Vorgestern war ihr erster Todestag, es ist also wohl mal wieder Zeit für einen Eintrag.
Ich komme aktuell wenig zum Schreiben, auch wenn ich die letzten Wochen bis Monate oft daran gedacht habe. Es hilft mir. Stephen King hat irgendwo geschrieben (ich glaube, auch er hat es nur zitiert), dass Worte, die man niederschreibt, wie ein Polaroid sind, das man in der Sonne liegen lässt. Es verblasst langsam. So ist es mit Worten, die aus dem Kopf sind. MIR geht es so. King auch. Was der Grund ist, warum er schreibt. Ich fragte mich früher, was für ein krankes Hirn sich solche Dinge wie er ausdenken könne und habe mir im Teenageralter schon oft gewünscht, ihn das einmal persönlich fragen zu können. Das ist gar nicht nötig, denn wie sich herausstellte, gab er die Antwort in irgendeinem Vorwort (diese, ebenso wie seine Widmungen, lese ich immer sehr gerne...): Er bestehe nur aus Ängsten und Albträumen und indem er diese niederschreibt, wird er sie los. Genial eigentlich. Ich hatte früher immer Angst, dass Dinge erst lebendig werden, wenn man sie aufschreibt oder laut ausspricht, aber wie ich gerade in den letzten Jahren gelernt habe, ist das Gegenteil der Fall. Mein Freund drängt mich seit Jahren dazu, ich solle schreiben. Worte sind meins und mein Kopf ist verdreht genug dafür (King und Co sei Dank ), aber ich finde irgendwie keinen Ansatz. Und vor allem: Ich nehme mich nicht wichtig genug dafür. Denn wer sollte lesen, was ausgerechnet ICH geschrieben habe? Da war es wieder, das klassische EKA...
Jedenfalls... Trotz zeitweiligen mal-wieder-Stillstandes durch gefühlte 300 Lockdowns und Quarantäne rast die Zeit irgendwie dahin und es ereignet sich immer noch mehr als genug. Man schaue bloß mal in die Nachrichten. Heute habe ich noch nicht reingeguckt. Jeden Tag sage ich mir "heute nicht, heute brauchst du keine zusäzlichen schlechten Nachrichten" und trotzdem halte ich das dann irgendwann nicht aus und muss doch gucken.
Mich belastet sehr, was aktuell passiert und ich musste mich in letzter Zeit stark hinterfragen, warum mir das alles so nahegeht und mir so große Angst bereitet. Warum mein Wunsch nach Sicherheit und Stabilität so krass ausgeprägt ist. Warum ich bei Bildern von Bomben, flüchtenden Menschen und Luftalarm, der Bundeskanzlerrede (die meinem Empfinden nach einer Kriegserklärung glich) heulen muss. Naja, es ist nicht der mittlere Osten oder sonstwo auf der Welt. Als empathischer Mensch erschüttert mich das zwar im Grunde ebenso, aber es geht mir nicht so nahe. Das hier ist allerdings UNSER Kulturkreis. Es sind unsere Nachbarn. Die Wohnungen sehen aus wie unsere, SIE sehen aus wie wir, viele sprechen unsere Sprache. Es ist ein Katzensprung. Und für Moskaus Raketen sind es zwei Flugstunden bis zu uns. Der Typ ist in meinen Augen ein Irrer, ein notorischer Lügner, realitätsfern, hinterlistig und zu allem fähig – diesen Typ Mann kennen wir geschichtlich nur zu gut. Größe passt ja auch; Trump ausgenommen machen irgendwie immer die kleinen Männer den größten Ärger. Geschichtlich gesehen jetzt. Heißt ja nicht umsonst Napoleonkomplex... Und mit dem Schlimmsten zu rechnen ist in so einem Fall sicher das Klügste. Angst hält hellwach.
Ich hätte wirklich niemals gedacht, dass wir so Zeiten erleben müssen. Und wir wissen ja noch nicht mal, was alles kommt. Wie viele Bücher habe ich seit meiner Jugend verschlungen über Freundschaften und Liebesgeschichten, Einzelschicksale in den Zeiten der Kriegswirren. Immer wissend, was die Menschen damals noch vor sich hatten, deren Mut, den Lebenswillen oder das Durchhaltenvermögen bewundernd. Das Talent, mit schrecklichen Situationen umgehen zu können, die immer noch schrecklicher werden. Eventuell ist es ein bisschen davon: Zu wissen, was alles passieren kann, alles schon gelesen oder gesehen zu haben. Gelernt zu haben, was es an Grausamkeiten auf der Welt gibt. Also, das möchte ich nicht unbedingt er- und überleben müssen. Zumal... Ein ausgewachsener Krieg würde heutzutage etwas anderes bedeuten.
Ich bin ja Generation Atomunfall. Ich habe deutliche Erinnerungen: Ich durfte früher plötzlich nicht mehr auf meine Lieblingsspielplätze, da die zumeist mit Rotsand bestreut waren. Nicht in den Regen, keine Pilze essen – nach Tschernobyl. Bei uns werden heute noch Wildschweine als nicht genießbar eingestuft, weil sie zu viele verstrahlte Pilze gefressen haben – nach 36 Jahren! Hier! Über 1.600km von Prypjat entfernt!! Ich habe also eine relativ gute Vorstellung davon, was ein atomarer Krieg heutzutage bedeuten würde. Auch dazu hatte ich übrigens interessanter Weise einen Traum vor wenigen Monaten: Ich beobachtete von einer höher gelegenen Straße aus die Explosion einer Atombombe. Obwohl wir uns hinter eine Mauer warfen – welch sinnloses Manöver bei atomarer Strahlung – folgte die Druckwelle kurz darauf. Ich bin in Hitze verglüht, davon bin ich dann mit Herzrasen aufgewacht. Ich überlege gerade, ob das kurz vor oder nach dem Tod meiner Mutter war? Ich kanns nicht genau sagen. Jedenfalls denke ich mal, drückt der Blödmann tatsächlich auf die Knöpfchen seiner beiden Atomköfferchen, wache ich danach bestimmt nicht mehr auf. Und nachdem ich "Dark" gesehen habe, will ich das auch gar nicht. Ich sage nur "Wildschweine"; was für eine Welt sollte da wohl zurückbleiben? Nein, Danke.
So ganz bin ich noch nicht dahinter gekommen, warum mir das alles viel ausmacht. Eines habe ich in einem AHA-Moment die Tage allerdings schon erfahren: Ich hänge sehr an meinen persönlichen Dingen, muss sie immer sicher und um mich wissen. Die Vorstellung, alles zurücklassen zu müssen und mit ziemlicher Gewissheit – wenn überhaupt je – zu einer kaputtgebombten Wohnung zurückzukommen, aus der nichts geblieben ist, erschüttert mich anscheinend so stark, weil mir meine persönlichen Dinge Sicherheit geben. Alles, was ich mir aufgebaut habe, ist meine eigene Sicherheit und Geborgenheit – Familie habe ich ja nicht mehr, die mir das geben könnte bzw. selbst als ich sie noch hatte, haben sie sich mehr um sich als um mich gekümmert. Das ist so. Also baut man sich selber etwas auf und umso mehr hängt man dann wahrscheinlich daran, an Erinnerungen und "Sachen".
Einige Einträge zuvor sprachen wir ja über meine intensivem Träume (siehe Atombombe), die sind aktuell auch wieder sehr heftig. Es gibt keine Nacht, aus der ich erholt aufwache, ich verarbeite zu viele Dinge im Schlaf, statt tagsüber.
Letzte Nacht träumte ich von meinem Opa; der ist seit 21 Jahren tot und ich weiß gar nicht genau, wann ich mal von ihm geträumt hätte. Ausgerechnet von ihm. Er war immer total vernarrt in mich, genauso wie in meine Mutter als Kind, und diese war immer stinkeifersüchtig auf dieses Verhältnis – wie krank, oder??? Ich missgönne meinem Kind nie gute Dinge, niemals. Ich bin doch froh, wenn er wenigstens väterlicherseits ein gutes Verhältnis zu seinen Großeltern hat, das ist so wichtig! Mein Opa fehlt mir sehr. Aber er ist eben nun auch schon lange tot.
Mit meinem Opa hetzte ich im Traum durch eine leere Altbauvilla, dann kam der Fliegeralarm. Wir nahmen uns an der Hand und rannten in den Keller. Gerade unten angekommen, fielen die ersten Bomben. Das war so unglaublich laut, alles hat gewackelt und der Staub kam eimerweise runter. Wir sind von einer Ecke in die andere gehetzt und kamen nirgendwo zur Ruhe, weil es nicht sicher war und ständig unmittelbar Bomben einschlugen. Ich habe ihm oder mir die Frage gestellt, wie die Leute das aushalten, sich die ganze Nacht nicht setzen oder irgendwo zusammenkauern zu können und ich wunderte mich darüber, dass das Fernsehen wie immer eine verzerrte Realität darstellte. Und immer ganz fest an meiner Hand: Mein Opa. Aber er hat kein Wort gesagt, im ganzen Traum nicht. Wir haben uns dann unter einem Fenster durchrobben müssen, damit der Feind uns nicht sieht und plötzlich, als hätte einer ein Licht angeknipst, war es hell, die Welt war heil und ein Kind schaute mich durch das staubverschmierte Kellerfenster an. Es war eine Schulklasse, die sich Kriegsschauplätze ansahen, um zu sehen, was ihre Eltern erlebt hätten.
Bescheuert. Einfach nur bescheuert, von vorne bis hinten. Ich frage mich außerdem, wie man nicht nur abstrakt, sondern auch oftmals so klar träumen kann. Mit Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen. Ich habe oftmals auch Geschmacksträume, in den ich etwas esse oder neulich eine Durstnacht, in der ich dann im Traum ein Glas Wasser nach dem anderen getrunken habe. Oder nehme man nur mal den Atombomben-Traum. Die Hitze, das Verglühen. Widerwärtig war das! Das hatte ich einige Nächte später noch einmal mit einem missglückten Raketenstart, genauso bescheuert und genauso heiß. Ich hatte ja in einem früheren Post schon geschrieben, dass ich mittlerweile anhand von Traumdeutung versuche aufzudröseln, was mein verdrehtes Hirn mir sagen will. Sags mir doch bitte einfach: Im Wachzustand. Ich möchte schlafen. Danke!
Von den verpassten Flügen und Sachen-ganz-schnell-packen-Müssen träume ich nach wie vor; eventuell geht es da einmal um Kontrollverlust und auch einmal um besagte Wichtigkeit, meine persönlichen Dinge (meine Sicherheit/Geborgenheit) in Form von Gegenständen bei mir zu haben und nicht zurückzulassen. Also Verlustängste im weitesten Sinne, oder so...
Die Träume von meinen Eltern habe ich auch noch oft. Zuletzt habe ich wieder mal von meiner Mutter geträumt, aber anstatt sie anzuschreien, habe ich sie wegen etwas um Hilfe gefragt. Es wird also ruhiger... Meinen Stiefvater hab ich vor Wochen ein einziges mal im Traum angeschrien, damit verarbeite ich wohl die Tatsache, dass er mein Elternhaus übernommen hat (was aus mehreren Gründen fragwürdig ist, aber lassen wir das), aber ansonsten ist die gesamte Wut allmählich verblasst. Die Trauer kommt auch nur noch mal in kleinen Wellen, ihr Todestag war echt doof. Aber ansonsten bin ich die meiste Zeit eher neutral. Ich will nicht sagen "gleichgültig", dass trifft es nicht, es ist mehr ...undefiniert, neutral eben. Kein großes Auf, kein großes Ab. Aber stetig, wie so eine innere Schwingung, eben die subtile Angst. Vielleicht warte ich darauf, dass was passiert. Wären wir in einem meiner Bücher oder Filme, wäre ich wahrscheinlich eine Zeitreisende oder Geistwandelnde und könnte durch Persönlichkeiten sämtlicher Zeiten springen und wüsste daher aufgrund des Erlebten, was uns noch Schönes bevorsteht. H.P. Lovecrafts "Schatten aus der Zeit" lässt grüßen. Also, solche Vorgänge fände ich jedenfalls nachvollziehbarer, als diese unterschwellige irrationale Angst im Zusammenhang mit meiner seltsamen Träumerei. Es ist doch auch irgendwie so: "Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die Pandemie überlebt. Ihre Belohnung ist der 3. Weltkrieg." Was soll denn das alles eigentlich? Wann wird das hier mal wieder alles halbwegs normal?
Ich hoffe echt, dass ich nicht doch irgendwann an den Punkt komme, dass ich meine Mutter verstehe, dass sie allem gegenüber nur noch gleichgültig gegenüberstand und sich alles schön gesoffen hat. Aber manchmal fehlt mir schon so ein bisschen die Sinnhaftigkeit in allem... Sich durch den ganzen Mist zu kämpfen – wofür? Möge es jetzt bitte mal mit allem bergauf gehen.