Der "Drei-Jahres-Faden"

  • hallo peter,

    ich bin neu hier und habe in der letzten nacht deine ganze geschichte gelesen!

    ich war so sehr berührt davon und konnte einfach nicht aufhören bis ich alles zu ende gelesen habe.

    du hast so viel durchgemacht und hast das dennoch so super gemeistert - das verdient wirklich den größten respekt.

    in deiner geschichte habe ich sehr viel mut gesammelt, mut für meinen weg und das ich ihn dieses mal schaffen werde.

    ich hoffe, dass du irgendwann deine geschichte hier fortsetzt und ich wieder von dir lesen kann!!!

    viele liebe grüße aus berlin

  • hallo peter,

    ja, auch ich hoffe sehr, dass du bald mal wieder schreibst und das es dir gut geht!?

    deine geschichte hat mich so sehr bewegt - sie hat einfach soviel in mir ausgelöst!!!

    ich bin beeindruckt, erschüttert, aufgeregt, ergriffen und aufgelöst = alles zugleich....

    lg

  • Zitat

    Ich geniesse meinen klaren Kopf und ich geniesse meine FREIHEIT, nicht mehr trinken und rauchen zu müssen. Das trockene Leben hat mir auch immer wieder einige schwere Brocken vor die Füsse geworfen. Aber NÜCHTERN bekomme ich das Leben gut gemeistert.

    Hallo Peter,

    so geht`s mir auch... auch wenn manchmal das Ziel noch nicht klar zu erkennen ist.

    Danke für deine Worte hier. Ich lese regelmäßig bei dir.

    Alles Gute für dich,

    lg Maria

  • Guten Morgen zusammen,

    hier tippt Peter aus Innsbruck.
    Bis vor einigen Wochen war ich "Peter aus Hamburg", aber das hat sich geändert :) Der Umzug war sehr anstrengend, aber nun ist alles hier und ich habe soweit es geht alles eingeräumt und mich häuslich eingerichtet. Die Stadt habe ich ein wenig angesehen und auch das Dorf, in das ich gezogen bin. Es ist ein Luftkurort hoch in den Bergen, es ist auf dem Land und fast ein wenig zuviel Idylle... Ich habe eine kleine gemütliche Dachwohnung in einem alten Hotel gemietet und versuche mich, langsam an das ganz andere Leben als in Hamburg oder Berlin zu gewöhnen. Ich bin sicher, es wird mir gelingen.

    Weihnachten habe ich zu meiner nassen Zeit geradezu in Alkohol ertränkt. Ich wollte nichts mit Menschen zu tun haben. Alles kam mir scheinheilig vor, sinnentleert und vollkommen überflüssig. Ich wohnte noch in Berlin und es war kein Kunststück, in der großen Stadt Gleichgesinnte zu finden. Also sah ich rechtzeitig zu, welche Kneipen an Heiligabend geöffnet hatten und wo sich ungefähr "meinesgleichen" tummelte. Herrlich! Dort traf ich mich mit anderen Säufern, um über das Elend der Welt, das Verlogene des Weihnachtsfestes und wer weiss was zu lamentieren. Das war Stoff für Tage - und betrunkene Menschen bereden ja bekanntlich alles doppelt und dreifach, auch wenn es noch so falsch oder blödsinnig ist. "*Hicks* .. Über uns selber redeten wir natürlich nicht - mit UNS war ja alles in Ordnung. Nur die Welt, die sich um uns herum drehte, war aus den Fugen. WIR doch nicht...
    Natürlich litten alle wirklichen Freunde, wenn ich sie noch hatte, unter meiner alkoholisierten Weltfremdheit, meines egozentrischen und unsinnigen Weltbildes. Besonders meine Familie litt darunter, denn auch die wollte ich nicht sehen an diesen Feiertagen. Ich glaube, ich habe fast 20 Jahre Weihnachten nicht mit der Familie verbracht - ich habe mich lieber weiter in mein eigenes Elend gesoffen. Ach war das herrlich.... Das war für mich DIE Gelegenheit, mich drei Tage wegzumachen.... Alle Welt feiert doch auch, da fällt es ja nicht so auf! Also fleissig Vorräte angelegt in den Tagen zuvor, damit auch ja kein Leerstand im Kühlschrank ist. - Was für eine armselige Zeit.

    Heute aber fahre ich zu meiner Mutter nach Norddeutschland. Wir feiern mit der ganzen Familie. Alkohol kommt ohnehin nicht auf den Tisch, Geschenke machen wir nur sehr selten... lieber sind wir alle zusammen und erzählen uns, was so passiert ist in unserem Leben. Ich bin gespannt, wie es dieses Jahr wird. Erst einmal muss ich die lange Zugfahrt überstehen und hoffe, es geht alles gut!

    Uns allen ein schönes und trockenes Weihnachtsfest.

    Peter

  • glück auf peter

    gratulation zum neuen heim (+ der schönen ruhigen umgebung)

    ich drück dir mal n daumen das die züge pünktlich sin + durchkommen

    frohes fest

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo zusammen,

    Weihnachten und Sylvester sind gut überstanden, der Umzug nach Innsbruck liegt nun schon drei Wochen hinter mir, und so langsam kommt der Alltag zurück in mein Leben. Von meiner Vermieterin habe ich zu Einzug eine große Tüte Keske (hab´ich gleich gegessen) und eine Flasche Wein geschenkt bekommen (hab´ich umgehend weiterverschenkt).

    Durch die Folgen des Gemobbes in der alten Firma in Hamburg war ich in meiner Alltagsstruktur ein gutes Stück aus der Spur geraten. Als ich aufhörte mit der Sauferei, musste ich erst wieder lernen und begreifen, was Struktur für mich als süchtiger Mensch bedeutet und wie verdammt wichtig sie ist, wenn ich trocken bleiben will. Wenn ich "nur" in den Tag hineinlebe und mein Kopfkino rattern lasse, ist das nicht gut für mich; es kann sogar schnell gefährlich werden, denn die Struktur hält und stützt mich.

    Die tägliche Struktur fehlte plötzlich ab dem 7. September, als ich zu einem Gespräch mit meiner damaligen Chefin gebeten wurde. Denn ab diesem Tag ging ich nicht mehr arbeiten und liess mich krank schreiben.
    Ich fiel eigentlich nur in ein kleines Loch... aber das hatte es in sich. Mit der Flucht nach vorn, mit meiner Bewerbungstour ab Spätsommer bei verschiedenen Firmen baute ich vor und ging einfach voran. Manchmal hatte ich den Eindruck, ich würde neben mir stehen, besonders wenn ich mir zwischendurch Zeit nahm und die Städte ansah, in denen ich mich bewarb. Unwirklich kam mir mein Leben vor, irgendwie wie im Kino ;)

    Erst mit den Zusagen - und damit ein paar Streicheleinheiten für die Seele - fasste ich wieder langsam Tritt in meinem etwas ins stolpern geratenen Leben. Gestern bekam ich einen Brief meines ehemaligen Arbeitgebers in Hamburg: man entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten die ich mit meiner Vorgesetzten hatte sowie dafür, dass ich darunter gelitten habe und wünschte mir alles Gute. Das hat gut getan, sehr gut. Auch wenn ich in der Folge des Gemobbes Arbeit und Wohnort gewechselt habe, ist dieses leidige Thema damit ein paar Stufen runtergefallen.

    In den letzten Tagen habe ich meine neue Firma etwas kennengelernt. Natürlich ist noch alles neu, aber es gibt bereits jetzt einen großen Unterschied: die Kultur des Miteinander ist ein andere, eine viel menschlichere und freundlichere. Ich hoffe sehr, daß ich zurecht komme hier. Im Moment ist es fast zuviel "Gutes", aber warum soll ich auch nicht endlich einmal wieder "Gutes" bekommen und annehmen? Ich weiss warum: Mit der Zeit wird man abgebrühter und reibt sich verwundert die Augen, wenn man mit seinem Leben wieder in freundlichere Gewässer schippert.

    Das Jahr 2010 hat mich ordentlich durchgerüttelt, sag´ich Euch. Aber genauso wie die anderen Dinge, die mein Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten, hat mir auch diesmal wieder die lange und dauerhafte Arbeit an meiner Nüchternheit geholfen. Ohne die Arbeit in der Gruppe und ohne das Schreiben wäre ich ganz sicher nicht dort, wo ich heute bin: trocken, mit Arbeit und einigermaßen stabil im Leben.

    An dieser Stelle sag´ich mal wieder gerne Danke für die freundlichen Kommentare der Mitleser - ich freue mich immer wahnsinnig darüber. :D

    Peter

  • glück auf peter

    Zitat von Petter

    "Gutes" bekommen und annehmen

    haste dir verdient ^ das is der lohn

    Zitat

    die lange und dauerhafte Arbeit an meiner Nüchternheit

    dafür ^

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo Peter,

    ich habe gestern Abend die erste Hälfte deines Erfahrungsberichtes und eben die zweite Hälfte gelesen.
    Auch ich möchte dir meinen Respekt zukommen lassen.

    Bewegend und eine starke Motivation.
    Vor allem deine Ruhe und dein ungetrübter Blick auf die Probleme des Lebens haben mich sehr beeindruckt.
    Das wünsche ich mir auch, vor allem die Dinge ruhiger und gelassener angehen zu können.

    Alles Gute in deiner neuen Heimat.

    Besten Gruß

  • Ich danke euch allen für die lieben Worte! Das tut ja so gut! Gleich geht es weiter :)

    *schnipp*

    Es ist März 2011 und es viel geschehen. Wieder einmal habe ich mich gründlich gerirrt, was die neue Firma angeht und bin Anfang Januar doch ziemlich enttäuscht gewesen. Ich konnte meine Enttäuschung nicht zulassen, weil ich es nicht wahr haben wollte. Zum Teil war es mein Verschulden, zum größeren Teil aber hat mir die Firma verschwiegen, wonach ich im Vorstellungsgespräch ausdrücklich gefragt habe: die Arbeitszeiten. Ich bin bei einem Unternehmen gelandet, daß seine Mitarbeiter gut bezahlt, aber zeitmässig "auffrisst". Ich bin meist mehr als 12 Stunden von zuhause weg und habe so wenig freie Tage, daß mir keine Zeit zur Regeneration bleibt. Vor ein paar Wochen war ich kurz vor einem Hörsturz und der HNO-Arzt hat mich ein paar Tage aus dem Verkehr gezogen. Ich bin frustriert und enttäuscht jeden Tag meinem Leben nachgegangen, aber ohne rechte Freude. Zudem war und bin ich wirklich sauer, daß man mir so unverfroren die Unwahrheit gesagt hat. Mittlerweile weiss ich um die hohe Fluktuation hier, ich weiss von Mitarbeitern, die schon nach einer Woche wieder gegangen sind und dass von zehn neu eingestellen Mitarbeitern acht wieder gehen. Das soll schon seit Jahren hier so laufen..
    Kurzum: am 8. Januar begann meine innere Kündigung, indem ich wieder Bewerbungen schrieb.

    Gleich geht es weiter...

  • So gut wie noch nie in meinem bisherigen Arbeitsleben bin ich in einem Unternehmen so freundlich und nett aufgenommen worden, wie hier in Innbruck. Das war auch ein Grund, warum ich gerne hierher gegangen bin, abgesehen von der guten Bezahlung. Die Einarbeitung war gut und so hatte ich überhaupt nichts zu meckern am Anfang, bis ich Anfang Januar von den üblen Arbeitszeiten erfuhr, die mir bis dahin ganz anders vermittelt wurden. Ich mochte es auch nicht so recht glauben, denn ich glaube zuerst immer an das Gute ;)

    Als ich am ersten Arbeitstag nach 12 Stunden nach Hause kam, war ich etwas geplättet. Es wurden jeden Tag mehr Stunden und am vorletzten Arbeitstag der Woche kam ich nach 16 Stunden heim. Ich fragte nach, ob das hier im Unternehmen die Regel sei und man sagte" Ja natürlich!" ... Niemand hatte mir bis dahin etwas von diesen Arbeitszeiten erzählt, auch der Betriebsleiter nicht bei meinem Vorstellungsgespräch, obwohl ich danach gefragt hatte.
    Ich war so sauer, dass ich mich wieder mal in meinem Kopf-Karussell drehte und gefangen hielt. Ich fragte mich, wie ich so doof sein konnte, ob ich nicht richtig zugehört habe beim Vorstellungsgespräch oder was sonst noch. Bis mir ein älterer Kollege, den ich beim Kaffee darauf ansprach sagte: "Die lügen erstmal jeden an. Wenn einer bleibt ist es gut, wenn nicht, geht er eben wieder. Wenn jemand schon mit seiner Familie hierher gezogen ist, bleibt der auch." Ab diesem Tag war mir klar: Das ist keine gute Basis - ich werde wieder gehen.
    ZEIT ist für mich ungeheuer wichtig. Ich habe fast 20 Jahre meines Lebens versoffen, ich habe meine Gefühle, meine Träume und Wünsche versoffen und bin nicht bereit, meine neue gewonnene Freiheit und Zeit zu vergeuden. Nicht jeder kann das verstehen, aber das ist auch nicht wichtig. EIN Baustein meiner Trockenheit ist die ZEIT, die ich mir gönne und für mich nehme - dafür habe ich liebend gern weniger Geld zur Verfügung.

    Ich war enttäuscht aber nicht verzweifelt. Ich war genervt über so ein dreistes Gelüge, aber ich versuchte, mir den Mut nicht nehmen zu lassen. Abends am 8. Januar wusste ich: "Los! Schreib´wieder Bewerbungen und sieh´zu, daß Du hier weg kommst." - Wenn ich schon nochmal neu anfange (und ich habe schon oft neu begonnen in meinem trockenen Leben), dann sollte es etwas anderes sein, etwas Neues und vielleicht eine Herausforderung. Genau das habe ich gefunden.

    Bei manchen Bewerbungen denkt man: "Das wird doch nie etwas..." und genau das aber klappt dann komischerweise.
    Zwei Tage nachdem ich eine Bewerbung an ein Verkehrsunternehmen in Bayern geschrieben hatte, riefen sie an. Es kam ein Bewerbungsgespräch zustande, das hervorragend verlief, ein sehr langer verkehrspsychologischer Test, eine ärztliche Untersuchung. Am meisten Angst hatte ich wegen der chronischen Leukämie, die bei jedem Blutbild auffällt. Doch die Ärztin beruhigte mich und meinte nur: "Das hat mit Ihrer Leistungsfähigkeit für den Betrieb überhaupt nichts zu tun." Alles zog sich etwas in die Länge und jedes Mal habe ich gebibbert. Am Ende hat es geklappt und nach knapp sechs Wochen konnte ich "Jipppieee" rufen. Nun bekomme ich eine siebenmonatige Ausbildung, und wenn ich die amtliche Prüfung am Ende des Lehrgangs bestehe, sofort einen unbefristeten Vertrag.
    Ende April ziehe ich um nach Regensburg und nächste Woche werde ich die Stelle hier in Innsbruck kündigen.

    Seit ich trocken bin, erlebe ich berufsmässig eine Berg- und Talfahrt, bei der es aber immer stetig bergauf geht. Anscheinend schaffe ich es, den Schwung bei der Abfahrt ins Tal mitzunehmen und beim nächsten Hügel wieder etwas höher zu fahren :) Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass der neue Job der Traum meiner Kindheit ist. Es ist für mich DER Job schlechthin und ich kann es immer noch nicht richtig fassen. Die Geduld, die ich oft nicht hatte und habe, wird belohnt. Die Rückschläge und Enttäuschungen, die Hoffnungen - eigentlich alles, was ich erlebe, seit ich trocken und nüchtern bin, kommt irgendwann positiv zurück. So sehe ich das jedenfalls und habe nicht den Eindruck, dass ich damit falsch liege.
    Manche Kollegen in Innsbruck sind sauer, sie haben oft schlechte Laune und grüssen nicht. Sie hadern mit der betrieblichen Situation und bleiben hier doch ihr Leben lang "kleben". Ich bin so froh und glücklich, dass mir genau das nicht passiert.

    Berlin-Offenbach am Main-Hamburg-Innsbruck und nun Regensburg, hoffentlich für länger. Auf meinem trockenen Weg lerne ich anscheinend so einige Städte kennen (und die Frisur sitzt noch!). Auch wenn mir das wohl niemand abnimmt: ich würde gerne irgendwo bleiben und Wurzel schlagen. Mit der neuen Arbeit könnte das klappen. Wenn ich EINE Säule meiner zufriedenen Trockenheit mit einer befriedigenden Arbeit habe, dann ist das eine sehr gute Basis. Ich werde das Beste daraus machen :D

    Danke fürs Lesen!

    Peter

  • Guten Morgen lieber Peter,

    och,da freu ich mich ja echt für dich...hab richtig eine Gänsehaut beim lesen bekommen..
    Hast ja nun schon wirklich einige Berg- und Talfahrten in deinem Berufsleben durch...aber wie du es schon so schön bescheibst..jedes mal geht es ein Stück höher...

    Du bist echt das beste Beispiel,woran man erkennen kann,daß belohnt wird,wenn man immer dran bleibt und nicht aufgibt..

    Zitat

    EIN Baustein meiner Trockenheit ist die ZEIT, die ich mir gönne und für mich nehme - dafür habe ich liebend gern weniger Geld zur Verfügung.


    genau das sage ich mir auch....ich brauch unbedingt Zeit für mich und habe auch lieber weniger Geld...

    Ich wünsch dir weiterhin alles Gute...
    lieben Gruß
    Kiki

    mein Rückfall zeigte mir,wie kostbar ein Leben ohne Alkohol ist!

  • Es geht weiter und weiter und weiter - das trockene und nüchterne Leben macht mir immer mehr Spass. In zwei Monaten bin ich fünf Jahre trocken... unfassbar irgendwie.

    Im Augenblick geht es mir gut: das Neue steht vor der Tür, ich habe Innsbruck und die merkwürdige Firma hinter mir. Vorgestern habe ich alle Ausrüstungsgegenstände abgegeben, als mir mein Vorgesetzter im Flur über den Weg läuft. Er zog mich nach draussen vor die Tür und sagte: "Peter, wenn ich etwas Besseres hätte, würde ich auch sofort gehen." - Das hat mich verblüfft aber natürlich auch sehr gut getan :)

    Eine Woche bin ich noch in Tirol und schwer am Packen. Im Umziehen bin ich erfahren - ich glaube, ich bin in meiner trockenen Zeit siebenmal umgezogen ... Ich hoffe sehr, nun auch mal ANzukommen.

    Es mag ja sehr merkwürdig klingen aus der Feder eines 48jährigen Mannes, aber ich habe das Gefühl, in den letzten fünf Jahren erwachsen geworden zu sein. Sowohl beruflich als auch privat.
    Mein Leben ist alles andere als normal, aber ich habe es im Griff und achte auf mich.
    Ausserdem bestimme ich selber, was "normal" ist und was nicht - zumindest was mein Leben betrifft. :P

    Noch bevor ich in Bayern ankomme, tut sich auch etwas für die Seele: ich habe jemanden kennengelernt und hoffe, das mehr daraus wird. Momentan ist es beidseitig und ich versuche, die Dinge entspannt auf mich zukommen zu lassen.

    Was mir immer wieder schwer fällt ist, einem neuen Mann zu sagen, daß ich ein trocken lebender Alkoholiker bin:
    - Ich habe Angst, sofort in eine Schublade gesteckt zu werden.
    - Ich habe Angst, ich sage es einem, der gerne Alkohol trinkt (und dann wäre es vergebliche Liebesmüh...).
    - Ich habe Angst vor Ablehnung.
    - Ich habe Angst, die Geschichte ist vorbei, bevor sie begonnen hat.
    Aber wie ich auch betrachte: Ohne die Wahrheit komme ich nicht weit.

    Dem Mann, den ich gerade kennenlerne habe ich bisher nur gesagt, daß ich alkoholfrei lebe. Sobald ich denke, den richtigen Zeitpunkt zu "erwischen", werde ich mit der Wahrheit rausrücken. Aber wann ist dieser Zeitpunkt...

    Danke fürs Lesen :)

    Peter

  • glück auf peter

    deine ängste kenn ich, wenn auch nur von den berichten anderer.

    Zitat von Petter

    Dem Mann, den ich gerade kennenlerne habe ich bisher nur gesagt, daß ich alkoholfrei lebe. Sobald ich denke, den richtigen Zeitpunkt zu "erwischen", werde ich mit der Wahrheit rausrücken. Aber wann ist dieser Zeitpunkt...

    den ´richtigen zeitpunkt` gibts nicht!!! solange er damit zufrieden ist, dass du alkfrei lebst isses gut. fragt er nach: "warum?" < is das n guter zeitpunkt. versucht er dich zu überreden: "das eine glas - als einstimmung für den schönen abend" - oder - oder - oder < ist das der späteste zeitpunkt.
    du bist n großer junge (und jetzt auch schon erwachsen :wink: ) - du hast das im griff. ich wünsch dir, dass alles so wird wie du dir das vorstellst.

    schönes osterfest und weiter ne schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo Peter,

    ich danke dir für deine Beiträge.... das hat mich so berührt beim Lesen und machen immer wieder Mut. Ach und nun also Regensburg :) ... ich war ein paar Mal schon dort. Schöne Stadt, schönes Flair.

    Zu deinen Ängsten kann ich mir - so wie ich dich hier lese - nicht vorstellen, dass du nicht die passenden Worte finden solltest, um zu sagen, dass du trockener Alkoholiker bist, danach dein Leben ausrichtest und nicht in Betracht ziehst dein trockenes Leben zu gefährden. Denn das hast du doch grade wieder bewiesen mit dem Jobwechsel.

    Ich empfehle dir: Warte nicht zu lang, denn dies ist doch ein ganz wesentlicher Teil von dir und zulange warten und hin- und herwenden bringt mehr Ängste hervor (so isses jedenfalls immer bei mir). Es gibt keinen Grund dich zu verstecken.

    Ich wünsche dir das Beste dafür.

    Liebe Grüße
    Maria

  • Hallo zusammen,

    vielen Dank für Eure Beiträge! Ich werde sicher nicht zu lange warten, um dem Mann zu sagen, was zu sagen ist.

    Es ist ein Unterschied, wenn ich sage "Ich lebe alkoholfrei!" oder "Ich bin ein Alkoholiker!". Den ersten Satz wende ich meist dann an, wenn ich z.B. bei einem Treffen mit Arbeitskollegen oder Menschen bin, die es nicht wirklich etwas angeht, wie ich lebe. Bei diesem Satz "Ich lebe alkoholfrei!" möchte einfach nicht in die Tiefe gehen. Es ist ein Satz wie "Ich habe eine Allergie" oder sowas ... jedenfalls ordne ich das bei mir so ein. Wenn ich aber sage "Ich bin ein Alkoholiker!" dann tue ich das sehr bewusst:
    Ich möchte dem anderen sagen, was mit mir los ist und konfrontiere ihn mit einer Wahrheit, die nicht unbedingt einfach zu verdauen ist.

    Wir hatten dieses Thema hier auch schon in ähnlicher Art. Ich sage nicht jedem, was mit mir los ist. Warum auch? Es geht nur wenige etwas an; ich gehe mit meinem Alkoholismus nicht hausieren.

    Wenn ich jemanden kennenlerne, an dem mir etwas liegt und umgekehrt, dann muss ich allerdings klarer werden. Wer sich mit mir einlässt, muss erfahren, was das für ein Mensch ist, den er vielleicht bekommt. Darum sage dann "Ich bin Alkoholiker!". Die Angst vor der Reaktion ist bei mir immer da. Irgendwann als ich trocken wurde habe ich mir vorgenommen, nicht mehr zu lügen. Ich habe viele Jahre gelogen, als ich gesoffen habe: Ich habe gelogen, um an den Alkohol zu kommen, um an Geld zu kommen, um in Ruhe meine Sucht pflegen zu können und und und - alles, um den Teufel Alkohol auf meiner Schulter ruhig zu stellen. Ich habe mich dafür gehasst und vorgenommen: "Nie wieder."

    Es ist für mich auch nur begrenzt eine Belastung, jemandem zu sagen "Ich bin Alkoholiker", weil ich seine Reaktion nicht kennen kann. Es gehört zu MEINEM Leben, mit der Wahrheit klar zu kommen. Ich schaffe das auch. Aber ich muss auch gestehen, daß es für mich immer wieder eine Hürde ist, wenn ich diese Wahrheit jemandem sagen muss, bei dem ich mehr empfinde. Ich denke, das ist ganz natürlich :oops:

    Meine Sachen sind fast gepackt; ich kehre Tirol den Rücken und freue mich (wieder mal) auf das Neue.

    Danke fürs Lesen

    Peter

  • Guten Morgen zusammen,

    mittlerweile bin ich umgezogen und seit zwei Wochen in meiner neuen Wohnung in Regensburg. Anstrengend war der Umzug, aber alles gut machbar. Ich hatte Hilfe von meiner Schwester und von Freunden - so ging es sehr gut in das neue Leben. Bis zu meinem Arbeitsbeginn ist noch etwas Zeit und ich kam auf die Idee, ein paar Tage in meine alte Heimat Berlin zu fahren. Sooo gut war die Idee wohl nicht: ich habe diesen Kurzurlaub abgebrochen.

    Eigentlich wollte ich heute noch in Berlin sein, denn hatte mich auf ein paar Tage in der großen Stadt gefreut. Am Donnerstag letzter Woche bin ich hingefahren; am Tag darauf entschied ich mich plötzlich, die Stadt schnell wieder zu verlassen. Ein heftiges und schlechtes Gefühl hatte mich gepackt, teilweise kam meine Vergangenheit wieder hoch und ich war nicht in der Lage, mich dagegen zu wehren. Als ich bemerkte, daß in der Unterkunft des Bekannten, bei dem ich übernachtete, jede Menge Alkohol "gebunkert" war, fiel meine Entscheidung sehr schnell. Ich bin zum Bahnhof und am Samstag früh wieder nach Regensburg zurück gefahren.

    Bereits bei meinem Spaziergang am Freitag merkte ich, wie unwohl ich mich fühlte. Ich habe einen ganz Sack voller Ablehnung gegenüber dieser Stadt in mir. Zum einen fielen mir die Veränderungen auf, die sich nach meinem Wegzug 2008 dort eingestellt hatten. Zum anderen bekam ich einen richtiggehenden Schub an schlechten Gefühlen, als ich an den Plätzen meines früheren Lebens vorbei spazierte. Soviel geballten Alkoholismus, soviel Verwahrlosung taten mir nicht gut. 25 Jahre habe ich in Kreuzberg gelebt, bin dort in mein Leben als Säufer geraten und nun lief ich durch die Strassen, sah vieles durch meine "trockene Brille" und wusste: "Ich brauche das alles nicht mehr."

    Am Freitag bin ich abends noch kurz in mein ehemaliges Stammlokal gegangen. Dort allerdings ist die Zeit stehen geblieben (bis auf die verstorbenen Freunde, die der Alkohol hingerafft hat): Die gleichen Menschen sitzen auf den gleichen Plätzen, trinken und erzählen sich das gleiche blöde Zeug. Leider hockte dort auch ein Freund, der den Absprung nicht schaffen will und von dem ich immer gehofft habe, er würde es vielleicht doch hinbekommen. Ein zweckloser und dummer Gedanke, der Alkohol hat ihn selbstverständlich fest im Griff, wie fast alle Besucher in diesem Lokal. Nach 20 Minuten des "Halloooo!" und "Heee!" bin ich wieder gegangen - unter einem Tisch saß ein Stammgast und spielt stockbesoffen "Hund". Er guckte blöd und hob das Bein. Da bin ich wieder raus aus dem Laden.

    Vielleicht habe ich das noch mal gebraucht; ich weiss es nicht. Die Reise kam mir nun überflüssig vor, aber wenn das Ergebnis dieser Reise ist, nicht mehr nach Berlin zu fahren, dann ist das auch ein Ergebnis. Ich nehme es hin, wie es gekommen ist. Meine neue Heimat, mein trockenes und nüchternes Leben gefallen mir deutlich besser.

    Danke fürs Lesen.

  • hallo petter,

    gut so, ich find es wichtig das du diese reise gemacht hast. du hast hier erfahrungen gesammelt die so wertvoll sind. du hast es gespürt, das du da weg willst und bist gegangen.

    sicher könnte ich dir auch schreiben, hey wie konntest du dich in eine solche gefahr bringen!doch bist du schon länger trocken und kannst hier gut für dich sorgen. find ich mal.

    welche schlüsse ziehst du denn aus diesem erlebnis für dich?

    Zitat

    Vielleicht habe ich das noch mal gebraucht; ich weiss es nicht. Die Reise kam mir nun überflüssig vor, aber wenn das Ergebnis dieser Reise ist, nicht mehr nach Berlin zu fahren, dann ist das auch ein Ergebnis. Ich nehme es hin, wie es gekommen ist. Meine neue Heimat, mein trockenes und nüchternes Leben gefallen mir deutlich besser.

    ich denke das du das gebraucht hast um wieder dort hin zu kommen wo du bist und es dir wieder bewusst gemacht hast, wie wichtig dir deine trockenheit ist. dein neues leben. doch müssen es solche grenzerfahrungen wirklich sein?

    lieben gruß melanie

  • Guten Morgen zusammen,
    guten Morgen Melanie!

    Mit ein paar Tagen Abstand sehe ich diese Reise gelassener. Eine Grenzerfahrung war es nicht, denke ich.

    Ab und zu versuche ich, den Kontakt zu einem Freund leicht "anzustupsen", von dem ich weiß, daß er im Grunde seines Herzens nicht mehr saufen will. Ich kann meine Hilfe nicht aufdrängen, das wäre sinnlos und vergeblich. Aber ich kann ab und zu signalisieren; "Hallo, es gibt mich noch und die Tür zur Hilfe ist nicht verschlossen." - Aufstehen und Hilfe suchen muss er dann schon selber. Ich fühle mich nicht verantwortlich für die Welt. Aber wenn mir ein Alkoholiker die Hand reicht, weil er Hilfe benötigt, bin ich verantwortlich. Letzte Woche habe ich gesehen und eingesehen, daß ich in diesem Fall nicht weiter hoffen brauche. Dieser Mann hat sich vorerst für den Alkohol entschieden.

    Sobald fahre ich jedenfalls nicht mehr nach Berlin. Ich bin im Sommer 2008 nicht umsonst dort weggezogen und habe die Stadt nie vermissst.

    Danke fürs Lesen!
    Peter

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