Wie funktioniert euer Suchtgedächtnis?

  • Hallo,

    mich würde interessieren, wie das Suchtgedächtnis im Bezug auf Lebensmittel bei einzelnen arbeitet und mich über Erfahrungen und Beispiele freuen.
    Ich beziehe mich ganz bewusst auf tatsächlich alkoholfreie Lebensmittel! Ich weiß auch, dass es da Meinungsunterschiede gibt und möchte auch keine Diskussion über "Spuren von Alkohol" oder "steht nicht drauf, is aber drin" führen.
    Ein abstinenter Alkoholiker möchte alles meiden, was ihn "auf dumme Gedanken" bringt, das ist klar. Einer muss mehr aufpassen, einem fällt es leichter oder hat vielleicht auch Tricks?

    Beispiele:
    Kronkorken fliegt, selbst von der Wasser- oder Fantaflasche, und sofort kommen die Erinnerungen ans Flaschenbier???

    Jemand, der vor allem Dosenbier getrunken hat, hat vielleicht auch mit der Dose Cola Probleme. Weil Dose = gleiches Feeling! Andere nicht.
    Andersrum mit Flaschenbier. Kann es helfen Getränke aus anderen Gefäßen zu trinken?

    Kann einer, der nur Bier getrunken hat, einen Kuchen oder Nachtisch essen, der zwar tatsächlich keinen Alkohol enthält, aber zB Amaretto-Aroma, weil er es nicht mit Alkohol verbindet?

    Kann ein Gericht, dass man mit Alkohol kochen kann, bzw vorher gekocht hat, wenn man nun den Alkohol weglässt, trotzdem Suchtdruck auslösen? Weil es vielleicht dran erinnert, dass sonst Alkohol drin war?

    Lösen Namen, die mit Alkohol zu tun haben tatsächlich was aus, auch wenn man 100%ig weiß, dass kein Alkohol drin ist, wie zB Bierwurst? (Auch hier bitte keine Diskussion, ich weiß es haben schon Leute Alkohol in Wurst gefunden, aber normal is das ja nicht. Denke aber das Beispiel ist klar!)

    Wie ist das bei euch?

    Ich würde mich über Beispiele freuen und vielleicht auch über Erfahrungswerte, ob sich sowas im Laufe der Abstinenz auch geändert hat.
    Ich will auch niemanden anstiften, für sich ein Risiko einzugehen. Niemand sollte das. Aber das würde mich sehr interessieren, da ich keine Alkoholikerin bin und das so nicht einzuschätzen vermag.

    Liebe Grüße,
    Trixy

  • Hallo Trixy,

    stell Dir vor, dass Dein Unterbewußtsein, also das wo Du nicht weißt wie es reagiert und warum es so reagiert, auf etwas reagiert, was tief verankert ist. Wenn diese Erinnerungen und Auslöser nicht mehr da sind, dann sind sie weg, bis sie neue Nahrung bekommen.

    Alles was Du da aufgeschrieben hast löst bei mir nichts aus.

    Lange vor einem Rückfall stehen Situationen, unbewußte Verhaltensänderungen, die in Summe zu einem Rückfall führen. Das was Du anführst ist dann nur noch das Feuer an der Lunte, die Bombe geht auch so hoch. Da kann jeder Impuls zündeln oder auch nicht.

    Oder meinst Du, ob du schwanger wirst vom Anschauen? Probier es aus.

    LG Kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

  • Hallo kaltblut,

    heißt das, du hast auf Lebensmittel bezogen überhaupt kein Suchtgedächtnis, außer natürlich bei tatsächlich alkoholischen???
    Heißt, du musst da auch nicht so drauf achten? Wenn du weißt, da ist nichts drin, kannst du alles trinken und essen, egal in welcher Form?

    Also, das mit der Summe der Situationen klingt für mich auch sinnig. Ich hätte jetzt auch gedacht, dass Suchtgedächtnis (ich erinner mich) nicht zwangsläufig mit Suchtdruck(ich will das jetzt) und mit Rückfall gleichzusetzen ist. Oder ist es so definiert, dass wenn dein Suchtgedächtnis anspringt, du auch Suchtdruck bekommst?

    Liebe Grüße,
    Trixy

  • Hallo Trixy,

    bei Deinen Beispielen "springt" bei mir auch nichts an. Bis auf das, mit dem Amaretto-Aroma im Kuchen. Den würde ich stehen lassen, weil ich weiß, daß er so ähnlich schmeckt (oder schmecken soll), wie der Likör und dies eventuell die bei mir typischen Symptome von Suchtdruck (Unwohlsein, Innere Unruhe, Blut schiesst in den Kopf, Zappelphilip-Beine, meine weite Wahrnehmung wird eng und neben der Realität) auslösen kann. Wahrscheinlich sogar Verlangen, was ich persönlich viel gefährlicher für mich empfinde.

    Ansonsten möchte ich Dir gerne mit einem persönlichen Erlebnis, welches gut eine Woche zurückliegt, versuchen zu verdeutlichen, wie mein Suchtgedächtnis funktioniert.

    Berufsschule, Fach Veranstaltungsmanagement, Thema: Werbung. Der Lehrer erklärt mittels Powerpoint-Präsentation erst einmal theoretisch so Sachen wie Kommunikationsziele und -gruppen, Leitidee, Unique Selling Position usw. Danach präsentiert er Beispiele. Zuerst eine Werbekampagne von einer bekannten Autoverleihfirma. Viele Plakatbeispiele, wir beteiligen uns interessiert und rege. Nach der Pause dann das nächste Beispiel einer Werbekampagne: ein Hamburger Bier! Ich muß gequält schmunzeln. In mir selbst passiert sonst erstmal nichts. Jedenfalls nicht bewußt. Aber bildgebende Verfahren (MRT) in der Medizin haben nachgewiesen, daß der Anblick der Droge (auch einfach nur Abbildungen) beim Süchtigen (auch wenn er schon lange trocken bzw. clean ist) im Limbischen System (Zwischenhirn) messbare Aktivitäten, quasi wie ein Funkensprühen, auslösen.

    Dieses "Funkensprühen" habe ich in den ersten Monaten meines nüchternen Lebens in der Form wahrgenommen, daß ich desöfteren Unwohlsein verspürte. Wenn ich durch die Strassen Berlins ging, habe ich überall den Alkohol wahrgenommen und gesehen, wo ich früher achtlos dran vorbeigegangen bin: Plakatwerbungen, halbleere Bierflaschen auf der Strasse, die Schaufensterdeko der Spätis, die vielen Menschen mit einer Flasche in der Hand usw.

    Mit der Zeit hat sich das gelegt. Jedoch in dieser Unterrichtsstunde wurden die Motive haarklein analysiert. Headline, Abbildung, Bildkomposition, Slogan, Produktmotiv usw. Das war dann doch zuviel Konfrontation für mich. Nach dem dritten oder vierten Plakatbeispiel stellten sich die bei mir üblichen Symptome von Suchtdruck ein (wie oben beschrieben). Ich habe meiner Klassenkameradin neben mir noch ins Ohr geflüstert, daß ich jetzt mal wieder einen "Rappel" habe (meine Klasse weiß von meiner Sucht) und bin aus dem Unterricht unentschuldigt gegangen und die kompletten zwei Stunden gefehlt.

    Mein Suchtdruck ließ nach viel Wasser trinken schnell nach. Danach bin ich noch ein paar Runden um den Block spazierengegangen. Nach der Pause ging ich dann wieder in den Unterricht. Die Woche drauf habe ich dem Lehrer erzählt, warum ich so plötzlich abgehauen bin. Das "unentschuldigt" streicht er wieder raus und Alkoholwerbebeispiele gibt es fortan nicht mehr bei ihm - zumindest in meiner Klasse nicht mehr.

    Viele Grüße Leo

  • Hallo Leo,

    danke für deine Erfahrungen, krass was in so nem Hirn abgehen kann. Das mit der medizinischen Studie ist ja interessant. Kannst du mir sagen, wo ich darüber oder unter welchem Namen ich darüber was finde?

    Also bei diesem Amaretto-Beispiel würde für dich reichen, dass du weißt, es schmeckt wie etwas mit Alkohol? Oder hast du selbst schon Amaretto getrunken?

    Kannst du mittlerweile auf Geburtstage oder so gehen, wo andere trinken (jetzt nicht saufen) oder meidest du solche Anlässe immer noch?

    Ein schönes Wochenende,
    Trixy

  • Hallo Trixy,

    Zitat von Trixy

    danke für deine Erfahrungen, krass was in so nem Hirn abgehen kann. Das mit der medizinischen Studie ist ja interessant. Kannst du mir sagen, wo ich darüber oder unter welchem Namen ich darüber was finde?

    Einfach in der Suchmaschine Begriffe wie "Neurobiologie", "Sucht" u.ä. in verschiedenen Kombinationen eingeben.

    link gelöscht!
    Bitte keine fremden links einstellen! Danke - Aurora

    Amaretto kenne ich, aber es geht gar nicht darum, sondern daß es mir reicht zu wissen, daß es einen alkoholischen Geschmack nachahmt. Also lasse ich lieber die Finger davon. Aus diesem Grunde trinke ich auch kein Malzbier oder 0,0%-alkoholfreies Bier. Ist mir einfach zu ähnlich zu dem, was es letztlich imitieren soll.

    Was Geburtstage und ähnliche Anlässe anbelangt - habe es am Anfang noch nicht so gehalten, aber für knapp ein Jahr habe ich nun solcherlei Aktivitäten gemieden. Es fällt mir schwer, mein soziales Leben hat sich ganz schön reduziert. Aber in jüngster Zeit habe ich mich auch - sehr vorsichtig und kontrolliert - wieder ein bißchen nach "draußen" gewagt.

    Was treibt Dein Interesse eigentlich an - bist Du Medizinstudentin oder hast Du jemanden in Deinem Umfeld, der alkoholabhängig ist? Ähm, mußt nicht antworten, wenn Du es unangenehm findest. Bin halt neugierig.

    Viele Grüße Leo

  • Hi nochmal,

    glaube der link funzt nicht und es gibt hier wohl keine edit-Funktion. Hier also die website:

    bitte keine fremden links...Aurora

    Es ist der Text ganz oben von Jobst Böning, den ich Dir verlinken wollte.

    Viele Grüße Leo

  • Hey Leo,

    dank google hab ich einige interessante Sachen über das Thema gefunden, danke.

    Ich bin als Freundin/Ex-Partnerin/Wieder-Partnerin mit Fragezeichen eines Seit-Kurzem-Abstinenten Alkoholikers hier im Forum unterwegs, um meinen Wissensdurst zu löschen und mich auszutauschen. Meine Geschichte findest du hier bei den Angehörigen.

    Ich habe bei dir gelesen, dass du jetzt ein gutes Jahr trocken bist (Herzlichen Glückwunsch dazu!). Jetzt sagst du, am Anfang hättest du es nicht so gehalten, Feierlichkeiten/Aktivitäten zu meiden. Wie ging es dir dabei? Bist du auf Grund deines anspringenden Suchtgedächtnisses dazu gekommen, dein Verhalten zu ändern? Wie geht dein Umfeld mit deiner Sucht um, bzw wie gehts du jetzt mit deinem (normal) trinkenden Umfeld um (grade bei Geburtstagen oder Feierlichkeiten)?
    "Sehr vorsichtig und kontrolliert" bedeutet, in deinem Fall, was?

    Liebsten Gruß,
    Trixy

  • Hallo Trixy,

    Dir ist aber schon klar, das Dein Ex-oder Wieder-XY sich selbst um all die Dinge zu kümmern hast, die Du hier abfragst, oder? :wink:
    Dein XY ist erstens erwachsen und zweitens selbst für sein Leben, und auch seine Trockenheit, verantwortlich !

    Warum möchtest Du Dich so ausführlich informieren?
    Um ihm dann zu sagen, wie trocken-werden/bleiben geht?
    Ist er Deine Baustelle, weil Du sonst nix beseres zu tun hast?
    Oder hast Du ein ausgeprägtes Helfersyndrom?

    Ich bin heute eigentlich ganz froh, das sich mein Mann nicht zu arg in meine Angelegeheiten gemischt hat bezüglich trocken werden.
    Ich glaube, er wäre mir damit verschärft auffen Zeiger gegangen.
    Er muss auch nicht alles über meine Krankheit wissen, muss nicht über alles 100% informiert sein.
    Und schon gar nicht muss er sie nachvollziehen können.
    Es reicht, das er einfach da ist und das wichtigste über die Krankheit weiß.
    Das reicht.
    Für meine Trockenheit bin ich selbst verantwortlich.
    Das hat mit ihm gar nix zu tun.

    LG Sunshine

  • Danke Sunshine für deine Ermahnung!
    Aber nein, ich möchte mich informieren und wissen wie es funktioniert. Findest du das nicht legitim?

    Für mich ist es schon wichtig, zu wissen, was da eigentlich passiert. Und ich rede "meinem xy" nirgends rein, bevormunde ihn nicht. Ich habe kein Helfersyndrom und bin auch nur für mich verantwortlich. Und ich habe auch sonst genug zu tun und ein sehr erfülltes Leben! Alles gut!

    Vielleicht kannst du ja einfach auch deine Erfahrungen zum Thema schreiben?!

    Liebe Grüße
    Trixy

  • Zitat von Trixy

    Jetzt sagst du, am Anfang hättest du es nicht so gehalten, Feierlichkeiten/Aktivitäten zu meiden. Wie ging es dir dabei? Bist du auf Grund deines anspringenden Suchtgedächtnisses dazu gekommen, dein Verhalten zu ändern? Wie geht dein Umfeld mit deiner Sucht um, bzw wie gehts du jetzt mit deinem (normal) trinkenden Umfeld um (grade bei Geburtstagen oder Feierlichkeiten)?Trixy

    Einerseits tatsächlich durch Symptome vegetativer Art (innere Unruhe, Unwohlsein, Blut schießt durch den Körper), die ich für mich als Suchtdruck definiere, z.B. bei der Fahrt Richtung Stadion nach 4 Wochen Nüchternheit (nachzulesen in meinem Thread). Bei so etwas höre ich auf meinen Körper, auf mein Bauchgefühl, und mache kehrt, haue ab. Andererseits aber auch durch Erfahrungen, Lebenswegen von anderen Alkoholikern mit längerer Nüchternheit. Menschen sind unterschiedlich, es gibt viele verschiedene Wege. Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten in den Wegen (vielleicht mit Variationen, klar). Jedenfalls hat mich dieses "wenn man keine Ahnung hat, vielleicht einfach erstmal bei denen Zuhören, die Ahnung haben" ab so Mitte Oktober rum mit dazu gebracht, konsequenter meine Lebensgewohnheiten zu ändern.

    Geburtstage, Feierlichkeiten, Stadionbesuche, Fankneipe usw. meide ich einfach. Wenn ich mich mit FreundInnen aus dem Fanclub (oder vom Softball, oder überhaupt generell) treffe, dann einzeln oder in kleinen Gruppen, keineR trinkt Alkohol in meiner Gegenwart und wir treffen uns auch nicht in Kneipen, sondern Cafés tagsüber oder irgendwo draussen, wo jetzt nicht gerade drumherum viel gesoffen wird.

    Mein Umfeld? Tja - ich kann zwar nicht in die Köpfe reinschauen, aber ich kriege eigentlich von den allermeisten ehrlich empfundenen Respekt und Achtung. Das bedeutet mir sehr viel. Von den wenigen, die meine Sucht nicht Ernst nehmen, verharmlosen, irgendwie - auch nach längerer Zeit - irritiert sind, halte ich mich fern. Wenn Sie mit mir als nüchtern lebender Mensch nichts mehr anfangen können, weil anscheinend der Alkohol die gemeinsame Basis war, kann ich mit denen jetzt auch nichts mehr anfangen, weil Alkohol eben nicht mehr meine Basis ist.

    Liebe Grüße Leo

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