Hallo, ich bin seit fünf Monaten sauber. Davor habe ich mehrmals im Monat auf Rausch getrunken und dazu ab und zu noch Drogen genommen.
Jetzt ist es so, dass ich eigentlich einen ganz vernünftigen Alltag für mich etabliert habe, aber mir geht es dabei nicht besonders gut. Alles was ich mache, auch die sinnvollen Freizeitaktivitäten wie lesen, schwimmen oder mopedfahren, kommen mir wie ein (selbst-)aufgezwungenes Korsett vor. Dabei sind es Sachen, die ich immer gerne gemacht habe.
Ich habe in den vergangenen Monaten darauf geachtet, dass ich meine neugewonnen Zeit vernünftig nutze. Und irgendwie ist dadurch alles total verkopft geworden. Ich geh mir selber auf den Keks, weil ich nie wirklich bei mir bin, egal was ich mache. Das ist für mich ziemlich frustrierend.
Jetzt habe ich seit längerem mal wieder hier rumgestöbert, und wenn ich meine Erfahrungen mit denen von anderen hier vergleiche, fällt mir auf, dass ich mein Umfeld doch recht wenig verändert habe. Meine Freunde sind immernoch dieselben, auch wenn ich nicht mehr mit ihnen trinke, mein Job ist immernoch derselbe, auch wenn ich dort längst für Klarheit georgt habe, und vor allem bin ich immernoch mit meiner Freundin zusammen.
Meine Freundin nimmt das Thema leider nicht so richtig ernst, und darüber wollte ich mal hier schreiben. Für sie ist Alkohol kein Problem, sie trinkt manchmal was, aber kennt ihre Grenzen. Das ist für mich eigentlich auch in Ordnung.
Allerdings haben sich meine Bedürfnisse im trockenen Zustand doch erheblich verändert: Ich brauche sehr viel mehr Zeit für mich, auch ohne sie. Und ihre direkte, laute Art (das hat nichts mit Alkohol zu tun, sie ist einfach so), die ich eigentlich immer sehr bewundert habe, geht mir im Moment sehr auf die Nerven. Es ist auch so, dass sie gerade ziemlich viel um die Ohren hat, macht gerade Diplom und gleichzeitig wurde ihr Vater lebensbedrohlich krank, was sie sehr mitgenommen hat. Insofern hat sie von mir eigentlich Rückendeckung erwartet, die ich ihr im Moment nicht bieten kann. Sie ist enttäuscht und verletzt, sieht aber ein, dass ich im Moment mit mir selber beschäftigt bin.
Die Beziehung ist daher in den letzten Monaten ziemlich anstrengend für mich geworden, und manchmal betrachte ich sie schon fast als "Job". Sie kostet mich im Moment mehr Kraft, als ich aus ihr ziehe. Ich spreche natürlich mit meiner Freundin darüber, und wir haben uns darauf verständigt, uns in Geduld zu üben, und erstmal weniger Zeit zusammen zu verbringen. Aber es schwebt schon auch der Gedanke im Raum, uns zu trennen. Denn so wie es im Augenblick läuft, bringt uns das beiden herzlich wenig. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich irgendwann wieder zu MIR finden kann, und dann auch wieder zu unserer Beziehung. Aber ich bekomme langsam die Sorge, dass ich um erfolgreich trocken zu bleiben, einen viel radikaleren Egotrip durchziehen muss, als ich es bisher getan habe. Und dass ich viel mehr Zeit brauchen werde, um mit mir ins Reine zu kommen. Ich glaube nicht, dass meiner Freundin klar ist, was ich gerade erlebe, und ich weiß nicht ob ich es ihr vermitteln kann. Leider fürchte ich gerade, dass meine Freundin unter Umständen nicht bereit ist auf unbestimmte Zeit abzuwarten, bis ich wieder für sie da sein kann.
Natürlich kommen mir auch Zweifel, ob es das alles wirklich wert ist. Zumal es mir im Moment nicht wirklich gut geht. Noch ist der Wille da, und auch der Optimismus. Aber igendwie habe ich das Gefühl, dass ich einen Fehler mache, egal wofür ich mich entscheide.
Hat jemand Erfahrungen mit Beziehungsmanagement dieser Art, oder ähnliches erlebt?
Lieben Gruß und eine schöne Mittagspause!