Ich grüße euch.
In der Nacht vom
13./14. November 2021 habe ich zuletzt Alkohol getrunken. Ich stecke
gerade in einem für mich bereits weit fortgeschrittenen
Aufhörversuch, vom Alkohol loszukommen. Jeder Süchtige kennt es;
unser täglich „Selbstbeschiss“. Die ersten Menschen den man als
Süchtigen wohl selber belügt, ist sich selbst und dann alle
anderen. Ich bin 34 Jahre alt und habe gut und gerne 30-50 Mal
ernsthaft versucht aufzuhören. Ich rede von diesen Momenten wo man
wirklich glaubt das Licht der inneren Erleuchtung für sich gesehen
zu haben, um genug Kraft daraus zu schöpfen, jetzt endlich mit
diesen Mist aufzuhören. Momente bei denen man ein wenig weiter denkt
und wahre Selbstreflexion betreibt, um festzustellen „jetzt ist
Schluss damit – dieses Zeug tötet dich, oder macht dich verrückt
oder stärkstens depressiv !“.
Kurze Eckdaten zu
mir. Ich bin 1987 im Nordosten geboren und aufgewachsen und werde
wahrscheinlich hier auch wieder zu Humus werden. Aufgewachsen in
einem kleinen Kaff um die 4000 Einwohner. 2006 Abitur,
Hochschulstudium, und danach Job. Seit 6 Jahren feste Partnerschaft
mit einer 2 jährigen Tochter.
Mit 12 war ich das
erste Mal betrunken. In unserer
Clique gehörte es leider so ab dem 14 Lebensjahr dazu, heimlich zu
trinken, meistens im Rahmen von irgendwelche Übernachtungen bei
Freunden, Zeltabende. Natürlich in einem anderen Rahmen, als das was
Jahre später darauf folgte, aber hier liegen ganz klar die Anfänge
meiner Sucht, der Erstkontakt mit der Droge in einem viel zu jungen
Gehirn. Ich trat in die freiwillige Feuerwehr ein und auch hier war
es Gang und Gäbe mit den Erwachsenen Bier zu trinken, sich „groß“
zu fühlen. Wenn ich so darüber nachdenke eine riesengroße
Schweinerei und Unverantwortung dieser erwachsenen ehemaligen
Kameraden. Wenn ich so die Zeit von damals resümiere, dann wird mir
angst und bange und ich bin entsetzt. Es war wirklich Normalität als
Jugendlicher im Alter zwischen 14-16 auch bereits in der
Öffentlichkeit zu trinken, Dorffeste, Strand-/Stadtfeste. Jedenfalls
dort wo ich verkehrte.
Meine häuslichen
Verhältnisse waren keine schönen. Seit jüngsten Kindertagen war
meine Mutter regelmäßig betrunken, ich musste mich oft zu ihr in
die verrauchte Küche setzen und mir ihren seelischen Ballast anhören
(sexueller Missbrauch, Depressionen, Transsexualität ) waren so die
Themen auszugsweise. Ich hatte zum Glück Großeltern die im selben
Haus wohnten. Es waren keine Empathen, aber stabile Persönlichkeiten
mit soliden Ansichten, die mich jetzt nicht mit Herzenswärme
versorgten, aber mit einem geregelten Leben. In dieser Hinsicht bin
ich ihnen bis heute sehr dankbar. Mein vermeintlicher Vater war ca.
von meinem 5-11 Lebensjahr anwesend. Ich weiß bis heute nicht, ob er
mein biologischer Vater ist, meine Mutter hat in ihrem Suff mehrmals
2 andere mögliche Gestalten erwähnt. Ein Vaterschaftstest steht
noch aus. Mittlerweile habe ich zu meinem Vater einen guten Kontakt.
In meinem Leben spielte er aber nie eine Rolle. Mein Opa nahm seinen
Platz ein. Ich habe eine jüngere Schwester, welche leider schon
relativ früh auf die falsche Bahn geriet, das fing mit einem
Suizidversuch mit 14 Jahren an, dann viele Selbstverletzungen,
anschließendes Aufwachsen in einem betreuten Wohnen, Drogen. Wir
hatten viele Jahre keinen Kontakt zu einander, jeder war mit sich
selber beschäftigt und außerdem gab es viel gegenseitigen Vorwurf
was die Vergangenheit betrifft. Seit ca. 3 Jahren sind wir wieder so
etwas wie Geschwister, aber auch sie spielte keine große Rolle in
meinem Leben. Ich weiß auch leider gar nicht, wenn sie nicht wäre,
ob sie mir spürbar fehlen würde.
Trotz alldem hatte
ich eine Kindheit mit vielen schönen Momenten. Ich wurde nie
geschlagen. Ich hatte viele gute Freunde bzw. habe diese immer noch
und kenne einige nun seit 30 Jahren, wenn man so will. Die Tatsache
dass ich in dieser kleinen Stadt aufgewachsen bin, die mir früh viel
Freiheit einräumte unter anderem das „Elternhaus“ zu verlassen
um etwas mit Freunden zu unternehmen und die Tatsache dass meine
Großeltern im selben Haus in der unteren Etage wohnten, wo ich ein
und ausging, retteten mir Rückblick den Hintern. Ich bin aus dieser
ganzen Nummer „nur“ mit einem blauen Auge herausgegangen.
Es folgte 2006 das
Abitur und anschließend Grundwehrdienst. Hier begann ich zum ersten
Mal regelmäßig mehr als einmal die Woche Bier zu konsumieren. Ich
fühlte mich alleine, wollte eine Freundin haben und wusste nicht ob
das mit meinem Wunschstudium klappen würde. Und sowieso machte mir
das Leben Angst. Ich bekam darauf meinen Studienplatz, zog in eine
für meine damaligen Welterfahrungen große Stadt und schloss schnell
neue, gute Bekanntschaften, aus manchen wurden gar gute
Freundschaften. Alkohol trank ich nun weiterhin regelmäßig und noch
häufiger. Vor allem in einer Kneipe unweit meiner damaligen Wohnung,
wo das Bier billig war und die Stammkundschaft gut 10 Jahre älter
als ich. Hier fühlte ich mich irgendwie wohl. Ich lechzte förmlich
nach Anerkennung als damals 20 jähriger Knabe. 2010 erste Absturz.
Nach einem Prüfungsmarathon folgten 14 Tage Dauerkonsum, was mit
einer Entgiftung quittiert wurde. Mein Körper war bereits abhängig.
Denn beim Versuch eine Pause zu machen fingen nachmittags Symptome
wie Herzrasen, Zittern, Angstzustände an. In meiner ersten Nacht im
Krankenhaus sah ich Menschen in den Bäumen. Ich wusste um diesen
Irrsinn, weswegen es keine Halluzinationen waren, sonderen eher
illusionäre Verkennungen, schlimm genug. Damals war ich 22 Jahre
alt, teilte mir mein Zimmer mit einem Heroinabhängigen und einem ca.
60 Jahre alten Alkoholiker. Nach 10 Tagen kam ich frei, denn das
Studium fing nach den Semesterferien wieder an. Zwischen den Jahren
2010 und 2020 ging es mit mir auf und ab, Suff, paar Tage Pause,
wieder Suff. Führerschein weg, weil ich Restalkohol von 0,9 Promille
hatte. Seelische Abstürze, Angstzustände, 2014 Langzeittherapie von
2 Monaten um einen Monat später wieder anzufangen. Oft dachte ich,
dass ich nun „endlich“ wahnsinnig geworden bin. Ich wünschte mir
oft, dass alles „aus“ sei und somit indirekt meinen eigenen Tod,
den ich billigte. Mein Studium habe ich mit sehr gut abgeschlossen
und fand auch gleich einen Job. Mein Trinkmuster passte ich den neuen
Umständen an. Entweder nur Freitags und Samstags, und falls ich doch
in der Woche schwach wurde, dann gabs am nächsten Tag eine
Krankmeldung. Ich würde sagen, dass ich in den vergangenen Jahren
ca. 8 Tage von einem Monat betrunken war. Ich trank nun immer mehr
alleine zu Hause, oder um ungestört zu sein, irgendwo im Park,
versteckt hinter einem Busch, oder irgendwo am Stadtrand im Freien,
wo mich keiner fand. Zum Schluss 1 Flasche Pfeffi + 4-6 Biere, alles
ziemlich schnell um den großen Rausch zu haben.
Ich begab mich 2019
erneut in eine Entgiftung, weil ich im Vollrausch einen seelischen
Absturz hatte. Zuvor trank ich zu Hause mit einem Obdachlosen bei
mir. Ich war dieses mal nicht körperlich drauf, sondern langweilte
mich eher zu Tode. Ich empfand diese Zeit als sagen wir mal, sehr
schlimm. Ich war in einem 4 Bett-Zimmer untergebracht, alle 20 Jahre
älter als ich. Ich entschied mich danach für einen ambulante
Langezeittherapie, allein weil ich Arbeit hatte und eine
Partnerschaft. Die Langzeit brachte auch keinen Erfolg. Etwas in mir
wollte einfach den Rausch nicht aufgeben. Unsere Tochter wurde
geboren und ich trank am Wochenende weiter. Dieses mal war ich es,
der seine Mitmenschen seelisch vergewaltigte, nämlich meine
Freundin. Sie hielt immer zu mir. Ein zartes Mädchen mit Nerven aus
Titan. Ihr schulde ich eine Menge, alleine schon ihrer Loyalität
wegen. Ich schulde aber auch anderen Menschen viel, denn viele habe
ich enttäuschen müssen.
Ich hatte dann noch
3 verschiedene Medikamente ausprobiert, unter anderem eines welches
zu einer absoluten Alkoholunverträglichkeit führt. In der Summe
alles ohne Erfolgt. Entweder trank ich darauf oder erfand Wege diese
Tabletten doch nicht zu nehmen.
Ich weiß dass
ich schwerst süchtig bin. Ich bin ein Rauschtrinker mit kurzen
Rauschintervallen. In Phasen der Nüchternheit habe ich mich stets um
eine gesunde Lebensführung bemüht, viel Sport, keine Zigaretten,
gesunde Ernährung, täglich Rohkost und dergleichen. Mir war klar
dass ich früher oder später Totalversagen werde. Das wollte ich
nicht, erst recht nicht meiner Freundin und Tochter gegenüber. Und
auch mich selber ödete dieses Leben zutiefst an. Ich hatte die
Schnauze voll mich ständig zu verstellen, permanent von inneren
Ängsten, sporadischen Panikattacken und Selbstzweifel zerfleischt zu
werden. Ich wollte und will noch mehr in diesem Leben erreichen, als
dass ich durch die Jahre wandel und außer den Sprüngen zwischen
Rausch und angstvolle Nüchternheit.
Mein Plan.
Ich will weiterhin
ein nüchternes Leben führen. Ich muss demnächst proaktiv etwas
gegen diesen Freitagabend unternehmen, am besten in das Sportstudio
gehen. Ich will weiterhin meine eigene mir verbliebene körperliche
und seelische Gesundheit beschützen, denn diese 11 Wochen waren die
reinste Kur.
Dinge die mich unterstützen und mir spezifisch sehr gut tun:
- Sport und eine gesunde körperliche Eitelkeit
- Lesen, allgemein gute Literatur
- Ernährung, seit derselben Zeit, also 11 Wochen, lebe ich größtenteils vegan (hierzu später mehr)
- Hobbys reaktivieren oder neue finden. Möchte mir dieses Jahr unbedingt einen Kindheitstraum erfüllen: Metalldetektor.
Da das Reden über
eine Sache bekanntlich hilft, habe ich mich hier angemeldet.
Meine Freundin
drängt gerade, ich muss JETZT zum Mittagstisch. Bis später, ich
freue mich auf das Forum.
Es grüßt Damokles
(über den immer noch das Schwert des Alkohols schwebt).