• Hallo,

    als ich 7 war, kam meine Mutter mit U. zusammen. An diese erste Zeit erinnere ich mich kaum. Als ich 9 war, zogen wir zusammen in eine neue Wohnung. Während des Umzugs hat er mich an einem Tag 2x geschlagen, ich weiß bis heute nicht, warum. Aber es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass er zuschlug.
    Schlimm waren auch die psychischen Grausamkeiten. Er war so dermaßen unberechenbar und irgendwie verlebte ich meine Kindheit in ständiger Angst, mit unfairen Streitereien, vielen Schlägen und dem Gefühl, ungeliebt zu sein, denn meine Mutter stellte sich fast nie auf meine Seite und mein leiblicher Vater holte mich da nicht raus, obwohl ich drum bat.

    Dass U. trank, wurde mir während eines Kinofilms bewusst. Ein Jugendlicher neben mir trank Bier und mir fiel auf, dass er genauso roch wie U. Da war ich 14.

    Mein Opa trank auch, aber er roch irgendwie anders und vor allem merkte man es auch sofort, da er nicht versuchte, es zu verheimlichen. U. hingegen versuchte das mit allen Mitteln. Und mir gegenüber gelang ihm das ja auch ziemlich gut.

    Aber natürlich durfte dieses Thema nicht angesprochen werden!

    Als ich mit 19 auszog, besserte sich unser Verhältnis. Es ist allerdings sehr oberflächlich. U. ist nachwievor nicht einschätzbar. Ich könnte auch nicht sagen, ob er mich mag oder nicht.

    1997 zogen wir in ein Haus, er verletzte sich, durfte aber das Medikament nicht zusammen mit Alkoholkonsum einnehmen. Das war so die Zeit, als er sich irgendwann Hilfe holte und praktisch von heute auf morgen trocken war. Und das, obwohl z.B. mal Kuchen mit Eierlikör serviert wurde und er unwissend davon aß usw. Er konnte das ab. Später trank er sogar mal ein Schluck Wein zum Feiertag.

    Seit letzten Sommer trinkt er wohl wieder. Meine Mutter sagte mir, sie fand eine versteckte Flasche und ich merkte es auch. Besonders fiel mir auf, dass er wieder ständig Hustenbonbons bei sich hatte. Er wurde wieder viel häufiger launisch, unberechenbar. Erst fragt man sich, war er die letzten Jahre auch so? Vielleicht geht es ihm nicht gut? Aber im Grunde kennt man die Antwort und der Verdacht ist eigentlich eine Gewissheit: Er trinkt wieder.

    Nun, im Grunde kann es mir egal sein. Ist es aber nicht. Schließlich hat meine Mutter so etwas nicht verdient. Ich wünsche ihr eine liebevolle, zufriedene Ehe und er macht es kaputt.
    Er hat mir echt meine Kindheit verdorben und ich will nicht, dass das umsonst war und er es so weit treibt, dass Mutti ihn verletzt. Dann hab ich die ganze Sch... umsonst ertragen!
    Aber am wichtigsten ist meine Halbschwester. Sie ist jetzt 18 und er hat sich neulich so mies ihr gegenüber verhalten. Sie kennt das gar nicht, er hat sie auch nie geschlagen oder so. Und auf einmal tickt er voll aus.
    Sie rief weinend bei mir an und ich hab versucht sie zu trösten.
    Aber wisst ihr was? Ich hab mich nicht getraut ihr zu sagen, dass ich denke, dass er wieder trinkt.
    Und das ist so schlimm für mich, da wurde mir klar, ich brauch irgendwie Hilfe, denn ich hab es so dermaßen satt, die Klappe halten zu müssen!

    Jeder darf auf mir rumhacken, weil ich so stark übergewichtig bin, jeder mischt sich da ein, aber ich darf nichts sagen, weil er trinkt?! Und ich Idiot mach auch noch mit!

    Vor 2 Jahren, als er noch trocken war, hatte ich mal einen Kuchen gebacken, was weiß ich, Ostern oder so. Ich erzählte, dass eigentlich noch Rum-Aroma in den Kuchen sollte, aber ich nicht wusste, ob er das abkönne und ich wollte es ihm ja nicht noch schwerer machen. Meiner Mutter fiel alles ausm Gesicht und sie versuchte mir klar zu machen, dass ich ruhig sein solle.
    Später saß U. mit meinem Freund am PC und Mutti sprach mich drauf an, nuschelte rum, ich solle so was nicht sagen. Als ich sie fragte, was denn schlimm daran sei, jeder weiß, dass er Alkoholiker ist und ich habs oft genug am eigenen Leib erfahren und außerdem habe ich mir ja nur Sorgen um ihn gemacht, da konnte sie mir keine Antwort drauf geben, nuschelte wieder irgendwas und räumte hektisch den Tisch ab.

    Ich will nicht mehr die Klappe halten. Aber ich frage mich, was darf ich? Was ist ok, wann überschreite ich meine Grenzen? Und sollte mich das eigentlich interessieren, nachdem er ständig Grenzen überschritten hat?

    Neulich war er am Tel. so komisch, da dachte ich schon, er hat sicher getrunken (ein paar Stunden später war es, als er meine Schwester so fertig machte, es ist also sehr wahrscheinlich, dass er wirklich dun war). Was soll ich da tun? Soll ich sagen: Hast du getrunken? Geht das nicht etwas zu weit? Aber wenn ich nichts mache, mache ich doch das, was ich gar nicht will: Klappe halten.

    Ich werd noch wahnsinnig...

    LG
    Riona

  • hallo riona

    da ich alkoholikerin bin und nicht kind fällt es mir nicht so leicht mich in eure gedankenwelt hinein zu versetzen. umgekehrt wird es dir genau so gehen.

    ich würde mit denen, mit u. und deiner mutter klartext reden. ich würde ganz klar sagen, u. wenn du dich totsaufen willst dann tu das und mutter, wenn du das weiter alles untern teppich kehren willst als existierte das problem nicht, dann bitte tu auch du das, aber ohne mich. ich will und kann diese lügen nicht mehr leben und decken. wenn möglich nimm deine kleine schwester und geh. du mußt nicht die klappe halten. deine mutter ist ne typische co, ihr kannst du genau so wenig helfen. bring dich in sicherheit, sonst erstickst du an der verlogenheit. das hast du nicht nötig, du machst nichts falsch. falsch ist für einen alki nicht zu seiner krankheit zu stehen. also klar wo der fehler liegt.

    doro

    Alkohol ist ein prima lösungsmittel es löst familien arbeitsverhältnisse freundeskreise und hirnzellen auf.
    trocken seit 18.10.2001

  • Hallo riona,

    herzlich Willkommen hier im Forum.

    Ich bin selber EK, meine Mutter trinkt "heimlich" seit Jahrzehnten. Jeder weiß es und sie lügt sich und den anderen die offensichtlichen Tatsachen schön. Das ist eines der Symptome bei Alkoholismus.

    In der alkoholkranken Familie spielt jeder seinen Part. Die Angehörigen kreisen in der Umlaufbahn um den Alkoholiker. Man rutscht unmerklich in eine Co-Abhängigkeit hinein, die nichts anderes macht, als den Status Quo zu erhalten. Zum Beispiel: schweigen, verheimlichen, vertuschen, decken, schönreden, verharmlosen usw.

    Es legt sich ein Schweigegelübde über die Familie, nur damit "es" nicht herauskommt.

    Ich bin da herausgekommen. Abstand hat mir geholfen. Abstand halten fiel mir sehr viel leichter als reden. Das konnte ich erst sehr viel später, so "gut" habe ich das Redeverbot verinnerlicht.

    Wir dürfen gehen, wir dürfen reden. Den Co-Abhängigen, der um den Alkoholiker kreist, den können wir auch nicht "retten". Jeder ist ja selbst für sich verantwortlich. Und genau so, wie der Alkoholiker selbst trocken werden muß aus innerer Einsicht, so muß der/die Co auch selber eine Veränderung für sich und das eigene Leben beginnen. Wir Kinder sind da nicht zuständig! Wir meinen nur, jemanden retten zu können und gehen bei dieser Kraftanstrengung schier kaputt.

    Du brauchst nicht unbedingt mit ihnen zu reden, wenn dich das überfordert. Du kannst einfach gehen. Aber du darfst das Schweigen brechen, damit es endlich mal aus dir draußen ist.

    Appelle an Alkoholiker und Co verhallen meist im Nebel des nicht Wahrhabenwollens. Leider ist das so. Wenn du redest, dann tu es für dich und nicht in der Hoffnung, daß sie sich plötzlich ändern.

    Du kannst dich im real life bei einer Suchtberatungsstelle beraten lassen, auch hinsichtlich deiner Schwester.

    Bis denn, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Danke für eure Antworten.
    Noch mal für die Klarheit, ich wohne schon lange nicht mehr bei meinen Eltern. Also weg bin ich insofern schon, deshalb mach ich mir ja auch nen Kopf, wie weit ich gehen darf. Inwieweit geht es mich überhaupt noch was an?
    Aber da nun scheinbar alles von vorn losgeht und er neulich eben auch meine Schwester nieder gemacht hat, denke ich, es geht mich sehr wohl noch was an...

    Aber wie weit darf ich gehen?
    Wie weit will ich gehen? Ich hab Angst, was kaputt zu machen an unserer aller Verhältnis...

    Eine Beratungsstelle hab ich schon angeschrieben. Es gab mal eine Gruppe, aber ich glaub, die hat sich aufgelöst. Naja, kriege sicher morgen eine Antwort.

    LG
    Riona

  • Hallo, Riona
    Du schreibst: wie weit darf ich gehen?
    Geh so weit, wie Du gehen willst und befreie Dich von dem Druck. Wenn ich Dich richtig verstehe, willst Du ja alles sagen, was Dir auf der Seele liegt, aber Du traust Dich nicht.
    Die Angst, Euer aller Verhaeltnis kaputt zu machen, finde ich unbegruendet. In einer Familie, wo alles unangenehme unter den Teppich gekehrt wird, ist das Verhaeltnis untereinander durch das Nichtansprechen von Missstaenden, sowieso gestoert wenn nicht sogar schon kaputt.
    Ich komme auch aus einer Alkoholikerfamilie. Mein Vater trank, mein Opa, spaeter auch die Oma, Onkel, Tanten waren Alkoholiker. Auch mein Mann trinkt seit ueber 10 Jahren.
    LG Barcelona

  • Ja Barcelona, wahrscheinlich hast du Recht. Ist nur schwierig, das in die Tat umzusetzen.
    Bei meinen Großeltern war das anders, da wurde offen "gesprochen". Niedergemacht trifft es eher. Oma war dann "die fette Sau" und Opa "das versoffene Schwein". Ganz offensichtlich haben Oma und Opa sich gefetzt und auch geschlagen. Aber dadurch war es auch nie ein Grund für Opa, die Quartalssäuferei zu verheimlichen.

    Bei U. ist es jetzt aber so und war schon immer so, daher ist es wieder ganz anders und auch wieder schwieriger für mich damit umzugehen.

    Ich will U. ja nicht vor den Kopf stoßen, ich denke nämlich, er ist ein sehr einsamer Mensch...irgendwie will ich ihm ja auch zeigen, dass ich für ihn da bin, wenn er das will.
    Ich bin da einfach völlig überfordert und bin froh, dass ich heute tatsächlich Post im Mailfach hatte. Es gibt die SHG für erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern noch und ich habe auch eine Tel-Nummer bekommen. Werde nachher anrufen, bin zwar etwas nervös, aber ich schaff das, ich muss...

    LG
    Riona

  • Hallo Riona,

    einerseits möchtest du dich von U. abgrenzen. Dann alles mal auf den Tisch bringen. Und außerdem für ihn da sein, weil er ja so einsam ist.

    Und selber fühlst du dich völlig überfordert.

    Wenn ich nicht stabil bin und in mir bin, dann kann ich auch nicht für jemanden anderes da sein. Wie soll das gehen? Du bist auch nicht für ihn zuständig. Da gibt es Profis für. Es ist seine Sache, sich um sich selber zu kümmern, seine Verantwortung.

    Vielleicht kannst du bei dir bleiben und für dich sorgen. Du DARFST dich abgrenzen. Du darfst an dich denken. Und du machst eben nichts kaputt, sondern du machst dich ganz.

    Schreib dir alles von der Seele und rede dir alles von der Seele, das hilft es innendrin zu sortieren.

    Viele Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Habe gestern mit der Frau der SHG telefoniert. Ich bin mir nicht sicher, ob das was für mich ist.
    Jeder sagt halt, was ihn so beschäftigt, aber man kriegt kein wirkliches Feedback, keine Ratschläge, sondern jeder erzählt nur von sich und alle anderen hören zu.
    Das ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe...
    Mir ist wichtig, auch andere Sichtweisen zu hören und das fehlt da ja vollkommen. Noch dazu sind so ein paar Kleinigkeiten, wo ich denke, das passt nicht...naja, ich hab noch Zeit es mir zu überlegen.

    Linde, du hast wohl Recht. Ich kann nicht alles auf einmal und ich muss lernen, dass das, was ich mir wünsche, so sicher nicht wahr werden wird. Nämlich das wir alle gemeinsam als Familie hinter U. stehen und ihm dadurch helfen, ihm aber auch sagen dürfen, wenn wir uns mies fühlen; ihn fragen dürfen, was ihm durch den Kopf geht, was ihn bedrückt...ja, einfach eine Gruppe sein, die offen zu sich sein kann. Das wünsch ich mir, aber ich denke, das gibts nur im Film, wenn überhaupt.

    Aber vielleicht wäre es ja mal was, einfach nur diesen Wunsch anzusprechen....einfach damit Mutti und U. wissen, wie es in mir aussieht...

    Und dann wird es wohl zur Abgrenzung kommen...und das ist es, was mir so wahnsinnig schwer fällt, denn ich habe kürzlich erst meinen leiblichen Vater vor die Wahl gestellt. Entweder akzeptiert er mich so, wie ich bin, oder wir brechen den Kontakt komplett ab und bis jetzt sieht es wohl nach endgültiger Trennung aus.

    Sprech ich nun das Thema Alkohol bei meiner Mutter und U. an, lauf ich Gefahr, bald ganz allein dazustehen und davor hab ich echt einfach ne sch... Angst!

    Ich weiß aber auch, dass es so nicht weiter gehen kann und ich einfach keine Lust mehr habe, dieses Thema wie ein rohes Ei zu behandeln bzw. sorgfältig unter den Teppich zu kehren.

    LG
    Riona

  • Danke Karsten,

    ich seh meinen Stiefvater und meine Mutter ziemlich selten. Unser Verhältnis ist...hm, komisch irgendwie. Eigentlich verstehen wir uns immer gut, wenn wir uns sehen, trotzdem hat sie nie Zeit für mich und mit ihm alleine...is merkwürdig, oberflächlich, leicht angespannt, kommt nur selten vor.

    Damals, als ich den Kuchen gebacken hatte, bei dem ich das Rum-Aroma weggelassen hatte und das ansprach, ja, irgendwie war mir das ein Bedürfnis. Ich wollte U. zeigen, dass ich mir Gedanken um ihn mache. Ich respektiere seine Trockenheit, auch wenn er jetzt wieder nass ist. Die Leistung, 11 Jahre trocken zu sein, ohne auch nur annähernd so streng zu sein, wie "ihr" hier (er isst Marzipan, Rosinen usw. keine Spur davon, Lebensmittel zu meiden, Therapie nur sehr kurz, keine Therapie- oder SH-Gruppe, niemanden, mit dem er reden kann...), die kann ihm keiner mehr nehmen und ich find es respektabel, dass er es geschafft hat.
    Den Rückfall seh ich natürlich kritisch und verängstigt.
    Aber ich denke auch: Hinfallen ist nicht schlimm, liegenbleiben schon!
    Das heißt, solange er jetzt weiter kämpft, kein Problem.
    Aber wie soll er das noch mal schaffen, ohne die ganze Hilfe?

    Ich wollte ihm einfach nur zeigen, dass ich ihn und seinen Kampf ernst nehme.

    Genau das ist es auch, was ich mir von meiner Familie wünsche. Ich bin sehr dick und möchte doch auch, dass für mich ein Gartenstuhl bereit steht, in den ich auch rein passe, als Beispiel.

    Ich wünsch mir einfach, dass wir als Familie zueinander halten und uns unterstützen.

    Das hab ich mit dem Rum-Aroma so zwar nicht formuliert, aber aus dem Gedanken heraus, hab ich das erwähnt.

    Aber du hast schon Recht, wenn ich jetzt wirklich ein gezieltes Gespräch suche, dann um zu sagen, was ICH mir wünsche, was ICH bereit bin mitzumachen, zu geben oder zu nehmen usw.
    Ich denke, mit der Sichtweise fällt es mir leichter, meine Gedanken etwas zu sortieren und auch mit meiner Mutter zu reden.
    Aber ob ich jemals mit U. reden kann? Vielleicht ist das ja auch gar nicht mehr nötig, wenn ich lerne, auf meine Bedürfnisse zu achten!

    Was die SHG angeht, bin ich immer noch unsicher. Bei der KIBIS (die gibts es doch häufiger? Ist dir vielleicht ein Begriff?) gibt es nur diese eine Gruppe und weit fahren kann ich mir nicht leisten...ich werd mal schaun, ob ich noch eine Gruppe finde, wo ein Austausch stattfindet, wäre mir echt lieber...wie du schon sagst, ich weiß auch nicht, was für mich richtig und gut ist, wie soll ich also das Richtige und Gute aus den Erzählungen der anderen ziehen?

    LG
    Riona

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