Die Kunst des Rettens oder: Mein Bruder, der keine Hilfe will

  • Hallo Sorra,

    Zitat

    Jedoch bin ich von der Idee des Tiefpunkts noch nicht komplett überzeugt.
    Für mich ist dieses Loslassen wie russisches Roulette, vielleicht geht alles gut, vielleicht auch nicht. Viele Leute schaffen den Absprung nicht. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit? Ich soll mein Leben leben und hoffen,dass mein Bruder irgendwie zu sich kommt? Und wenn nicht, stirbt er halt, Pech gehabt.


    es geht nicht um seinen Tiefpunkt, sondern um deinen!
    Wenn du es aushalten kannst, dass dein Bruder nicht das tut, was du dir von ihm wünschst, musst du natürlich nichts tun.
    Wenn du es aber nicht aushalten kannst, dass du immer wieder gegen Wände bei ihm läufst, solltest du vielleicht etwas tun. Und die Lösung ist dabei nicht, von woanders aus Anlauf zu nehmen oder eventuell noch mehr Schwung zu holen, um im Bild zu bleiben.
    Ihn berührst du damit wahrscheinlich eher weniger, du schadest damit aktiv dir.
    Er trinkt selbst. Dafür trägst du keine Verantwortung, auch wenn sich das sehr kalt anhört.
    Ich sehe es nicht so, dass ein Alkoholiker "Pech" hat, wenn er sein Leben ruiniert. Aber ich sehe es so, dass niemand ihm die Verantwortung dafür abnehmen kann, auch nicht seine Schwester.
    Das Schlimme an dieser Binsenweisheit ist, dass sie in gleichem Maße richtig und traurig ist, deshalb kann ich wohl nur ansatzweise nachvollziehen, wie es dir damit geht, denn ich bin nicht in dieser Situation.
    Ich wollte es nur nochmal nachreichen. Ich wünsche dir alles Gute. Deinem Bruder natürlich auch.
    Und ich hoffe, dass du einen gangbaren Weg für dich findest.
    Viele Grüße Penta

  • Hallo Hull,

    ich danke dir für deine Antwort!


    im Prinzip ist es nur fraglich, wann der Betroffene seinen Zustand als nicht mehr wünschenswert anerkennt. Es gibt hier Beispiele von Personen, die obdachlos wurden, aber auch von Personen, die ein noch scheinbar normales Doppelleben führten. In beiden Beispielen trinken die Personen nichts mehr. Beide Personen hatten ihren Tiefpunkt, obgleich er relativ war.

    Ich finde es vielmehr fraglich, OB der Betroffene diesen Zustand jemals als nicht wünschenswert anerkennen wird. Und ich bin mir auch unsicher, ob das Anerkennen reicht, um ein Handeln auszulösen.
    Die Chancen den sogenannten Absprung niemals zu schaffen sind sehr hoch. Es ist viel wahrscheinlicher an der Krankheit zugrunde zu gehen...

    Ich verstehe deinen Punkt, dass der Tiefpunkt ein relativer Moment für den Betroffenen ist, jedoch ist mein Problem, dass es eben nicht sicher ist, dass das überhaupt eintritt. Dann ist es nur mehr eine Glaubensfrage bzw. ein Vertrauen, dass mein Bruder das schon "irgendwie" schaffen wird.
    Da wären wir auch beim Kern der 12 Schritte, nämlich in etwas zu vertraut, das sich außerhalb der eigenen Kontrolle befindet. Das erklärt auch warum AA diesen religiösen Bezug an sich hat.
    Meine Probleme sind aber:
    1. Das ganze Konzept betrachte ich skeptisch. Um ehrlich zu sein, wirkt es auf mich, wie eine Selbstlüge, die man sich einredet, um sich gut zu fühlen. Ich bin kein Fan von Glaubensdingen.
    2. Wüsste ich auch wirklich nicht, wie man dieses Vertrauen rein praktisch aufbringen kann.
    Ich habe das auch nie richtig beigebracht bekommen bzw. gelernt.
    Was meinst du dazu?
    Wie war es denn eigentlich für dich, als du noch getrunken hattest mit den Angehörigen und dem Trockenwerden?

    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Morgenrot,


    Im Bereich Sucht bist du ein hilfloser Helfer, für den nassen Alkoholiker.
    Investiere deine Energie in dich, denn du bist es wert.

    Ich bin es mir aber nicht wert. Ganz nüchtern ausgedrückt. Ich investiere eh Energie in mich, da ich nicht zuviele Unannehmlichkeiten im Leben haben will, aber ich finde das Leben nicht sonderlich lebenswert. Es ist mühsam. Und nur für mich zu leben, erscheint mir komplett sinnlos.
    Ich sehe keinen Nutzen darin.

    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Penta!

    [quote='Penta','Re: Die Kunst des Rettens oder: Mein Bruder, der keine Hilfe will']
    Du beschreibst das gut, und hast auch sehr Recht damit. Ich versuche auch schon permanent etwas zu verändern, und es hilft (mir) auch. Ich versuche mich nicht an Methoden zu klammern, die jahrelang keine Ergebnisse erzielen. Jedoch bin ich in einem ewigen Hin und Her zwischen vollkommenes Ausblenden und Rettungsmodus, weil es wahrscheinlich auch so tief verwurzelt ist.

    Danke für deinen Beitrag.
    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Sorra,

    die Erkenntnis des Betroffenen ist die einzige Möglichkeit für Veränderung. Das Problem in sich selbst bei (vor allem bei täglichem) Alkoholmissbrauch ist natürlich, dass die Sinne grundsätzlich vernebelt sind, die Willensstärke eingeschränkt wird und der Alkohol schließlich die einzige Quelle für Glücksgefühle wird. Mir persönlich erschließt es sich nicht, wie man dies als Betroffener nicht merken kann, aber ich muss es glauben, da es unzählige Berichte darüber in diesem Forum gibt. Wie es auch sei, der Betroffene erkennt seinen Zustand oder nicht, kann aber nur im Falle des Erkennens versuchen, sich zu befreien und schließlich eine Logik für sich selbst zu entwickeln, die möglichst kein Hilfskonstrukt darstellt, und letztlich damit für immer nüchtern bleiben. Alle anderen Umwege, wie du selbst schon vermutest, führen nicht zum Ziel.

    Grüße

  • Ich bin es mir aber nicht wert. Ganz nüchtern ausgedrückt. Ich investiere eh Energie in mich, da ich nicht zuviele Unannehmlichkeiten im Leben haben will, aber ich finde das Leben nicht sonderlich lebenswert. Es ist mühsam. Und nur für mich zu leben, erscheint mir komplett sinnlos.
    Ich sehe keinen Nutzen darin.

    Alles Liebe,
    sorra

    Liebe Sorra,
    ich finde es sehr schade, das Du das Leben nicht sonderlich lebenswert findest. Es macht mich ehrlich gesagt etwas sprachlos.

    Natürlich ist das Leben manchmal etwas mühsam, und ein Leben nur für sich, ohne Freunde, Familie ist auch trostlos. Was müsste denn passieren, damit Du Dein Leben wieder genießen kannst?

    Liebe Grüße
    Sunny

  • Hallo Hull,


    die Erkenntnis des Betroffenen ist die einzige Möglichkeit für Veränderung. Das Problem in sich selbst bei (vor allem bei täglichem) Alkoholmissbrauch ist natürlich, dass die Sinne grundsätzlich vernebelt sind, die Willensstärke eingeschränkt wird und der Alkohol schließlich die einzige Quelle für Glücksgefühle wird.

    Ja das stimmt, es ist grauenhaft welche verschlingende Wirkung der Alkohol hat.


    Mir persönlich erschließt es sich nicht, wie man dies als Betroffener nicht merken kann, aber ich muss es glauben, da es unzählige Berichte darüber in diesem Forum gibt.

    Aber wie kann das sein, du hast es selbst doch auch erfahren? Also die Krankheit bzw. ihre Tragweite lange nicht bemerkt, oder? Gibt es für dich keine Paralleln zu den anderen Beiträgen?


    Wie es auch sei, der Betroffene erkennt seinen Zustand oder nicht, kann aber nur im Falle des Erkennens versuchen, sich zu befreien und schließlich eine Logik für sich selbst zu entwickeln, die möglichst kein Hilfskonstrukt darstellt, und letztlich damit für immer nüchtern bleiben. Alle anderen Umwege, wie du selbst schon vermutest, führen nicht zum Ziel.

    Da stimme ich dir zu. Aber denkst du, dass es dabei völlig egal ist, was der Angehörige tut? Ich denke, es macht einen Unterschied, ob man sich einmischt oder die Person ignoriert. Meine Frage wäre, wie ich bei dem ganzen ins Spiel komme?

    Was ist das effizienteste?
    Wären gewisse "Regeln" sinnvoll, wie ein Treffen nur, wenn er nüchtern ist oder das Thema Alkohol nicht ansprechen usw.? Wie du sagst, sind die Sinne vernebelt, wieviel bringt ein Treffen dann wirklich, wenn er seine Sinne taub sind?
    Sein unberechnbares Verhalten verunsichert mich zudem, ich habe auch Angst teilweise, deshalb ist es klug, die Situationen zu planen und vor zu kalkulieren, jedoch fällt es mir schwer, abzuwägen was in manchen Fällen das richtige ist.
    Ich schätze mich auch schlecht ein, ich wäre gerne viel cooler, als ich dann wirklich bin. Ich bin meistens sehr ruhig, wenn ich mich mit ihm treffe und schaffe einen distanzierten und "professionellen" Umgang. Er ist sehr nervös und impulsiv, ein falsches Wort und er explodiert. Ich schaffe es schon gut, mit ihm zu sprechen, ohne anzuklagen und auch mich zu schützen, sobald er mich angreift. Es ist kräfteraubend und vielleicht auch manipulativ, aber es geht. Innerlich jedoch sterbe ich und Wut und Trauer füllt meinen ganzen Körper. Dann brauche ich auch einige Tage um wieder zu mir zu finden.

    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Sunny,


    Natürlich ist das Leben manchmal etwas mühsam, und ein Leben nur für sich, ohne Freunde, Familie ist auch trostlos. Was müsste denn passieren, damit Du Dein Leben wieder genießen kannst?

    Als ich deine Frage gelesen habe, habe ich überlegt, welche Umstände anders sein müssten, damit mir mein Leben gefällt. Dann ist mir eingefallen, dass bezüglich einer Studie zu Glück, nur 20% Prozent deines Glücks- bzw. Zufriedenheitsgefühl von äußeren Umständen bestimmt wird. 80% Prozent kommen von deiner innerlichen Einstellung, wie du die Welt siehst.
    Ich habe keine Antwort. Wahrscheinlich müsste sich meine Sicht ändern, damit ich das Leben genießen kann. Vielleicht hab ich einen Mangel an Glückshormonenzufuhr. Im Hinblick auf die Vergänglichkeit verschwindet jeglicher Lebenssinn.
    Jetzt bin ich sehr pathetisch geworden.

    Was ich eigentlich sagen wollte: ich denke, ich bin nicht fähig und teilweise auch nicht gewillt, aus mir selbst soviel Nutzen zu ziehen, so das ich nur für mich lebe. Ich weiß nicht, wie man das ändern kann.

    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Sorra,

    Zitat

    Aber wie kann das sein, du hast es selbst doch auch erfahren? Also die Krankheit bzw. ihre Tragweite lange nicht bemerkt, oder? Gibt es für dich keine Paralleln zu den anderen Beiträgen?

    Ich sehe Alkoholismus nicht wirklich als spezifische Krankheit, es sind gewisse Charaktereigenschaften, die dazu führen, allgemein anfälliger oder zumindest empfänglicher für Stimulanzien zu sein. Es ist kein Zufall, dass fast alle Alkoholiker rauchen oder aber auch Mischkonsum nachgehen. In der Tat wusste ich im Jugendalter, dass mein Alkoholkonsum schon vom ersten Mal an Missbrauch sein musste, natürlich gab es keine klare Definition von einem Alkoholiker, aber selbst für hemmungslose Jugendverhältnisse, gab es für mich nur Extreme (nicht nur im Alkohol).

    Zitat

    Wären gewisse "Regeln" sinnvoll, wie ein Treffen nur, wenn er nüchtern ist oder das Thema Alkohol nicht ansprechen usw.? Wie du sagst, sind die Sinne vernebelt, wieviel bringt ein Treffen dann wirklich, wenn er seine Sinne taub sind?

    Du musst versuchen zu verstehen, dass Regeln nutzlos sind. Im besten Falle mag es zu Beginn so laufen, dass der Betroffene, erst dann, wenn du außer Sichtweite bist, macht was er will. Mit der Zeit wird dies dem Betroffenen zu umständlich und er macht generell alles wieder so, wie er will. Man kann es mit einer Diät vergleichen, die der Betroffene von vornerherein hasst und nur durch äußeren Zwang durchführt. Das sind jene Konstrukte, die einstürzen - einzig die Frage, wann es soweit ist, lässt Interpretationsspielraum.

    Für dein Verhalten kann ich dir nichts sagen, ich persönlich habe früher allerdings nur überlegene und hochintelligente Menschen respektiert. Falls der Gegenüber in irgendeiner Form Schwäche gezeigt hat, habe ich seine Ansichten sofort entwertet, da er mir niemals als Vorbild dienen könnte. Ob dir das nun hilft, darf natürlich sehr bezweifelt werden, aber wenn dein Bruder - wie du schreibst - eine gewisse Intelligenz aufweist, mögen auch bei ihm offensichtliche Ratschläge gar nichts bewirken.

    Grüße

  • Hi Hull,

    ich danke dir für deine rasche Antwort. Dir zu antworten ist eine wunderbare Gelegenheit, um meine tagtäglichen Verpflichtungen hinauszuschieben!


    Ich sehe Alkoholismus nicht wirklich als spezifische Krankheit, es sind gewisse Charaktereigenschaften, die dazu führen, allgemein anfälliger oder zumindest empfänglicher für Stimulanzien zu sein. Es ist kein Zufall, dass fast alle Alkoholiker rauchen oder aber auch Mischkonsum nachgehen. In der Tat wusste ich im Jugendalter, dass mein Alkoholkonsum schon vom ersten Mal an Missbrauch sein musste, natürlich gab es keine klare Definition von einem Alkoholiker, aber selbst für hemmungslose Jugendverhältnisse, gab es für mich nur Extreme (nicht nur im Alkohol).


    Das mit dem Suchtcharakter mag stimmen, aber ich sehe das Ganze doch als Krankheit, in der eine gewisse Neigung oder Veranlagung vielleicht ein Mitfaktor ist, aber generell darüber hinaus geht.

    Aha, das heißt es war schon früh in deinem Bewusstsein. Und was war dann das Ausschlaggebende für dich, dass du von dieser Erkenntnis heraus zum Handeln übergegangen bist?
    Ich bin mir sicher, dass mein Bruder auch weiß, dass sein Alkoholkonsum nicht normal oder kontrolliert ist. Er sagt selbst, dass er ein Problem hat. Aber er kann trotzdem nicht aufhören oder sich Hilfe suchen.


    Du musst versuchen zu verstehen, dass Regeln nutzlos sind. Im besten Falle mag es zu Beginn so laufen, dass der Betroffene, erst dann, wenn du außer Sichtweite bist, macht was er will. Mit der Zeit wird dies dem Betroffenen zu umständlich und er macht generell alles wieder so, wie er will. Man kann es mit einer Diät vergleichen, die der Betroffene von vornerherein hasst und nur durch äußeren Zwang durchführt. Das sind jene Konstrukte, die einstürzen - einzig die Frage, wann es soweit ist, lässt Interpretationsspielraum.


    Ich verstehe. Vielleicht brauche vielmehr ich die Regeln...
    Das heißt heruntergrebochen habe ich die Option zwischen ihn aushalten oder Kontaktabbruch?



    Für dein Verhalten kann ich dir nichts sagen, ich persönlich habe früher allerdings nur überlegene und hochintelligente Menschen respektiert. Falls der Gegenüber in irgendeiner Form Schwäche gezeigt hat, habe ich seine Ansichten sofort entwertet, da er mir niemals als Vorbild dienen könnte.


    Ach, das kenn ich gut!
    So war ich auch damals. Intellekt und (meine eingeschränkte Definition von) Intelligenz waren für mich das Größte und durch einen hohen IQ war es auch einer der wenigen Bereiche in meinen Leben, in denen ich mich sicher fühlte und stützen konnte.
    Ich denke, das hat aber nichts mit Alkohol zutun. Das ist mehr eine Störung der Persönlichkeit, unabhängig von Alkohol. Bei mir lag es im Kern an einer Unfähigkeit, Menschen auf gleicher Ebene zu begegnen, ich konnte sie immer nur in einem ungleichen (Macht)Verhältnis sehen, indem ich entweder auf sie hinauf- oder herabsah. Es hatte auch viel mit meinem flackernden Selbstbild zutun, teilweise habe ich noch immer Schwierigkeiten damit. Vielleicht hat das bei dir einen ähnlichen Ursprung, da du wie du schreibst, zu Extremen tendierst und deshalb vielleicht schwer auf eine Ebene mit den Menschen sein konntest.

    Wie auch immer, ich finde es immer besonders bereichernd, aus der Sicht von Alkoholikern was lesen zu dürfen, es bringt mir viel Klarheit.
    Alles Liebe,
    sorra

  • Hallo Sorra,

    Zitat

    Das mit dem Suchtcharakter mag stimmen, aber ich sehe das Ganze doch als Krankheit, in der eine gewisse Neigung oder Veranlagung vielleicht ein Mitfaktor ist, aber generell darüber hinaus geht.

    Aha, das heißt es war schon früh in deinem Bewusstsein. Und was war dann das Ausschlaggebende für dich, dass du von dieser Erkenntnis heraus zum Handeln übergegangen bist?
    Ich bin mir sicher, dass mein Bruder auch weiß, dass sein Alkoholkonsum nicht normal oder kontrolliert ist. Er sagt selbst, dass er ein Problem hat. Aber er kann trotzdem nicht aufhören oder sich Hilfe suchen.

    Es erscheint mir - je länger ich nüchtern bin - immer sinnloser, eine Ansammlung aller Gründe für die Nüchternheit niederzuschreiben, da letztlich nur der Wille gezählt hat. Es sind natürlich Dinge wie die folgenden: Dass man nicht mehr weiß, was man macht, am nächsten Tag verkatert in einer fremden Wohnung aufwacht, das Auto zu Schrott fährt, den Führerschein verliert, hohe Geldstrafen bezahlt, Beziehungen zerstört, gesundheitlich angeschlagen ist, den Stumpfsinn der Gleichgesinnten ständig als sein Spiegelbild sieht usw. Wenn ich es einordnen müsste, käme zuerst der Wille und dann die immer stärker werdende Verachtung für den Alkoholmissbrauch und der Schwäche, nicht selbstbestimmt zu sein. Diese Verachtung wuchs und wächst weiterhin in meiner Nüchternheit, da ich auch heute noch Bekannte sehe, wie sie sich selbst belügen, nur um den Alkoholmissbrauch zu legitimieren; sich also nicht einmal mit Genuss zu betrügen, um ein Zitat Fausts ein wenig für diesen Zweck zu entfremden.

    Zitat

    Das heißt heruntergrebochen habe ich die Option zwischen ihn aushalten oder Kontaktabbruch?

    Ich würde es manipulativ versuchen, mit gezielten aber unscheinbaren Bemerkungen, die ihn in seinem Stolz herausfordern oder wo auch immer dein Bruder angreifbar ist. Ob davon viel zu erwarten ist, dürfte aber strittig sein.

    Zitat

    Intellekt und (meine eingeschränkte Definition von) Intelligenz waren für mich das Größte und durch einen hohen IQ war es auch einer der wenigen Bereiche in meinen Leben, in denen ich mich sicher fühlte und stützen konnte.
    Ich denke, das hat aber nichts mit Alkohol zutun. Das ist mehr eine Störung der Persönlichkeit, unabhängig von Alkohol. Bei mir lag es im Kern an einer Unfähigkeit, Menschen auf gleicher Ebene zu begegnen, ich konnte sie immer nur in einem ungleichen (Macht)Verhältnis sehen, indem ich entweder auf sie hinauf- oder herabsah. Es hatte auch viel mit meinem flackernden Selbstbild zutun, teilweise habe ich noch immer Schwierigkeiten damit. Vielleicht hat das bei dir einen ähnlichen Ursprung, da du wie du schreibst, zu Extremen tendierst und deshalb vielleicht schwer auf eine Ebene mit den Menschen sein konntest.

    Es wird definitiv als Störung angesehen, ich habe hierzu einige Dinge nach meiner Anmeldung ausgeführt, ich denke allerdings nicht, dass wir hier die gleichen Beweggründe haben.

    Grüße

  • Hallo Hull,

    nach längerer Überlegung ist der Ausdruck "Alkoholkrankheit" vielleicht doch nicht die treffendste Beschreibung. Sucht wäre vielleicht angebrachter? Da ich mich nicht so tiefgreifend mit dem Thema beschäftigt habe, wie andere hier, wähle ich etwas unüberlegte Begriffe und ich merke, dass dies problematisch für Betroffene hier ist.


    Es erscheint mir - je länger ich nüchtern bin - immer sinnloser, eine Ansammlung aller Gründe für die Nüchternheit niederzuschreiben, da letztlich nur der Wille gezählt hat.


    Ist das so? Die einzige Droge die sich bei mir je zur Sucht entwickelt hatte, war die Nikotinsucht bzw. das Rauchen (wenn man Internetnutzung außer Acht lässt). Es ist nicht ganz vergleichbar mit Alkohol, da es keinen sonderlichen Effekt hat, außer dass es wohl etwas stresslösend wirkt und das Hungergefühl dämpft. Ich habe auch aus einem scheinbar banalen Grund aufgehört: Ich wollte schon länger aufhören, habe es aber nicht geschafft. Dann hatte ich eine Erkältung und war angewidert von Zigaretten und habe drei Tage nicht geraucht. Ich wollte mir die "Arbeit" nicht zerstören und habe es seitdem so beibehalten. Jetzt bin ich auch militant in meinem Nichtrauchen und habe ein Unverständnis für Menschen die noch weiterhin rauchen und auch für mein eigenes damaliges Verhalten.
    Ich habe sehr jung zu rauchen begonnen und mir war auch von Anfang an klar, dass es schlecht und süchtigmachend ist (zumal das Rauchen auch nicht mehr gesellschaftlich so verherrlicht wird wie Alkohol) und mein "Wille" war schon früher da. Deshalb kann es eigentlich nicht vollständig am Wille bzw. mentaler Entschlossenheit festgemacht werden, nicht? Ich hatte nicht mehr Wille, als ich aufgehört hatte, als zwei Monate davor. Ich habe nur eine mir gelegene Chance ergriffen.


    Es wird definitiv als Störung angesehen, ich habe hierzu einige Dinge nach meiner Anmeldung ausgeführt, ich denke allerdings nicht, dass wir hier die gleichen Beweggründe haben.


    Welche Beweggründe sind es bei dir Menschen nicht auf Augenhöhe begegnen zu können? Du meinst der Ursprung liegt in deiner Störung?

    Übrigens war mein Satz unwissend dahingeschrieben, mir war nicht klar, dass bei dir eine Störung vorliegt. Ich habe deinen Eröffnungsbeitrag nun nachgelesen.

    Du hast eine recht spezifische Kombination an verschiedenen Ausprägungen. Ich kann mir schwer vorstellen, wie sich das im Alltagserleben äußert (vorallem die Hochsensibilität in Zusammenhang mit der dissoziale Störung). Aber es macht viele deiner Aussagen verstehbarer, wie das mit den Regeln und der Manipulation (obwohl ich mir gleich beim Lesen an eine manipulative Strategie dachte: "gute Idee!" haha :D)

    Ich finde, dass es in so einem Fall wichtig ist, das Suchtverhalten im Bezug auf die Störung zu betrachten. Du hast selbst beschrieben, dass du mit dem Trinken begonnen hast, um eine bewusste Taubheit der Sinne zu schaffen. Alkohol wird oft u.a. als Selbstmedikation benutzt. Ich vermute, dass mein Bruder auch das Rauschmittel deshalb so eingesetzt hat, auch aufgrund gewisser psychischer Probleme, aber andere als du hast. Aber das Ziel war: Taubheit und Eskapismus.

    Danke für deine Anteilnahme.
    Alles Liebe,
    sorra

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