Risikominimierung für COs?

  • Ich habe in den letzten Tagen ziemlich viel darüber nachgedacht, wie Risikominimierung bei COs aussehen könnte.
    Bei mir persönlich ist die CO-Abhängigkeit stark an die Paarbeziehung gebunden. Alleine komme ich gut zurecht, kleiner, aber feiner Freundeskreis, ich bin auch gern mit mir allein, aber irgendwann kommt dann doch der Punkt, dass ich mich nach einem festen Partner sehne.
    Wenn ich mir meine letzten 4 Beziehungen anschaue, hatten alle ein CO-Element, obwohl nur bei der letzten Alkohol im Spiel war und es da dann besonders deutlich zutage getreten ist.
    Nach jeder Beziehung habe ich gedacht: jetzt habe ich begriffen, was ich NICHT mehr will – und durch die „Hintertür“ kamen dann doch wieder die alten Probleme und Gefühle herein.

    Daher meine Frage: geht es mit diesen „Rückfällen“ nur mir so, oder kennen andere das auch?
    Und bei denjenigen, die nach der Trennung eine andere Art von Partnerschaft erlebt haben: was war der „Schlüssel“?

    Danke für Eure Antworten!

    Lea

    If you know where you stand
    then you know where to land ...

  • Hallo liebe Lea,

    alle meine Partnerschaften hatten Co-Elemente und genau wie bei dir war nur bei meiner letzten Alkohol im Spiel, wodurch ich dann natuerlich an meine psychischen und koerperlichen Grenzen kommen musste durch meine Abhaengigkeit.

    Ich glaube der Weg der Risikominimierung ist wirklich gleichzustellen mit dem Weg, den wir eben FUER UNS gehen muessen, AUCH innerhalb einer Paarbeziehung, den wir naemlich gerade da ja eben vergessen und von ihm abkommen.

    Ich muss wirklich sagen, ich mache jetzt so seit 10 Jahren (ja auch meine allererste suesse kleine Beziehung mit 17 war eine extreme Co-Beziehung) und erst heute nach meiner letzten werden mir diese ganzen Co-Dinge erst einmal richtig bewusst.

    Ich glaube, ab der Erkenntnis gilt es wirklich, an sich selbst zu arbeiten.

    Schauen, wo man hinwill, schauen, was man fuehlt, eigene Gefuehle erkennen lernen, akzeptieren und danach handeln lernen, das ist ganz wichtig.

    Selbstwertgefuehl spielt fuer mich auch eine riesige Rolle, denn im Grunde ruehrt unsre ganze Co-Geschichte mitunter daher, dass es daran bei uns mangelt..

    Das nur mal meine spontanen Gedanken dazu.

    Der EIGENE Weg und STETS auf ihm zu bleiben ist glaube ich aufjedenfall ein Teil des Schluessels.

    :)

    Mit lieben Gruessen

    Miriel

    Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.

  • Ich habe mich auch schon damit beschäftigt.
    Als ich mit 16 meine erste Beziehung hatte, war das eher eine Flucht von zu Hause, wo ja meine Mutter uns das Leben nicht angenehm gestaltete. Papa mischte gut mit.
    Dort war ich etwas in die Familie integriert, bekam Anerkennung von meinem Ex. Er war anfangs sehr von mir begeistert- das genoss ich und sehnte mich sehr danach. Ich weiß mitlerweile, dass er psychisch nicht ganz aufm Damm war. Irgendwann nahm er von mir Abstand, kritisierte ab und an- ich gab mir mehr Mühe, wollte wieder mehr Anerkennung, klammerte. Dann machte er Schluss.
    Bam, auf dem Boden der Tatsachen. Die Beziehung war vorbei, aber ich wusste, dass ich mehr davon will, die Geborgenheit kannte ich gar nicht. Ich konnte mit jemandem in der Beziehung leben und nicht aneinander vorbei, wie zu Hause.
    Bei den nächsten beiden Partnern war es ebenso- ich suchte Geborgenheit, einen Zufluchtsort und Anerkennung. Am Anfang war ich distanziert, die Typen sprangen auf mich an und gaben sich Mühe. Sobald ich die Distanziertheit aufgab, wurde ich uninteressant und rannte dann wiederum hinter ihnen her, klammerte und suchte Aufmerksamkeit und Anerkennung.. Und wurde dann abgesägt.
    Alle Partner hatten geschiedene Eltern und irgendwo einen Knacks weg- ich schleppte immer "Pflegefälle" an, sagten Freunde.
    Der erste hat sich nun umgebracht, die anderen beiden hatten Therapien, aber ihr Leben läuft psychisch nicht gut. Ich kanns nicht ändern. Sowohl den Selbstmord nicht als auch den Zustand der anderen beiden.
    Nach der letzten Beziehung merkte ich, dass was in meinen Beziehungsmustern nicht stimmt- es war ja immer derselbe unglückliche Verlauf. Vor allem der letzte Ex tat mir nicht gut- er hackte auf meinem Ego rum, versuchte mich klein zu machen, sägte mein Selbstwertgefühl ab, weil er sich neben mir minderwertig fühlte.
    Ich habe keine neue Beziehung gesucht, sondern mich nur auf mich und ein paar gute Freundinnen konzentriert. Uni. War ein paar Monate nach der damals letzten Beziehung von zu Hause ausgezogen, habe mich in dieser neuen Wohnung eingerichtet, den Platz genossen (die Wohnung war 4 Mal so groß wie mein Minizimmer bei meinen Eltern), genoss die Freiheit und leckte die Wunden.
    Irgendwann beschloss ich mich, an der Uni zu engagieren und habe auf diesem Wege meinen jetzigen Partner kennengelernt. Er fiel mir dort sofort auf, das nahm ich zur Kenntnis, aber ich wollte ja keine neue Beziehung. Er war auch so ganz anders als mein "Beuteschema": Sehr intelligent, erfolgreich, mit beiden Beinen im Leben, strukturiert, zuverlässig, humorvoll.. Stammt aus einer intakten Familie, hat ein gutes Selbstwertgefühl und weiß um seine Kompetenz. Ich fand das zunächst langweilig und wollte ihn nicht weiter kennenlernen, er war grundsolide- doch eine Freundin sagte dann, dass er doch genau der Jemand sei, den ich für mich am besten haben wollte, auf den ich seit 3 Jahren wartete und nicht so einen Typen, der nur heiße Luft von sich gibt und sich aufplustert. Ja, ich habe mich darauf eingelassen. Er schlug zum ersten Date vor, zusammen zu kochen. Er hatte sogar Mousse au Chocolat vorbereitet, da dachte ich schon, dass es ein gutes Zeichen sei ^^
    Ich lernte ihn langsam kennen und merkte- es ist mein Seelenverwandter. Es passt. Von Freunden (mit denen ich ihn bewusst bekannt machte, um alles auf den Prüfstand zu schicken) bekomme ich die Rückmeldung, dass wir sorgsam und mit Respekt miteinander umgehen, uns zuhören und, wenn nötig, unterstützen. Eine sehr gute Freundin, die alle kannte, sagte nun, nach unserem letzten Treffen, dass ich endlich einen gescheiten habe, der mir gut tut.
    Und das Gefühl habe ich auch.

    Also, mein Weg war:
    - mir meines falschen Musters bewusst werden und die Gründe zu erkennen
    - eine Auszeit nehmen, um zu mir selbst zu finden und zu merken, was ich eigentlich suche und will und was mir gut tut
    - wenn ich meinte, jemanden gefunden zu haben, habe ich ihn vertrauenswürdigen Freunden vorgestellt und mir vorgenommen, auf ihre Meinung zu bauen und sie nicht in den Wind zu schlagen, falls sie mir nicht passt.

    Einziges Problem ist, (falls man es sagen kann), dass in seiner Familie Alkhol als Genussmittel missbraucht wird. Nicht von allen, aber bspw von seinem Vater. Da bin ich sehr vorsichtig und habe es unter Beobachtung. Und natürlich schon ein ernstes Gespräch mit ihm geführt. Bei ihm ist alles im grünen Bereich und es läuft.

  • Liebe Zimttee,

    vielen Dank für deine offenen Zeilen. Ich bin immer wieder verblüfft, dass sich die Geschichten so ähneln, aber wahrscheinlich ist es auch kein Wunder, dafür ist es ja ein Beziehungsmuster.
    Meine ersten beiden Beziehungen verliefen so wie deine: psychisch labile Männer, die mein Selbstwertgefühl sehr zu unterwandern versucht haben. Auch ich habe dann gedacht, ich muss auf mein „Beuteschema“ achten und achtsamer sein, genauer hinschauen.
    Das hat bei meinem dritten Freund insofern funktioniert, als er mich tatsächlich überhaupt nicht untergraben hat, sondern im Gegenteil. Er hatte auch kein Suchtproblem, aber er wollte arg bemuttert werden und ich hatte die Rolle des gütigen, aber bedürfnislosen Engels. Das ist so gar nicht meine Rolle. Manchmal, wenn’s nötig ist, okay, aber nicht immer.
    Ich habe mich dann von ihm getrennt.

    Bei meinem jetzigen Freund war es genau so, wie du es von deinem beschreibst: ich habe ihn, einige Jahre bevor wir dann ein Paar wurden, flüchtig kennen gelernt. Auch er ist mir sofort aufgefallen, aufgrund ähnlicher Eigenschaften, wie du sie auch genannt hast. Selbstbewusst, mit beiden Beinen im Leben, er hatte schon viel auf die Beine gestellt, klug, kreativ, mit einem riesigen Interessenspektrum von Kunst über Geschichte bis Politik, engagiert, freundlich, mit klaren eigenen Standpunkten, Streitkultur, aber auch mit Ecken und Kanten und einer manchmal unbequemen Ehrlichkeit.
    Unsere Freundeskreise hatten lose Berührungspunkte, und was ich immer mal wieder über ihn hörte, war nur positiv.
    Zu einem richtigen Kennenlernen kam es aber erst einige Jahre später. Ich war gerade mit dem Studium fertig und hatte sofort einen Job bekommen, mir ging es finanziell gut, ich fühlte mich so stabil wie noch nie und ich dachte, ich hätte meine Lektion gelernt.
    Als sich dann die Chance für ein Kennenlernen ergab, dachte ich, ich könnte mich ohne Angst darauf einlassen.
    Bei ihm lief zu dieser Zeit beruflich nicht alles rund, aber dem habe ich keine besonders große Bedeutung beigemessen, denn solche Phasen gibt es ja nun einmal auch im Leben. Die Zeit des näheren Kennenlernens war unbeschreiblich schön. Gemeinsame Unternehmungen, gemeinsam kochen ... Austausch über alles mögliche. Wir hätten es an dieser Stelle bei einer Freundschaft belassen sollen, aber da war eben doch mehr.
    Ich habe dann sehr schnell gemerkt, dass er an die Beziehung sehr viele Hoffnungen in der Art geknüpft hat, dass sich die anderen Baustellen, die es in seinem Leben zu der Zeit gab, auflösen würden. Ich habe ihm ganz klar gesagt (denn das hatte ich ja in der Beziehung davor gelernt) dass ich das nicht leisten könnte. Da war er enttäuscht und wütend, hat es dann aber doch eingesehen.
    An seiner beruflichen Situation änderte sich nichts, im Gegenteil. Ehemalige „Freunde“ ließen ihn fallen, sein Selbstwertgefühl ging immer mehr den Bach hinunter, ein Stützpfeiler nach dem anderen brach weg und irgendwann war nur noch ich übrig.

    Und immer öfter wurde ich, wenn er getrunken hatte, zu seiner Zielscheibe, denn mir ging es ja, wie gesagt, gut, und ich hatte dann in seinen vernebelten Augen das, was er auch gerne gehabt hätte.
    Ich habe das erkannt und ihm viele Dinge verziehen, aber es wurde nicht besser.
    Irgendwann war dann der Tiefpunkt erreicht und er hat sich beruflich neu orientiert und einen Entzug gemacht. Danach wurde es besser, obwohl wir sehr viel damit zu tun hatten, die Scherben wieder zusammen zu kleben.
    Aus beruflichen Gründen hat er dann die Firma gewechselt. Es gab eine Runde zu seinem Einstand – und er hat nicht gesagt, was Sache ist, sondern mitgetrunken.
    Seitdem steigt der Konsum wieder schleichend, mit den entsprechenden Begleiterscheinungen.

    Was hätte ich tun können? Früher einen Schlussstrich ziehen. Vielleicht.
    Aber ich liebe ihn einfach für die Art, wie er ist, wenn er nicht trinkt. Deshalb fällt es mir so schwer, diese Beziehung aufzugeben. Aber zurück will ich auch nicht.

    If you know where you stand
    then you know where to land ...

  • Was ich damit auch noch zum Ausdruck bringen wollte, weil ich auch gemerkt zu haben meine, dass es in deinen Beiträgen, Zimttee, eine Rolle spielt: beruflicher und gesellschaftlicher Erfolg (stabiles soziales Umfeld) sind große Stabilisatoren für Menschen, wie wir es sind: Menschen mit einem „Knacks“, woher der auch immer rührt. Sie geben uns Anerkennung und (finanzielle) Unabhängigkeit, was beides sehr wertvoll ist, um sich zu stabilisieren.
    Aber beides ist ohne Garantie. Gute Freunde können wegziehen und sterben, der Job kann gekündigt werden oder man bekommt von anderen nicht die Anerkennung dafür (und auch Noten sind ja eine solche Art der Anerkennung), die man sich wünscht. Und manchmal kommt eben alles zusammen, und dann steigt der Druck.
    In solchen Situationen ist es wichtig, dass die Hauptressource für Anerkennung in einem selbst ist.

    But who am I to pontificate ...

    If you know where you stand
    then you know where to land ...

  • So viel Wahres.

    Und der zentralste Punkt ist. Es muss in einem Selbst liegen.

    Fuer uns in uns und fuer unsere Partner, in ihnen.

    Und wenn es so waere, dann waere vieles um einiges einfacher.

    Dann haette man wirklich einen Punkt, an dem man anknuepfen und auch immer wieder offen sprechen koennte.

    Leider ist dem nicht so.

    Die Abhaengigkeiten, in die man sich im Laufe des Lebens begibt, seis von Familienmitgliedern, Schulnoten, Menschengruppen, Freundschaften, Jobs, .....

    Im Grunde ist es immer das Gleiche und immer gleich gefaehrlich zum Einzigen Anker zu werden....

    Auch bei mir verliefen meine Beziehungen mit all den Charaktereigenschaften meiner Partner aehnlich wie bei euch.
    Ich wurde immer irgendwie gebraucht und brauchte das sehr. Letzten Endes verlief es aber meist so, dass ich auch noch brauchte, wenn derjenige micht nicht mehr brauchte, was zur voelligen Selbstaufgabe fuehrte.
    Mit ein paar Ausnahmen, die nur mich brauchten oder die irgendwie garnichts brauchten.

    Ich habe mich dennoch immer im gleichen Muster befunden und demnach sind mir auch die Maenner zugeflogen, die das Muster gut ergaenzten, auf welche Art und Weise auch immer.

    Wie du deine Geschichte in knappen Worten beschreibst. Lea, es ist traurig. Aber auch da muss man einfach sehen, dein XY hatte dann aber zu diesem Zeitpunkt des Rueckfalls noch alles andere als wirklich verinnerlicht, dass er FUER SICH handeln muss und eben nicht mehr fuer andere...

    Aus wirklich Ueberzeugung. Darum gehts ja, auch bei uns und dem was wir als Co's tun. Wirklich handeln, weil man sich innerlich dafuer entschieden hat, und das nur fuer SICH SELBST.

    Es ist so schade, so traurig... Aber letztendlich bleibt uns nichts anderes uebrig, als bei uns selbst zu bleiben.

    Glaube ich.

    Es ist unglaublich schwierig, die Muster wirklich zu durchdringen finde ich. Man meint schnell, man haette das Problem erkannt (so wie der Alkoholiker ja auch) und man wuesste, was zu tun ist.....

    Man waegt sich in Sicherheit, man vernachlaessigt die taegliche Arbeit am Problem und schwupps sitzt man wieder im gleichen Sumpf...

    Auch ich will, so wie wir sicher alle, nicht mehr zurueck.

    Ich vermute, so weit wie hier viele sind, waren sie nie zuvor und deshalb koennen wir auch alle stolz sein darauf, wie weit wir schon gegangen sind und uns darauf besinnen, immer weiter in genau diese richtige Richtung zu gehen.

    Trotz Zweifel, Aengste,etc. die uns begleiten.

    Ich glaube immernoch, es ist wichtig, sich das bewusst zu machen, dass wir nicht etwas erwarten koennen, was wir selbst garnicht geben koennen und wollen.

    Und wie Frozen Tears sagt, die Bewusstmachung dessen, dass man in das Leben eines anderen ja auch nicht wirklich eingreifen soll oder darf, .. auch das ist glaube ich eine wichtige Sache, die uns helfen kann, leben zu lassen und vor allem SELBST frei zu leben...

    Auch ich liebe die Art, wie mein xy ist, wenn er nicht trinkt. Im Nuechternen Zustand kann ich stundenlang mit ihm ueber Gott und die Welt reden oder aber auch einfach nur schweigen und geniessen, alles mit ihm machen.

    Aber, er als GANZES ist eben nur ganz MIT dem Alkoholproblem.

    Das heisst also, er als Mensch besitzt unter anderem genau diese "Macke", die nie voellig verschwinden wird.

    Und wenn wir es noch so sehr drehen und wenden, auch unser groesstes Verbiegen, wird diesen Punkt niemals beseitigen.

    Ich glaube, sind wir stabil, so koennen wir auch eine stabile Beziehung fuehren, mit jemandem, der stabil ist.

    Wir koennen gluecklich sein mit uns. Wollen wir gluecklich sein mit jemand anderem, glaube ich, dass das eben nur geht, wenn derjenige auch gluecklich mit sich ist.

    Es kann nie funktionieren wenn eine Seite traegt und andere Seite tragen laesst.

    In welcher Weise auch immer.

    Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.

  • Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass ich sehr nach Sicherheit suche. Aber wenn ich mein Leben überdenke, dann hatte ich nie Sicherheit oder Beständigkeit.
    Meine Mutter hatte sich schon zur Bewusstlosigkeit getrunken, da war ich ein Kleinkind und alleine zu Hause. Wenn ich von der Schule heim kam, wusste ich nie, was mich erwartet- entweder, gutes Essen steht auf dem Tisch, oder Mutter ist eingeschlafen und hat das Kochen vergessen, oder irgendwas brennt grad auf dem Ofen an und sie ist eingeschlafen.
    Finanziell war alles okay, solange, bis ich mein Studium begann. Die erste Zeit hatte ich keinen Job und bekam Geld von den Eltern- Bafög wurde mir nicht erlaubt, damit ich brav abhängig bin. So bekam ich dann immer Geld, womit ich knapp 2 Wochen auskam und wurde dann groß angeguckt, weil es nicht länger reichte. Manchmal musste ich sogar überlegen, ob ich nun zum Arzt gehe und 10 Euro dafür bezahle- oder ob ich dann für den Rest der Woche noch genug Geld zum Essen kaufen habe. Das war echt nicht schön und hat mich sehr geprägt. Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass ich dann zu Hause anrief und sagte, dass ich kein Geld mehr habe und Mutter meinte, ich solle sie erst mal wieder am WE besuchen kommen, bis ich neues kriege. Ich mag gar nicht mehr dran denken :(
    Überhaupt kam ich mir immer wie ein Versager vor- das wurde mir zu Hause eingetrichtert. Mein Vater glaubt nicht, dass ich ein Fliegengitter anbringen oder eine Glühbirne auswechseln kann.
    In der Schule damals hab ich diese Rolle auch eingenommen.. Die Mitschüler hielten nicht viel von mir, die Lehrer auch nicht. Dann ist man irgendwann davon überzeugt und traut sich selbst nichts zu.

    Ich glaube, dieser Umzug und der komplette Neuanfang haben mir total gut getan. Wie gesagt, ich habe einen Job bekommen, durch den ich endlich unabhängig bin und bekomme dort endlich gute Rückmeldung.. Ich bin bald mit der Uni durch, habe auch sehr an mir gearbeitet und Dinge geschafft, die ich nie für möglich gehalten habe. Das gibt einem ungemein Selbstvertrauen- Vertrauen in sich selbst. Ich bin ein komplett anderer Mensch geworden, die Leute starren mich mit offenem Mund an, zumindest die, die mich in den 3 Jahren nicht gesehen haben.

    Ich finde es auch krass, wie sehr das alles Einfluss nimmt. Ich meine, mit meinem Partner habe ich nun die große Liebe gefunden, verstehe endlich, was es bedeutet... Und merke auch, wie toll es ist, als Partner auch ein Team zu sein, auf einer Augenhöhe zu stehen. Ich wäre fast vorher wieder auf das alte Muster reingefallen. Puh! Vorher hatte ich immer die Typen, die mich zu Beginn für stark und unabhängig hielten, um von mir mitgezogen zu werden und ansonsten fies wurden, mich anlogen.
    Das kann ich nicht mehr nachvollziehen. Ich meine, wenn ich in einer Boutique bin und dort eine XXL-Tunika sehe, die grün-pink-lila gemustert ist, aber dafür nur 10Euro kostet, nehme ich die doch auch nicht mit? Ebenso wenig sollte man sich auch nicht mit dem ersten Typen abgeben, der nicht zu einem passt. Bei mir war es vorher schon so, dass ich eine Ahnung hatte, dass es mit diesen Typen nicht klappt- trotzdem habe ich mich drauf eingelassen. Und dabei ist die Tunika-Entscheidung von wesentlich geringerer Tragweite, als sich einen Typen anzulachen, der einen runterzieht.

  • Ja, Lea, ich weiß, was du meinst. Bei mir gab es vor 3,5 Jahren den großen Knall, der mir den Boden unter den Füßen wegzog und mein Leben auf den Kopf stellte. Das war der Zeitpunkt, an dem ich "entweder oder" dachte.
    Ich habe danach mein Leben selbst in die Hand genommen und meinen Eltern die Macht gekürzt. Das find bei Kontovollmachten an und ging bis zum eigenen Job. Ich habe mich von einigen Freunden getrennt, die damals ohnehin nicht zu mir hielten- damals hat es Klick gemacht und ich habe mich da lösen können. Ich wusste, dass ich da was ändern muss, sonst würde ich selbst draufgehen.
    Und wie gesagt, seitdem rufe ich mir immer vor Augen, was ich will und überlege, ob das, was eingetreten ist, dem auch entspricht. Ich hoffe, so klappt es weiterhin.

    Hattest du seine Baustellen nicht gesehen? Wie erklärst du dir, dass seine Freunde ihn so positiv beschrieben und die Realität hinterher eine ganz andere war?

  • Liebe Zimttee,

    ich glaube, es gibt Situationen im Leben, die auch den stabilsten Knacks-Menschen (wieder) aus der Bahn werfen können. Ich denke, so war es bei meinem Freund. Auch er schleppt ein Riesenpaket an schlimmen Kindheitserlebnissen mit sich herum – davon hat er allerdings im Freundeskreis nicht viel erzählt. Es kam dann einfach alles zusammen, und er war nur noch unzufrieden mit seinem Leben, hat mit der Vergangenheit gehadert, ohne die Kraft zu haben, das alles sofort angehen zu können. Bei ihm hat die berufliche Anerkennung einen ganz extremen Stellenwert für sein Selbstwertgefühl. Und ich glaube, er ist tatsächlich auch noch sehr viel mehr CO, als ich das bin. wenn man ihn "braucht", läuft er zur Höchstform auf. Er hat immer wieder alle möglichen Leute unterstützt (finanziell, moralisch), wobei mir als Außenstehender klar war, dass das eine sehr einseitige Sache ist. Diese Leute waren dann alle weg ...

    Mit steigendem Alkoholkonsum fing dann natürlich die ganze Alkohol-Leier an: die anderen sind Schuld (waren sie zum Teil auch objektiv, aber auf jeden Fall nicht daran, dass er sich selbst nicht bewegt hat). Sein Freundeskreis hat sich dann auch verändert – die meisten „Freunde“ waren dann die, die in der Kneipe mit ihm getrunken haben. Um Arbeitslosengeld zu beantragen, war er zu stolz – seine Eltern haben das dann übernommen ... und damit war auch diese Baustelle wieder akut.
    Und er hat es geschafft, viele Trinkpausen einzulegen. Da war der Umgang dann wieder normal. Es war einfach extrem schwierig.

    Bei mir war Alkohol zum Glück nie ein Problem (ich wusste aber sehr früh instinktiv, dass ich „gefährdet“ bin und habe um Alkohol und Drogen in der Pubertät einen großen Bogen gemacht; heute trinke ich, wenn’s hoch kommt, einmal im Monat ein Glas Weißwein – mir schmecken die meisten Sachen auch einfach nicht). Es hätte aber auch bei mir ganz anders laufen können. Bei ihm gab es das Muster sehr früh (seit der Pubertät), zu trinken, um sich abzulenken. – Und es hat in dieser Zeit überhand genommen. Ich habe das gesehen, aber ich habe keinen Schlussstrich gezogen. Und dann hat er ja dann irgendwann tatsächlich die Kraft aufgebracht, einen Entzug und eine LZT zu machen. Bis er dann wieder einen Rückfall hatte.
    Es ist ein Jammer. Nicht nur, weil ich mit dranhänge, sondern um diesen Menschen allgemein. Ich hoffe, heute würde ich früher die Kraft haben, endgültig zu gehen. Diesmal ist der Moment erst jetzt gekommen.

    Was du schreibst, finde ich, zeugt von sehr viel Selbstachtsamkeit. Das ist ein guter Weg!

    Herzliche Grüße
    Lea

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  • Hallo ihr Lieben,

    bei mir z.B. kam der Knall bezueglich Familie (Vater) erst letzte Weihnachten, von da an, habe ich nie mehr einen Cent von ihm genommen, beziehungsweise ihn in meine Angelegenheiten mit eingeweiht.

    Weder privat, noch beruflich (Studium) habe ich um Unterstuetzung gebeten oder sie angenommen, wenn Fragen und Angebote diesbezueglich kamen.

    Inzwischen ist das Verhaeltnis zu meinem Vater, zwar distanzierter, aber auf einer Ebene, auf der man sich normal unterhalten kann ,und das auch ueber nicht so angenehme Themen, und es fuehrt nicht sofort zum Streit oder zur verbalen Eskalation, wie frueher im Grunde fast immer.

    Im Maerz bin ich in mein altes Zimmer umgezogen, ohne Hilfe meines Vaters, im Juni bin ich in eine andere Wohnung gezogen, ohne Hilfe meines Vaters.

    Sehr ungewohnt fuer ihn, fast kraenkend, dass er nicht helfen durfte.
    Sehr befreiend fuer mich, zu wissen, ich kann es alleine (natuerlich nicht ganz alleine, es gab eben andere Menschen, die halfen)

    Diese Abhaengigkeit bestand jahrelang, von ihm bewusst oder unbewusst immer wieder gefuettert und letztendlich gegen mich verwendet.
    Dieses Gefuehl war sehr beklemmend und unglaublich anstrengend.
    Eine "normale" Basis gab es leider nicht, meinerseits auf Grund von viel Wut gepaart mit schlechtem Gewissen und Abhaengigkeitsverhalten.

    Seit 8 Monaten bewege ich mich "alleine", was das angeht.

    Und auch wenn ich oft ein unglaublich schlechtes Gewissen hatte, ich kann sagen, es lohnt sich.

    Heute ist unser Verhaeltnis angenehmer denn je.

    Ich glaube diese ganzen Co-Verhaltensmuster zu durchbrechen, ist fast unmoeglich, aber ich denke, man kann lernen, mit ihnen in gesunder Weise umzugehen und zu leben.

    Mit vielen Gruessen

    Miriel

    Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.

  • Hallo Ihr Lieben,
    ich für mich habe das so geregelt, dass ich seit meiner Alk-Beziehung vor 3 Jahren Single bin. Damit geht es mir nicht schlechter und ich habe so viele Tiere um mich herum, die mir wie ein Partner sein können.

    Eine Hand voll guter Freunde und meinem Leben und mir geht es gut.

    Klar, zuweilen wäre eine schöne Partnerschaft nicht von der Hand zu weisen. Aber, ob sie wirklich schön wird, das merke ich dann erst, wenn ich mittendrin bin. Und eines weiß ich mit Sicherheit: NIE wieder ein solches Desaster wie nach der letzten Beziehung.

    Heute lebe ich alleine, in einem kleinen gemieteten Haus. habe viel Grün um mich herum und mir geht es gut. Ich habe seit vier Wochen wieder einen guten Job - mit viel Glück kann ich den behalten, aber auch das sieht man/frau im Arbeitsleben erst sehr viel später.

    Aber in jedem Fall alleine.... Und eines hat sich heraus kristallisiert: wer auch immer mal interessant war, eine schöne Beziehung wäre es auf Dauer nicht geworden.

    lieben Gruß von Dagmar

  • Liebe Dagmar,

    ja, das habe ich mir auch schon ganz oft gedacht: warum die Idee von Partnerschaft und Familie nicht ganz begraben und einfach andere Dinge tun – viele Reisen unternehmen.
    Es muss ja nicht unbedingt eine Partnerschaft sein.

    Ich wünsche dir sehr, dass es mit dem Beruf langfristig klappt!

    Viele Grüße
    Lea

    If you know where you stand
    then you know where to land ...

  • glück auf lea, glück auf dagi,

    Lea - n kraftpäckl und geduldsfadenverstärker

    Zitat von dagmar007

    Ich habe seit vier Wochen wieder einen guten Job

    @dagi - daumen gedrückt!

    schöne zeit - sorgt dafür, dass es euch gut geht.

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

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