Ich, der herumwandelnde Vorwurf

  • Kennt ihr das auch von euch, man sucht immer einen anderen Schuldigen für seine Misere? Seit einiger Zeit versuche ich mir in verschiedensten Situationen über diese Dinge Klarheit zu verschaffen und Eigenverantwortung zu übernehmen, das ist nicht leicht. Dieses "ererbte" Familienmuster zu durchbrechen ist aber auch spannend, es reicht nicht einfach mal nur die Klappe zu halten und Dingen seinen Lauf zu lassen, sondern die Grundeinstellung zu verändern. Meist ist der Anstoß zu Vorwürfen auf eine eigene Unzulänglichkeit zurückzuführen. Puh, gerade in meiner Beziehung hagelt es gegenseitige Vorwürfe, ich will es Co-mäßig dem anderen Recht machen, es wird nicht honoriert, ich bin beleidigt und schnalle erst hinterher in welche Falle ich mal wieder getappt bin. Hier fällt mir die Abgrenzung echt schwer und ich bin derartig traurig darüber dass ich die selben Fehler wie meine Familie mache. Nun mache ich mir die Situationen schon klar, aber durch mein Temperament ist meine Klappe schneller als mein Verstand...
    LG Kitze

  • Zitat

    Meist ist der Anstoß zu Vorwürfen auf eine eigene Unzulänglichkeit zurückzuführen

    Fühlst du dich unzulänglich, weil du Gegenwind bekommst oder das Gefühl hast, die Erwartungen von den Anderen nicht erfüllen zu können?

    Es braucht viel Zeit, um Muster durchbrechen zu können. Du merkst ja jetzt schon, wann du wieder drin bist.
    Sei geduldig mit dir und sprich mit deinem Partner danach darüber, warum du so reagiert hast.

  • Hallo Janine,

    gute Frage, vielleicht ja, und ja. Man sieht ja zunächst die eigene Seite der Problematik... Ich mache zur Zeit ein Experiment und drücke meine Anliegen nicht im du-du-du-Ton aus, sondern in Wunschform. Bislang entschärft es interessanter Weise ungemein ;)
    Innerlich weiter kam ich in Bezug auf meine Mutter, nachdem ich ihr Alkoholproblem erkannte, erntete sie von mir stumme Vorwürfe, Verachtung, tiefe Trauer. Mittlerweile mache ich ihr Problem nicht mehr zu meinem und lasse die Verantwortung bei ihr, aber die stummen Vorhaltungen bleiben und ich mache mir dennoch Sorgen. Es tut mir sehr weh sie nun in der selben Situation wie mein Opa, Onkel u d teilweise mein Vater zu sehen. Das lässt wenig auf Genesung hoffen und damit muss ich klar kommen. Da sind Vorwürfe dann wohl angebracht...
    Ich wünsche allen ein laues Sommerlüftchen.
    lg Kitze

  • Nachtrag:
    Beim erneuten Lesen meiner Zeilen stellte ich fest, dass ich doch nicht genügend Abstand zu der Thematik habe, es ist noch ein langer Weg...

  • hallo kitze,
    passiv-aggresiv, heisst sowas ....rueckzug, schmollen, wortlose schlechte laune, unausgesprochene vorwuerfe ....
    interessant dabei ist, das dieses verhalten von den mitmenschen durchaus als aggression wahgenommen wird (die ist wieder doof, eingeschnappt, hat ihre fuenf minuten) ..... macht aber den weg zur kommunikation,, zu dem, um was es wirklich geht, schwer bis unmoeglich.
    die meisten menschen koennen damit gar nicht umgehen .....ignorieren, sitzen aus, lassendie dicke luft verziehen ...und machen dann weiter, als ob nix gewesen sei...... und im untergrund schmurgelt es weiter.
    die eigentliche botschaft dahinter, sieh mich, nimm mich wahr, komm auf mich zu, hab mich lieb.....die ist nicht zu sehen.

    du schadest dir also in erster linie selbst damit, auch wenn du das gegenueber trefffen und abstrafen moechtest ..... aber eigentlich moechtest du naehe und verstaendnis und dass der andere auf dich zugeht.

    versuche doch einfach, deine eigentlichen empfindungen zu kommunizieren ....... nicht, was du moechtest, was der andere erahnen soll was du empfindest und weil er es nicht erahnt, schmollst du, ziehst dich zuruck ....
    der wandelnde vorwurf, eben!

    mit deiner mutter allerdings wird weder das eine, noch das andere zu irgendwas fuehren...... da gelten eh andere regeln, oder besser gesagt ....keine mehr.

    fuer dich und deine partnerschaft waere es sicher wuenschenswert, wenn du diese passiv-aggressive aus der kommunikation rausbekaemst.
    sag einfach: ich bin verletzt, ich hatte mir was anderes erhofft, ich wollte eigentlich...... red von DIR und erwarte nicht, dass es der andere erahnt!
    gruesse, lindi

  • Gute Zusammenfassung meiner Kommunikationsprobleme, liebe Lindi ;) Kann mich in deinen Worten gut wieder finden und fühle mich ertappt... man bestraft sich tatsächlich selbst damit... Ich werde weiterhin herum experimentieren und mal von meinen "Erfolgen" berichten.
    glg kitze

  • Hallo zusammen,

    ich hatte ein paar Tage um mich zu sortieren und über das Geschriebene nachzudenken. Liebe Lindi, phasenweise klappt es ganz gut deutlich zu formulieren was einem unter dem Nagel brennt. Wenn allerdings mehrere Baustellen herrschen, dann bin ich überfordert und filtere zu grob, entziehe mich zu spät der Situation und reagiere über...
    Was meine Mutter betrifft, du hast Recht mit allem, so schmerzhaft es ist. Hehe, letzter Spruch von ihr: "Wir können gern über alles reden, aber therapieren lass ich mich von dir nicht!" Da war er wieder, mein Spiegel, in aller Deutlichkeit... Ich begriff mit einem Mal so sehr viel, vor allem dass ich keine Energien mehr da reinsetze.
    Mein Plan dafür: Ein entspannteres Leben für mich und meine Familie aufbauen mit einer gesünderen Kommunikation ;)

  • Hi Kitze,

    das was du schreibt, klingt ziemlich gut, finde ich. Du scheinst Fortschritte zu machen was die Kommunikation angeht, und kannst außerdem die Aussage deiner Mutter in einem anderen Licht betrachten. Und zwar in einem viel gesünderen, wie ich finde :)

    Kommunikation ist soooo wichtig... Ich lese gerade ein Buch über das Abwehren verbaler Angriffe. Seitdem rege ich mich nicht mehr über solche Angriffe / Provokationen auf, sondern versuche sie in Ruhe anzusehen und in einer für mich gesunden Weise darauf zu reagieren. So nach dem Motto: Es ist besser, den Schuh zu betrachten, anstatt ihn sich anzuziehen ;)

    Wünsche dir noch einen schönen Abend, liebe Grüße Colibri :)

  • Das Unfaire an psychischen Konflikten ist, dass man sie zwar von anderen reingedrückt bekommt, man sie aber nur selbst wieder lösen kann. Die Verantwortung dafür, seine Seele wieder zusammen zu bauen, hat man selbst.

    Feuerwehrmäßig möchte ich dir meine persönliche Regel Nr 1 zum Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls geben:

    Nie, nie, niemals schlecht von und über dich selbst sprechen. Sich selbst nicht mit Schimpfwörtern bedenken, sich selbst keinen Anspruch auf Gehör absprechen und sich selbst zugestehen, einen inneren Schmerz haben zu dürfen.

    Du bist kein "wandelnder Vorwurf". Du wurdest jahrzehntelang unglaublich verletzt. Das ist alles. Wer das nicht erlebt und gespürt hat, der kennt das nicht.

    Am Ende wird alles gut
    und ist es nicht gut
    ist es auch nicht am Ende

  • Hallo und Danke Alles-wird-gut,

    hab etwas über deine Worte nachdenken müssen. Klar sitzen viele Ereignisse und Verletzungen tief und machten mich unter anderem zu dem Menschen der ich heut bin. Zu verstehen warum ich in welchen Situationen wie "ticke" erleichtert vieles, aber die Verantwortung etwas aus dem Wissen zu machen lastet manchmal schwer... Es ist doch leichter in alte Gewohnheitsmuster zu gleiten, das brauche ich den tapferen trockenen Alkoholikern nicht nicht zu erklären.
    Nicht schlecht über sich denken/sprechen, puh, ich hab eher Probleme damit zuzugeben nicht immer unfehlbar zu sein. Ich mache Fehler? Niemals!!! Ich habe mich wie eine doofe Kuh verhalten? Wie kommt man denn darauf??? Niemand machts besser als ich selbst, deswegen mach ich auch immer alles selbst, bis der Saft raus ist. Und ich frage mich wie bescheuert ich da einfach bin, was vergibt man sich denn damit auch mal Schwächen zuzugeben? Das ist doch auch eine Stärke. Der Lernprozess endet nie, und das ist doch recht spannend, ich bin mitten drin und meine selbst gebastelten Mauern bröckeln, tut überraschend gut...
    lg

  • Es heißt eben immer "dieses Leben oder kein Leben". Das mit dem lebenslangen Wachstum hast du gut erkannt. Wir können nur das beste aus dem Leben machen, das uns gegeben wurde.

    Am Ende wird alles gut
    und ist es nicht gut
    ist es auch nicht am Ende

  • Puh,
    derzeit distanziere ich mich wieder völlig weil ich mich so platt fühle, schlechte Nächte hab und ausser Kinder und Haushaltsalltag wenig erlebe. Dadurch bin ich so gereizt und nehme leider Partner und Kinder zu sehr als Ventil, dabei machen sie mir ja nicht absichtlich Stress. Unzufriedenheit eines Familienmitgliedes stört derartig die Stimmung aller und ich versuche mein Bestes. So, mein Ventil wird jetzt Sport sein, so viel Zeit muss sein!
    lg

  • Hallo ihr lieben,
    heute hatte ich einen derben Tiefpunkt und hätte mich am liebsten im Bett vergraben, wären da nicht meine Kinder... Wochenlanger Schlafentzug, Sorge um die Eltern, zu wenig Freizeit fordern irgendwann ihren Tribut. Eine Freundin rief an und wollte kurz etwas abholen, ich hätte sie am liebsten abgewimmelt. Oft war ich neidisch auf sie und ihr Leben, aber dann merke ich wieder dass ich dann nicht bei mir bin, sondern nur guck was andere haben und können. Es ging mir nicht gut und ich wollte in meinem Selbstmitleid versauern, aber das kurz und knackige Auskotzen über meine Situation bei ihr machte mir Luft und zeigte mir, dass es auch bei anderen nicht immer rosig zugeht. Austausch ist für mich so wichtig geworden, wie viele gute Menschen habe ich vergrault weil ich mich nicht öffnen konnte... nun ist es so sehr anders und besser geworden.
    lg

  • Hallo Kitze,

    wochenlanger Schlafentzug hört sich nicht so gut an... Mir persönlich hilft Ruhe / Zeit für mich sehr.. Allerdings habe ich auch keine Kinder, da ist es sicherlich einfacher, dies regelmäßig zu realisieren...

    Ich finds gut, dass du dich deiner Freundin öffnen konntest und dir das dann auch gut getan hat. Es kostet manchmal einfach Überwindung, von sich und seinen Problemen zu sprechen. Aber sobald es "draußen" ist, fühlt es sich meist schon besser an. Und in aller Regel bekommt man von seinen Freunden ja keine Vorwürfe zu hören, sondern Verständnis und konstruktive Ratschläge. Da fühlt man sich einfach besser :)

    Schönes Wochenende!
    Lg Colibri

  • Hallo zusammen,
    am Freitag hab ich einen Termin bei einer Therapeutin und ich bin gespannt mit welchen Ansätzen sie arbeitet, ob die Chemie stimmt usw.. Hab so lange mit mir gerungen um in die Puschen zu kommen, seit 10 Jahren schiebe ich bewusst so manch heikle Themen vor mir her und bin froh und erleichtert endlich "aktiv" zu werden ;)
    vlg

  • Hey kitze

    ďas ist super! Zieh es weiter durch, es lohnt sich!
    Nur erwarte bitte keine Superwoman oder Wunder und das noch in möglichst kurzer zeit ;)
    Es braucht Geduld und Durchhaltevermögen. Aber dann kann man irgendwann richtig toll "ernten" :)

    Eine Freundin macht und tut und arbeitet seit ca zwei jahren hart an sich und ihrem Leben und letztens sagte sie ganz überrascht "du, es geht mir gut?" Und wunderte sich noch, dass es nicht mal nur ein Tag war, sondern eine ganze weile :)

    LG girasole

  • Danke für deine Worte, Girasole!

    Der Termin liegt nun fast eine Woche zurück und es arbeitet schon ordentlich in mir. Direkt danach fühlte ich mich sehr ausgelaugt, so sprach ich doch geschlagene 50 Min.nur von mir und meinen Bedürfnissen, Problemen, Wünschen usw., das fiel mir sehr schwer. Ich musste mich mit mir auseinander setzen und mich mit mir beschäftigen, ziemlich unbequem wenn man den Focus immer auf andere lenkt... Es ist auch interssant wenn jemand fremdes recht schnell das Lebensthema herausfiltert und einen damit offen konfrontiert, auch unbequem aber wahr. Loslassen. Eine Kunst das zu schaffen. Aber wem sag ich das ;)
    Eure Kitze

  • Vielen lieben Dank,
    liebe Camille :D
    Der Weg ist das Ziel, ich warte mal ab wohin es mich treibt und was mich dort erwartet. Bislang traf ich in meinem Leben so tolle Menschen die mich inspirieren und bei denen ich mir manches "abgucken" darf, diese unterschiedlichen Einflüsse halten meine Kanäle offen und dafür bin ich so dankbar. Derzeit versuche ich zu lernen mehr bei mir zu bleiben und nicht den Fokus zu verlieren und das glückt ein wenig besser. Auch wenn ich noch gar nicht absehen kann wohin die Reise geht, auch wenn noch viele schmerzvolle Dinge geschehen, so versuche ich mir treu zu bleiben, immer mehr. Dazu gehört auch NEIN sagen, kennt ihr dieses Wort auch so wenig wie ich? Darüber nachdenken ist schon eine Hürde an sich, es aber laut zu formulieren... ihr wisst schon... nicht einfach. Aber es klappt immer besser, also Doppeldaumen hoch und Ganzkörpernick.
    lg Kitze

  • Hallo ihr,
    hab lange nicht schreiben mögen/wollen weil es mir zu anstrengend war. In meinem Alltag läuft es oft drunter und drüber, bin oft kaputt und freue mich einfach mal passiv zu sein und lese hier oft nur. Lernen kann ich dadurch von euch trotzdem sehr viel, es ist bemerkenswert wie klasse, liebevoll, besonnen und respektvoll meist hier geschrieben wird, auch mal sehr eindringlich Tacheles gesprochen wird, ich schätze das alles sehr.
    Mit meiner Therapie läuft es sehr holprig, man kommt schwerlich an Termine und so zieht es sich... Dafür aber machte ich bei einem Seminar für Familiencoaching mit und konnte viele Dinge für mich dabei heraus ziehen, ich finde immer mehr meine Inseln der Hoffnung, Erholung und Kraft. Interessant war für mich die negative Dynamik in einer Situation erkennen und durchbrechen zu können und mit Ruhe dem Stress zu begegnen, das ist mal ein super Handwerkszeug.
    Bin auf mich selbst gespannt, es ist echt anstrengend, tut auf Dauer aber gut.
    Vor allem habe ich gelernt noch ehrlicher zu sein, in meinen Aussagen authentischer zu sein und stellte fest dass es meine Energien und Zeit spart, ich viele Dinge schneller abhaken kann, ich ärgere mich einfach weniger :D
    Ich wünsche Euch was,
    eure Kitze

  • Hallo zusammen
    Hier kommt noch einmal wieder ein Statusbericht von mir 😉
    Vor einigen Wochen machte ich eine Mu-Ki-Kur mit allem Zipp und Zapp, Einzelgesprächen, Austausch mit Leidensgenossen, Sport und: tatsächlich mal mit Zeit für mich... Für mich war es total anstrengend weil ich voll ehrlich mit mir selbst und meiner Umwelt Verfahren bin, das war ungewohnt und neu für mich und wühlte mich derbe auf, was meine Kinder zu spüren bekamen. Danach hatte ich allerdings so viel Elan mich um meine Zukunft zu kümmern und habe zumindest einen Therapieplatz bei einer Psychotherapeutin bekommen, habe innerlich mit mir etwas aufgeräumt und meine Prioritäten etwas umgesteckt. Das kostete allerdings viele Tränen und durchtrauerte Stunden. Scheinbar trägt es aber auch schon kleine Früchte und ich bin mir mit meinem Lebensweg schon deutlich sicherer und da bin ich hoffnungsfroher als vor einigen Wochen ☺️
    Vlg

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