Hallo Whitewolf,
zunächst einmal vielen Dank für Deinen einladenden, weil sachlich formulierten Kommentar, den ich deshalb auch gerne beantworten werde - soweit es mir möglich ist.
Was ist eigentlich ein " stigmatisierter " Alkoholiker?
Ich bin nicht sicher, ob Du diese Frage ernst meinst, denn ich gehe einfach einmal davon aus, dass Du weißt, was der Begriff "stigmatisiert" bedeutet.
Dass Alkoholabhängigkeit zu den am stärksten stigmatisierten psychischen Krankheiten überhaupt zählt, weißt Du wahrscheinlich auch. Und ich habe einfach keine Lust auf dieses Stigma und auf alle daraus resultierenden negativen Bewertungen meiner Person. Zumal die meisten Leute ein vollkommen unrealistisches Bild davon haben, was eine alkoholkranke Person von einem Gelegenheits-Trinker, oder einem "Nicht- Trinker" unterscheidet. Warum sollte ich mir mein Leben also unnötig schwerer machen, als es tatsächlich ist, einfach bloß dadurch, dass ich in bestimmten Situationen immer wieder verkünde, ich sei trockener Alkoholiker? Dass es u. U., z.B. vor einer Operation, vonnöten ist, dies dem Anästhesisten mitzuteilen (und sich viele von Euch nachvollziehbarerweise verpflichtet fühlen, darauf hinzuweisen), leuchtet mir ja noch irgendwie ein, obwohl ich auch hier meine Zweifel habe (auf diese Zweifel werde ich aber an anderer Stelle nochmal zurückkommen).
Zugegeben, ich bin – im Gegensatz zu vielen anderen – eine häufig äußerst kritisch hinterfragende Person. Ich persönlich sehe diese Eigenschaft jedoch eher als Stärke, als als Schwäche – auch wenn mir bewusst ist, dass ich mich dadurch nicht immer beliebt mache. Dass einige der hier Kommentierenden mein kritisches Hinterfragen scheinbar als Angriff auf deren „Autorität als allwissende, weil langjährig erfahrene Alkoholiker/trockene Alkoholiker“ empfinden, ist – mit Verlaub – deren Problem und nicht meines.
Abgesehen davon stellen Kommentare wie:
aber herumzicken und auf "Ich weiß wie der Hase läuft und auf dicke Hose machen" ist doch nicht zielführend.
oder:
Ich schon. Sogar mehre. Mit deiner Einstellung und deinen Weg, den du eingeschlagen hast, sind schon mal zwei Gründe.
Nutzt aber nichts, User etwas aufzuzeigen, wenn er die eigene Überheblichkeit über die Sucht stellt.
keine adäquate Hilfestellung, sondern eine ungerechtfertigt bewertende und somit untergriffige Maßregelung dar.
Ich bin hier, um mich mit dem Thema Alkohol und meinem Umgang damit auseinanderzusetzen, nicht aber um mich auf derartig unqualifizierte Art und Weise schulmeistern zu lassen.
So und nun komme ich nochmal auf das Thema "zweifeln" zurück:
Eine Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt (und die u.a. auch mit meiner Anmeldung hier zu tun hat) ist die, ob ich überhaupt (alokohol-) abhängig bin, oder es jemals war, oder ob mein ehemaliges Trinkverhalten nicht vielleicht viel mehr eine sehr dumme, aber leider über die Jahre hinweg sehr "liebgewonnene (und äußerst selbst-schädigende) und sehr hartnäckige Angewohnheit" wurde - u.a. einfach deshalb, weil die tägliche Dopamin-Dusche ja so angenehm war. Ich stelle mir diese Frage deshalb, weil ich mich in all den Schilderungen hier nirgends wiederfinden kann. Ich kenne die Erfahrung "Saufdruck" nicht. Zumindest nicht, seit ich nüchtern bin. Abendlich manchmal auftretende Gedanken ans Trinken, ja. Jedoch nie in einem Ausmaß, das ich als Suchtdruck bezeichnen könnte.
Ich hatte auch keinerlei Entzugssymptome. Zumindest nicht physisch. In den ersten Tagen war ich hyper-euphorisch. Dann stürzte ich für 2 Tage (zurück) in eine tiefe depressive Verstimmung. Seither geht es psychisch (bis auf eine Ausnahme, die, wie ich mittlerweile vermute, die eigentliche Ursache für meine aktuellen physischen "Zipperlein" ist und auf die ich später noch zurückkommen werde) nur noch aufwärts.
Auch die klassisch triggernden Situationen (jene, in denen man unweigerlich mit Alkohol konfrontiert wird), waren bis dato kein Problem für mich. Ebenso wie die immer noch im Keller lagernden "Überbleibsel" (ca. 10 Flaschen Wein) meiner vergangenen Trinkzeit. All das juckt mich NULL. #
Ist doch eigentlich merkwürdig und ungewöhnlich für eine/n Abhängigen, oder? Deshalb auch die sich mir mittlerweile stellende Frage, ob ich tatsächlich abhängig bin Ich weiß, welchen "Titel" ich mir in diesem Zusammenhang selbst gebe, ist eigentlich vollkommen wurscht, da es an meiner Situation nichts ändert, aber ich mag es eben, Dinge einordnen zu können 🤷♀️
Bevor ich die Entscheidung getroffen habe, mich endgültig vom Alkohol zu verabschieden, war der Gedanke daran, nie wieder trinken zu "dürfen", auch für mich nur schwer vorstellbar (achja, doch eine Sache, die ich aus anderen Schilderungen bereits kenne). Deshalb nahm ich mir vor, die obligatorischen 4-6 allabendlichen Achteln Wein zunächst mal auf die Hälfte zu reduzieren. Dies gelang mir auch sehr gut - wenn auch mit zuweilen äußerster Selbstbeherrschung. Durch diese nötige Selbstbeherrschung wurde mir auch klar, dass der Alk mehr MICH kontrolliert, als ich ihn (was ja eigentlich ein Zeichen FÜR eine - für mich zur Debatte stehende - Abhängigkeit wäre).
Anlass genug, um mich mit dem Thema Alkohol einmal mehr - diesmal aber sehr exzessiv und mit äußerster Konsequenz - auseinanderzusetzen.
Im Zuge dieser Auseinandersetzung, habe ich erstmals so richtig begriffen, was ich mir und meinem Körper, über die Jahre hinweg, alles zugemutet habe.
Was mit Leber und Gehirnzellen passiert, ist ja vermutlich jedem mehr oder weniger geläufig, aber was dieses Nervengift mit der Bio-Chemie im Gehirn anstellt (Stichwort Botenstoffe), war mir bis dato nicht bekannt.
Dieses neu gewonnen Wissen hat mich so sehr erschüttert, dass für mich ab diesem Zeitpunkt feststand: Nie wieder Alkohol.
Als ich dann nach ca. 2 Wochen Nüchternheit feststellte, dass die Depressionen unter denen ich Jahrzehnte lang litt, immer weniger und weniger wurden, bestärkte mich das natürlich einerseits ungemein in meinem Vorhaben, den Alk für alle Zeit sein zu lassen und zum anderen auch in der (leider erst sehr spät aufgekommenen) Vermutung, dass der Alkohol ja vielleicht erst Auslöser bzw. "Erhalter" dieser so lange andauernden Depressionen war.
Aus dem "ich DARF nicht mehr" wurde deswegen ziemlich schnell ein "ich WILL nicht mehr".
Aufgrund dieses "nicht-mehr-Wollens" bin ich auch so sicher, nie wieder trinken zu "müssen".
Ich will auch erwähnen, dass ich Alkohol nie dafür benützt habe, um unerwünschte Emotionen zu unterdrücken/vernebeln. Die insgesamt ca. 10 Jahre Psychotherapie, die ich gemacht habe, sowie 6 verschiedene Ausbildungen innerhalb des psychosozialen Bereichs, haben mich recht gut gelehrt, mich selbst zu reflektieren und mit meinen Emotionen umzugehen (blinde Flecken sind aber natürlich - genauso wie bei jedem anderen - immer noch vorhanden ).
Der Hauptgrund für meinen Konsum - genauso wie der von Cannabis - (ich möchte das jetzt etwas abkürzen, um nicht zu sehr auszuufern) war vor allem der Versuch, die mit meinen Depressionen einhergehenden Schlafstörungen zumindest zu reduzieren. Das gelang ja zumeist auch recht gut. Als ich dann im Zuge meiner Nüchternheit bemerkte, dass ich ohne Alk (stattdessen aber mit einer geringen Menge an Melatonin) zumindest genauso gut ein- und auch durchschlafen konnte, wie MIT Alkohol (mal ganz abgesehen von der wesentlich besseren Schlafqualität), und dass auch meine Depressionen immer mehr schwanden dachte ich mir: "Na toll, jetzt hast Du echt gute 35 Jahre gebraucht, um draufzukommen, dass mit dem ganzen "Zeug" (vor allem Alk und Cannabis) alles nur noch viel schlimmer wird Welch eine Zeit- (und Geld-) verschwendung! 🤦♀️"
Aus all diesen Hintergründen hatte ich weiter oben auch geschrieben, dass mir kein einziger Grund einfällt, warum ich wieder anfangen sollte zu trinken (ist jetzt für mache vielleicht besser verständlich).
Abschließend komme ich jetzt noch auf die von mir w.o.s., angedeutete Vermutung betreffend meiner aktuellen physischen Zipperlein zurück:
nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, wurde ich Anfang Juni in eine "Zwangsmaßnahme" des Arbeitsmarktservice gesteckt. Bedeutet: täglich 3 Stunden Hin- und Rückfahrt wegen eines "Jobs", bei dem ich das Gefühl hatte geistig zu verblöden und für den es nicht mal einen Dienstvertrag, sondern nur weiterhin die Auszahlung von Notstandshilfe gab. Das frustrierte mich massiv (=Stress) - nicht zuletzt weil ich nicht einmal die Möglichkeit hatte, mich dagegen zu wehren. Zudem gab es dort nicht einmal gesetzeskonforme (Bildschirm-) Arbeitsplätze, was dazu führte, dass ich täglich solche Schmerzen hatte, dass ich - zuhause angekommen - erstmal eine Schmerztablette einwerfen musste. Daneben gab es auch noch andere Gesetzeswidrigkeiten, dies aber nur am Rande, denn es geht mir hier nicht darum zu jammern, oder um Mitleid zu heischen. Ich wollte damit nur ein paar der Faktoren aufzählen, die mich massiv gestresst haben.
Zum Glück habe ich aber nun einen "echten" Job gefunden, mit dem ich nun kommenden Montag starten werde. Leider bin ich eine Person, die sich - im Vergleich zu anderen - immer viel zu viele Gedanken und Sorgen wegen fast allem macht. Das wiederum bedeutet ja ebenfalls Stress, ich weiß aber nicht, wie ich das abstellen soll/kann. Die dahinterliegenden Ursachen sind mir zwar bewusst, es würde jedoch zu weit führen, diese hier auch noch näher zu erläutern. Da ich meine "psychsomatische Veranlagung" mittlerweile (achja, ich glaube, ich habe mein Alter noch nicht erwähnt. Ich bin jetzt 54) bestens kenne, vermute ich, dass mein geschwächtes Immunsystem vor allem auf diesen momentanen (vorwiegend selbstgemachten) Stress zurückzuführen ist.
Trotz all dieser aktuellen Widrigkeiten verspüre ich jedoch nicht das geringste Verlangen nach Alkohol. Was mich ebenfalls sehr zuversichtlich sein lässt
So, das sollte "für's Erste" mal reichen ..... (sorry für den langen Text).
LG, Sula