Hallo
Helena,
auch
ich, fragte mich immer, wie konnte es so weit mit meinem Vater
kommen. Bei deinem ging es erst so richtig los, nachdem er aus dem
Arbeitsleben schied. Bei
meinem war es ähnlich, auch er hatte immer einen „guten
Alkoholkonsum“ , meist am Abend ging es los und am nächsten
Morgen,
hatte
er noch arg zu tun.
Das
war alles „recht unauffällig“, es war zwar unangenehm, aber
nicht wirklich störend, so lange man sich nicht damit beschäftigte,
konfrontierte. Man wußte, wenn der Vater so war, war es besser ihn
in Ruhe zu lassen, so lernte ich es als Kind. Meine Mama, konnte sich
nicht so einfach davonstehlen, sie trug die Hauptlast, sie schmiss
den ganzen Haushalt und versuchte ein Zusammenleben zu ermöglichen.
Jahre später, meine Mama war nach 24 Jahren der Ehe geschieden,
unterhielt ich mich öfter mit ihr – es muss die Hölle gewesen
sein, sie
ordnete sich alldem unter, zum Wohle der Kinder und verkümmerte (so
mein Eindruck) zusehend, einige Jahre nach der Scheidung blühte sie
so langsam auf, doch immer „etwas“ unsicher, suchend, nach etwas
was sie nie erlebte.
Als
mein Vater keine richtige Aufgabe mehr hatte, nahm das Trinken arg
zu, es wurde maßlos und begann schon am Tage. Auch er verletzte sich
sehr oft, kein Wunder, wenn die Motorik derart betäubt war.
Wir
(Mutter, Kinder), mittlerweile alle eigene Wohnungen, konnten dem
ganzen Geschehen nur fassungslos zu sehen, alle Versuche,
Hilfsangebote scheiterten und wurden oft mit Beschimpfungen,
Beleidigungen belohnt. Wir wendeten uns selbstschützend ab.
Ich
versuchte noch jahrelang ihn zu helfen, doch auch ich gab
irgendwann auf, gegen eine (tägliche) Flasche Wodka hatte ich keine
Chance.
Er
starb dann.
Ich
hatte mich lange gefragt, wie konnte es dazu kommen … mein Vater
konnte sich nie mit zwischenmenschlichen Situationen
auseinandersetzen, sie bewältigen, egal ob in der Partnerschaft, mit
Kindern schon gar nicht. Ging etwas mal nicht nach seinen
Vorstellungen, wurde er aufbrausend, nie gewalttätig, doch sehr
verletzend. Dieses Nicht-Können führte zu zunehmender Einsamkeit,
der beste Freund Alkohol konnte diesen Zwiespalt lindern, beseitigen.
Später,
dann nicht mehr verheiratet, auch ohne Arbeit, ohne Aufgabe, nahm der
Suff enorm zu, alle Freunde, Bekannte nahmen enorm ab. Nun war er
gänzlich allein und soff noch ein gutes Jahrzehnt weiter.
Ich
bemerkte, daß mein Vater nie das war, was ich mir wünschte, was
sich ein Kind wünscht … ein Papa. Vieles redete ich mir schön,
die wenigen Kindheitserinnerungen wurden idealisiert.
Ja,
recht traurig und kaum in Worte zu kleiden.
Wie
kam ich damit klar? Mein Vater konnte sehr wohl aufhören mit dem
Trinken, Sucht hin oder her, er wußte was Alkohol anrichtet, er
wollte nicht.
Er
war schwach, so schwach, daß er sich immer wider der Vernunft
entschied, wissentlich.
Auch
wenn mir das als Kind nicht gefällt, ich muß es akzeptieren. Denn
genau so war`s. Wenn er nüchtern war, begriff er es total, selbst im
Suff pflichtete er mir mit einer gewissen trotzigen Überheblichkeit
bei, so nach dem Motto: dann ist das eben so, lieber besoffen
glücklich, als nüchtern zu Tode betrübt. Da mag man nun
akzeptieren oder nicht, respektieren musste ich es.
Wir
können „die Welt“ nur im Rahmen unserer Möglichkeiten
verändern.
Wenn
uns etwas nicht gefällt, liegt es nur an uns, ob wir mitmachen oder
eben nicht. Ob
wir uns in blinder Hoffnung gefallen oder etwas tun, für uns und
die, die es zu schätzen wissen.
Mein
Vater starb schon lange bevor er seinen Körper verließ, die letzten
Jahre war er nur noch ein Schatten seiner selbst, hin und wieder
blitzen kleine Lebenszeichen (Hoffnung) auf.
Ich
bemerke gerade selbst, ich verhaspele mich in meinen eigenen
Gedanken, ich versuche zu erklären, was eigentlich nicht erklärbar
ist. Ja, es ist/ war die Realität, doch wider jeglicher Vernunft.
Mir
bleibt nur übrig die Realität zu akzeptieren und meinem Vater zu verzeihen, daß er so war, wie er war.
Ich glaube er konnte nicht anders...