren immer noch habe. Und schon damals beschränkte sich der Spaß am Fußball auf das Spiel an sich, nicht auf die Begleitumstände.

    Schönen Gruß und schöne Zeit

    Andreas

  • Hallo Andi

    ergänzend zu meinen Erfahrungen aus dem erweiterten Bereich . Wenn ich mich aus gesundheitlichen Gründen irgendwie einschränken muss, ist es ein Nachteil. Ob ich es dann als Vorteil sehe wenn ich etwas umschiffe ist da egal.

    Nun kann ich alles was um mich herum passiert so auslegen das es nicht wie ein Nachteil aussieht . Wenn ich es schaffe, das ich dadurch keinen Verzicht als Alkoholiker sehe, habe ich alles richtig gemacht.
    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo & Danke für Eure bisherigen Antworten zu meinem Thema.

    Da ich für mich keinerlei "Nachteile" als abstinent lebender Alkoholiker sehen kann, habe ich mit großem Interesse Eure Erfahrungen gelesen.

    Grüsse
    Andi

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