Bedürfnisse – Gefühle - Sucht
Hallo zusammen,
hier schreibe ich mal meine Einschätzungen und Erfahrungen auf, die ich bis heute
zu einigen Fragen „gesammelt“ habe.
Wo kommen die Gefühle her?
In einem Satz:
Meine Gefühle entstehen aus erfüllten bzw. unerfüllten Bedürfnissen.
Und wo kommen die Bedürfnisse her?
Das kann ich nicht in einem Satz beschreiben.
Viele meiner Bedürfnisse haben etwas mit den Mangelerfahrungen in meiner Kindheit zu tun.
Mit dem Mangel an Sicherheit, Nähe, Trost, lebendig sein dürfen – um nur einige zu nennen.
Hinzu kommen die Bedürfnisse, die sich im weiteren Leben aus der Orientierung an Freundeskreisen und an medialen und gesellschaftlichen Botschaften speisten.
Beispielsweise die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und nach Anerkennung.
Das Ausmaß der Mangelerfahrungen ist sicherlich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.
Und auch die Ressourcen um mit diesen Mangelerfahrungen umzugehen sind sicher sehr unterschiedlich verteilt.
Mein Umgang damit bzw. meine Art der Bewältigung war die Entwicklung von süchtigem Verhalten.
Mein Suchtmittel war der Alkohol.
Ich habe es an anderer Stelle schon einmal ähnlich beschrieben:
Mein „süchtig werden“ war das unbewusste Anziehen eines Schutz- und Trostmantels, der sich prozesshaft in eine Zwangsjacke verwandelt hat.
Nachdem es mir (nach 10 jährigem Bemühen kein Alkoholiker zu sein) endlich gelungen ist, mich von der Zwangsjacke zu befreien, war da erstmal eine große Entlastung zu spüren. Vielfach wird hier ja auch von der Anfangseuphorie gesprochen.
Nachdem die Anfangseuphorie verflogen war, waren nun die o.g. Mangelerfahrungen deutlicher zu spüren.
Damals war mir das alles nicht so bewusst, und ich hätte das auch gar nicht so benennen können.
Mein (nun abstinenter) Umgang bzw. meine Bewältigung bestand in erster Linie aus Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Diese Art der Bewältigung lag auch deshalb nah, weil ich zu Beginn meines trockenen Lebens erwerbslos war.
Ich wollte unbedingt mir und allen Anderen beweisen, dass ich etwas leisten konnte. Das ist mir auch gelungen.
Erst Jahre später, nach erneuter Erwerbslosigkeit und insbesondere während meiner Traumatherapie habe ich mich in kleinen Schritten den meinem Verhalten zugrunde liegenden Bedürfnissen genähert.
Der Umfang meiner Bedürftigkeit ist mir besonders in einer Therapiestunde bewusst geworden.
Es ging in dieser Stunde (und in weiteren) um „das innere Kind“.
Ich habe mir symbolhaft für mein inneres Kind ein Kissen genommen und auf den Schoß gesetzt. Während ich nun den „kleinen Manfred“ dort hielt, spürte ich auf einmal sehr deutlich seine große Bedürftigkeit.
Die Bedürftigkeit war so groß, dass ich „ihn“ nach einiger Zeit auf den Boden setzte. Ich war mit der großen Bedürftigkeit schlicht überfordert.
Und heute?
Heute mache ich mir kontinuierlich bewusst, was meine Bedürfnisse sind, und ob und wie ich sie mir erfüllen kann.
Dabei akzeptiere ich auch, dass nicht alle meine Bedürfnisse ständig und schon gar nicht sofort zu erfüllen sind.
Diese Akzeptanz fällt mir nicht immer leicht, aber es ist für mich leichter als mit der „Zwangsjacke“ Alkohol zu leben.
Für mich ist es leichter ohne Alkohol zu leben als mit.
Im Kern läuft es für mich auf folgende Fragen hinaus:
Was brauche ich?
Was sind meine Bedürfnisse?
Wie kann ich mir meine Bedürfnisse erfüllen ohne jemand anderen zu miss-brauchen?
Wie gehe ich damit um, wenn meine Bedürfnisse nicht erfüllt werden?
Zum Schluss noch eine Erläuterung:
Meine Unfähigkeit Alkohol kontrolliert trinken zu können trenne ich strikt von den Entstehungsbedingungen meines süchtigen Verhaltens. Süchtige oder auch depressive Verhaltensmerkmale werde ich wahrscheinlich nie ganz loswerden, aber ich kann damit weiterleben.
Alkohol kann ich unter keinen Umständen kontrolliert trinken.
Selbstverständlich darf ich Alkohol trinken, aber was das Tragen einer „Zwangsjacke“ bedeutet, das habe ich lange genug erfahren. Mich würde diese „Zwangsjacke“ sicher zu Tode strangulieren.
Ich wünsche allen (leicht verspätet), die hier lesen, ein trockenes, gesundes neues Jahr!
Liebe Grüße
Manfred