Bedürfnisse-Gefühle-Sucht

  • Bedürfnisse – Gefühle - Sucht

    Hallo zusammen,
    hier schreibe ich mal meine Einschätzungen und Erfahrungen auf, die ich bis heute
    zu einigen Fragen „gesammelt“ habe.

    Wo kommen die Gefühle her?
    In einem Satz:
    Meine Gefühle entstehen aus erfüllten bzw. unerfüllten Bedürfnissen.

    Und wo kommen die Bedürfnisse her?
    Das kann ich nicht in einem Satz beschreiben.

    Viele meiner Bedürfnisse haben etwas mit den Mangelerfahrungen in meiner Kindheit zu tun.
    Mit dem Mangel an Sicherheit, Nähe, Trost, lebendig sein dürfen – um nur einige zu nennen.

    Hinzu kommen die Bedürfnisse, die sich im weiteren Leben aus der Orientierung an Freundeskreisen und an medialen und gesellschaftlichen Botschaften speisten.
    Beispielsweise die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und nach Anerkennung.

    Das Ausmaß der Mangelerfahrungen ist sicherlich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.
    Und auch die Ressourcen um mit diesen Mangelerfahrungen umzugehen sind sicher sehr unterschiedlich verteilt.

    Mein Umgang damit bzw. meine Art der Bewältigung war die Entwicklung von süchtigem Verhalten.
    Mein Suchtmittel war der Alkohol.

    Ich habe es an anderer Stelle schon einmal ähnlich beschrieben:
    Mein „süchtig werden“ war das unbewusste Anziehen eines Schutz- und Trostmantels, der sich prozesshaft in eine Zwangsjacke verwandelt hat.

    Nachdem es mir (nach 10 jährigem Bemühen kein Alkoholiker zu sein) endlich gelungen ist, mich von der Zwangsjacke zu befreien, war da erstmal eine große Entlastung zu spüren. Vielfach wird hier ja auch von der Anfangseuphorie gesprochen.

    Nachdem die Anfangseuphorie verflogen war, waren nun die o.g. Mangelerfahrungen deutlicher zu spüren.
    Damals war mir das alles nicht so bewusst, und ich hätte das auch gar nicht so benennen können.

    Mein (nun abstinenter) Umgang bzw. meine Bewältigung bestand in erster Linie aus Arbeit, Arbeit, Arbeit.
    Diese Art der Bewältigung lag auch deshalb nah, weil ich zu Beginn meines trockenen Lebens erwerbslos war.
    Ich wollte unbedingt mir und allen Anderen beweisen, dass ich etwas leisten konnte. Das ist mir auch gelungen.
    Erst Jahre später, nach erneuter Erwerbslosigkeit und insbesondere während meiner Traumatherapie habe ich mich in kleinen Schritten den meinem Verhalten zugrunde liegenden Bedürfnissen genähert.

    Der Umfang meiner Bedürftigkeit ist mir besonders in einer Therapiestunde bewusst geworden.
    Es ging in dieser Stunde (und in weiteren) um „das innere Kind“.
    Ich habe mir symbolhaft für mein inneres Kind ein Kissen genommen und auf den Schoß gesetzt. Während ich nun den „kleinen Manfred“ dort hielt, spürte ich auf einmal sehr deutlich seine große Bedürftigkeit.
    Die Bedürftigkeit war so groß, dass ich „ihn“ nach einiger Zeit auf den Boden setzte. Ich war mit der großen Bedürftigkeit schlicht überfordert.

    Und heute?
    Heute mache ich mir kontinuierlich bewusst, was meine Bedürfnisse sind, und ob und wie ich sie mir erfüllen kann.
    Dabei akzeptiere ich auch, dass nicht alle meine Bedürfnisse ständig und schon gar nicht sofort zu erfüllen sind.
    Diese Akzeptanz fällt mir nicht immer leicht, aber es ist für mich leichter als mit der „Zwangsjacke“ Alkohol zu leben.
    Für mich ist es leichter ohne Alkohol zu leben als mit.

    Im Kern läuft es für mich auf folgende Fragen hinaus:

    Was brauche ich?
    Was sind meine Bedürfnisse?
    Wie kann ich mir meine Bedürfnisse erfüllen ohne jemand anderen zu miss-brauchen?
    Wie gehe ich damit um, wenn meine Bedürfnisse nicht erfüllt werden?

    Zum Schluss noch eine Erläuterung:
    Meine Unfähigkeit Alkohol kontrolliert trinken zu können trenne ich strikt von den Entstehungsbedingungen meines süchtigen Verhaltens. Süchtige oder auch depressive Verhaltensmerkmale werde ich wahrscheinlich nie ganz loswerden, aber ich kann damit weiterleben.
    Alkohol kann ich unter keinen Umständen kontrolliert trinken.
    Selbstverständlich darf ich Alkohol trinken, aber was das Tragen einer „Zwangsjacke“ bedeutet, das habe ich lange genug erfahren. Mich würde diese „Zwangsjacke“ sicher zu Tode strangulieren.

    Ich wünsche allen (leicht verspätet), die hier lesen, ein trockenes, gesundes neues Jahr!

    Liebe Grüße
    Manfred

  • Hallo Manfred

    habe dieses Thema von Dir gerade erst entdeckt.

    Es hat mich berührt, weil die erste Begegnung mit meinem inneren Kind auch sehr bewegend für mich war und ich von dieser Bedürftigkeit geradezu überwältigt wurde. Ich habe stundenlang geheult wie ein Schloßhund.

    Ich denke auch, daß mich diese unerfüllten Bedürfnisse ein Leben lang begleiten und mir Arbeit bereiten werden. Eine gewisse Anfälligkeit für Süchte und
    für Menschen, die sich in etwas verlieren möchten, (z.B. Beziehung)
    werde ich immer haben. Eigentlich wundere ich mich, daß ich bislang von
    der Alkoholsucht verschont geblieben bin.

    Die Erkenntnis über das nicht vollständig zu heilende Kind in mir, dämpft den Größenwahn.
    Die "Schwäche" kann einfach zu schnell auftreten und zuschlagen.
    Das bedeutet, daß Situationen die andere gefahrlos überstehen, für mich ein Risiko darstellen - daß ich bei aller Euphorie über die neu gewonnene Freiheit aus meiner Zwangsjacke (selbstzerstörerische Liebe zu XY) -Gefahrensituationen erkennen und meiden muß.

    D. h. sportliche Ereignisse, an denen ich XY begegne. Keine gute Idee. Auch wenn ich denke ich stehe - versuche ich keinen Handstand.
    Bin erst mal dankbar und gestehe mir ein,vor mir selbst auf der Hut sein zu müssen.

    Am Rosenmontag ist z.B, so ein Ereignis, an dem ich wahnsinnig gern teilgenommen hätte.
    Aber schon die Tatsache, daß dort ein internationales ...Züchter und (...)treffen mit stattfindet - könnte mich XY vermissen lassen. Da kann ich sicher noch nicht trennen. So verpasse ich jetzt lieber die Veranstaltung und habe nachher nichts zu bereuen.

    LG Nys

  • Hallo Nys,
    danke für Deinen Beitrag.

    Ich habe dieses Gefühl der Überforderung mit der Versorgung meines „inneren Kindes“ häufiger.
    Ich neige dazu die Versorgung der „inneren Kinder“ von anderen Menschen zu übernehmen.
    Bis zu einem gewissen Maß ist daran ja auch nicht Verwerfliches.
    Kritisch wird es dann, wenn ich die Versorgung der anderen „inneren Kinder“ brauche.
    Brauchen in dem Sinne, dass ich mich dann besser fühle.
    Unterm Strich ist es dann so, dass ich meine eigene Versorgung vernachlässige und die anderen „inneren Kinder“ miss-brauche um ein eigenes Mangelgefühl auszugleichen.

    Leider wird dieses Verhalten gesellschaftlich häufig auch noch als „Win-Win-Situation“ dargestellt, im Sinne von: Der vermeintlich Starke und Wissende kümmert sich aufopferungsvoll (und bekommt dadurch Anerkennung) um die vermeintlich Schwachen und Ratsuchenden (die Hilfe bekommen).

    Dieses Verhalten ist m.E. in allen gesellschaftlichen Gruppen (Familie, Beruf, Politik, etc.) anzutreffen.
    Übrigens auch in Selbsthilfegruppen. Da gibt es sogar einen besonderen Nährboden dafür, weil ja hier viele Menschen zusammen kommen, die aufgrund ihrer Lebensgeschichte es häufig nicht lernen konnten, wie so eine Versorgung des „inneren Kindes“ überhaupt gelingt.

    Auf lange Sicht ist m.E. das maßlose Kümmern der vermeintlich „Starken“ um die vermeintlich „Schwachen“ für beide Seiten eine „Lose-lose-Situation“, denn es verhindert einen selbst gestalteten Entwicklungsprozess.

    Es fällt mir manchmal schwer, es auszuhalten bzw. es zu akzeptieren, dass Entwicklungsprozesse nicht (oder nicht schnell genug) gelingen. Bei mir und bei anderen Menschen.
    In solchen Momenten erinnere ich mich daran, dass es anmaßend von mir ist, zu glauben, dass ich Alles mit meinen Erfahrungen, meinem Verstand, meinem gesamten Bewusstsein beeinflussen könnte.
    Da gibt es größere, umfassendere Kräfte.

    Jetzt kümmere ich mich mal um mein Abendessen. :D

    LG Manfred

  • ....

    ich habe XY als Mutter-Ersatz mißbraucht und
    es genossen, daß auch er diesen Tick hatte, sich total in Gefühlen verlieren zu können. Das geht glaub mit einem innerlich unverletzten Menschen garnicht so extrem.

    Mein inneres Kind vermißt die Symbiose von Säugling und Mutter. Da passen zwei dieser Sorte schon gut zusammen - und keiner entwickelt sich weiter - .
    Das suchtartige dieser Beziehung war für mich das Gefühl, mein Defizit tatsächlich als ausgeglichen zu empfinden. Es war ein so tiefes Gefühl an Geborgenheit und ineinander versinken, daß ich dafür bereit war durch die Hölle zu gehen.

    Seit dem ich das Defizit kenne, habe ich Gedanken aufgestellt, die ich mir denke, wenn ich das Defizit spüre. Es ist ja nicht so daß ich jetzt noch gestillt werden will - aber wenn ich schwach bin, habe ich eine Art Sehnsucht, die für mich "gefährlich" werden kann. Ich neige dann zur Selbstaufgabe um mich selbst und das Defizit nicht zu spüren. Das ist ein
    Nährboden für jede Art von Sucht.

    Jetzt versuche ich soweit zu heilen wie es eben geht. Und Beziehung und
    körperliche Nähe bewußt zu erleben. Zwei Ganze nicht zwei halbe die sich suchtartig gegenseitig mißbrauchen.

    Aber das Gefühl verwundbar zu sein ist noch stark. Ich hoffe eine lange Arbeit an der Selbstliebe verleiht mir noch mehr Ruhe und "Selbst-Verständlichkeit".

    LG Nys

  • Hallo!
    Ich bin EKA und kann Vieles nachvollziehen, was ihr geschrieben habt.
    Ich danke euch für das Bild des Inneren Kindes!
    Nys, auch ich kenne das Gefühl in schwachen Momenten eine Sehnsucht zu verspüren, die ich oft versuche mit überstürzten Aktivitäten zu "übertünchen".
    Was machst du, wenn du diese Momente erlebst?
    Einen schönen Abend,
    ratzfatz

  • Hallo ratzfatz

    hier meine Antwort auf Deine Frage


    Altes Muster:
    Tagträume oder Sorgen, die sich durch den ganzen Tag zogen. Dabei übermäßiger Zigarettenkonsum und an schlimmen Tagen Alkoholmißbrauch. Solange es XY noch gab, wurde er von mir kontaktiert und ich habe ihn gebeten, mir etwas Liebes zu sagen oder per SMS zu schreiben. Bei einem Treffen dann vorhersehbarer Liebesrausch.

    Neues Verhalten:
    Mir bewußt werden, daß meine gefühlte Hilflosigkeit daher kommt, daß ich als Säugling 4 Wochen lang das Verlassen-Sein erlebt habe und auch als Kind mich nie von meiner Mutter angenommen und geliebt fühlte. Jetzt rufe ich mir in meinen schwachen Momenten das Bild einer stillenden Mutter vor Augen. Ich versuche diese Einheit und die Zufriedenheit nachzuspüren. Auch den Druck, den so ein hungriges Baby hat - mit der Sicherheit, nun alles zu bekommen was es gerade braucht. Ich hülle mich in dieses Bild und versuche mir selbst diese Geborgenheit und das Gefühl des Ganz-Seins zu geben. Mir bewußt werden, daß dieses Bedürfnis nicht von außen sondern nur von mir selbst gestillt werden kann.

    LG und Dir auch einen schönen Abend, Nys

  • .... ach ja
    wilder Aktionismus gehört natürlich auch zu den alten Mustern, die eigene Hilflosigkeit / Sehnsucht nicht zu spüren. Da bin ich zu XY Zeiten natürlich voll in meiner Retter-Rolle aufgegangen - und darin für uns eine zweite kleine Welt der Zuflucht aufzubauen... das hat mich regelrecht beflügelt und fühlte mich stark. Bis ich wie Ikarus Sohn zu hoch geflogen war.

  • Hallo Nys,
    vielen Dank für deine Antwort.
    Du schreibst so klar und durchschaust viele Denkstrukturen. Hast du eine Therapie gemacht? Und noch eine Frage: Tut es nicht noch mehr weh, diese Gefühle immer wieder hervorzuholen und sich dessen bewusst zu sein, dass man immer noch bedürftig ist? Ist es nicht wie ein ständiges "Aufkratzen der Wunde" ?
    Danke für´s Lesen,
    ratzfatz

  • meine Besuche bei einem Heilpraktiker (Coach) und bei einem Psychologen liegen einige Monate zurück und waren eher der Paartherapie bzw. der Bewältigung des Trennungsschmerzes von XY gewidmet.

    Die Aufarbeitung meiner Kindheit begleitet mich bereits mein ganzes Leben. Bislang ohne Therapie hierzu. Lediglich die Aversion gegen meine Mutter hat der Heilpraktiker ganz gut in ein respektvolles Miteinander verwandelt.
    Die neuen Blickwinkel und Lösungsansätze bzgl. meiner Defizite habe ich durch Anstöße im Forum und durch Bücher von Hans Peter Röhr gewonnen. Viel in mich reingefühlt beim Lesen und mich hinterfragt. Eigentlich hat das mehr gebracht als alle bisherigen "Therapie-Sitzungen" - aber vllt. ist es mir auch nur wg. der Vorarbeit der Psych. so gut gelungen, jetzt die richtigen Ansätze zu finden.

    Nein es reißt die Wunde nicht auf. Ich bin so geworden wie ich bin und ich freue mich, endlich ein Ja zu mir incl. meiner Bedürftigkeit gefunden zu haben. Bis zur Lektüre von "Wege aus dem Chaos" habe ich meine Bedürftigkeit weder akzeptieren noch verstehen können. Ich dachte immer ich sei irgendwie nicht normal und habe mich manchmal dafür geschämt. Jetzt bin ich zum ersten Mal in der glücklichen Lage bedürftig sein zu dürfen. Ich habe es mir erlaubt und finde es eine schützenswerte Eigenart von mir, die behutsam behandelt werden will wie ein Baby. Es hält mich somit auch davon ab, mich wieder einem Menschen auszuliefern, der mit seinem Leben selbst nicht klar kommt. Abhängig von einem "Gesunden" will ich natürlich auch nicht sein aber da stellt sich diese Beziehungs(Symbiose)-Sucht bei mir auch gar nicht ein. Es gibt trotzdem noch viel zu bearbeiten und alte Muster sind allgegenwärtig. Ich gehe, aber komme noch manchmal ins Stocken - oder muß mich abstützen. Jetzt versuche ich die Stützen bewußt und sinnvoll zu wählen. Das Ziel ist, irgendwann ohne Hilfe flüssig gehen zu können.

    LG und eine gute Nacht, Nys

  • Hallo Nys,
    es hat sehr lange bei mir gedauert bis ich mich mit dem Thema „Meine Bedürfnisse“ tiefer gehender beschäftigt habe.

    Ich wusste zwar schon seit längerer Zeit von meinem un-glücklichen Start ins Leben (wochenlange Trennung von der Mutter nach der Geburt), aber welche Bedürfnisse und auch Ängste sich daraus für mein weiteres Leben entwickelten, das habe ich erst nach und nach spüren können.

    Lange Zeit habe ich die Bedürfnisse und Ängste mit Alkohol zugeschüttet.
    Auch seit ich trocken bin, habe ich lange Zeit Vieles verdrängt und abgewehrt.
    Z.B. durch übermäßiges berufliches Engagement, aber auch durch eine zu häufige ironische und/oder sarkastische Haltung mir selbst und anderen gegenüber.

    Insbesondere durch eine Traumatherapie (die ich vor 2 Jahren begann und die jetzt langsam ausläuft) konnte ich den Kontakt zu bestimmten Bedürfnissen und Ängsten auch mal zulassen, ohne sofort die alten, verinnerlichten Abwehrmuster zu aktivieren.

    Was mir im Umgang mit all meinen Mangelerlebnissen immer geholfen hat, dass war und ist mein Bewusstsein für meine Ressourcen.
    Insbesondere im Verlauf meiner Trockenheit habe ich erlebt und erfahren, dass ich auch sehr schwierige Lebenssituationen gestalten kann, vielleicht auch gerade wegen dem schwierigen Start ins Leben.
    Wenn es mir als kleiner Säugling gelungen ist, mich ohne Kontakt zur Mutter gegen den drohenden Erstickungstod (Fruchtwasser in der Lunge) zu wehren, dann gibt es da offensichtlich Ressourcen in mir, die leben und lebendig sein wollen.
    Diese Ressourcen wahrzunehmen und ihnen einen (geschützten) Rahmen zur Entfaltung zu geben, dass betrachte ich heute als meine Aufgabe.

    LG Manfred

  • Hallo Manfred

    ja - der Überlebenswille - die Resourcen? Oft spüre ich sie nicht mehr.
    Dann doch...wieder.. (meine Geburt fand 5 Tage nach dem Verlust des Fruchtwassers statt.... man sah es mir und meiner Haut an. Eigentlich ein Wunder das ich lebend zur Welt kam.)

    bei mir sind auch so Abwehrmechanismen da und es kommt noch schlimmer:

    Je mehr ich über die Trauma-Bewältigung bei den EKA's lese, um so mehr
    alte Erinnerungen tauchen bei mir auf. Ich denke über eine Therapie nach. Habe aber erstens Angst und beruflich gerade so viel Druck, daß ich das unmöglich auch noch hinbekomme.

    Wenn ich lese, wie mißhandelte Kinder heute als Erwachsene denken und fühlen. So dieses Nicht-fühlen und dann wieder unkontrolliert etwas fühlen, das garnicht zum augenblicklichen Alltag gehört sondern so irgendwo herkommt... .. he ich dachte immer das sei bei mir halt so... so ganz langsam bekomme ich ne Ahnung woher das kommt.


    Kann man leben ohne das aufarbeiten zu müssen?
    Ich will da irgendwie nicht ran? :roll::?::roll:

    LG Nys

  • Hallo Nys,

    Zitat

    Kann man leben ohne das aufarbeiten zu müssen?
    Ich will da irgendwie nicht ran?

    Das, was Aurora dazu in Deinem Thread geschrieben hat, sehe ich genauso.

    Bevor ich mich mit den traumatischen Erlebnissen meiner Kindheit intensiver beschäftigt habe war ich ja schon über 20 Jahre trocken.
    Und in den 20 Jahren (und auch vorher) habe ich ja auch gelebt.

    Dass ich vor ca. 2 Jahren dann eine Traumatherapie begonnen habe, hängt sicher auch damit zusammen, dass ich seit längerer Zeit keine berufsbezogene Arbeit mehr habe.
    Und da ich auch keine eigene Familie habe, hatte und habe ich sehr viel freie Zeit um über mein Leben zu reflektieren bzw. so etwas wie „Biographiearbeit“ zu leisten.
    Es hat sich nach und nach so ergeben (auch durch das viele Lesen im Forum), dass mein Blick sich mehr und mehr nach Innen gerichtet hat, aus dem sich dann Fragen wie diese formuliert haben:

    Was sind meine Bedürfnisse?
    Und wodurch werden sie bestimmt/ beeinflusst?

    Was mich zur Zeit am meisten beschäftigt, dass ist mein Bedürfnis nach Zugehörigkeit/Verbundenheit.
    Darüber werde ich demnächst mal etwas ausführlicher schreiben.

    LG Manfred

  • Hallo Manfred

    Zitat

    Darüber werde ich demnächst mal etwas ausführlicher schreiben.

    da freu ich mich jetzt schon drauf!

    .... und laß mir mit meiner Geschichte noch die notwendige Zeit.

    LG Nys

  • hallo ihr lieben,
    hat man nicht auch bedürfnisse ohne irgendwelche mängel in der kindheit erlitten zu haben? ich denke doch, dass jeder mensch ein bedürfnis nach liebe, schutz, zuneigung usw hat. ich empfinde es eher als gestört, wenn jemand das nicht hat und sich zum beispiel nicht streicheln, anfassen, umarmen lassen will. oder habe ich da was falsch verstanden?

  • Hallo Paddy,
    selbstverständlich hat jeder Mensch Bedürfnisse.
    Ein gewisser Herr Maslow hat diese einmal in einer Pyramide zusammengestellt.

    Mir ging es bei diesem Thread darum über folgende Fragen zu reflektieren:

    - Welche meiner Bedürfnisse sind mir bewusst?
    - Mit welchem Verhalten versuche ich welche Bedürfnisse zu erfüllen? Gibt es da einen Unterschied zur (nassen) Vergangenheit?
    - Kann ich auch unerfüllte Bedürfnisse mal aushalten?
    - Wieviele und welche Bedürfnisse kann ich mir auch unabhängig von anderen Menschen erfüllen?

    „Gestört“ ist bei mir häufiger der Kontakt zu meinen Bedürfnissen.
    „Gestört“ ist bei mir auch das Maß, mit welchem Verhalten ich mir meine Bedürfnisse erfülle.

    Als süchtiger Mensch neige ich zu folgendem Motto: Viel vom selben hilft auch viel.

    @ Nys
    Den Beitrag über mein Bedürfnis nach Zugehörigkeit/Verbundenheit habe ich erstmal „auf Eis gelegt“.
    Da arbeitet es noch in mir ...

    LG Manfred

  • Hallo Manfred
    Mir scheint, dieses Thema wird etwas „stiefmütterlich“ behandelt.
    Trotz oder gerade wegen seiner Bedeutsamkeit?
    Möglicherweise liegt es daran, weil hier die Notwendigkeit besteht, sich ausnahmslos mit den eigenen Suchtverhalten auseinanderzusetzen. Ohne Verallgemeinerungen, ohne Rücksicht aufs banale, alltägliche Auf und Ab und ohne den Bezug auf andere.

    Meine eigene Bedürftigkeit!
    Ich finde es gut, dass Du „Gestört“ so schreibst und damit im Schriftbild und im Wortsinn relativierst.
    Ich glaube, dass es dieses >Gestört< war, was mich zu Beginn meiner Reise daran gehindert hat, genauer auf meine Bedürfnisse zu schauen.
    Erst später, als mir klar wurde wer solche Worte wie „Normal“, „Gesund“ und eben „Gestört“ definiert, konnte ich mich dem widmen.
    Die erste Frage, die ich mir gestellt habe: Was sind meine Bedürfnisse? Was sind lediglich Wünsche? Was meine Neigungen und was sind die unerlässlichen Notwendigkeiten?
    Die Antworten auf diese Fragen, lagen nicht einfach so im „Speicher“.
    Die wohl bitterste Erkenntnis aus dem Prozess war die Einsicht: Auch ich habe egoistische Ziele. Eitle Neigungen, denen ich Rechnung zollen darf und muss. Sie gehören einfach auch zum Selbstbild und sind ein zentraler Aspekt zum Selbstverständnis – sind wichtiger Teil meiner Persönlichkeit.
    Meine Ungeduld ist ein Zeichen von der kindlichen (heute nicht mehr angemessenen) Forderung: „Nicht gleich, sondern sofort!“
    Entstanden aus meiner frühen Fehlinterpretation von Vernachlässigung.
    Die Tatsächlich nie stattgefunden hat.
    Daher rühren auch meine früheren (und heute gelegentlichen) Trotzreaktionen und der Neid. Durchaus menschliche Eigenschaften – allerdings in ihrer Heftigkeit, ein Zeichen von nicht erprobtem Umgang damit.
    Wut, Zorn, Angst, Trauer und Freude haben somit auch bei mir wieder ihren Platz. Ich darf sie zeigen. Nach einem Durchatmen.
    Da auch diese Gefühle und das Begehren nach Ausdruck, unterdrückt waren, sind sie nüchtern schnell anwesend. Die Einordnung gelingt mir nunmehr besser.
    Was ist „erinnert“ – gehört nicht in die Gegenwart?
    Es ist ein „Neuerlernen“ in bestimmten Situationen - kein dauerhaftes reflektiert werden, aller Handlungsweisen.
    Der Unterschied zur „Nassen“-Zeit liegt in der Bewusstheit. Früher habe ich ein heftiges Gefühl nur zugelassen, wenn ich getrunken hatte. Weil meiner emotionalen Bedürftigkeit lediglich da eine Möglichkeit zur Verfügung stand, sich auszudrücken.
    Wenn ich mich heute bei einzelnen Begebenheiten - in meiner Wahrnehmung -„Danebenbenehme“, so kann ich es für mich einsortieren. Es vertreibt die Scham (und beiläufige Schuld), die sich sofort einstellen will.
    Ich kann mich dadurch wesentlich besser Selbstertragen, als es mir vorher möglich war.
    Weil ich so bin und auch so sein darf.
    Gruß in den Norden - Uwe

  • Hallo uwe,
    meinst Du mit dem durchatmen, dass Du erstmal Geduld lernen mußtest? Und wenn ja, wie hast Du dies geübt?
    Ich habe deinen Beitrag jetzt so verstanden, dass der griff zur Flasche sozusagen eine schnelle Möglichkeit war die unerfüllten Bedürfnisse aufzufüllen und andere wahre Gefühle garnicht erst wahrgenommen werden konnten , quasi ertränkt wurden. So konnte dann keine wut, kein Zorn, keine freude angemessen ausgedrückt werden oder überhaupt wahrgenommen werden. Oder habe ich das jetzt falsch verstanden?

    Ganz allgemein könnte man dann ja sagen, dass man sich durch den Alkoholgenuß Enttäuschungen zu ersparen versucht. Denn jedes nicht erfüllte Bedürfnis würde doch zu einer Enttäuschung führen.
    Gerne würde ich noch mehr darüber erfahren.

  • Hallo Paddy
    Ja, so ähnlich wollte ich verstanden werden. Wobei beim Durchatmen eher ein ganz banales Inne-halten gemeint war. D.h., den Gedanken eine Chance zu lassen, nachzuschauen: was passiert da gerade mit mir?
    Ich habe nicht gelernt mit meinen Emotionen umzugehen. Von außen bin ich meist als „Teilnahmslos“ wahrgenommen worden. Ich habe das Gefühl allerdings nicht unterdrückt oder in mich „hineingefressen“, sondern übertragen. Andere mussten sie ausleben.
    Das klingt erst einmal unmöglich. Daher vielleicht ein Beispiel.
    Wenn ich mich geärgert habe und richtig zornig war, dann hat meine reaktionsarme, vermeintliche Gleichgültigkeit, den Gegenüber dazu „eingeladen“, meine Wut mitzuempfinden. Das geht mit Freude genauso. Was in der Kindheit einen gewissen „Selbstschutzcharakter“ hatte, führte im Erwachsenenleben zu Irritationen. Vor allem im Selbstbild.
    Selbstverständlich geschieht so etwas unbewusst.
    Selbst erlebt habe ich dabei nur so etwas wie Verblüffung und/oder Genugtuung.
    Im Trunkenen Zustand war die einzige Gelegenheit, das Gefühl auch zu leben. Dann aber heftig, weil unreflektiert.
    Nüchtern wollen nun die Emotionen mit einer ähnlichen Impulsivität hervortreten. Zumindest habe ich lange davor Angst gehabt, dass es so geschehen kann. Ist aber nicht so!
    Es ist ein langsames Herantasten an die eigene Bedürftigkeit.
    Von einer Generalisation (Zitat: „…allgemein könnte man dann sagen, dass…“) möchte ich aber eindringlich Abstand nehmen.
    Es ist ein Phänomen meiner persönlichen Historie.
    Möglich, und auch wahrscheinlich, dass jemand ähnliches erlebt hat. Doch auch da gilt es eigene, für die individuelle Lebenssituation angemessene, Lösungen zu finden.
    Gruß –Uwe.

  • Hallo Uwe,
    vielen Dank für Deinen offenen Beitrag (12.3.13).

    Nach meinen bisherigen Erfahrungen gibt es unterschiedliche Bedürfnisse nach Klarheit und Klärung.
    Oder aber auch die Wahrnehmung von dessen was „klar“ ist, ist unterschiedlich.

    Ich bin jemand, der Diffusität schlecht aushalten kann, weder bei mir noch bei der mich umgebenden Atmosphäre.
    Das hat sicher viel mit meiner frühen Lebensgeschichte zu tun, in der Vieles diffus, nebelig war.
    Auch in meiner nassen Phase befand ich mich ja ständig im Nebel, von dem ich anfangs so etwas wie Schutz bekam, aber später dann recht schnell nur Verwirrung.

    Deshalb habe ich heute wahrscheinlich ein so großes Bedürfnis nach Klarheit, und befinde mich dadurch häufig in Klärungsprozessen, bei mir und um mich herum.

    Zum Thema „Bedürfnis nach Zugehörigkeit“:

    Ich tue mich mit diesem Thema wahrscheinlich auch deshalb so schwer, weil ich mich z.Zt. nirgendwo so richtig zugehörig empfinde.

    Mich als Mensch mit meinen Kompetenzen und Unzulänglichkeiten in einer Gruppe erkannt und akzeptiert zu fühlen, und zwar dort, wo es eine gewisse Schnittmenge von ähnlichen Werten, Zielen und auch Lebensumständen gibt. Dieses (Grund)Bedürfnis ist bei mir aktuell nicht erfüllt.

    Sind meine Werte und Ziele zu idealistisch, zu anspruchsvoll?
    Bin ich nicht anpassungsfähig genug?
    Ist mein Bedürfnis nach Autonomie so dominierend, dass es Zugehörigkeit verunmöglicht (hat)?
    Wie könnte ein für mich sinnvoller Kontext aussehen, in dem ich mich eingebunden fühle?

    Ich habe zu diesem Thema derzeit mehr Fragen als Antworten.

    LG Manfred

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