Liebe EKAs,
tief in mir drinnen weiß ich, dass ich endlich auf dem richtigen Weg bin, aber ich habe Angst, fühle mich wie eine Marionette, die endlich vom Fadenkreuz abgeschnitten ist und nun einen eigenen Weg auf ihren hölzernen Beinen finden muss.
12 Jahre wohne ich nun schon nicht mehr zuhause, habe ja schon ein eigenes Leben, aber mir ist klar geworden, dass ich nie ein eigenes Leben hatte, weil ich immer noch stark mit meiner Co-Alkoholikerfamilie verbunden bin/war und abhängig war von ihr.
Einen kleinen Rückblick, dass ihr verstehen könnte, was ich meine. Es ist ein bisschen viel zu lesen, entschuldigt bitte, aber vielleicht notwendig, um meine Situation zu verstehen.
Ich bin in einer kleineren Beamtenstadt aufgewachsen. Meine Eltern übernahmen einen Handwerksbetrieb von meinen Großeltern väterlicherseits - gezwungenermaßen. Meine Grosseltern hassten meine Eltern und meinen Bruder und mich und, obwohl sie im gleichen Haus wohnten, hatten wir keinen Kontakt, im Gegenteil. Mein Vater bezeichnete seine Eltern als Teufel und Hexe, was uns Kindern zusätzlich Angst machte. Sie schlugen meinen Vater als Kind und gaben keine Liebe.
Mein Vater konnte sich trotzdem nicht lösen, es war so eine Art Hassliebe zu seinen Eltern. Als er und meine Mutter das Geschäft übernahmen, fing er an zu trinken. Die nächsten Jahre wurden immer schlimmer. Meine Mutter rackerte sich für das hochverschuldete Geschäft ab, versorgte uns Kinder, gab uns Liebe, aber das Geschäft war im Vordergrund.
Mein Vater schwankte zwischen Wutausbrüchen -wir schlossen uns dann in unseren Zimmern ein - und weinerlichen Liebesbezeugungen. Wir Kinder reagierten mit Krankheiten - Bronchitis, Pseudokrupp usw. und Angstzuständen.
Wegen der Kleinstadt, war der Alkoholismus unseres Vaters bekannt, mein Bruder und ich wurden oft gehänselt und verhöhnt. Mobbing in Schule und Ausbildung war keine Ausnahme. Ich hatte so gut wie keine Freunde und verlagerte mich aufs Lernen für die Lehrer, die mir die Anerkennung und Lob brachten, das ich so sehr vermisste.
Mit 21 brach ich nach unerträglichem Mobbing auf meiner Arbeitsstelle zusammen und war 6 Wochen mit schlimmsten Panikattacken im Krankenhaus. Erst dann verließ meine Mutter die elterliche Wohnung und zog mit uns aus. Ich kämpfte mich durch, machte das Abitur nach und fing an zu studieren. Allerdings schaffte ich es nicht, wegzugehen. Ich pendelte zum Studienort.
Nach dem Abschluss hatte ich die Möglichkeit, noch ein Aufbaustudium im Ausland zu machen und war erstmal weg. Statt die Konflikte, die in mir brodelten aufzulösen, arbeitete ich dort Tag und Nacht für das Studium. Jede Note, die schlechter als eine 1 war, war für mich Grund zur Panik und schlimm. Ich kam mehr als einmal an meine Grenzen. Aber auch das Studium schaffte ich bestens und bekam auch gleich in einer grossen Stadt einen Arbeitsplatz.
Meine Kollegen waren nun meine Familie, ich fühlte mich soweit wohl und versuchte, durch Leistung die Anerkennung und Lob weiter zu bekommen. Das ging solange gut, bis ich durch Umstrukturierunen aus der Abteilung gerissen wurde. Ich wurde krank, hatte Bauchschmerzen ohne Ende und Allergien und auch Panikattacken. In die Zeit fiel auch meine erste Beziehung (mit 30), die mich an einen Mann mit einer sehr schwierigen Persönlichkeit geraten liess, der mich nur runtermachte und ich fühlte mich nicht im Stande, was dagegen zu tun. Nach der Trennung von ihm und einer Reha ging es mir blendend und ich welchselte den Arbeitsplatz, um mehr mit Menschen zu machen.
Eine zweite Beziehung war wieder mit einem Mann, der sich selbst hasste, mit dem keine Sexualität möglich war und der mich kritisierte ohne Ende. ich brach fast wieder zusammen, aber hatte Angst, mich zu treffen, um nicht alleine zu sein. Gleichzeitig hatte ich am Arbeitsplatz wieder Probleme. Mein Vorgesetzter ist oft aufbrausend und ich kann damit nicht gut umgehen; kann mich nicht wehren. Ich wurde wieder krank - Burnout, Erschöpfung, an der ich immer noch leide.
in all der Zeit machten mir meine Mutter und mein Bruder ebenfalls Sorgen. Meine Mutter, mittlerweile längst im Rentenalter, schuftet nach wie vor für nichts im Geschäft, um meinen mittlerweile sehr kranken Alkoholikervater zu ernähren. Mein Bruder, unfähig sich zu lösen, wohnt noch bei meiner Mutter, ist unselbständig und hat sich mit einem eigenen Geschäft genau in dem Haus selbständig gemacht, in dem mein Vater immer noch wohnt und ihn jeden Tag beschimpft.
Nun hat mein Bruder finanzielle Probleme und - nach jahrelangem Desinteresse an mir, seiner Schwester, bat er mich, ihm Geld zu geben. Da find das aktuelle Dilemma an. Ich weigere mich, das Co-Alkoholikertum meiner Familie weiter zu unterstützen, und sagte das auch. Tja, nun ist mein Bruder sauer und hasst mich wahrscheinlich. Ein Gespräch mit meiner Mutter ergab, dass ich für sie die einzige Person auf der Welt sei, mit der sie reden könne und sie weinte mir was vor.
Nun fühle ich mich schlecht und erdrückt. Mein Körper ist am Streiken und mein Lebensmut auf dem Nullpunkt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, möchte aber mehr Abstand zu meiner Familie. Ich bin auch wütend auf sie, auf meine Mutter, meinen Bruder und meinen Vater.
Vor lauter jahrzehntelangem Anpassen kenne ich mich nicht wirklich, fühle mich verloren, weiß nicht, was ich nun machen soll. Ich bin krank, habe Angst, vielleicht Krebs zu haben oder zu bekommen bei all dem Stress und habe keinen Partner. Ich möchte noch eine Familie gründen, aber wird das überhaupt möglich sein? Ich habe nicht gelernt, wirklich für mich zu sorgen, mich gut mit mir zu fühlen. Ich ertappe mich dabei, mir zu "wünschen", dass ich im Krankenhaus oder sonstwo endlich wieder verpflegt, umsorgt werde, und alle Verantwortung abgeben kann. Gleichzeitig wünsche ich mir nichts mehr, als endlich zu leben.
Ich weiß, der Text ist sehr lange, aber es tat gut, sich mal alles von der Seele zu schreiben. Ich bin froh, das Forum gefunden zu haben und Menschen, die verstehen, was in mir vorgeht.
Ich danke euch!!!
LG,
Sonnenstrahl