"ABER" ich trinke keinen Alkohol

  • Hallo zusammen

    ist es eine Selbstmotivation /Stolz , wenn ich in einer für mich schwierigen, gemeisterten Situation , erleichtert schreibe ""ABER" ich habe keinen Alkohol getrunken ". Oder lasse ich da nicht im Unterbewusstsein Platz /zu hohen Stellenwert , dieses noch als Option anzusehen?

    Wie seht Ihr das ?

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo Hartmut,

    genau dieses Thema ist mir vor einigen Wochen durch den Kopf gegangen...

    Ich hatte dem "Hauptsache ich trinke nichts" in den ersten Wochen der Trockenheit einen zu hohen Stellenwert eingeräumt bzw. mich auf diesen "Lorbeeren" zu sehr ausgeruht.

    D.h. ich habe irgendwie im Unterbewusstsein gedacht, wenn ich nicht trinke ist/wird alles gut und habe somit die wesentlichen Veränderungen vernachlässigt.

    Ich habe mich weiterhin ungesund ernährt, zu viel geraucht, zu viel gegessen, keine Bewegung. Ich habe praktisch den ganzen Tag nur rumgegammelt und konnte nichts mit mir anfangen. Wenn mich mal das schlechte Gewissen packte, konnte ich mich mit dem Satz "Hauptsache ich trinke nichts" wieder beruhigen.

    Jetzt sieht das ganze anders aus. Ich bin Aktiv und tu was für mein neues Leben.

    Klar kann man stolz darauf sein, nichts zu trinken. Aber man sollte sich nicht auf dieser Leistung ausruhen und denken, damit wäre alles gut.

    Ein sehr gefährlicher Gedanke...


    LG

    Martin

  • Hartmut ,

    kommt meines Erachtens auf die Situation an.
    Wenn mich in irgendeiner Situation das "Suchtgedächtnis" triggert, weil ich mich ja schliesslich 15 Jahre anders verhalten habe, so halte ich das für normal.
    Es gilt ja schliesslich, das "Suchtgedächtnis" durch andere Verhaltensweisen in ähnlichen Situationen "zu überschreiben".
    Dort ist die Aussage: "Ich habe mich aber anders verhalten als früher." legitim und angebracht und kann und wird in der entsprechenden Situation Ergebnis einer rationalen Güterabwägung sein.
    Da gilt es sich auch mal zu zwingen - gegen das "Suchtgedächtnis".

    Selbstverständlich gilt vorher natürlich das Vermeidungsprinzip für das "Suchtgedächtnis" triggernde Situationen.
    In der Praxis wird sich das aber nie 100% vermeiden lassen - meines Erachtens.

    LG Jürgen
    ------------------------------------------------
    Meine Meinung. Keine Suchtberatung.

  • Servus Hartmut,

    ich lese hier sehr oft von Menschen, die meinen, alles zur Sucht gehörende rational erfassen zu müssen, oder mindestens wissenschaftlich begründen zu müssen.

    Nun, ich kenne persönlich niemand, der rein über den Verstand auf lange Sicht zufrieden trocken geworden & geblieben wäre - und ich kenne sehr viele Alkoholiker persönlich.

    Genau so sehe ich es mit dem von Dir beschriebenen Verhalten: es ist in meinen Augen eine Herausforderung, welche die Nähe zum Alkohol (auch zum Alkohol aus zweiter oder Dritter Hand) in Form des "Überstehens ohne sofortigen Rückfall" verdecken soll.
    Dass der Rückfall nicht zwingend kommen muss und auch nicht jeden ereilen muss der sich in solch eine Situation begibt, sondern dass hier ganz klar das Missachten einer erprobten und bewährten Empfehlung im Vordergrund steht, wenn wir derartiges Verhalten kritisieren, wollen diese Menschen gar nicht in Erwägung ziehen - warum auch immer. Ich halte den meisten zu Gute, dass sie erst am Anfang einer Abstinenz stehen und für sich die Tragweite noch gar nicht erfassen können - und manche einfach auch nicht erfassen wollen.
    In beiden Fällen nutzt es nicht, wenn ich mich einmische und darauf hinweise, wo der "Hase im Pfeffer" liegt: es wurde und wird immer nur eine Grundsatzdiskussion über den Ton an Bord daraus, aber nie eine inhaltliche Diskussion, ob derjenige sich selbst womöglich tatsächlich einen Bärendienst erwiesen haben könnte. Zweifel am eigenen "Nichtwissen" werden elegant durch großkotziges Genöle über die ach so bösen Forenmitglieder überspielt.

    Möchte ich selbst heute noch dafür als "Buhmann" herhalten und Kritik üben? Sicher nicht. Wenn derjenige Selbsthilfe als Selbstbedienungsladen ansehen möchte, bei der er sich die für ihn genehmen Rosinen rauspickt und sonst mault, dann soll derjenige halt noch ein paar Runden drehen und die hier präsentierten Erfahrungen selbst machen.
    Ich finde es halt nur schade für diejenigen, die dann später oft nicht mehr die Kraft zum Aufhören haben, und an unserer Sucht jämmerlich verrecken. Aber ich bin weder Mutter Theresa, noch deren Sachwalter. Die Eigenverantwortung des Einzelnen trage ich niemand nach. Und die beginnt für mich beim Zuhören, der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und beim sich-auf-Erfahrungen-einlassen.

    Anders gesagt: wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe. Daran hat sich für mich in den letzten Jahren nichts geändert. Etliche langfristig trockene Mitglieder hier belegen dies tagtäglich durch ihr Handeln.

    LG
    Spedi

  • Hallo zusammen

    aus heutiger Sicht ist es ist für mich auch nur ein Deckmäntelchen, bei so einer Situation getrotzt zu haben und eine Anzeichen für mangelnde Einsicht oder Akzeptanz der Krankheit oder den Willen einer lebenslanger Abstinenz nach zu kommen.

    ABER :) gerade am Anfang suchte ich auch eine Orientierung und plapperte, vieles sinniges oder unsinniges nach , weil ich einfach noch nicht soweit war alles zu begreifen . Um es besser zu begreifen suchte ich mir auch bewusst die Post der Langzeit trockene aus , das konnte ich aber auch nur , weil genug "Buhmänner " sich bereit erklärten schonungslos offen mit mir um zu gehen.

    Heute bin ich soweit , nicht um Mutter Threasia nachzuahmen oder als Buhmann zu fungieren , sondern meine authentisch Erfahrung zu Verfügung stellen. Durch die Erfahrungen hier in meiner SHG Gruppe unterstelle ich mir ganz gut selektieren zu können um was es dem gegenüber geht. Bin auch Wind erprobt und weiß , wann ich die Segel zu hissten habe , sollte es mir zu nah gehen. Wir können aber gerne mal die Funktion eines Langzeit trockenen, in einem anderen Thread diskutieren. Sofern jemand überhaupt eine Funktion für sich in Anspruch nimmt.

    Nun komme ich aber wieder auf das Thema zurück und freue mich auf weitere Erfahrungen. Schön wäre es von denen zu lesen die es auch so handhaben.

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

    3 Mal editiert, zuletzt von Hartmut (5. Februar 2012 um 00:07)

  • Hartmut ,

    Zitat

    Oder lasse ich da nicht im Unterbewusstsein Platz /zu hohen Stellenwert , dieses noch als Option anzusehen?

    ich glaube, dass es durch das "Suchtgedächtnis" diesen Platz im Unterbewusstsein ohnehin gibt.
    Es gilt also, das Suchtgedächtnis möglichst selten zu triggern und/oder durch möglichst häufiges anderes Verhalten das "Suchtgedächtnis" zu "überschreiben".
    Es kann eben Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis das Suchtgedächtnis nicht mehr (so häufig) anspringt.

    Ich persönlich kann mit dem "Kognitiv-behavioralen Rückfall-Modell" am meisten anfangen.
    Stolz über "Nichttrinken" halte ich für genauso unsinnig wie Anzahl trockener Jahre zählen.
    Da ich nicht mehr trinke, ist die Anzahl trockener Jahre vollkommen wurscht.
    Ich suche hier nicht die Konkurrenz zu anderen Alkoholikern, um Abstinenzrekorde aufzustellen.
    Wer 100 wird, kann naturgemäss mehr abstinente Jahre schaffen als der der mit 70 ins Gras beisst.
    Abstinente Jahre steigern nicht zwingend die Gehirnleistung, da gehört mehr dazu.


    LG Jürgen
    ------------------------------------------------
    Meine Meinung. Keine Suchtberatung.

  • Hi Leute!

    Also wenn ich ABER.... Schreibe hat das nichts mit stolz, Option oder, oder zu tun, sondern dient einfach nur dem Zweck dem der's liest zu informieren....

    Ansonsten voll Jürgens Meinung....

    Grüße Sven.....

  • Moin!
    Ich sage auch nicht "Boah, war krass, aber ich hab nicht gesoffen". Sondern ich vergleiche eher, wie war es früher, wie ist es jetzt, was hab ich gelernt, was hat sich bei mir geändert. Nehmen wir mal das Beispiel von der Arbeit nach Hause kommen. Da hab ich mir früher immer nach betreten dr Küche erstmal ne Pulle Bier aufgemacht und hastig getrunken. Heute ist es anders. Da es unumgänglich ist, zur Arbeit zu gehen und auch wieder nach Hause zu kommen, kann ich da recht wenig in Bezug auf Risikominimierung machen. Ich kann aber mit der Situation nach der Arbeit anders umgehen. Zum Beispiel Entspannung suchen. Und da sag ich mir hezte schon "Ja, ich bin stolz drauf, so wie ich das heute mache". Das Anspringen des Suchtgedächtnisses kommt bei mir ja hin und wieder und da denke ich, wird es noch eine Zeit dauern, bis diese neuronalen Bahnen überschrieben sind. Aber für sich selber stolz sein und sich zu motivieren ist eine tolle Sache. Sowas hätte ich zu nassen Zeiten nie gemacht, da war ich mir ja nix werd. Jetzt, trocken, bin ich mir sehr viel wert.
    Gruß
    drybabe

    never give up

  • Hallo Hartmut
    Den Umgang, den ich jetzt mit mir pflege, ist keine Geschichte, welche von heute auf morgen passiert ist. Ich habe mit Sicherheit zu Beginn meiner Abstinenz einige „Dummheiten“ gemacht, wo ich auch mit gewissem Hochmut meine „Taten“ gepriesen habe. Das empfehle ich keinen anderen – ich hatte gewissermaßen auch einiges Glück.
    Doch hat mich niemand dafür getadelt oder mir ein „Fehlverhalten“ vorgeworfen. Ich wurde allerdings auch nicht mit Applaus belohnt.
    Die Menschen, die mich am Anfang begleitet haben, waren so frei – mir meine Freiheiten zu lassen. Und dies mit dem Tenor: „Letztendlich ist es deine Entscheidung, dein Leben – denk drüber nach, ob du angemessen handelst oder ob du dich in einem Wettstreit befindest!“
    Mein Leben ist kein Projekt mehr, für „schneller – höher – weiter“ sehe ich keinen Anlass mehr.
    Waren die damaligen „Aber“-Erfahrungen für mich notwendig? Mit etwas mehr Vertrauen und einem (damals nicht gekannten) Maß an Demut – sicher nicht. Sie scheinen gelegentlich jedoch zum Veränderungsprozess dazu zugehören.
    Heute frage ich mich erst nach dem „Warum“. Wenn es sich lediglich um Anerkennung oder Trotz handelt – kann ich nunmehr davon Abstand nehmen. Auf diese Entwicklung bin ich richtig stolz.
    Die gleiche Frage stelle ich anderen auch: „Warum ist es dir so wichtig?“ und erzähle von mir.
    Darauf braucht es keine Antwort – nur ein Nachdenken.
    Gruß - Uwe

  • Hallo!

    Am Anfang schon, da war es Stolz.
    Im Grunde hatte ich keine Ahnung worauf ich mich einlasse, als ich zu saufen aufhörte.
    Keinen Alk zu trinken - diese Vorstellung war nicht das Problem.
    Das Problem waren die Gedanken im Hinterkopf, die dazu entstanden sind - ich trinke keinen Alkohol, also könnte ich ja mit ganz hohen Schuhen ausgehen - ich stolpere ja nicht mehr.
    Ich trinke keinen Alkohol, aber könnte ich mich ja in Lokalen nach Leuten umsehen, die auch keinen Alkohol trinken, denn auf die habe ich ja vorher gar nicht geachtet - ich muss also ausgehen um neue Leute zu finden.
    Ich trinke keinen Alkohol - aber deswegen trinke ich trotzdem nicht aus Saftgläsern - viel zu hässlich.
    Usw. Usf.
    So war das Denken die ersten Wochen.
    Nass.
    Stolz.
    Keine Krankheitseinsicht.
    Spedi, mit mir gab es zu der Zeit auch nur Diskussionen über den Ton, nicht über den Inhalt.
    Da stand mein riesengroßes, gekränktes Ego auf der einen Seite und dort deine Worte und auch die anderer.
    Worte Unbekannter, denen ich, so fühlte ich es damals, zu folgen hätte.
    Ich war so zornig, dass ich mit kleinen Papierkügelchen auf den Bildschirm geschossen habe.
    Unter anderem.
    Ich blieb dann auch dem Forum fern.
    Dachte nach.
    Denn wenn mich Worte so treffen hat das wohl auch seinen Grund, weil mich Sachen, die nicht wahr sind, völlig kalt lassen.
    Wiedergekommen bin ich, als mir wirklich klar war, dass mein Ego schon vorher krank war, weil ich nasse Alkoholikerin war - und dass nicht ihr es ward, die mich gekränkt haben, sondern ich mich selbst.
    Das Einmischen hat also genutzt!

    Inzwischen habe ich auch kapituliert. Ich habe eine unheilbare Krankheit die mich tötet wenn sie wieder ausbricht.
    Nix aber.
    Nix stolz.
    Und schon gar kein Eigenlob, sollte ich mich in schwierigen Situationen wiederfinden.


    Aber, dieses aber geht nur mehr in eine Richtung - aber viel zu lernen habe ich immer noch.

    Die Fragen von Uwe nach Anerkennung und Trotz gefallen mir auch.

    LG

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!