Das "Gewissen" im neuen Leben

  • Hallo allerseits,

    erst einmal muss ich hier nun wirklich all denen, die den Schritt in ein trockenes Leben gemacht haben, meine absolute Hochachtung aussprechen!
    Hut ab, ihr habt wirklich alle meinen vollsten Respekt.

    Nachdem ich nun so viel über die Krankheit gelesen habe wird mir immer klarer, wie schwer das sein muss, bzw. ich kann es in etwa ahnen. Klar sein wird es mir sicher nicht, da ich keine Betroffene bin ("nur" Co :? ).

    Was mir des öfteren auffällt: Im Co-Bereich schreiben ja auch einige trockene mit und viele berichten, wie sie sich früher in ihrer nassen Zeit verhalten habe. Das ganze ist meist sachlich geschrieben, so dass ich mir oft die Frage stelle wie man sich dabei eigentlich fühlt, wenn man zurückdenkt und realisiert, was man da eigentlich alles "angerichtet" hat.

    Deshalb mal meine Frage hier an alle. Wie ist das mit dem Gewissen in der trockenen Zeit wenn man zurückdenkt?

    Ich habe natürlich auch einen Grund für meine Frage. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich auch mit so einigen psychischen Belastungen zu tun hab. Unter anderem halt auch mit Depressionen.
    Das waren mehrere Jahre, die ich eigentlich nur irgendwie am Rande des Lebens "existiert" habe. Aber wirklich gelebt habe ich nicht. Ich habe nichts mehr gefühlt, weder positives noch sonst was. Ich war eigentlich innerlich schon tot, hab es bloss noch nicht gemerkt.

    In dieser Zeit war ich leider auch nicht so für meine Kinder da, wie ich es hätte sein müssen. Das tut mir noch heute sehr weh und ich habe an manchen Tagen grosse Schuldgefühle, zudem das ganze auch zumindest an meinem Sohn nicht spurlos vorbei gegangen ist. Ich kann nichts rückgängig machen, leider, nur versuchen es in Zukunft besser zu machen.
    Meine Therapeutin sagt mir auch oft, ich soll nicht vergessen dass ich krank war (bin) und das alles nicht mit Absicht gemacht habe, sondern dass es mir einfach nicht anders möglich war.

    LG
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • Hallo Pingi,

    Schuld und Sühne bei einer Krankheit ist für mich ein zweischneidiges Schwert . Aus einer Krankheit heraus, andere in Mitleidenschaft gezogen zu haben, ist nur dann nicht mit meinem Gewissen vereinbar , wenn dahinter Menschen standen , die sich in keinster Weise wehren gekonnt hatten . Das muss ich akzeptieren und wie du ähnlich schreibst, in Zukunft zeigen das es Krankheitsbedingt war.

    Menschen meiner direkten Umgebung , die jahrelang meine Sauferei toleriert haben , müssen sich selbst hinterfragen, inwieweit sie überhaupt von Schuldzuweisungen sprechen können .

    Meist sind jedoch die "Schuldgefühle" nicht identisch mit dem Denken von Personen die mich damals erlebt hatten. Offene Gespräche und Aufklärung war das einzigste was ich machte. Wenn überhaupt. Wenn es jemand nicht verstehen kann, muss ich es akzeptieren und damit leben .

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo pingi,

    zu Beginn meiner Trockenheit litt ich sehr unter Schuldgefühlen und Selbstmitleid.
    Ich habe eine Tochter, die die volle Breitseite meiner Depression und der Alkoholabhängigkeit ab bekam und nicht unbeschadet aus meiner Geschichte heraus kam.
    Inzwischen geht es ihr gut und mir auch. Wir haben wieder Kontakt. Vielleicht sogar so ähnlich wie der zwischen anderen Töchtern und Müttern.
    Aber da sind ne Menge Verletzungen. Da ist ne Menge verlorenes Vertrauen.
    Nichts davon ist irgendwie weg zu diskutieren oder weg zu erklären. Auch nicht durch das Argument, dass ich krank bin.
    Ihre Verletzungen sind da. Und das Vertrauen kann vielleicht wieder neu entstehen und das tut es wohl auch mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat, jedem Jahr, das anders ist als das, was sie und ich früher kannten. Dafür kann ich nun sorgen, indem ich für mich sorge.
    Manchmal kommen auch heute noch in mir Schuldgefühle auf. Ich weiß nicht, ob sich das mal ändert.
    Daran, weiter zu machen und abstinent zu bleiben, hindern sie mich nicht. Ganz im Gegenteil.

    Gruß, Penta

  • Hallo pingi,

    Zitat

    wie schwer das sein muss


    Ja und nein. :wink:
    Schwer ist etwas doch nur dann, wenn es massive Widerstände zu überwinden gilt. Wenn ich aber kapituliert habe, wenn ich begriffen habe, dass mich die Droge immer weiter zerstören wird, falls ich nicht die Reißleine ziehe, dann ist es leicht. Alles vorher, das ganze sich-schön-Saufen und unter-Alkohol-Ersticken, das war dagegen die schwerere Variante. Jedenfalls hab ich das so erlebt.
    Das Schwere kommt dann schon noch, denn die Veränderungen im Alltag, die anstehen, um nicht nur trocken zu werden, sondern es auch dauerhaft zu bleiben, die sind dann in den Details wieder schwer. Aber das Leben ist so oder so doch nicht immer leicht, zumindest hat uns das niemand versprochen, richtig?

    Tja, das Gewissen.
    Ich habe mit meinem schlechten Gewissen, das mich in allen möglichen Dingen seit frühester Kindheit an begleitet hat, schon vorm Trockenwerden kurzen Prozess gemacht, denn es war für mich hinderlich. Es ist doch nur eine Sache im Kopf, und von Schuldgefühlen wird ja nichts besser.
    Auch solche GEdanken wie "was wäre, wenn ich nie getrunken hätte" verbanne ich genauso wie alle anderen hätte-könnte-wäre-Gedanken, und damit lebt es sich für mich recht stressfrei.

    Was ich davon unterscheide, ist die Verantwortung.
    Ich habe immer die Verantwortung für alles übernommen, was ich angerichtet habe, und tue das heute noch. Ich habe immer den Preis gezahlt und die Konsequenzen ausgehalten und mich nicht gedrückt. Ich habe imemr so gelebt, wie ich es wollte, und habe meine Werte immer rechts und links verteidigt. Daher habe ich mir nichts vorzuwerfen.

    LG viola

    Da, wo es piekt, da geht es lang!

  • Mein Verhalten im akuten Stadium meiner Alkoholsucht war krankheitsbedingt.
    So wie das bei anderen Krankheiten auch der Fall sein kann.
    Ich habe deshalb keine Schuldgefühle und auch kein schlechtes Gewissen.
    Allerdings viele unangenehme Erinnerungen.

    Meine Tocher war schon erwachsen und wohnte auch nicht mehr bei uns in der schlimmsten nassen Endphase meiner Krankheit, sie hat darum nicht so viel davon mitbekommen.
    Inwieweit sie trotzdem Schaden genommen hat, kann ich nicht sagen.
    Wir haben aber in Gesprächen viel klären können und sie war mir eine große Unterstützung, als ich trocken wurde.
    Wäre das anders gewesen, weiß ich nicht, inwieweit ich Schuldgefühle hätte, aber die Situation war nun mal so.

    pinigi, Du schriebst:

    Zitat

    Das waren mehrere Jahre, die ich eigentlich nur irgendwie am Rande des Lebens "existiert" habe. Aber wirklich gelebt habe ich nicht. Ich habe nichts mehr gefühlt, weder positives noch sonst was. Ich war eigentlich innerlich schon tot, hab es bloss noch nicht gemerkt.

    Diese Gefühle kenne ich so aus meiner nassen Zeit. Und das war schrecklich.
    Ich habe in meiner nassen Zeit sehr gelitten.
    Ich bin nicht absichtlich Alkoholikerin geworden.
    Es war ein langer Leidensweg für mich.
    Ich habe mich sehr geschämt für meine Krankheit und mir deshalb keine Hilfe gesucht.

    LG Sunshine

  • Guten Abend zusammen,

    Danke für Eure Antworten und entschuldigt bitte, dass ich jetzt erst wieder schreibe. Bei mir ist in den letzten Tagen soviel passiert dass ich einfach nicht mehr weiss was ich noch machen soll.

    Ich hatte ja erwähnt, dass ich durch meine Depressionen nicht so wirklich für meine Kinder da sein konnte. Dann kam jetzt noch in letzter Zeit die unglückliche Beziehung mit meinem ex-xy dazu. Das hat sich auch gerade auf meinen Sohn sehr negativ ausgewirkt, so dass er nun in Zukunft in eine Wohngruppe kommt. Das tut mir so verdammt weh, ich kann es nicht beschreiben.

    Montag Termin in der Tagesgruppe, um es meinem Sohn zu sagen. Dabei bekomme ich Unterstützung durch seinen Betreuer. Aber ich habe sehr grosse Angst vor diesem Termin, weiss nich wie mein Sohn reagieren wird. Ich will ihm nicht weh tun, ich will nicht dass er denkt ich wolle ihn "abschieben".
    Und am Mittwoch habe ich dann selber Aufnahme in einer Psychischen Klinik.
    Mein ganzes Leben ist im Moment total zerrissen. Und genau so fühle ich mich auch innerlich.

    traurige Grüsse
    pingi

    Ich kann, wenn ich will! Ich muss nur wollen....

  • glück auf

    wie ich mit meinem gewissen umgehe hab ich hier geschrieben : https://beispiel.rocks/beispiel.rocks…p=425621#425621

    Zitat von silberkralle

    5.bald nachdem ich trocken werden durfte hab ich alle meine „verbrechen“ und „abstürze“ (mit allen schmutzigen Einzelheiten aufgeschrieben (dabei hab ich eine ganze badewanne vollgeheult) – diese niederschrift hab ich ganz unten in den bettkasten gelegt, da liegt sie immer noch.
    :arrow: immer wenn mal wieder so eine “stöh- schämerinnerung“ hochkommt (ja – nach 22 jahren) oder - saufdruck bzw. verlangen - :arrow: denk ich daran, wo diese niederschrift liegt – ich brauch nich nachlesen – ich weis, das ist meine vergangenheit – ich kanns nich mehr ändern.

    das is immer noch so - allerdings werden die “stöh- schäm- attacken“ seltener.

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

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