Hallo Sonnenstrahl!
Ich frage mich jetzt gerade, was aus psychologischer Sicht daran schlimm sein soll, wenn ein Bedürfnis, das man hat, "nur" der EKA-Kindheit entspringt. Es ist doch trotzdem ein eigenes Bedürfnis. Wichtig ist doch eigentlich nur, daß ein solches Bedürfnis auch erfüllbar ist und man dadurch nicht anderen Menschen Aufgaben zuteilt, die diese dann überfordern. So kann man z.B. von einem Partner nicht verlangen, daß er auch gleichzeitig Ersatz für den liebevollen Vater ist, den man als Kind nie hatte. Und wenn es um Zuwendung von anderen Menschen geht, dann sollte man sich darüber klar sein, daß die Zuwendung, die man bekommt, vielleicht nicht ausreicht, um das alte "kindliche" Bedürfnis vollends zu befriedigen. Deswegen muss man aber meiner Meinung nach nicht unbedingt das ganze Bedürfnis gleich über Bord werfen. Eine realistische Sicht auf das, was man bekommen kann (und was nicht), reicht doch eigentlich aus, damit ein solches "kindliches" Bedürfnis nicht zum Problem wird.
Psychotherapeuten können, wenn sie wollen (und der entsprechenden "Glaubensrichtung" angehören), so ziemlich jedes Bedürfnis auf eine schwierige Kindheit zurückführen. Wenn sie das dann auch noch einigermassen unsensibel tun, dann kann beim Patienten schnell der Eindruck entstehen, daß solche Bedürfnisse nicht "richtig" sind. Irgendwann steht man dann mit völlig leeren Händen und total zerfleddert da und weiß gar nicht mehr, was nun gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Man fühlt sich dann nur noch völlig "demontiert". Ich habe das selbst in einer "Therapie" vor einiger Zeit erlebt und fand das ziemlich kontraproduktiv (gelinde ausgedrückt). Entsprechend hoch ist heute auch meine Hemmschwelle, mich nochmal an solche "Fachleute" zu wenden, obwohl ich es eigentlich gerne tun würde.
An Deiner Stelle würde ich die Psychologin auf jeden Fall nochmal auf dieses Gespräch ansprechen und vor allem auch schildern, wie unsicher Du Dich danach gefühlt hast. Richte Dich um Gottes Willen bloß nicht nach dem, was die Psychologin scheinbar von Dir erwarten könnte. Damit wärst Du wieder im alten Muster, nur daß die Psychologin dann die Funktion der Eltern übernommen hätte. Und nicht alle "Psychos" sind sensibel genug, das früh genug zu bemerken, das weiß ich aus eigener, sehr schmerzlicher Erfahrung.
In Bezug auf meine Bedürfnisse und deren Umsetzung gestatte ich mir heute eine Freiheit, die ich mir früher nie erlaubt hätte: Ich probiere einfach mal was aus... Fühlt es sich gut an, dann mache ich weiter, fühlt es sich schlecht an, dann höre ich auf. Niemand kann von mir erwarten, daß ich immer auf Anhieb alles "richtig" mache und "richtig" einschätzen kann, auch nicht ich selbst. Fehler und Fettnäpfchen gehören zum Leben dazu und die früheren Versuche, sie zu vermeiden, haben nur dazu geführt, daß ich mein Leben mit angezogener Handbremse gelebt habe. Das mag ich heute nicht mehr... Es gibt nur noch eins, worauf ich wirklich sehr achte: Darauf, daß ich nichts mehr tue, nur weil andere es von mir erwarten oder weil ich mir von anderen eine bestimmte Reaktion erhoffe.
Fehler machen, in Fettnäpfchen treten, anderen Menschen mal auf die Füße treten... Das sind alles Dinge, von denen die Welt nicht untergeht. Leider haben wir das als EKAs nicht gelernt, denn bei einem "Fehler" war in der Suchtfamilie ganz schnell die Hölle los und die eigene Rolle wechselte schnell von der "Heldin" zum "Sündenbock". So haben wir gelernt alles, was wir wollen, vorher akribisch auf das "Gefahrenpotential" hin zu analysieren. In der Welt ausserhalb der Suchtfamilie ist das aber nicht mehr nötig und wird sogar zum Hemmschuh beim Erkennen der wirklich eigenen Bedürfnisse. Meiner Meinung nach kann man die wirklich eigenen Bedürfnisse nicht vorher im Kopf durch Analysieren und Nachdenken erkennen. Deswegen denke ich mir heute: Einfach machen und schauen, wie sich das anfühlt.
Liebe Grüße
cailin